15. Auszug aus dem Urteil der Anklagekammer vom 13. Januar 1993 i.S. Besonderer Untersuchungsrichter für den Kanton Bern gegen Verhöramt und Obergerichtskommission des Kantons Obwalden
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Regeste
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Art. 352 StGB. Interkantonale Rechtshilfe; anwendbares Recht.
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Sachverhalt
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A.- Der ausserordentliche Besondere Untersuchungsrichter für den Kanton Bern führt gegen den jugoslawischen Staatsangehörigen S. eine umfangreiche Strafuntersuchung wegen gewerbsmässigen Betruges, eventuell Veruntreuung. Es wird ihm vorgeworfen, er habe sich bei seiner Geschäftstätigkeit als Kreditvermittler durch betrügerische Machenschaften namhafte finanzielle Vorleistungen verschafft; für diese Zwecke habe der Angeschuldigte auch die Firma I. Holding AG mit Sitz an seiner Wohnadresse in Agra/TI eingesetzt. Es sei mit einem Deliktsbetrag von mindestens 10 Mio. Franken zu rechnen.
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Anlässlich einer in Abwesenheit des Angeschuldigten am 23. Oktober 1991 in Agra durchgeführten Hausdurchsuchung wurden zwei Mercedes 560SL bzw. 500SEC und ein Rolls-Royce Silver Spur vorgefunden; die anwesende Frau S. wurde durch den Besonderen Untersuchungsrichter angewiesen, die Fahrzeuge weder wegzuschaffen, noch sie wegschaffen zu lassen oder zu veräussern.
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Da der Rolls-Royce in der Folge an E., Sarnen/OW, übertragen wurde, beschlagnahmte der Besondere Untersuchungsrichter dieses Fahrzeug mit Verfügung vom 17. Juli 1992.
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Gestützt auf diese Verfügung erliess das Verhöramt Obwalden am 20. Juli 1992 rechtshilfeweise eine Beschlagnahmeverfügung für das bei E. in Sarnen stationierte Fahrzeug.
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B.- Auf Beschwerde von E. vom 3. August 1992 hin hob die Obergerichtskommission des Kantons Obwalden mit Entscheid vom 10. September 1992 die Beschlagnahmeverfügung des Verhöramtes auf; sie bejahte zwar die formelle Zulässigkeit der Beschlagnahme, erachtete sie indessen materiell als nicht zulässig, da keine begründete Erwartung einer späteren Einziehung des Fahrzeuges bestehe; das Fahrzeug wurde freigegeben.
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C.- Eine am 19. August 1992 gegen die Beschlagnahmeverfügung des Besonderen Untersuchungsrichters vom 17. Juli 1992 an die Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Bern gerichtete Beschwerde wies diese mit Entscheid vom 21. Oktober 1992 ab.
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D.- Mit Eingabe vom 13. November 1992 beantragt der ausserordentliche Besondere Untersuchungsrichter für den Kanton Bern der Anklagekammer des Bundesgerichts, den Entscheid der Obergerichtskommission Obwalden aufzuheben und die zuständigen Strafverfolgungsbehörden des Kantons Obwalden anzuweisen, die nachgesuchte Rechtshilfe zu gewähren. Im übrigen seien unverzüglich die notwendigen Sicherheitsmassregeln zu treffen.
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Der Obergerichtspräsident des Kantons Obwalden beantragt sinngemäss, das Gesuch abzuweisen.
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E.- Mit Verfügung vom 17. November 1992 wies der Präsident der Anklagekammer des Bundesgerichts das Verhöramt Obwalden an, E. als heutigem mutmasslichem Eigentümer bis zum Vorliegen des Urteils in diesem Verfahren jegliche rechtliche Verfügung über das von der Beschlagnahme betroffene Fahrzeug zu untersagen und die Stationierung des Fahrzeuges beim jetzigen Eigentümer anzuordnen; Schlüssel und Ausweis seien sicherzustellen.
