54. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 26. Juni 1980 i.S. A. und I. L. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde)
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Regeste
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Art. 305 StGB.
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2. Art. 305 Abs. 2 StGB stellt keinen gesetzlichen Schuldausschliessungsgrund dar, noch ermöglicht er eine obligatorische Strafbefreiung. Der Richter ist vielmehr befugt, dort, wo zwischen Täter und Begünstigtem eine so nahe Beziehung besteht, dass die Tat menschlich verständlich erscheint, die Strafe nach freiem Ermessen zu mildern oder gar von einer Bestrafung Umgang zu nehmen (E. 3).
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Sachverhalt
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Der Sohn der Eheleute A. und I. L. hatte wegen Vergehen gegen das Betäubungsmittelgesetz in der Kantonalen Strafanstalt Regensdorf eine Gefängnisstrafe von zwei Jahren zu verbüssen. Aus dem ihm für den 17./18. Juli 1975 bewilligten Beziehungsurlaub kehrte er nicht wieder in die Anstalt zurück. Er hielt sich in der Folge zeitweise im Ausland und zeitweise in der Wohnung seiner Eltern in Zürich auf. Am 8. August 1976 wurde er in Bern verhaftet.
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Gegen die Eltern A. und I. L. wurde ein Strafverfahren wegen fortgesetzter Begünstigung eingeleitet. A. L. wird vorgeworfen, seinem Sohn in der Zeit vom 4. August 1975 bis ca. 14. Juli 1976 durch Überweisung von Bargeldbeträgen in unbekannter Höhe die Bestreitung des Lebensunterhaltes vollumfänglich oder zumindest grösstenteils ermöglicht zu haben. Den Eheleuten A. und I. L. wird sodann zur Last gelegt, dass sie ihrem Sohn vom ca. 16. Juli 1976 bis ca. 7. August 1976 an ihrem Wohnort in Zürich Kost und Logis gewährten und ihm Geld zukommen liessen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts (BGE 103 IV 98, BGE 104 IV 189 E. 2, vgl. auch BGE 99 IV 277 ff.) fällt unter Art. 305 StGB auch, wer einem von den Strafverfolgungs- oder Strafvollzugsbehörden Gesuchten in seiner Wohnung Unterkunft und Verpflegung gewährt und damit wesentlich dazu beiträgt, dass der Gesuchte nicht gefunden werden kann.
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Diese Praxis ist von SCHUBARTH in der Festgabe Schultz ("Lebendiges Strafrecht" ZStr 94 S. 158 ff.) kritisiert worden. SCHUBARTH vertritt die Auffassung, das blosse Beherbergen eines Fliehenden könne nicht strafbar sein, denn eine solche Hilfeleistung entspreche der christlichen Ethik. Er begründet seine Forderung nach einer einschränkenden Interpretation von Art. 305 StGB vor allem unter Hinweis auf die Zwangssituation, in welcher sich Vertrauenspersonen (Eltern, Fürsorger, Freunde) befinden, die von einem Geflüchteten um Hilfe angegangen werden. Auf ähnlichen Überlegungen beruht wohl die Bemerkung von STRATENWERTH (Schweizerisches Strafrecht, bes. Teil II, 2. A. S. 329), grundsätzlich sei es gerade keine Begünstigung, "einem Flüchtigen etwa Nahrung oder Obhut zu gewähren, wenn dadurch nicht seine Flucht gefördert werden soll".
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b) Den Kritikern ist zuzugestehen, dass es seltene Fälle geben kann, bei denen das kurzfristige Beherbergen eines aus einer Vollzugsanstalt Entwichenen als elementare, ethisch gebotene Hilfe erscheint und kaum strafwürdig ist. Ob in all diesen Fällen, in denen ein Geflüchteter für einige Stunden oder Tage aufgenommen wird, nicht um die Flucht zu fördern, sondern um eine kriminogene Notsituation zu verhindern und ihm Gelegenheit zur Besinnung (eventuell zur freiwilligen Meldung bei der Polizei) zu geben, durch Anwendung der Bestimmungen über die Rechtfertigungsgründe und die Strafmilderung eine gerechte Lösung gefunden werden kann, braucht hier nicht untersucht zu werden; denn die Beschwerdeführer haben ihren Sohn nicht einfach in einer speziellen Notsituation für kurze Zeit aufgenommen, sondern dessen über ein Jahr dauernde Flucht sowohl durch Überweisung der nötigen finanziellen Mittel ins Ausland als auch durch das Beherbergen auf unbestimmte Zeit faktisch in ganz erheblichem Masse gefördert.
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Die Strafdrohung - Minimum 3 Tage Gefängnis - sowie die Möglichkeit des Strafverzichts gemäss Art. 305 Abs. 2 StGB zeigen übrigens, dass auch menschlich verständliche, weitgehend oder ganz entschuldbare Hilfeleistungen unter diese Strafnorm fallen sollen. Nach den angedrohten Rechtsfolgen besteht kein Anlass zu einer restriktiven Interpretation des gesetzlichen Tatbestandes.
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c) Mit dem Ausdruck "entzieht" wird in Art. 305 StGB die angestrebte oder zumindest in Kauf genommene Auswirkung des deliktischen Verhaltens des Begünstigers umschrieben.
