51. Urteil der Anklagekammer vom 13. November 1995 i.S. Ministero pubblico del Cantone Ticino gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich
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Regeste
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Art. 352 und 357 StGB. Interkantonale Rechtshilfe; anwendbares Recht.
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Die Frage, ob einem rechtshilfeweise einzuvernehmenden Zeugen ein Zeugnisverweigerungsrecht (hier gestützt auf Art. 320 StGB) zusteht, betrifft die Art und Form der Rechtshilfehandlung, die durch die zuständigen Behörden des ersuchten Kantons nach Massgabe ihres Prozessrechts zu entscheiden ist (E. 2).
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Sachverhalt
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A.- Am 15. Dezember 1988 reichte Nationalrat L. im Nationalrat eine einfache Anfrage an den Bundesrat ein betreffend "Pizza Connection und die Schweiz", in welcher eine diesbezügliche Tätigkeit des Tessiner Rechtsanwaltes G. erwähnt wird.
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Nachdem diese Anfrage in der Presse ihren Niederschlag gefunden hatte, erstattete Rechtsanwalt G. gegen Rechtsanwalt B., von dem er annahm, dieser habe die entsprechenden Informationen weitergegeben, sowie Unbekannte Strafanzeige wegen Verleumdung, Verletzung des Amtsgeheimnisses und Irreführung der Rechtspflege.
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Die Tessiner Behörden, die die Strafuntersuchung führten, erachteten eine Einvernahme von Nationalrat L. als unumgänglich. Nachdem dieser zunächst damit einverstanden war, zur Einvernahme im Kanton Tessin zu erscheinen, ersuchte er später um rogatorische Einvernahme durch die Behörden des Kantons Zürich, worauf die Tessiner Staatsanwaltschaft am 16. Juni 1989 ein entsprechendes interkantonales Rechtshilfegesuch an die Bezirksanwaltschaft Zürich richtete. Nationalrat L. sollte im wesentlichen darüber Auskunft geben, ob er die seiner Anfrage zu Grunde liegenden Informationen von Rechtsanwalt B. erhalten habe.
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B.- Die Bezirksanwaltschaft Zürich lud Nationalrat L. zur Zeugeneinvernahme vor, welche am 12. Oktober 1989 erfolgte. Der Zeuge erschien, verweigerte aber unter Berufung auf seine Immunität als Nationalrat Angaben über seine Quellen. Die Bezirksanwaltschaft wies das Rechtshilfeersuchen daher als nur teilweise erledigt ohne Weiterungen an die ersuchende Tessiner Behörde zurück. Einen durch die Tessiner Staatsanwaltschaft gegen diese Verfügung gerichteten Rekurs wies die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich am 20. April 1990 ab.
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Die Tessiner Staatsanwaltschaft wandte sich am 4. Mai 1990 an die Anklagekammer des Bundesgerichts, welche die Beschwerde mit Urteil vom 31. Mai 1990 guthiess und die Bezirksanwaltschaft Zürich über die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich anwies, Nationalrat L. erneut zur Einvernahme als Zeuge gemäss dem Rechtshilfeersuchen der Procura Pubblica Sottocenerina vom 16. Juni 1989 aufzubieten; es sei abzuklären, ob der Zeuge unter Berufung auf ein Amtsgeheimnis das Zeugnis verweigern könne.
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C.- Am 27. September 1991 wurde Nationalrat L. durch die Bezirksanwaltschaft Zürich erneut als Zeuge befragt. Der Zeuge verweigerte Angaben über den Informanten unter Berufung auf sein Amtsgeheimnis als Parlamentarier, d.h. als Angehöriger des Nationalrates.
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Mit Zwischenentscheid vom 21. November 1991 entschied der Tessiner Untersuchungsrichter, die Voraussetzungen für eine auf Art. 320 StGB gestützte Verweigerung der Zeugenaussage seien nicht gegeben; der Zeuge L. habe daher die Quelle der in Frage stehenden Information anzugeben.
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Einen von Nationalrat L. gegen diesen Zwischenentscheid am 26. November 1991 bei der Camera dei ricorsi penali del Tribunale di appello des Kantons Tessin eingereichten Rekurs wies diese am 22. Mai 1992 ab. Der Entscheid ist rechtskräftig.
