BGE 125 IV 195 |
30. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 21. September 1999 in Sachen H. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau (Nichtigkeitsbeschwerde) |
Regeste |
Art. 125 Abs. 1 StGB; Art. 31 Abs. 1 SVG; fahrlässige Körperverletzung; Begriff der natürlichen Kausalität. |
Sachverhalt |
S. fuhr am 21. März 1997, um 20.00 Uhr, in seinem Personenwagen auf der Zürcherstrasse in Rheinfelden Richtung Basel. Hinter ihm fuhr H. Beide Fahrzeuge bewegten sich auf dieser Hauptstrasse innerorts mit ca. 50 km/h. Dabei bemerkte S., der seine Aufmerksamkeit zunächst auf den am Strassenrad wartenden Motorradfahrer A. (mit Beifahrerin) gerichtet hatte, zu spät, dass das Ehepaar E. und C. F. den Fussgängerstreifen betrat. Er leitete eine Vollbremsung ein, konnte aber eine Kollision nicht mehr vermeiden. Unmittelbar nach dieser ersten Kollision fuhr H. mit ihrem Personenwagen auf den Personenwagen S. auf. Die Geschädigte und der Personenwagen S. wurden durch die Wucht dieses Aufpralls nach vorne geschoben. Dadurch wurde der pathologische Zustand der verletzten Geschädigten gesteigert, indem noch zusätzliche Verletzungen entstanden.
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Das Bezirksgericht Rheinfelden fand am 20. Mai 1998 H. der mehrfachen fahrlässigen Körperverletzung (Art. 125 Abs. 1 StGB) schuldig (begangen durch mangelhafte Aufmerksamkeit [Art. 3 Abs. 1 der Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962; VRV, SR 741.11] sowie durch Nichtbeherrschen des Fahrzeugs [Art. 31 Abs. 1 und Art. 90 Ziff. 1 des Strassenverkehrsgesetzes vom 19. Dezember 1958; SVG, SR 741.01]). Es bestrafte sie mit 2 Wochen Gefängnis und Fr. 400.-- Busse. Es verpflichtete sie, solidarisch mit S., der Zivilklägerin F. eine Genugtuung von Fr. 20'000.- nebst Zins zu zahlen, stellte fest (Art. 9 Abs. 3 des Bundesgeseztes vom 4. Oktober 1991 über die Hilfe an Opfer von Straftaten [OHG; SR 312.5]), dass sie solidarisch mit S. für den Schaden aufzukommen habe, und verwies die Zivilsache im Übrigen auf den Zivilweg. Das Obergericht des Kantons Aargau änderte am 6. Januar 1999 das Urteil des Bezirksgerichts insoweit ab, als es H. mit einer Busse von Fr. 1'000.-- bestrafte und die Genugtuungssumme auf Fr. 25'000.-- festsetzte. Es wies die Berufung und Anschlussberufung im Übrigen ab.
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H. erhebt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die kantonale Behörde zurückzuweisen.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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Auszug aus den Erwägungen: |
2. a) Die Vorinstanz hält im Ergebnis fest, aufgrund der vorstehenden Sachverhaltsfeststellung stehe ausser Zweifel, dass die Geschädigte ohne den Zweitaufprall wesentlich geringfügigere Verletzungen erlitten hätte, die verspätete Einleitung des Bremsvorgangs somit die Verschlimmerung der Verletzungsfolgen verursacht habe. Entgegen der Begründung der Erstinstanz handle es sich dabei um keinen Fall konkurrierender Kausalität, bei welchem verschiedene Schädiger denselben Schaden verursachen, sondern um einen solchen gemeinsamer Kausalität, bei welchem mehrere Personen an der Schadensverursachung mitgewirkt haben (mit Hinweis auf von THUR/PETER, Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, Band I, S. 93).
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Die Beschwerdeführerin anerkennt, dass sie infolge mangelnder Aufmerksamkeit nicht mehr rechtzeitig habe bremsen können und daher mit dem Fahrzeug S. kollidiert sei. Sie macht jedoch geltend, es sei in keiner Weise erstellt, dass und in welchem Umfang ihr Verhalten zu den Verletzungen der Geschädigten beigetragen oder diese verschlimmert habe. In Frage stehe daher die natürliche Kausalität. Die Bedingungsformel (BGE 116 IV 306 E. 2a) könne rein logisch nicht der Ermittlung eines natürlichen Kausalzusammenhangs dienen, der nicht bereits bekannt sei (mit Hinweis auf STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 2. Auflage, Bern 1996, § 9 N. 21).
