29. Urteil des Kassationshofes vom 26. Mai 1983 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern gegen K. (Nichtigkeitsbeschwerde)
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Regeste
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Rev. Art. 139 Ziff. 3 StGB, Lebensgefahr des Opfers.
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Sachverhalt
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A.- K. verübte am 8. Januar 1982, 19.30 Uhr, einen Raubüberfall auf die Coop-Filiale in Horw. Nachdem er den Laden einige Zeit von aussen beobachtet und sich dann im gegenüberliegenden Restaurant das nähere Vorgehen überlegt hatte, betrat er das Geschäft und hielt sich vorerst beim Stand für Schallplatten auf, da er von dort aus die drei Kassen, von denen nur eine bedient war, gut beobachten konnte. Dabei stellte er sich vor, dass die Kassiererin sicher einmal den Platz verlassen werde und sich dann eine Gelegenheit ergebe, Geld aus der Kasse zu stehlen. Zu diesem Zweck versuchte er zunächst, die Kassiererin von der Kasse wegzulocken, indem er sie fragte, ob sie ihm eine Schallplatte abspielen könnte. Da dies nicht möglich war, beschloss er, sie mit der Pistole zu bedrohen und so zur Herausgabe von Geld zu veranlassen. Er behändigte eine Schallplatte und begab sich damit in einem günstigen Augenblick zur Kasse. Dort setzte er sich schräg auf das Warenförderband, so dass die Kundschaft von hinten sein Handeln nicht sehen konnte, und sagte: "Überfall, Geld her", während er gleichzeitig seine geladene, jedoch gesicherte Waffe aus dem Hosenbund zog und auf die Kassiererin richtete. Angesichts dieser Bedrohung öffnete sie die Kasse und reichte K. ein Bündel Noten, insgesamt Fr. 3'200.--, worauf dieser das Geschäft fluchtartig verliess.
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B.- Mit Urteil vom 23. April 1982 verurteilte das Kriminalgericht des Kantons Luzern den Angeklagten wegen Raubes im Sinne des alten Art. 139 Ziff. 2 StGB (Todesdrohung) sowie wegen Widerhandlung gegen §§ 9 und 18 der kantonalen Waffenverordnung vom 3. November 1980 zu fünf Jahren und einem Monat Zuchthaus, abzüglich 21 Tage Untersuchungshaft.
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Auf Appellation des Angeklagten hin verurteilte ihn das Obergericht des Kantons Luzern am 18. November 1982 wegen Raubes im Sinne des am 1. Oktober 1982 in Kraft gesetzten revidierten Art. 139 Ziff. 2 Abs. 3 StGB (besondere Gefährlichkeit) und wegen Widerhandlung gegen die Waffenverordnung zu drei Jahren Zuchthaus, abzüglich 21 Tage Untersuchungshaft, und zu einer Busse von Fr. 50.--.
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C.- Gegen dieses Urteil führt die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und K. sei wegen qualifizierten Raubes nach alt Art. 139 Ziff. 2 StGB (Todesdrohung) zu verurteilen. K. beantragt Abweisung der Nichtigkeitsbeschwerde.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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Demgegenüber stellt sich der Beschwerdegegner mit der Vorinstanz im wesentlichen auf den Standpunkt, die "Lebensgefahr" gemäss dem revidierten Art. 139 Ziff. 3 StGB verlange eine objektive und konkrete Gefährdung, welche durch das Vorhalten einer geladenen, jedoch gesicherten Schusswaffe noch nicht erfüllt sei. Mit andern Worten seien an die durch die Revision geschaffene Formulierung der "Lebensgefahr" strengere Anforderungen zu stellen, als dies das Bundesgericht in Auslegung des im alten Recht enthaltenen Begriffs "Todesdrohung" (BGE 107 IV 113) getan habe.