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Nach wiederholten erfolglosen Ersuchen der Tessiner Behörden verfügte die Bezirksanwaltschaft Zürich am 8. Februar 1995, dass die verlangte Rechtshilfe jedenfalls einstweilen bis zur Aufhebung des Amtsgeheimnisses durch die zuständige Behörde verweigert werde, da sich Nationalrat L. auf das Amtsgeheimnis berufen könne und daher nicht berechtigt sei, Aussagen zu machen.
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Einen Rekurs der Tessiner Staatsanwaltschaft vom 17. Februar 1995 hiess die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich am 30. Juni 1995 im Sinne der Erwägungen gut und hob den Entscheid der Bezirksanwaltschaft auf; gleichzeitig wurde Nationalrat L. ersucht, beim Generalsekretariat der Bundesversammlung zuhanden der Eidgenössischen Räte ein Gesuch um Entbindung vom Amtsgeheimnis zu stellen.
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Am 11. Juli 1995 reichte Nationalrat L. das Gesuch um Entbindung vom Amtsgeheimnis ein.
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D.- Mit Gesuch vom 31. Juli 1995 beantragt die Staatsanwaltschaft des Kantons Tessin der Anklagekammer des Bundesgerichts im Hauptantrag, den Entscheid der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich aufzuheben und dem Rechtshilfegesuch vom 16. Juni 1989 zu entsprechen; es sei festzustellen, dass der Entscheid, ob sich der Zeuge für das Zeugnisverweigerungsrecht auf das Amtsgeheimnis berufen könne, den Tessiner Behörden zustehe, die diese Frage bereits rechtskräftig entschieden hätten. Eventuell sei festzustellen, dass sich der Zeuge für die Zeugnisverweigerung nicht auf das Amtsgeheimnis berufen könne. In jedem Fall sei die Bezirksanwaltschaft Zürich über die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich anzuweisen, den Zeugen erneut zu einer Einvernahme aufzubieten unter Verweis auf §§ 128 und 134 StPO/ZH; im Falle einer weiteren Weigerung des Zeugen seien die in der Prozessordnung vorgesehenen Disziplinarstrafen zu verhängen.
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Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich beantragt, das Gesuch abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.
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Die Anklagekammer zieht in Erwägung:
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b) Ergeben sich bei der Gewährung der Rechtshilfe Anstände, so kann die Anklagekammer des Bundesgerichts (Art. 357 StGB, Art. 252 Abs. 3 BStP) angerufen werden. Als Anstände in der Rechtshilfe gelten nicht nur die eigentliche Verweigerung der Rechtshilfe sondern auch Streitigkeiten über die Art und Weise der zu leistenden Rechtshilfe bzw. der durchzuführenden Untersuchungshandlung (vgl. THORMANN/VON OVERBECK, Das Schweizerische Strafgesetzbuch, Zürich 1941, Art. 357 N. 1). Ein Anstand in der Rechtshilfe liegt auch dann vor, wenn zwischen den beteiligten Behörden streitig ist, ob eine Frage die formelle oder die materielle Zulässigkeit der verlangten Rechtshilfehandlung betrifft; denn davon hängt insbesondere ab, ob die Massnahme bei den Rechtsmittelinstanzen des ersuchten oder des ersuchenden Kantons angefochten werden muss (vgl. unten E. 2b).
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c) Die Anrufung der Anklagekammer ist an keine Frist gebunden (BGE 86 IV 226 E. 1). Sie kann daher jederzeit, auch bereits unmittelbar im Anschluss an die Weigerung der ersuchten Behörde erfolgen; allfällige kantonale oder eidgenössische Rechtsmittel müssen somit nicht vorgängig ausgeschöpft werden (BGE 115 IV 67 E. 1c; vgl. auch BGE 102 IV 217 E. 4, BGE 96 IV 181 E. 2).
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Zu entscheiden ist vielmehr die Frage, welcher der beteiligten Kantone zu entscheiden habe, ob sich der Zeuge (im konkreten Fall gestützt auf Art. 320 StGB) auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen kann.