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b) Die Feststellung des natürlichen Kausalzusammenhangs ist als Tatfrage auf Nichtigkeitsbeschwerde hin nicht überprüfbar (BGE 92 IV 168 E. 2). Zulässige Rüge bildet indessen der Vorwurf, die Vorinstanz habe den Begriff der natürlichen Kausalität verkannt (BGE 122 IV 17 E. 2c/aa). Nach der Rechtsprechung ist ein (pflichtwidriges) Verhalten im natürlichen Sinne kausal, wenn es nicht weggedacht werden kann, ohne dass auch der eingetretene Erfolg entfiele; dieses Verhalten braucht nicht alleinige oder unmittelbare Ursache des Erfolgs zu sein. Mit dieser Bedingungsformel (conditio sine qua non) wird ein hypothetischer Kausalzusammenhang untersucht und dabei geprüft, was beim Weglassen bestimmter Tatsachen geschehen wäre. Ein solchermassen vermuteter natürlicher Kausalverlauf lässt sich nicht mit Gewissheit beweisen, weshalb es genügt, wenn das Verhalten des Täters mindestens mit einem hohen Grad der Wahrscheinlichkeit oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Ursache des Erfolgs bildete (BGE 116 IV 306 E. 2a).
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c) Für die Vorinstanz steht "aufgrund der vorstehenden Sachverhaltsfeststellung" ausser Zweifel, dass die Geschädigte ohne den Zweitaufprall wesentlich geringfügigere Verletzungen erlitten hätte.
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Dieser Schluss beruht auf Beweiswürdigung, die in diesem Verfahren nicht anfechtbar ist. Die Vorinstanz führt anschliessend aus, dass "die verspätete Einleitung des Bremsvorganges der (Beschwerdeführerin) somit die Verschlimmerung der Verletzungsfolgen verursacht hat." Dieser Schluss entspricht der Bedingungsformel, die auch beim fahrlässigen Erfolgsdelikt angewendet wird (vgl. STRATENWERTH, a.a.O., § 16 N. 8). Wird nämlich die in Folge zu späten Bremsens erfolgte Zweitkollision und Verschiebung des Fahrzeugs S. mit der davor liegenden Verletzten hinweggedacht, entfällt auch die Verschlimmerung der Verletzungsfolgen. Somit verkennt die Vorinstanz den Kausalitätsbegriff nicht. Die Formel fügt dem bereits Bekannten nichts hinzu. Sie dient hier bloss der Kontrolle des anderweitig gefundenen Ergebnisses (vgl. JESCHECK/WEIGEND, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Auflage, Berlin 1996, S. 281; vgl. ferner MANFRED DÄHLER/ERICH PETER/RENÉ SCHAFFHAUSER, Ausreichender Abstand beim Hintereinanderfahren, AJP 1999 S. 947-61).
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d) Es liegt nicht der Fall vor, wo ein Erfolg durch den A oder den B verursacht wurde, aber nicht festgestellt werden kann, welche der beiden Handlungen den Erfolg tatsächlich verursacht hat (für den Fall gemeinsamen Handelns vgl. BGE 113 IV 58). Vielmehr erlitt die Geschädigte durch die Erstkollision Verletzungen (sie prallte auf die Motorhaube und rollte dann vor das Fahrzeug hinunter). Rund zwei Sekunden nach diesem Geschehen erfolgte die Zweitkollision, wodurch das Unfallfahrzeug mit der davor liegenden Verletzten mehrere Meter verschoben wurde (in der Unfallendlage war die Verletzte unter dem Spoiler eingeklemmt). Angesichts des Verletzungsbildes (Rippenserienfraktur mit Prellungen am Oberschenkel und Rissquetschwunden im Gesicht und am linken Knie) lässt sich gegen die Annahme einer Verschlimmerung der Verletzungsfolgen durch die Zweitkollision unter Kausalitätsgesichtspunkten nichts einwenden; das Gegenteil erschiene vielmehr in höchstem Grade unwahrscheinlich. Soweit die Vorinstanz (unter Bezugnahme auf VON THUR/PETER) einen Fall "gemeinsamer Kausalität, bei welchem mehrere Personen an der Schadensverursachung mitgewirkt haben", annimmt, ändert diese schadensrechtliche Betrachtungsweise unter dem Gesichtspunkt der natürlichen Kausalität insoweit nichts, als alle Bedingungen eines Erfolgs als gleichwertig (äquivalent) angesehen werden (vgl. STRATENWERTH, a.a.O., § 9 N. 20). In hier massgeblicher strafrechtlicher Hinsicht nimmt die Vorinstanz indessen im Ergebnis in dubio pro reo lediglich eine Verschlimmerung der Verletzungsfolgen an. Sie rechnet mithin entgegen der Argumentation in der Beschwerdeschrift der Beschwerdeführerin nicht die durch die beiden Kollisionen umschriebene "Gesamthandlung" zu, sondern den aufgrund des Beweisergebnisses ihr in Berücksichtigung des Grundsatzes in dubio pro reo tatsächlich zurechenbaren Erfolg.
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