10. Auszug aus dem Urteil der Anklagekammer vom 12. März 1980 i.S. Strafkommission Obwalden gegen Generalprokurator des Kantons Bern
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Regeste
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Gerichtsstandsbestimmung.
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Sachverhalt
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A.- Am 27. Juli 1972 wurde die FIWOBA AG mit Sitz in Zug gegründet. Sie bezweckte die Finanzierung von Bauvorhaben im In- und Ausland. Am 16. Oktober 1972 schloss sie mit dem in Deutschland wohnenden B. einen "Repräsentanzvertrag" ab, nach dem B. für alle Geschäfte in der Bundesrepublik Deutschland zuständig war. B. soll in der Folge die treibende Kraft in der FIWOBA AG gewesen sein, und er soll diese Firma beherrscht und in ihr die Stellung eines Direktors innegehabt haben.
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Am 29. Dezember 1972 verlegte die FIWOBA AG ihren Sitz nach Sarnen und am 8. März 1977 nach Biel, wo am 24. Januar 1978 über sie der Konkurs eröffnet wurde.
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Am 27. November 1979 erstattete ein Gläubiger beim Verhörrichteramt des Kantons Obwalden gegen B. Strafanzeige wegen Unterlassung der Buchführung im Sinne von Art. 166 StGB, betrügerischen Konkurses im Sinne von Art. 163 StGB und ungetreuer Geschäftsführung im Sinne von Art. 159 StGB. Die Strafkommission Obwalden und der Generalprokurator des Kantons Bern führten einen Schriftenwechsel über die Frage der interkantonalen Zuständigkeit. Eine Einigung kam nicht zustande.
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B.- Mit Eingabe an die Anklagekammer des Bundesgerichts vom 25. Februar 1980 beantragt die Strafkommission Obwalden, die Behörden des Kantons Bern seien für berechtigt und verpflichtet zu erklären, alle B. zur Last gelegten Verfehlungen zu verfolgen und zu beurteilen.
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Die Anklagekammer heisst das Gesuch gut.
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Aus den Erwägungen:
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- er habe vom 1. Januar 1976 bis zur Konkurseröffnung vom 24. Januar 1978 einen Verlust von 1,5 Mio. Franken "erwirtschaftet"; wie dieser Verlust entstanden sei, lasse sich nicht feststellen; Belege oder Geschäftsbücher seien nicht vorhanden; offenbar seien diese entweder nie erstellt oder nachträglich beseitigt worden, um den Geschäftsgang der Gesellschaft zu verschleiern; es werde Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden sein, nach allfälligen Unterlagen zu suchen und diese sicherzustellen oder zu ermitteln, wohin das Gesellschaftsvermögen transferiert worden sei.
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- er habe nach der Konkurseröffnung und nachdem er vom Konkursamt aufgefordert worden sei, allfällige Aktiven der FIWOBA AG anzugeben, zwei Forderungen verheimlicht, welche der FIWOBA AG gegenüber einem ausländischen Schuldner und einer ausländischen Tochtergesellschaft zugestanden seien.
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b) Nach der Strafanzeige hat der Beschuldigte im Konkursverfahren die angeblichen Forderungen der FIWOBA AG von Deutschland aus verheimlicht. Der Erfolg seiner Verheimlichung trat am Orte ein, an dem der Konkurs durchgeführt wird, also in Biel. Dieser Ort ist demnach für die Bestimmung des interkantonalen Gerichtsstandes von Bedeutung (Art. 346 Abs. 1, 2. Satz StGB).
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Soweit dem Beschuldigten vorgeworfen wird, er habe in der Zeit vom 1. Januar 1976 bis zur Konkurseröffnung am 24. Januar 1978 betrügerische Handlungen im Sinne von Art. 163 Ziff. 1 StGB verübt, handelte er entweder am Sitz der Firma (vom 1. Januar 1976 bis 7. März 1977 in Sarnen, vom 8. März 1977 bis 24. Januar 1978 in Biel) oder wiederum von Deutschland aus, wobei dann der Erfolg ebenfalls am Sitz der Firma, also in den Kantonen Obwalden und Bern eingetreten wäre.
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c) Sind strafbare Handlungen, die mit derselben Strafe bedroht sind, an verschiedenen Orten verübt worden, so sind zu deren Verfolgung die Behörden jenes Ortes zuständig, wo die Untersuchung zuerst angehoben wurde (Art. 350 Ziff. 1 Abs. 2 StGB). Dieser Grundsatz muss analog gelten, wo verschiedene Straftaten im Ausland verübt und deshalb für die Beurteilung der Gerichtsstandsfrage nicht der Ort der Begehung, sondern gemäss Art. 346 Abs. 1, 2. Satz StGB derjenige des Erfolgseintritts massgebend ist. Wo der Täter im Ausland handelte und der Erfolg seiner Handlungen an verschiedenen Orten der Schweiz eintrat, müssen demnach zur Verfolgung die Behörden jenes Ortes zuständig sein, an dem ein Erfolg eintrat und die Untersuchung zuerst angehoben wurde.