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b) In der Rechtshilfe zwischen Kantonen bestimmt sich nach dem Prozessrecht des gemäss Art. 352 StGB zur Rechtshilfe verpflichteten ersuchten Kantons, welche Art Handlungen der ersuchende Kanton verlangen darf und in welcher Form sie vorzunehmen sind. Das Prozessrecht des ersuchten Kantons ist somit für die Art und Form der interkantonalen Rechtshilfe massgebend. Bei der Behörde des ersuchten Kantons können daher Einwendungen betreffend die formellen Voraussetzungen der Rechtshilfe und die Ausführung der verlangten Massnahmen erhoben werden, während in allen anderen Fällen, namentlich bei Einwendungen gegen die materielle (sachliche) Zulässigkeit einer Rechtshilfemassnahme das Rechtsmittel bei der zuständigen Behörde des ersuchenden Kantons eingereicht werden muss (BGE 120 Ia 113; BGE 119 IV 86 E. 2). Zu letzteren zählen im Zusammenhang mit Zwangsmassnahmen insbesondere die Einwände betreffend die Voraussetzungen des hinreichenden Tatverdachts, der Erforderlichkeit, der Zweckmässigkeit sowie der Verhältnismässigkeit (vgl. BGE 120 Ia 113 E. 1; BGE 117 Ia 5 E. 1b); materieller Art ist auch die Frage, ob eine bestimmte Massnahme geeignet sei, den Beweis für eine rechtserhebliche Tatsache zu erbringen, oder ob die materiellen Voraussetzungen für eine Einziehung und damit für eine Beschlagnahme vorliegen (vgl. BGE 119 IV 86 E. 2b).
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Die Frage, ob dem rechtshilfeweise einzuvernehmenden Zeugen ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht, betrifft hingegen die Art und Form der Rechtshilfehandlung und wurde daher zu Recht durch die Behörden des ersuchten Kantons Zürich nach Massgabe ihres Prozessrechts entschieden. Soweit sich die Gesuchstellerin auf das rechtskräftige Urteil der Tessiner Rekurskammer vom 22. Mai 1992 stützt, ist sie nicht zu hören.
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3. a) Im Verfahren gemäss Art. 357 StGB prüft die Anklagekammer des Bundesgerichts nur, ob durch die Anwendung des Prozessrechts des ersuchten Kantons durch die ersuchte Behörde bzw. die zuständige Rechtsmittelinstanz die Rechtshilfe derart beschränkt wird, dass sie dem Begriff der Rechtshilfe, wie er Art. 352 StGB zugrunde liegt, nicht mehr entspricht (vgl. BGE 119 IV 86 E. 2a).
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b) In ihrem Urteil vom 31. Mai 1990 wies die Anklagekammer die Zürcher Behörden an, abzuklären, ob ein Amtsgeheimnis vorliege, auf Grund dessen der Zeuge gegebenenfalls zu Recht das Zeugnis verweigerte; dabei genüge es, wenn der Zeuge seine Pflicht zur Verschwiegenheit wahrscheinlich mache.
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c) Dieser Aufforderung sind die Zürcher Behörden inzwischen nachgekommen. Die Gesuchsgegnerin bejahte im angefochtenen Entscheid nach zürcherischem Prozessrecht grundsätzlich ein Zeugnisverweigerungsrecht unter Berufung auf das Amtsgeheimnis. Sie verweist sodann auf ein Kurzgutachten des Generalsekretariats der Parlamentsdienste, nach welchem die Mitglieder des Nationalrates mit Bezug auf Geheimnisse, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Ratsmitglieder anvertraut würden, dem Amtsgeheimnis im Sinne von Art. 320 StGB unterlägen. Dies wird auch durch die Gesuchstellerin nicht in Zweifel gezogen.
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Im angefochtenen Entscheid wird weiter ausgeführt, der Zeuge habe anlässlich seiner zweiten Einvernahme sowie in einer schriftlichen Stellungnahme vom 6. Februar 1995 hinreichend glaubhaft gemacht, dass die Identität seines Informanten im Zusammenhang mit der in Frage stehenden parlamentarischen Anfrage seinem Amtsgeheimnis als Behördemitglied unterliegen könnte. Eine Entbindung vom Amtsgeheimnis könne daher im vorliegenden Fall in Analogie zu Art. 14 VG (SR 170.32) nur durch die Bundesversammlung erfolgen. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich ersuchte daher den Zeugen, beim Sekretariat der Bundesversammlung zuhanden der eidgenössischen Räte ein Gesuch um Entbindung vom Amtsgeheimnis zu stellen.
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d) Aufgrund dieser Begründung des angefochtenen Entscheides kann von einer unzulässigen Verweigerung der Rechtshilfe durch die Behörden des Kantons Zürich nicht die Rede sein. Das Gesuch wird somit abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird.
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