BGE 106 IV 97 |
33. Urteil des Kassationshofes vom 19. Mai 1980 i.S. B. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons X. (Nichtigkeitsbeschwerde) |
Regeste |
Art. 13 StGB; Art. 269 BStP. Rechtsmittel bei Begutachtung in Strafsachen. |
Sachverhalt |
Seit ungefähr Sommer 1976 bis zum Herbst 1978 wohnte S., geboren am 30. Juli 1962, mit Einverständnis ihrer Eltern, die sich um ihr Kind kaum gekümmert hatten, und in Kenntnis der Gemeindefürsorge bei der Familie B. Das Mädchen brach den Kontakt zu seinen leiblichen Eltern fast vollständig ab. Frau B. galt als stärkste Bezugsperson von S.
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Nach verschiedenen Annäherungen kam es im Juni oder Juli 1977 zwischen B. und S. erstmals zum Beischlaf. In der Folge schliefen die beiden im Hause B. mehr oder weniger wöchentlich miteinander.
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B.- B. wurde - in Bestätigung des Urteils der ersten Instanz vom 23. Mai 1979 - vom Obergericht des Kantons am 27. August 1979 wegen wiederholter Unzucht und wegen wiederholter unzüchtiger Handlungen mit einem Pflegekind (Art. 191 Ziff. 1 Abs. 2 und Ziff. 2 Abs. 2 StGB) zu 27 Monaten Zuchthaus verurteilt.
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Ein im Strafverfahren von Dr. med. B. erstattetes und von Direktor Dr. N. visiertes Gutachten der Kantonalen Psychiatrischen Klinik vom 27. Februar 1979 hatte B. hinsichtlich der ihm zur Last gelegten Handlungen voll zurechnungsfähig erklärt, weder stationäre noch ambulante psychiatrische Behandlung, aber Eheberatung empfohlen.
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C.- Mit Nichtigkeitsbeschwerde beantragt der Verteidiger von B., das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache sei zur Einholung eines neuen psychiatrischen Gutachtens und zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Dieselben Rechtsbegehren hat der Verteidiger auch in einer gegen das Obergerichtliche Urteil eingereichten staatsrechtlichen Beschwerde gestellt; diese wurde vom Kassationshof im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren am 19. Mai 1980 abgewiesen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: |
1. Der Beschwerdeführer rügt einzig eine Verletzung von Art. 10 ff., insbesondere Art. 13 StGB. Er macht geltend, diese Bestimmung schreibe - bei Zweifeln an der Zurechnungsfähigkeit des Beschuldigten - nicht einfach eine Begutachtung, sondern vielmehr eine ausreichende Begutachtung vor. Die von Dr. med. B. erstellte Expertise sei indessen alles andere als ausreichend; sie sei einseitig, unsachlich und unvollständig, also mit derartigen Mängeln behaftet, dass zwingend eine Oberexpertise eingeholt werden müsse. Mit der Ablehnung des Antrags auf Einholung eines neuen Gutachtens habe die Vorinstanz den aus Art. 13 StGB fliessenden Anspruch des Beschwerdeführers auf eine Oberexpertise verletzt und damit gegen Bundesrecht im Sinne von Art. 269 Abs. 1 BStP verstossen.
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b) Das Bundesgericht hat in BGE 96 I 71 erkannt, Art. 13 StGB schreibe nicht bloss eine Begutachtung, sondern eine ausreichende Begutachtung vor; auf Grund von Art. 13 StGB sei daher zu entscheiden, ob im Einzelfall ein Obergutachten einzuholen sei. Die Frage sei demnach mit der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde und nicht mit der subsidiären staatsrechtlichen Beschwerde aufzuwerfen. Darauf stützt sich die vorliegende Beschwerde.
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Der Kassationshof hat diese Praxis in BGE 103 Ia 57 E. 1b (bestätigt in BGE 105 IV 163) mit Zustimmung der öffentlichrechtlichen Kammer (Art. 16 OG) geändert; er hat entschieden, aus Art. 13 StGB lasse sich kein Anspruch des Beschuldigten auf eine ausreichende Begutachtung und damit auch kein Anspruch auf eine Oberexpertise bei Mangelhaftigkeit des ersten Gutachtens ableiten. An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten.
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Ob ein Gericht die im Gutachten enthaltenen Ausführungen betreffend Einsichts- und Bestimmungsfähigkeit des Täters für überzeugend hält oder nicht und ob es dementsprechend den Schlussfolgerungen des Experten hinsichtlich der tatsächlichen Voraussetzungen der Zurechnungsfähigkeit folgen oder eine Oberexpertise anordnen soll, ist eine Frage der Beweiswürdigung. Es verhält sich damit nicht anders als im Fall, in dem das Gericht den in einem Gutachten enthaltenen Schlussfolgerungen tatsächlicher Natur nicht oder nur teilweise folgt; nach der Rechtsprechung ist die Rüge, das Gericht sei von den tatsächlichen Schlussfolgerungen des Experten zu Unrecht abgewichen, seit jeher (vgl. BGE 96 IV 98) mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV (Willkürbeschwerde) zu erheben. Gleiches muss für den Einwand gelten, der Richter sei den tatsächlichen Schlussfolgerungen des Gutachters zu Unrecht gefolgt und habe die Einholung einer Oberexpertise zu Unrecht abgelehnt. In allen diesen Fällen geht es um die Frage der Würdigung eines vorhandenen Gutachtens, mithin um Beweiswürdigung. Daran ändert nichts, dass die Einholung eines Gutachtens in Art. 13 StGB unter bestimmten Voraussetzungen bundesrechtlich vorgeschrieben ist; dies hat auf die Beweismitteleigenschaft des Gutachtens keinen Einfluss.
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Liegt somit ein Gutachten vor (Art. 13 Abs. 1 StGB), das sich über die Zurechnungsfähigkeit des Beschuldigten und die Zweckmässigkeit von Massnahmen äussert (Art. 13 Abs. 2 StGB), dann kann Art. 13 StGB gar nicht verletzt sein und steht daher die Nichtigkeitsbeschwerde wegen Verletzung dieser Bestimmung nicht offen.
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4. Wenn auch in BGE 103 Ia 55 ff. eine klare Abgrenzung der im Zusammenhang mit Fragen der Begutachtung im Strafverfahren zur Verfügung stehenden Rechtsmittel getroffen wurde, so ist es angesichts der früheren Rechtsprechung des Bundesgerichts zu dieser Frage und vor allem mit Rücksicht auf die auf dem Spiel stehenden Interessen des Beschwerdeführers doch verständlich, dass der Verteidiger von B., um nichts zu versäumen, neben der staatsrechtlichen Beschwerde auch noch die vorliegende Nichtigkeitsbeschwerde eingereicht hat. Dem ist bei der Bemessung der Gerichtsgebühr Rechnung zu tragen.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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