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Nach Lehre und Praxis fällt jede vorsätzlich den tatbestandsmässigen Erfolg herbeiführende Verhaltensweise unter diese Strafnorm. Wesentlich ist, dass der Begünstigte tatsächlich mindestens für eine gewisse Zeit der Strafverfolgung oder dem Strafvollzug entzogen wird (BGE 99 IV 276 /277, BGE 104 IV 186 ff.). Die Art der dies bewirkenden Handlung oder Unterlassung wird durch keine gesetzlichen Kriterien eingeschränkt. Das Beherbergen eines Flüchtigen ist - auch ohne eigentliches Verbergen - geeignet, den zuständigen Behörden das Auffinden einer gesuchten Person stark zu erschweren und so den Betroffenen dem Zugriff über längere Zeit zu entziehen. Ob für diesen Erfolg zeitweise ein eigentliches "Verstecken" notwendig ist, hängt vom Ort ab, wo der Geflüchtete untergebracht und mit Nahrung versorgt wird. Das Beherbergen gehört zweifellos zu den Handlungen, durch die ein Verdächtiger oder ein entwichener Sträfling vor dem Auffinden geschützt und so im Sinne von Art. 305 StGB der Strafverfolgung oder dem Strafvollzug entzogen werden kann. Diese häufige Form der wirkungsvollen Förderung einer Flucht von der Bestrafung auszunehmen und sie dadurch gegenüber andern "Begünstigungsarten" (wie insbesondere Unterstützung mit Geld) zu privilegieren, lässt sich nicht rechtfertigen. Auch das von SCHUBART (a.a.O., S. 162) vorgeschlagene Abgrenzungskriterium des "Verbergens" würde nicht zu befriedigenden Ergebnissen führen: Die Strafbarkeit bzw. Straflosigkeit einer Unterstützung des Geflüchteten kann nicht davon abhängen, ob ein eigentliches Verbergen innerhalb des Hauses nicht als notwendig erscheint, z.B. weil das Gebäude an sich abgelegen ist (Ferienhaus), oder ob ein mehr oder weniger ausgeprägtes Versteck geschaffen wird, weil nach den Umständen (Wohnung der Eltern, Wohnung der Freundin) von vornherein damit gerechnet werden muss, dass die Polizei den Geflüchteten in der Wohnung des Beherbergers suchen werde.
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d) Wer durch Beherbergen das Auffinden eines Geflüchteten erschwert und so dessen Flucht in entscheidender Weise unterstützt, entzieht den Geflüchteten der Strafverfolgung bzw.
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dem Strafvollzug und erfüllt damit Art. 305 StGB. Indem die Vorinstanz das Gewähren von Unterkunft und Verpflegung (auf unbestimmte Zeit, nicht nur zur Überbrückung einer momentanen Notlage) als Begünstigung erfasst hat, verletzte sie keine bundesrechtliche Bestimmung.
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a) Der Grundgedanke, der in Abs. 2 von Art. 305 StGB zum Ausdruck kommt, erlaubt dem Richter die starke Verminderung der Schuld, die sich aus der nahen Beziehung zwischen Täter und Begünstigtem ergeben kann, weitgehend zu berücksichtigen und sogar von jeder Bestrafung Umgang zu nehmen. "Der Richter hat nach freiem Ermessen zu prüfen, ob das Verhältnis zwischen Täter und Begünstigtem derart ist ..., dass eine begünstigende Unterstützung menschlich begreiflich ist, ja unter Umständen auch moralisch gerechtfertigt werden kann" (HAFTER, Schweiz. Strafrecht, Bes. Teil, 2. Hälfte, S. 787/88). Dieser Grundgedanke hätte vom Gesetzgeber als Fall der Schuldausschliessung und obligatorischen Strafbefreiung ausgestaltet werden können (so im Entwurf zum StGB Art. 269 Abs. 2, vgl. HAFTER, a.a.O., S. 787). Im geltenden Recht aber ist die nahe Beziehung zum Begünstigten nicht ein obligatorischer Schuldausschliessungsgrund, sondern es wird dem Richter die Befugnis eingeräumt, von einer Bestrafung Umgang zu nehmen (fakultativer Schuldausschliessungsgrund, vgl. SCHULTZ, Einführung in den Allgemeinen Teil des Strafrechts, 1. Band, 3. A., S. 167), was sinngemäss auch die Strafmilderung nach freiem Ermessen erlaubt (BGE 74 IV 168).
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b) Die Wendung, der Richter könne "von Strafe Umgang nehmen", findet sich ausser in Art. 305 Abs. 2 StGB noch in Art. 20 (Rechtsirrtum), Art. 23 Abs. 2 (untauglicher Versuch aus Unverstand), Art. 138 Abs. 2 (Entwendung aus Not) sowie in Art. 214 Abs. 2 StGB. In allen diesen Fällen ist nach der Konzeption des Gesetzgebers de lege lata der Straftatbestand an sich erfüllt, und der Täter muss dementsprechend schuldig gesprochen werden. Die weitgehende subjektive Entlastung des Täters - die Entschuldbarkeit seines Verhaltens - führt zur Strafmilderung oder zum vollständigen Verzicht auf eine Bestrafung, jedoch nicht zum Freispruch (vgl. zu Art. 20 HAFTER, Allgemeiner Teil, 2. A., S. 189; SCHWANDER, Das Schweizerische Strafgesetzbuch, 2. A., S. 100).
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Was in der Nichtigkeitsbeschwerde über die Entschuldigungswirkung von Art. 305 Abs. 2 StGB ausgeführt wird, vermag nichts daran zu ändern, dass das geltende Gesetz mit der Formulierung "von einer Bestrafung Umgang nehmen" nicht die Möglichkeit eines Freispruchs, sondern - wie der Wortlaut zum Ausdruck bringt - nur die Möglichkeit eines Verzichts auf jede Strafe geschaffen hat.
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Der angefochtene Schuldspruch verletzt somit Art. 305 StGB nicht, sondern entspricht dem Bundesrecht.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
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