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Aus den Erwägungen:
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2. a) In der Rechtshilfe zwischen Kantonen bestimmt sich zwar nach dem Prozessrecht des gemäss Art. 352 StGB zur Rechtshilfe verpflichteten ersuchten Kantons, welche Handlungen der ersuchende Kanton verlangen darf und in welcher Form sie vorzunehmen sind; durch die Anwendung dieses Prozessrechts durch die ersuchte Behörde beziehungsweise die zuständige Rechtsmittelinstanz darf indessen die Rechtshilfe nicht derart beschränkt werden, dass sie dem Begriff der Rechtshilfe, wie er Art. 352 StGB zugrunde liegt, nicht mehr entspricht (vgl. BGE 87 IV 141 E. 4; BGE 86 IV 140 E. 2a). Dies wäre beispielsweise dann der Fall, wenn das Gesetz des verpflichteten Kantons für die verlangten Rechtshilfehandlungen, was Umfang und Form anbetrifft, erschwerende Vorschriften enthielte, also nicht gleiches Recht gelten liesse wie im innerkantonalen Strafverfahren; desgleichen verstiesse es gegen Art. 352 StGB, wenn die Behörden die Prozessvorschriften ihres Kantons im Rechtshilfeverkehr anders anwenden würden als im innerkantonalen Strafverfahren, oder wenn sie diese Vorschriften willkürlich auslegen würden, um die nachgesuchte Handlung zu verweigern; dazu kommen die Fälle, in denen der verpflichtete Kanton sich seiner Verpflichtung entzieht, indem er die Rechtshilfe schlechthin verweigert oder die nachgesuchten Handlungen ohne Grund oder ohne vernünftigen Grund ablehnt (vgl. BGE 71 IV 174 E. 1).
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b) Nach ständiger Rechtsprechung der Anklagekammer des Bundesgerichts ist das Prozessrecht des ersuchten Kantons lediglich für die Art und Form der interkantonalen Rechtshilfe (vgl. insb. BGE 71 IV 175; unveröffentlichtes Urteil der Anklagekammer vom 31. Mai 1990 i.S. Procura pubblica sottocenerina gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich, E. 2) massgebend. Die Anklagekammer hat im Zusammenhang mit der interkantonalen Rechtshilfe im Hinblick auf Art. 58 StGB stets betont, ob die materiellen Voraussetzungen für eine Einziehung und damit zur Beschlagnahme vorliegen, diese gerechtfertigt und zweckmässig erscheine, sei den Behörden des ersuchten Kantons zu prüfen verwehrt, weil diese im Rechtshilfeverfahren einzig über die formelle Zulässigkeit der verlangten Massnahme nach ihrem Prozessrecht zu befinden hätten (vgl. unveröffentlichtes Urteil der Anklagekammer vom 25. August 1987 i.S. Giudice Istruttore della giurisdizione sottocenerina gegen Verhöramt und Justizkommission des Kantons Zug, E. 4b). Diese Auslegung von Art. 352 StGB wurde bereits von WAIBLINGER (Das Strafverfahren für den Kanton Bern, Bern 1942, Art. 25 N 1 und 2) vertreten. Sie hat auch in der späteren Lehre durchwegs Zustimmung gefunden (TRÜB, Die interkantonale Rechtshilfe im schweizerischen Strafrecht, Diss. Zürich 1950, S. 72 und 78; HÄFLIGER, Kommentar zur Militärstrafgerichtsordnung, Bern 1959, Art. 36 N 4; BRÜHLMEIER, Aargauische Strafprozessordnung, Kommentar, Aarau 1980, S. 158 ff.; TRECHSEL, Kurzkommentar StGB, Art. 352 N 2).
