BGE 107 IV 63
 
19. Urteil des Kassationshofes vom 29. Mai 1981 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau gegen S. (Nichtigkeitsbeschwerde)
 
Regeste
Gewässerschutz.
2. Art. 37 Abs. 1 al. 2 GSchG. Begriffe des Ablagerns und des Versickernlassens wasserverunreinigender Stoffe (Erw. 4).
 
Sachverhalt
A.- Die Firma W., St. Gallen, hatte von H. den Auftrag erhalten, rund 5000 Liter Heizöl zu liefern. Als am 27. Juli 1978 der Chauffeur des Tankzugs, S., das Öl in Unterehrendingen abliefern wollte, war H. nicht zu Hause, da S. keinen Zugang zum Keller fand, füllte er 5121 Liter Heizöl in den Einfüllstutzen, ohne die vorgeschriebene Messung des Tankinhalts vorgenommen und die Hektronic-Einfüllsicherung angeschlossen zu haben und ohne den Abfüllvorgang im Tankraum zu überwachen. Wegen eines Defektes der Tankzuleitung flossen die über 5000 Liter Heizöl nicht in den Tank, sondern in die Auffangwanne. Da diese nicht dicht war, lief ein Teil des Öls in den benachbarten Waschraum und von dort durch einen nicht ganz schliessenden Deckel im Boden in die Kanalisation und schliesslich in die Kläranlage.
B.- Das Bezirksgericht Baden sprach S. am 19. Juni 1980 von der Anklage der Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über den Schutz der Gewässer gegen Verunreinigung (GSchG; SR 814.20) frei.
Das Obergericht des Kantons Aargau wies am 19. Februar 1981 eine gegen den erstinstanzlichen Entscheid eingereichte Berufung der Staatsanwaltschaft ab, weil Kanalisationen und Kläranlagen keine Gewässer im Sinne des GSchG seien, die Handlungen des Beschwerdegegners weder ein Ablagern noch ein Versickernlassen nach Art. 37 Abs. 1 al. 2 GSchG darstellten und die Übertretung von Art. 13 GSchG verjährt sei.
C.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur Bestrafung des S. wegen fahrlässiger Gewässerverunreinigung im Sinne von Art. 37 Abs. 1 al. 1, event. al. 2 i.V.m. Abs. 2 GSchG an die Vorinstanz zurückzuweisen.
S. hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Das Bundesamt für Umweltschutz beantragt sinngemäss Abweisung der Beschwerde, welcher Stellungnahme sich die Bundesanwaltschaft anschliesst.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Unbestritten ist, dass wegen einer Sorgfaltspflichtverletzung des Beschwerdegegners beim Abfüllen des Heizöls vom Tankwagen in den Tank der Liegenschaft H. ca. 560 Liter Heizöl durch die Kanalisation in die Kläranlage geflossen sind, wo das Öl durch die Ölwehr gebunden werden konnte, sodass es nicht in den Vorfluter und damit in ein offenes Gewässer gelangte.
Während das Obergericht zum Schluss kam, dieser Sachverhalt falle nur unter den Auffangtatbestand des Art. 40 Abs. 3 GSchG, und nicht unter Art. 37 Abs. 1 GSchG, weil das in Kanalisationen und Kläranlagen gefasste Wasser kein Gewässer im Sinne des Gesetzes sei, vertritt die Staatsanwaltschaft den gegenteiligen Standpunkt. Die Auffassung des Obergerichtes widerspreche dem klaren Wortlaut des Art. 1 GSchG, wonach dem Schutz dieses Gesetzes die natürlichen und die künstlichen Gewässer unterständen. Der Gesetzgeber habe damit jede Ansammlung von Wasser von einer bestimmten Ausdehnung, mithin auch Klärbecken, schützen wollen. Dass Kanalisationen und Kläranlagen gerade dazu da seien, ungereinigte Abwässer aufzunehmen, ändere daran nichts; in die Kanalisation dürften nur solche Schadstoffe geleitet werden, welche in der Anlage abgebaut werden könnten, was bei Heizöl nicht der Fall sei.