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Die Strafanzeige wurde dem Verhörrichteramt des Kantons Obwalden eingereicht. Sie war nicht zum vornherein offensichtlich haltlos, so dass ihr Folge zu geben war. Mit dem Eingang der Strafanzeige beim Verhörrichteramt Obwalden hatte demnach die Untersuchung als angehoben zu gelten (BGE 98 IV 63, BGE 86 IV 63 E. 2, BGE 75 IV 140 /41). Für die Verfolgung und Beurteilung des Beschuldigten wären deshalb grundsätzlich die Behörden des Kantons Obwalden zuständig.
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Nach der bisherigen Praxis des Bundesgerichts sind Konkursdelikte von den Behörden jenes Ortes zu verfolgen, an dem der Schuldner zur Zeit der Begehung seinen Wohnsitz oder Geschäftssitz hatte, auch wenn der Konkurs an einem andern Orte eröffnet worden ist (BGE 81 IV 64). Fällt eine Gesellschaft in Konkurs und handelte der Täter im Ausland, wird in der Regel anzunehmen sein, der Erfolg sei am Geschäftssitz der Gesellschaft eingetreten, so dass dieser in analoger Anwendung der erwähnten Praxis für die Bestimmung des Gerichtsstands massgebend ist. Diese Überlegungen führen im vorliegenden Fall an sich ebenfalls zur Zuständigkeit der Behörden des Kantons Obwalden.
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4. a) An dieser Rechtsprechung kann indessen nicht festgehalten werden. Die Art. 163-172 StGB schützen einerseits die Gläubiger und wahren anderseits die Interessen der Zwangsvollstreckung als eines Bestandteils der Rechtspflege im weitesten Sinn (THORMANN-OVERBECK, N. 1, und LOGOZ, N. 2 zu den Vorbemerkungen zu Art. 163- 172 StGB). Bei mehreren Verfehlungen muss der Täter an einem Orte verfolgt und beurteilt werden, weil nur auf diese Weise eine Gesamtbeurteilung möglich ist (HAFTER, Besonderer Teil, 1. Hälfte, S. 343/44; CASPAR, Betrügerischer Konkurs, Pfändungsbetrug, leichtsinniger Konkurs und Vermögensverfall gemäss Art. 163-165 StGB, in ZStR 87/1971, S. 43). Zu prüfen ist, welches dieser Ort sein soll.
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b) Soweit die genannten Bestimmungen das normale Funktionieren der Zwangsvollstreckung schützen, drängt sich eine Verfolgung an jenem Orte auf, an dem die Zwangsvollstreckung durchgeführt wird, vor deren Einleitung die fraglichen Delikte gar nicht verfolgt werden können. Soweit sie die Gläubigerinteressen schützen, ist zu beachten, dass eine strafbare Bankrotthandlung nur vorliegt, wenn die Verminderung des Schuldnervermögens den Gläubigern "im Hinblick auf ihre Befriedigung in der Zwangsvollstreckung" objektiv zum Nachteil gereicht (BGE 97 IV 22). Art. 163 StGB dient nicht dem Schutz der Forderung des Gläubigers als solcher, sondern nur dem Schutz seines Anspruchs, sich für seine Forderung aus dem vorhandenen Vermögen des Schuldners auf dem Wege der Zwangsvollstreckung zu befriedigen. Der Nachteil des Gläubigers besteht darin, dass sein Zugriffsrecht im Konkurs verletzt wird (CASPAR, a.a.O., S. 12, 13 und 29). Es liegt deshalb für die Durchführung der Strafverfolgung auch diesbezüglich eine enge Bindung zum Konkursort vor, an dem der Gläubiger sein Zugriffsrecht ausüben muss.
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Schon in der früheren Literatur und Rechtsprechung wurde die Meinung vertreten, Konkursdelikte seien als am Ort der Konkurseröffnung begangen zu betrachten. HAFTER schrieb, man könne dies als eine zwar für die Praxis zurechtgemachte, aber doch zweckmässige Fiktion gelten lassen (Besonderer Teil, 1. Hälfte, S. 343/44). In der Tat erscheint es als zweckmässiger, die Konkursdelikte jedenfalls dann, wenn der Sitz der Firma und der Ort der Konkurseröffnung zusammenfallen, was die Regel ist, allgemein an diesem Orte verfolgen und beurteilen zu lassen, es sei denn, der Konkurs sei an einem Ort eröffnet worden, wo die Gesellschaft nur einen rein fiktiven Sitz hatte. An diesem Ort (Sitz der Firma) befinden sich in der Regel alle Akten, auf welche in der Untersuchung zurückgegriffen werden muss. An diesem Ort oder in dessen Nähe wohnen in der Regel auch die Zeugen, die in der Untersuchung zu befragen sind. Und an diesem Ort ist schliesslich die Konkursverwaltung, von der in der Strafuntersuchung unter Umständen ebenfalls wichtige Aufschlüsse zu erhalten sind. Art. 163 StGB ist zudem ein Offizialdelikt. Aus Verfehlungen in diesem Sinne wird nicht ein einzelner Gläubiger, der eine Strafanzeige gestellt hat, sondern die Gesamtheit der Gläubiger geschädigt, die unter Umständen in verschiedenen Kantonen wohnen. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist es gerechtfertigt, den Ort des Konkursverfahrens als gemeinsamen Erfolgsort anzusehen und die Behörden dieses Kantons mit der Durchführung der Strafverfolgung zu beauftragen. Das führt im vorliegenden Fall zur Zuständigkeit des Kantons Bern, wo der Konkurs über die FIWOBA AG eröffnet worden ist.
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