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a) Die frühere Fassung von Art. 139 StGB war insofern unzulänglich, als die Bedrohung mit einer Lebens- bzw. Todesgefahr sowohl Teil des Grundtatbestandes (Ziff. 1: Bedrohung mit einer gegenwärtigen Gefahr für das Leben) als auch Qualifikationsmerkmal (Ziff. 2: Bedrohung mit dem Tode) war. Dieser Ungereimtheit trug die Bundesgerichtspraxis Rechnung, indem sie den qualifizierten Tatbestand einschränkend auslegte (BGE 102 IV 19, BGE 72 IV 57), um so das hohe Strafminimum von fünf Jahren nicht in objektiv harmlosen Fällen anwenden zu müssen. Als qualifizierte Todesdrohung galt danach nicht jede (abstrakte) Bedrohung mit dem Tode (etwa mit ungeladener Waffe, Spielzeugpistole), die dem Opfer als ernstgemeinte Drohung erscheinen musste, sondern nur jene ernstgenommene Bedrohung, die objektiv unmittelbar in die Tat umgesetzt werden konnte und das Opfer tatsächlich in eine hochgradige Todesgefahr versetzte (BGE 107 IV 112, 105 IV 302).
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Eine im Sinne dieser Umschreibung erhebliche und unmittelbare Todesgefahr verursacht der Täter, wenn er beim Raub eine scharf geladene Waffe auf kurze Distanz auf einen Menschen richtet. Das Vorhalten einer geladenen Schusswaffe schafft diesfalls auch dann eine konkrete Todesgefahr, wenn die Waffe gesichert ist. Der Versuch, die Grenze zwischen der abstrakten und konkreten Lebens- bzw. Todesgefahr mit dem Kriterium der Waffensicherung zu ziehen, lässt ausser acht, dass eine geladene Waffe in der Regel in Sekundenschnelle und ohne Mühe entsichert werden kann. Auch können Aufregung, unvorhergesehene Reaktion des Opfers, Eingreifen eines Dritten usw., gerade bei Gelegenheitsdelinquenten, zu einer plötzlichen Fehlreaktion und damit zur Schussabgabe führen, und zwar selbst dann, wenn der Täter vorher beabsichtigt hatte, von der Waffe keinen Gebrauch zu machen (BGE 107 IV 112). Es liegt deshalb auf der Hand, dass die Sicherung der Schusswaffe kein taugliches Abgrenzungsmittel zwischen abstrakter und konkreter Lebens- bzw. Todesgefahr sein kann. Dazu kommt - ebenso wie bei der Frage der Verwirklichungsbereitschaft (vgl. BGE 105 IV 302 E. 2) - die praktische Überlegung, dass im Falle der Bestreitung schwer nachzuweisen wäre, ob die Waffe tatsächlich gesichert war.
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b) Die Neufassung hatte in erster Linie den Zweck, den erwähnten Widerspruch zwischen dem Grundtatbestand und der qualifizierten Begehungsform zu beseitigen (Botschaft des Bundesrates in BBl 1980 I S. 1258). Darüber hinaus stellt sich aber die Frage, ob der Gesetzgeber den neuen qualifizierten Tatbestand, der den Täter für die Schaffung einer Lebensgefahr mit einer Mindeststrafe von fünf Jahren Zuchthaus bedroht (Art. 139 Ziff. 3 StGB), gegenüber der bundesgerichtlichen Auslegung des früheren Gesetzestextes enger begrenzen wollte.
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Die Vorbereitungsarbeiten und Gesetzesberatungen im Parlament geben keine Anhaltspunkte dafür, dass mit der Revision eine Strafmilderung für den Raub unter Einsatz einer Schusswaffe beabsichtigt war. Die Botschaft des Bundesrates erwähnt lediglich, dass die Mindeststrafe von fünf Jahren Zuchthaus für das blosse Mitführen einer Waffe zu hoch erscheine (BBl 1980 I S. 1258). Den Beratungsprotokollen der Expertenkommission ist zu entnehmen, dass hierfür eine Mindeststrafe von drei bzw. zwei Jahren Zuchthaus erwogen wurde. Mit lediglich einer Stimme mehr (6:5) stimmte die Kommission dafür, dem Parlament eine Mindeststrafe von zwei Jahren vorzuschlagen (Protokoll S. 223). Dass dieses dann dem Vorschlag der Kommission nicht folgte und das Strafminimum sogar auf ein Jahr herabsetzte (Art. 139 Ziff. 1bis StGB), darf nicht zum Schluss verleiten, man habe beim Raub den bewaffneten Täter ganz allgemein milder bestrafen wollen.