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c) Diese Rechtsprechung, die eine sich aus Bundesrecht (Art. 352 StGB) ergebende, beschränkte Überprüfbarkeit der ersuchten Rechtshilfehandlung durch die Rechtsmittelinstanzen des ersuchten Kantons zur Folge hat, wurde auch in verschiedenen veröffentlichten Entscheiden, die zwar die Rechtshilfe zwischen Bundesbehörden und kantonalen Behörden betrafen, bestätigt. Diese Fälle sind ebenfalls in Art. 352 StGB geregelt und daher ohne weiteres jenen der interkantonalen Rechtshilfe gleichzusetzen; denn wie für die ersuchten Kantone bestehen auch für die ersuchten Bundesbehörden eigene Prozessordnungen bzw. Verfahrensgesetze, die sie bei der Leistung der Rechtshilfe anzuwenden haben. So hielt die Anklagekammer in diesem Zusammenhang fest, die PTT-Betriebe, die von kantonalen Behörden um Herausgabe von Postsendungen, Auskunftserteilung usw. ersucht würden, hätten nicht zu prüfen, ob diese Massnahmen nach dem massgebenden kantonalen Strafprozessrecht zulässig, noch ob sie, aus dem Gesichtspunkt der in Frage stehenden Strafuntersuchung, zweckmässig und notwendig seien; sie hätten in dieser Beziehung auf die Angaben der ersuchenden Behörde abzustellen, die dafür allein verantwortlich sei; die PTT-Betriebe hätten die kantonalen Gesuche daher nur auf ihre formelle Zulässigkeit, das heisst daraufhin zu prüfen, ob die ersuchende Behörde zuständig und der angegebene Grund gesetzmässig sei (vgl. BGE 115 IV 71 E. 3b mit Hinweis auf BGE 79 IV 183 E. 3). Diese Auslegung entspricht auch dem Grundsatz, dass die gemäss Art. 352 Abs. 1 StGB für Strafsachen, auf welche das Strafgesetzbuch Anwendung findet, statuierte Rechtshilfepflicht eine umfassende ist, von der materiell einzig die in Abs. 2 dieser Bestimmung genannten Ausnahmen bestehen (vgl. zur Publikation bestimmtes Urteil der Anklagekammer vom 15. Dezember 1992 i.S. Polizeidirektion des Kantons Bern gegen Département de la justice, de la santé et des affaires sociales du canton du Jura, E. 3b; vgl. auch TRÜB, a.a.O., S. 78).
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Eine (ernstzunehmende) materielle Prüfung würde im übrigen eine umfassende Aktenkenntnis voraussetzen. Der ersuchten Behörde wäre es daher in der Regel gar nicht möglich, das Rechtshilfeersuchen materiell umfassend zu prüfen (vgl. dazu auch BGE 115 IV 71). Denn aus Gründen der Prozessökonomie und der Verfahrensbeschleunigung kann es nicht in Frage kommen, die in Verfahren, die interkantonale Rechtshilfe erfordern, meist umfangreichen Akten dem ersuchten Kanton vollständig zur notwendigen Einsichtnahme zur Verfügung zu stellen. Dies gilt erst recht, wenn rechtshilfeweise Ermittlungen in verschiedenen Kantonen erforderlich sind. Meist sollten die Prozesshandlungen zudem in den verschiedenen Kantonen zeitlich zusammen oder zumindest nicht allzu weit auseinanderliegend erfolgen können. Dies würde verunmöglicht, müsste jedem ersuchten Kanton vorgängig vollständig Akteneinsicht gewährt werden. Wollte man anders entscheiden, so würde dies entweder zu unverhältnismässigen Aktenübermittlungen unter den Kantonen führen oder aber in Unkenntnis der gesamten Aktenlage getroffene und damit äusserst fragwürdige Entscheide über die Zulässigkeit von Rechtshilfemassnahmen bewirken. Der vorliegende Fall zeigt die Konsequenzen. Die Beschlagnahmeverfügung des Untersuchungsrichters wurde auch im Kanton Bern angefochten: Die bernische Anklagekammer kam in Kenntnis der "sachdienlichen" Untersuchungsakten zum Schluss, die Beschlagnahmeverfügung sei aufrechtzuerhalten. Gegenteilig die Obergerichtskommission Obwalden: Sie räumt aber ein, ihren Entscheid, mit welchem sie die Beschlagnahmeverfügung des Verhöramtes aufhebt, im wesentlichen allein auf die bernische Beschlagnahmeverfügung gestützt zu haben. Von einer materiellen Überprüfung im eigentlichen Sinn kann unter diesen Umständen, wie der Gesuchsteller zu Recht bemerkt, nicht die Rede sein; dazu wäre zumindest erforderlich gewesen, die ersuchende Behörde zur Stellungnahme einzuladen und die bisherigen beziehungsweise alle für den zu treffenden Entscheid wesentlichen Akten einzusehen. Die Konsequenz, dass in verschiedenen Kantonen über die materielle Begründetheit derselben verlangten Rechtshilfemassnahme mehrere voneinander abweichende Urteile gefällt werden, kann nicht hingenommen werden und entspricht nicht mehr dem Begriff der interkantonalen Rechtshilfe, wie er Art. 352 StGB zugrunde liegt.
