BGE 107 IV 142 |
39. Urteil des Kassationshofes vom 23. September 1981 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt gegen F. (Nichtigkeitsbeschwerde) |
Regeste |
Art. 94 Ziff. 3 SVG. Entwendung eines Fahrrads zum Gebrauch. |
Sachverhalt |
A.- In der Nacht vom 13./14. Januar 1980 nahm Frau F. aus einem öffentlichen Veloständer ein fremdes Fahrrad, um es für eine Fahrt in der Stadt Basel zu benützen. Sie wurde in der Folge von der Polizei angehalten. Es stellte sich heraus, dass das Fahrrad dem rechtmässigen Besitzer schon am 11. Dezember 1979 abhanden gekommen war.
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B.- Das Strafverfahren wegen Entwendung eines Fahrrades zum Gebrauch führte in erster Instanz zur Verurteilung. Das Appellationsgericht hat Frau F. aus rechtlichen Gründen von der Verzeigung der Entwendung eines Fahrrades gemäss Art. 94 Ziff. 3 SVG freigesprochen.
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C.- Gegen diesen Freispruch führt die Staatsanwaltschaft Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, die angefochtene Freisprechung sei aufzuheben und die Sache sei zur Verurteilung gemäss Art. 94 Ziff. 3 SVG an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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D.- Das Appellationsgericht beantragt unter Hinweis auf das motivierte Urteil vom 10. Juni 1981 Abweisung der Beschwerde. In gleichem Sinne lässt sich die Beschwerdegegnerin vernehmen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: |
2. a) Nach Lehre und Rechtsprechung bedeutet "entwenden" in Art. 94 Ziff. 1 und 3 SVG Bruch fremden und Begründung eigenen Gewahrsams am Fahrzeug (SCHULTZ, Die Strafbestimmungen des Bundesgesetzes über den Strassenverkehr, S. 239/247; SCHULTZ, Die strafrechtliche Rechtsprechung zum neuen Strassenverkehrsrecht 1968-1972, S. 185; vgl. BGE 101 IV 35). Ein Fahrzeug, an welchem kein Gewahrsam besteht, kann somit nicht im Sinne von Art. 94 Ziff. 1 und 3 SVG entwendet werden; so fällt etwa die Benützung eines Fahrrades, an welchem der ursprüngliche Besitzer die tatsächliche Herrschaft aufgegeben hat, nicht unter Art. 94 Ziff. 3 SVG.
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b) Das Appellationsgericht kam im vorliegenden Fall zum Schluss, die Beschwerdegegnerin habe zwar subjektiv angenommen, es bestehe am Fahrrad ein Gewahrsamsverhältnis, und sie sei gewillt gewesen, diesen Gewahrsam durch die Wegnahme zu brechen, doch objektiv habe ihre Handlung nicht den Bruch fremden Gewahrsams zur Folge gehabt. Der Gewahrsam des rechtmässigen Eigentümers sei schon im Dezember durch einen unbekannten Täter aufgehoben worden. Dass im Zeitpunkt der Benützung durch Frau F. ein neuer Gewahrsam am Fahrrad bestanden habe - etwa der Gewahrsam dessen, der das Velo im Dezember wegnahm -, ergebe sich aus den Akten nicht. Eine Bestrafung wegen untauglichen Versuchs falle ausser Betracht, da es sich nur um einen Übertretungstatbestand handle und eine besondere gesetzliche Vorschrift über die Versuchsbestrafung fehle (Art. 104 Abs. 1 StGB).
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c) Gegen diese Argumentation erhebt die Staatsanwaltschaft den Einwand, da es um eine Bestimmung des SVG gehe, die der Sicherheit im Strassenverkehr diene, könne man sich fragen, ob der Gewahrsam hier nicht eine untergeordnete Rolle spiele.
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Wenn auch bei den Motorfahrzeugen die Pönalisierung der Entwendung zum Gebrauch im SVG auf Überlegungen der Verkehrssicherheit zurückzuführen sein mag (SCHULTZ, Strafbestimmungen S. 237), so spielt dieser Gesichtspunkt sicher bei der Entwendung von Fahrrädern zum Gebrauch keine massgebende Rolle. In der Beschwerde wird übrigens nicht dargetan, wie der Begriff der Entwendung ohne entscheidende Bezugnahme auf den Gewahrsam sinnvoll auszulegen wäre.
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Vom Standpunkt des Schuldstrafrechts aus ist es nicht ganz befriedigend, dass der Täter, der ein Fahrrad wegnimmt, das zufälligerweise bereits entwendet wurde und an dem niemand mehr Gewahrsam hat, aus objektiven Gründen der Bestrafung entgeht.
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Die praktische Erwägung, dem Entwender sollte die kaum widerlegbare Schutzbehauptung nichts nützen, er habe das Fahrrad nicht an dem vom Eigentümer bezeichneten Abstellort genommen, sondern anderswo, es sei also bereits gestohlen bzw. entwendet gewesen, zeigt zwar einen praktischen Nachteil der geltenden Regelung, ist aber nicht geeignet, eine andere Interpretation von Art. 94 SVG zu begründen. Dass der "Zweittäter", der ein bereits entwendetes Fahrrad benützt, durch sein Verhalten manchmal dazu beiträgt, den durch die erste Wegnahme verursachten rechtswidrigen Zustand zu verlängern, ist ein rechtspolitisches Argument für seine Bestrafung, bildet aber keine Grundlage, um de lege lata Entwendung auch anzunehmen, wenn kein Gewahrsam an der Sache besteht.
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d) Der Einwand schliesslich, wer eine gestohlene Sache dem Dieb wegnehme, breche Gewahrsam, ist im vorliegenden Fall von vornherein unbehelflich und braucht daher nicht weiter geprüft zu werden; denn nach der für den Kassationshof verbindlichen Feststellung der Vorinstanz fehlten Anhaltspunkte dafür, dass irgendjemand - der Dieb oder ein späterer "Erwerber" - am Fahrrad Gewahrsam hatte, als die Wegnahme durch die Beschwerdegegnerin erfolgte. Bei dieser Beweislage ging das Appellationsgericht in vertretbarer Weise zu Gunsten der Verzeigten davon aus, das Fahrrad sei ohne Herrschaftswillen des Ersttäters oder eines "Nachfolgers" stehen gelassen worden.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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