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Bezüglich des neu formulierten Qualifikationsmerkmals der Schaffung einer Lebensgefahr für das Opfer wurde beispielsweise von einer "echten" Lebensgefahr (Gerber, Protokoll S. 220) oder einer "echten" Gefahr für das Opfer gesprochen (Noll, Protokoll S. 221). Eine echte, konkrete Lebensgefahr verlangte aber das Bundesgericht bereits in seiner einschränkenden Auslegung des bisherigen Qualifikationsmerkmals der "Todesdrohung". Von dieser Rechtsprechung im Sinne einer weiteren Begrenzung abzuweichen, lag offensichtlich nicht im Bestreben des Gesetzgebers, sonst wäre dies im Laufe der Beratungen deutlich zum Ausdruck gebracht worden. Der Gesetzgeber beabsichtigte also vielmehr, mit dem neuen Gesetzestext die bestehende Praxis zu kodifizieren. Der Kommissionspräsident verdeutlichte diese Zielsetzung mit der Feststellung: "Besser wäre es, den Inhalt dieser Qualifikation, wie er vom Bundesgericht ausgelegt wird, ausdrücklich zu nennen, in Erfüllung des parlamentarischen Postulates, dass man dort, wo es konkret um die Gefährdung des Lebens geht, qualifiziert." (Schultz, Protokoll S. 220). Abgesehen davon sprechen auch die im Zuge der Revisionsarbeiten zum Ausdruck gebrachten kriminalpolitischen Überlegungen gegen eine Strafmilderung beim Raub unter Waffeneinsatz.
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c) Der Beschwerdegegner macht geltend, durch das Vorhalten der Waffe sei er wohl über das Mitführen (Art. 139 Ziff. 1bis StGB) hinausgegangen, doch habe sich daraus nicht eine konkrete Lebensgefährdung ergeben, sondern eine "besondere Gefährlichkeit". Diese aber wolle der Gesetzgeber gerade nicht mit der strengsten Strafe geahndet wissen, denn er habe dafür das mildere Strafminimum von zwei Jahren statuiert.
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Dieses Argument ist nicht stichhaltig. Das frühere Qualifikationsmerkmal der "besonderen Gefährlichkeit" (Art. 139 Ziff. 2 Abs. 4 StGB) bildet jetzt nur noch die Generalklausel zur mittleren Qualifikationsstufe (Bandenmässigkeit). Aus dem Umstand, dass für die "besondere Gefährlichkeit" nunmehr ein gegenüber früher geringeres Strafminimum vorgesehen ist, kann deshalb nicht geschlossen werden, es müssten an das mit dem höheren Strafminimum versehene Qualifikationselement der Schaffung einer "Lebensgefahr" höhere Anforderungen gestellt werden. Auch die "schwere Körperverletzung", die früher zusammen mit der Bedrohung mit dem Tode angeführt war (Art. 139 Ziff. 2 Abs. 2 StGB), wurde mit dieser aus dem Konnex mit dem Qualifikationsmerkmal der besonderen Gefährlichkeit gelöst und dem Strafminimum von fünf Jahren unterstellt, ohne dass irgendwelche Anhaltspunkte dafür beständen, dass der Begriff der schweren Körperverletzung gegenüber früher eine Verschärfung erfahren hätte.
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d) Aus allen diesen Gründen ist die Neufassung des qualifizierten Tatbestandes, bei dem das "Opfer in Lebensgefahr" gebracht wird (neuer Art. 139 Ziff. 3 StGB), gemäss der bisherigen Rechtsprechung zur "Todesdrohung" (alter Art. 139 Ziff. 2 Abs. 2 StGB) auszulegen.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil der II. Kammer des Obergerichts des Kantons Luzern vom 18. November 1982 aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen, damit sie den Beschwerdegegner aufgrund von alt Art. 139 Ziff. 2 Abs. 2 StGB bestrafe.
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