Das GSchG umschreibt den Begriff des Gewässers selber nicht. Er ist indessen schon nach seiner natürlichen Lesart nicht gleichbedeutend mit demjenigen des Wassers. Vielmehr hat er einen engeren, auf den Wasserhaushalt der Natur bezogenen Sinngehalt und ist insbesondere auch im Rahmen des GSchG in diesem Sinne zu verstehen. So folgt schon aus den in Art. 2 GSchG aufgezählten Schutzfunktionen, dass dem Gesetz nur Wasser als Teil des natürlichen Wasserkreislaufs unterstellt werden wollte (s. auch Art. 1 und 2 der Verordnung über Abwassereinleitungen vom 8. Dezember 1975; SR 814.225.21). ob dieses auf oder unter der Erde, in einem natürlichen oder einem künstlichen Bett (Kanälen, Becken usw.) fliesst oder steht (s. Art. 1 GSchG), ist solange belanglos, als es in jenem Kreislauf bleibt. Wo es jedoch aus diesem ausgeschieden, von ihm abgesondert wird, wie das gerade bei Abwässern der Fall ist, die in Kanalisationen und Kläranlagen geleitet werden, um die natürlichen biologischen Verhältnisse des Wasserhaushaltes vor Verunreinigung zu schützen, bzw. jene Verhältnisse durch besondere Behandlung des abgesonderten Wassers wieder herzustellen, da hat man es nicht mit Gewässern im Sinne des GSchG zu tun, die dem besonderen Schutz dieses Gesetzes unterstehen. Entsprechend vertritt denn auch das einschlägige Schrifttum die Auffassung, dass die Masse, die in Kanalisationen und Kläranlagen fliesst, kein Gewässer im Sinne des GSchG ist (K. OFTINGER, Haftpflicht wegen Verunreinigung eines Gewässers, SJZ 68/1972 S. 105; D. SCHINDLER, Rechtsfragen des Gewässerschutzgesetzes in der Schweiz, ZSR 1965, n.F. 84 II S. 449; S. PIRACCINI, Die objektiven Vergehenstatbestände des Gewässerschutzgesetzes vom 8. Oktober 1971, Diss. Zürich 1978, S. 27 ff. mit Hinweisen auf die ausländische Lehre).
Das schliesst freilich nicht aus, dass das Einbringen eines wassergefährdenden Stoffs in einen Abwasserlauf oder in eine Kläranlage als eine strafbare Handlung unter Art. 37 Abs. 1 al. 1 GSchG fallen kann. Tritt nämlich die Verunreinigung aus der Kanalisation in ein offenes Gewässer oder verlässt der verunreinigende Stoff die Kläranlage, weil er in dieser nicht abgebaut wurde, und gelangt er in den Vorfluter und damit in ein Gewässer, so liegt eine mittelbare Gewässerverschmutzung im Sinne der genannten Gesetzbestimmung vor (s. BGE 101 IV 420). Auch wo beispielsweise der verunreinigende Stoff dank dem rechtzeitigen Eingreifen der Behörden in der Kläranlage mit besonderen Mitteln gebunden werden kann, so dass er nicht in den Vorfluter gelangt, liegt ein Versuch der genannten Widerhandlung vor, sofern der Täter vorsätzlich gehandelt hat.
4. Schliesslich ist entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft auch Art. 37 Abs. 1 al. 2 GSchG nicht anwendbar. Nach dieser Bestimmung macht sich strafbar, wer widerrechtlich Stoffe jeder Art, die geeignet sind, das Wasser zu verunreinigen, ausserhalb der Gewässer ablagert oder versickern lässt und dadurch die Gefahr einer Verunreinigung des Wassers schafft. Was dem Beschwerdegegner als pflichtwidrige Handlung zur Last fällt, stellt weder ein Ablagern noch ein Versickernlassen dar. Unter Ablagern ist das endgültige Deponieren oder Niederlegen fester Stoffe ausserhalb des Gewässers zu verstehen (s. Art. 27 Abs. 1 GSchG; PIRACCINI, op.cit. S. 91). Und ein Versickernlassen ist nur gegeben, wenn eine Flüssigkeit auf das Erdreich ausgeschüttet wird, die in dieses eindringt und so in den Untergrund gelangt. Das ergibt sich unmissverständlich aus den romanischen Texten des Gesetzes, die von "... laisser s'infiltrer dans le sous-sol..." bzw. "... lascia disperdere nel sottosuolo..." sprechen sowie aus der Art. 37 Abs. 1 al. 2 GSchG entsprechenden Verhaltensnorm des Art. 14 Abs. 2 GSchG und der Entwicklungsgeschichte des Gesetzes (s. die Hinweise bei PIRACCINI, op.cit. S. 94 f.; BGE 101 IV 420). Wo, wie im vorliegenden Fall, die wassergefährdende Flüssigkeit auf befestigten, flüssigkeitsundurchlässigen Boden ausfliesst und nicht ins Erdreich, sondern in eine Kanalisation gerät, kann von einem Versickernlassen nicht die Rede sein. In solchen Fällen ist, sofern der Stoff nicht ins Gewässer gelangt, d.h. mittelbar in dieses "eingebracht" wird (Art. 37 Abs. 1 al. 1 GSchG), einzig der an die allgemeine Verhaltensnorm des Art. 13 GSchG anschliesssende Art. 40 GSchG anwendbar, es wäre denn, der Täter sei als Eigentümer oder Inhaber von Einrichtungen zur Herstellung, zur Verarbeitung, zum Umschlag, zur Beförderung oder zur Lagerung wassergefährdender Stoffe nach Art. 38 GSchG strafrechtlich verantwortlich. Das traf hier nicht zu.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.