BGE 105 IV 120
 
32. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 20. Februar 1979 i.S. B. gegen Generalprokurator des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde)
 
Regeste
Art. 181 StGB. Nötigung.
2. Ob die Androhung einer Unterlassung erlaubt ist, beurteilt sich nach den allgemeinen Grundsätzen über die Rechtswidrigkeit einer Nötigung (E. 2b).
3. Versuchte Nötigung (E. 2c).
 
Sachverhalt
Aus dem Tatbestand:
Im Jahre 1973 kamen die SBB und ein Architekt überein, ein grosses Grundstück zu erwerben und nach dessen Teilung gemeinsam mit vier Wohnblöcken zu überbauen, wobei diesem Architekten die Erstellung der Bauten und die Lieferung der Fertigelemente übertragen werden sollte. Die Verhandlungen, die seitens der SBB vom zuständigen Sachbearbeiter B. und seinem Vorgesetzten geführt wurden, verliefen vorerst reibungslos. Deswegen und auf Anraten des B. ordnete der Architekt bereits die Produktion der Fertigelemente an und kaufte entsprechende Mengen Armierungseisen. Als später B. für die Bereinigung und den Abschluss des Vertrages die Alleinvollmacht erhielt, gerieten die Verhandlungen wegen belangloser Nebenpunkte ins Stocken. Es wurde immer deutlicher, dass B. seine Stellung als Druckmittel missbrauchte und darauf ausging, den Vertragsabschluss von der Zahlung oder dem Versprechen einer persönlichen Provision abhängig zu machen. Der Architekt wollte sich nicht darauf einlassen, bot dem B. aber dennoch den Betrag von Fr. 10'000.- an, ohne sich durch eine schriftliche Schuldanerkennung zu verpflichten. Gestützt auf dieses Zahlungsversprechen unterzeichnete B. den Vertrag. Zur Zahlung der Provision kam es nicht. Der Architekt erstattete Anzeige bei der SBB, die eine Untersuchung gegen B. einleitete.
Das Obergericht des Kantons Bern verurteilte B. am 11. Juli 1978 u.a. wegen vollendeter Nötigung zu einer Gefängnisstrafe. Gegen diese Verurteilung erhob B. Nichtigkeitsbeschwerde und verlangte die Aufhebung des Urteils und die Rückweisung der Sache zur Freisprechung. Der Generalprokurator beantragte die Abweisung der Beschwerde.
 
