24. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 26. Mai 1989 i.S. S. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde)
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Regeste
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Art. 137 StGB; Diebstahl.
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Aus den Erwägungen:
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Die Vorinstanz stellte auf die Behauptung des Beschwerdeführers ab, er habe lediglich solche Zeitungsbündel mitgenommen, welche nicht mit einem "P" bezeichnet gewesen seien. Zwar habe die geschädigte Genossenschaft X. in den publizierten Sammellisten darum gebeten, das zu einem Paket gebündelte und verschnürte Altpapier mit einem "P" zu versehen; aber auch bezüglich desjenigen Altpapiers, welches in den fraglichen Stadtkreisen ohne die genannte Bezeichnung am Strassenrand deponiert worden sei, müsse davon ausgegangen werden, dass die Eigentümer es mit der konkludenten Widmung, es einer bestimmten gemeinnützigen Organisation zukommen zu lassen, bereitgestellt hätten. Die Altpapierbündel seien daher keine derelinquierten Sachen gewesen. Der Einwand des Beschwerdeführers, er habe geglaubt, Zeitungsbündel, die nicht mit der Angabe eines bestimmten Empfängers versehen worden seien, dürfe er ohne weiteres an sich nehmen, erweise sich als blosse Schutzbehauptung. Er sei gemäss seiner eigenen Vorstellung davon ausgegangen, das fragliche Altpapier sei von den Eigentümern gerade im Hinblick auf die publizierte Sammelaktion der erwähnten gemeinnützigen Organisation bereitgestellt worden, weshalb der Tatbestand auch in subjektiver Hinsicht erfüllt sei.
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a) Gemäss Art. 137 Ziff. 1 StGB begeht einen Diebstahl, wer jemandem eine fremde, bewegliche Sache wegnimmt, um sich oder einen anderen damit unrechtmässig zu bereichern. Es steht ausser Zweifel, dass es sich bei den Altpapierbündeln um bewegliche Sachen handelt und dass der Beschwerdeführer in Bereicherungsabsicht gehandelt hat. Fraglich können nur die Tatbestandsmerkmale der Fremdheit der Sache und der Wegnahme sein.
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b) Der Beschwerdeführer macht denn auch sinngemäss geltend, davon ausgegangen zu sein, die Papierbündel seien keine "fremden Sachen" im Sinne des Gesetzes, da die ursprünglichen Inhaber ihr Eigentum daran aufgegeben hätten.
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Eine Sache ist dann "fremd", wenn sie im Eigentum eines anderen als des Täters steht. Kein Eigentum und folglich auch kein fremdes Eigentum besteht an herrenlosen Sachen. Dazu zählen derelinquierte Sachen, d. h. solche, an denen der frühere Eigentümer den Besitz aufgegeben hat in der Absicht, auf das Eigentum zu verzichten. Beispiele dafür sind die liegengelassene Zeitung sowie weggeworfene oder für die Müllabfuhr bereitgestellte Gegenstände (LIVER, Das Eigentum, Schweizerisches Privatrecht V/I, Basel, 1977, S. 344, 399). Wer demgegenüber zugunsten einer bestimmten Person oder Organisation auf das Eigentum an einer Sache verzichtet, derelinquiert nicht; in der Literatur wird diesbezüglich gerade auch die Bereitstellung von Altstoffen zur gutscheinenden Verwertung durch die abholende Person oder Organisation genannt (ZOBL, Zürcher Kommentar, 2. Aufl. Zürich 1977, N. 13a zu Art. 718/719 ZGB und N. 10 zu Art. 729 ZGB). Folglich handelte es sich bei dem vom Beschwerdeführer behändigten Altpapier um eine fremde Sache.
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c) In der Nichtigkeitsbeschwerde wird weiter eingewendet, die Argumentation der Vorinstanz sei eine weltfremde, gesuchte juristische Konstruktion, welche der wirklichen Sachlage nicht gerecht werde. Der angefochtene Entscheid verletze Art. 137 Ziff. 1 StGB, soweit er von einer konkludenten Widmung des Altpapiers und damit vom Weiterbestehen des Gewahrsams bzw. der Herrschaftsmöglichkeit und des Herrschaftswillens der Eigentümer ausgehe.