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d) Nach der neusten Rechtsprechung des Bundesgerichts hat im übrigen der ersuchende Kanton Ansprüche auf Entschädigung für Nachteile aus strafprozessualen Massnahmen nach Massgabe seines Rechts zu beurteilen und eine allfällige Entschädigung zu bezahlen, da er für die Massnahmen verantwortlich ist (zur Veröffentlichung bestimmtes Urteil der I. Öffentlichrechtlichen Abteilung vom 17. September 1992 i.S. S. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, E. 1b). Wenn der ersuchende Kanton indessen für die ersuchte Massnahme allein verantwortlich ist, so ist auch einzig nach seinem Recht zu entscheiden, ob sie materiell zu Recht verlangt wurde oder nicht.
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a) Nachdem die I. Öffentlichrechtliche Abteilung des Bundesgerichts in einer Reihe von unveröffentlichten Entscheiden in Abweichung von der Praxis der Anklagekammer den Grundsatz aufgestellt hatte, die Rechtsmittelbehörde des ersuchten Kantons habe auch die materielle Zulässigkeit der ersuchten Rechtshilfehandlung vollumfänglich zu prüfen, stellte sie in BGE 117 Ib 80 unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung der Anklagekammer und TRECHSEL (a.a.O., Art. 352 N 2) sowie die bisher abweichende eigene Rechtsprechung (Hinweis auf BGE 105 Ib 214 ff. und BGE 86 IV 140 E. 2a, zudem nicht publ. Urteile des Bundesgerichts vom 27. April 1989 i.S. U. AG und Kons., vom 10. April 1989 i.S. D., vom 6. Oktober 1988 i.S. D., vom 22. April 1988 i.S. H., vom 18. November 1987 i.S. U. AG und Kons. sowie H. und Kons.) fest, die Regeln über die interkantonale Rechtshilfe (Art. 352 - 355 StGB) enthielten keine Bestimmungen, nach welchen der interkantonal um Rechtshilfe ersuchte Kanton sich materiell mit dem vom ersuchenden Kanton geführten Verfahren zu befassen hätte; vielmehr habe er sich (abgesehen vom Ausnahmefall von Art. 352 Abs. 2 StGB) darauf zu beschränken, die Prozesshandlungen, um welche er ersucht werde, unter Beachtung der Regeln seines eigenen Verfahrensrechts durchzuführen; interkantonale Rechtshilfe sei somit zu gewähren, ohne dass - wie dies bei der internationalen Rechtshilfe üblich sei - in einem formellen Verfahren und unter Beteilung der Betroffenen zuerst die Voraussetzungen für die Rechtshilfeleistung überprüft würden; selbst eine vorfrageweise Prüfung von Fragen materieller Natur (z.B. ob oder wie der dem Ersuchen zugrundeliegende Sachverhalt strafrechtlich zu qualifizieren sei) sei der um interkantonale Rechtshilfe ersuchten Behörde verwehrt; einzig könne gegenüber dieser Behörde die Verletzung des massgebenden örtlichen Strafverfahrensrechts und in diesem Zusammenhang die Verletzung von Verfassungs- bzw. Konventionsrecht gerügt werden.
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b) Dieses Urteil wurde in BGE 118 Ib 118 in bezug auf die im Rahmen von Art. 80 IRSG zu leistende interkantonale Rechtshilfe bestätigt. Soweit daher in BGE 117 Ia 5 von BGE 117 Ib 80 abgewichen wurde, ist daran nicht festzuhalten, ohne dass vorgängig ein Meinungsaustauschverfahren gemäss Art. 16 Abs. 1 OG durchgeführt werden müsste.
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