Aus den Erwägungen:
a) Der Nachteil muss "ernstlicher" Natur sein. Dazu genügt, dass die Androhung geeignet ist, auch eine besonnene Person in der Lage des Betroffenen gefügig zu machen (BGE 81 IV 105 f., BGE 96 IV 62, BGE 101 IV 48; SCHWANDER, Nr. 629a, STRATENWERTH, BT I, 2. Aufl., S. 92). Der Architekt hatte bereits mit der Produktion der Fertigelemente für die Überbauung des Grundstückes begonnen und entsprechende Mengen von Armierungseisen eingekauft. Ferner hatte er zur Finanzierung der eigenen zwei Wohnblöcke seine Honoraransprüche gegenüber der SBB der Bank abtreten müssen. Ein Scheitern des Vertrages hätte, wie die Vorinstanz verbindlich feststellt, für ihn grosse finanzielle Verluste zur Folge gehabt. Diese waren erheblich genug, um einen verständigen Mann in der betreffenden Lage gefügig zu machen und zu veranlassen, die verlangte Provision zu bezahlen.
b) Zwar drohte der Beschwerdeführer nicht, er werde durch aktives Tun einen Nachteil herbeiführen. Vielmehr stellte er in Aussicht, er werde den Vertrag für die SBB nicht abschliessen und dadurch den Architekten in der bedrängten Lage belassen, ihm also die Vorteile des geplanten Vertrages vorenthalten. Auch dies wirkte sich als finanzieller Nachteil aus, ähnlich einem entgangenen Gewinn. Im übrigen hatte der Beschwerdeführer selber den Architekten zur Eingehung bedeutender Verpflichtungen ermuntert und insoweit auch durch aktives Tun zur Schaffung der Notlage, die er ausbeuten wollte, beigetragen. Wie jedoch der Kassationshof bereits entschieden hat, ist es unerheblich, ob der Nachteil durch ein Tun oder eine Unterlassung herbeigeführt werden soll (BGE 96 IV 61 E. 2). Art. 181 StGB verlangt einzig die Androhung eines Nachteils, ohne festzulegen, auf welche Weise er herbeigeführt werden soll. Nach dem Gesetz ist nicht einmal nötig, dass der Täter willens ist, im Falle der Weigerung des Opfers die Drohung zu verwirklichen. Durch die Androhung einer Unterlassung kann denn auch je nach den Umständen ein ebenso wirksamer Druck wie durch ein Tun ausgeübt werden, so wenn ein Täter z.B. damit droht, er werde die Leistung von Unterhaltsbeiträgen oder einer anderen Hilfe, auf die das Opfer dringend angewiesen ist, verweigern. Ob mit einer Unterlassung gedroht werden darf, beantwortet sich daher nicht nach den Regeln über unechte Unterlassungsdelikte (SCHÖNKE/SCHRÖDER, Kommentar, 18. Aufl., § 240 N. 22), sondern nach den Grundsätzen, die für die Beurteilung der Rechtswidrigkeit einer Nötigung massgebend sind.
Unrechtmässig ist eine Nötigung, wenn das Mittel oder der Zweck der Drohung unerlaubt ist oder wenn das Mittel zum erstrebten Zweck nicht im richtigen Verhältnis steht oder wenn die Verknüpfung zwischen einem an sich zulässigen Mittel und einem erlaubten Zweck rechtsmissbräuchlich oder sittenwidrig ist (BGE 87 IV 14, BGE 96 IV 62, BGE 101 IV 49, 172; SCHWANDER, Nr. 629a, STRATENWERTH, BT I, 2. Aufl., S. 94). Das trifft hier zu. Dem Beschwerdeführer war es verboten, Geschenke oder Provisionen für sich anzunehmen. Schon der Zweck war unerlaubt. Desgleichen durfte er den Vertragsabschluss nicht als Druckmittel einsetzen, um für sich einen Vorteil zu erlangen, weil er mit dem Vertragsschluss nicht eigene Interessen zu wahren hatte. Er hat somit sachfremde Mittel zur Erreichung eines unerlaubten Zwecks angewendet und seine Amtsgewalt missbraucht. Er handelte rechtswidrig.
c) Der Beschwerdeführer wollte den Architekten zwingen, ihm eine Provision auszuhändigen. Deshalb hatte er ihm auch genaue Anweisungen erteilt, wie der Geldbetrag übergeben werden sollte. Dieses Ziel hat er nicht erreicht. Es blieb daher beim Versuch.
Nicht anders wäre zu entscheiden, wenn schon das mündliche Versprechen, die Provision zu bezahlen, als Deliktserfolg angesehen werden müsste. Auch die Nötigung zu einem rechtswidrigen Zahlungsversprechen erfüllt den Tatbestand. Doch konnte nur ein ernstgemeintes Versprechen, nicht ein solches unter Mentalreservation den Beschwerdeführer zum endgültigen Vertragsabschluss bewegen. Der Architekt hatte sich aber nur zum Schein auf die Provisionsforderung eingelassen und aus diesem Grund bereits am folgenden Tag Anzeige erstattet. Es gelang dem Beschwerdeführer also auch insoweit nicht, den Willen des Opfers zu beugen. Belanglos ist, dass er später davon absah, auf der Bezahlung der Provision zu bestehen. Denn nicht freiwillig, sondern wegen der eingeleiteten administrativen Untersuchung hat er seinen verbrecherischen Willen aufgegeben.
Die Beschwerde ist somit in dem Sinne gutzuheissen, dass die Vorinstanz den Beschwerdeführer der versuchten statt der vollendeten Nötigung zu verurteilen hat.