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aa) Wegnehmen im Sinne von Art. 137 StGB bedeutet den Bruch fremden und die Begründung neuen Gewahrsams. Der Gewahrsam besteht nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung in der tatsächlichen Sachherrschaft, verbunden mit dem Willen, sie auszuüben (BGE 112 IV 11 mit Hinweisen). Ob Gewahrsam gegeben ist, bestimmt sich nach allgemeinen Anschauungen und den Regeln des sozialen Lebens (STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht BT I, 3. Aufl., S. 195, N. 79; NOLL, Schweizerisches Strafrecht BT I S. 133; REHBERG, Strafrecht III, 3. Aufl., S. 32; SCHÖNKE/SCHRÖDER, Strafgesetzbuch, 23. Aufl., N. 23 zu § 242 dtStGB).
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Die tatsächliche Sachherrschaft kann als unmittelbare, ungehinderte Einwirkungsmöglichkeit auf die Sache umschrieben werden (NOLL, a.a.O., S. 133). Ohne Zweifel behält derjenige, der eine Sache vor seinem Haus am Strassenrand deponiert, die Herrschaft darüber, denn er hat die physisch-reale Möglichkeit, jederzeit darauf einzuwirken (REHBERG, a.a.O., S. 32); der unmittelbaren Verwirklichung seines Einwirkungswillens auf die Sache steht kein Hindernis entgegen (SCHÖNKE/SCHRÖDER, a.a.O., N. 25 zu § 242 dtStGB). Daran ändert nichts, dass die Strasse eine der Allgemeinheit zugängliche Örtlichkeit darstellt; es verhält sich beim zum Abholen bereitgestellten Altpapier des vorliegenden Falles prinzipiell gleich wie bei einem vor dem Haus abgestellten Fahrzeug.
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Es stellt sich weiter die Frage, ob der Eigentümer noch den Willen hat, die Herrschaft über die Sache auszuüben. Dies ist klarerweise dann zu verneinen, wenn es ihm gleichgültig ist, ob die Müllabfuhr oder irgendwelche Dritte das Altpapier mitnehmen. Für den vorliegenden Fall hat die Vorinstanz jedoch für den Kassationshof verbindlich festgestellt, die Eigentümer hätten beabsichtigt, das bereitgestellte Altpapier "einer bestimmten gemeinnützigen Organisation zukommen zu lassen". Wer aber irgendeine Sache vor das Haus stellt, damit sie von einer bestimmten Person oder Organisation abgeholt werde, ist mit der Aufhebung seines Gewahrsams dann nicht einverstanden, wenn die Sache von einer unbefugten Drittperson behändigt wird (ebenso JENNY, ZBJV 124/1988 S. 420/421). Folglich hat er den Willen, die Herrschaft über die Sache auszuüben, nicht aufgegeben.
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Das Korrektiv gegenüber einer zu weitgehenden Ausdehnung des Gewahrsams (z.B. im Falle von losen Altpapierhaufen oder von Fahrzeugwracks) gibt der subjektive Tatbestand (NOLL, a.a.O., S. 133). Diesen aber hat die Vorinstanz für den Kassationshof verbindlich als gegeben erachtet.
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bb) Zu derselben Lösung käme man im übrigen, wenn man darauf abstellen wollte, es müsse zwischen dem Ort, an welchem sich die Sache befindet, und der Art der Sache ein funktioneller Zusammenhang bestehen (vgl. SCHÜRMANN, in recht, 1988, S. 33 FN 19 und S. 34 FN 24, je mit Hinweis auf NOLL). Gebündeltes und verschnürtes Altpapier, welches einer gemeinnützigen Organisation zukommen soll, wird im Falle organisierter Sammelaktionen regelmässig zur Abholung auf dem Trottoir vor dem Haus bereitgestellt. Der Strassenrand ist m.a.W. der eindeutig bestimmungsgemässe Ort zur Deponierung des abholbereiten Altpapiers, ähnlich wie es sich z.B. bei einem Holzstoss im Wald verhält (vgl. SCHÜRMANN, a.a.O., S. 33). Insoweit besteht im vorliegenden Fall ein funktioneller Zusammenhang; anders wäre es demgegenüber etwa bei dem in der Literatur erwähnten, auf der Strasse liegenden Taschentuch (NOLL, a.a.O., S. 133).
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d) Gesamthaft gesehen verletzte die Vorinstanz kein Bundesrecht, wenn sie die Altpapierbündel als fremde Sachen betrachtete und in deren Behändigung durch den dazu nicht berechtigten Beschwerdeführer einen Gewahrsamsbruch erblickte. Die Beschwerde ist abzuweisen.
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