BGE 134 IV 149 |
15. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen (Nichtigkeitsbeschwerde) |
6S.91/2007 vom 6. Dezember 2007 und 17. Januar 2008 |
Regeste |
Art. 125 und 18 Abs. 3 StGB; fahrlässige Körperverletzung; Selbstgefährdung des Verletzten. |
Strafbarkeit der Organisatorin eines Feuerlaufseminars verneint, weil ihre Mitwirkung ohne Einfluss auf das Gefährdungsgeschehen blieb und sie das Verbrennungsrisiko nicht besser erfasste als die Feuerläuferinnen (E. 5). |
Sachverhalt |
A. Am 23. August 2003 veranstalteten X. und Y. ein Feuerlaufseminar, an dem die Unihockey-Damenmannschaft von A. teilnahm. Nachmittags wurden die Seminarteilnehmerinnen über die Risiken des Feuerlaufs, die Eigenverantwortung und den von ihnen unterzeichneten Haftungsausschluss aufgeklärt. Gegen Abend entfachten sie das Feuer. Unter Anleitung der Organisatorinnen führten sie noch verschiedene Vorbereitungsübungen durch, bevor X. das Feuer kurz vor Mitternacht freigab. A., die als erste lief, zog sich Verbrennungen zweiten Grades an den Fusssohlen zu. Auch andere Feuerläuferinnen haben sich die Füsse leicht verbrannt.
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B. Mit Urteil vom 23. September 2005 sprach das Kreisgericht Rheintal X. und Y. der fahrlässigen schweren Körperverletzung (Art. 125 Abs. 2 StGB) schuldig und verurteilte sie je zu einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von fünf Tagen sowie einer Busse von 1'000 Franken. Im Weiteren verpflichtete es sie unter solidarischer Haftung, A. eine Genugtuung von 1'000 Franken zu bezahlen.
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C. Das Kantonsgericht St. Gallen wies eine dagegen erhobene Berufung von X. sowie die Anschlussberufung der Staatsanwaltschaft mit Urteil vom 22. November 2006 ab. Die Klägerin A. hat sich am Berufungsverfahren nicht mehr beteiligt.
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D. X. führt gegen das Urteil des Kantonsgerichts St. Gallen eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und sie sei vom Vorwurf der fahrlässigen schweren Körperverletzung vollumfänglich freizusprechen.
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Das Bundesgericht heisst die Nichtigkeitsbeschwerde gut, soweit darauf einzutreten ist.
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Aus den Erwägungen: |
Erwägung 3 |
Die Beschwerdeführerin habe eine Garantenstellung innegehabt, die sich aus einer vertraglichen Nebenpflicht und dem Prinzip des gefährlichen Vorverhaltens (Ingerenz) ergebe. Infolge ihrer Garantenstellung wäre sie verpflichtet gewesen, Massnahmen für die erste Hilfe im Verletzungsfall zu treffen. Zwar habe sie einen Eimer Wasser zur Verfügung gestellt, in dem die Klägerin ihre Füsse während rund 15 Minuten habe kühlen können. Doch unbestrittenermassen sei dies die einzige Vorsichtsmassnahme gewesen, und sie habe sich als ungenügend erwiesen. Gemäss Arztbericht stelle nämlich das sofortige Kühlen mit kaltem Wasser - während mindestens 20-30 Minuten - eine zentrale Massnahme bei Verbrennungen dar, und anschliessend sollte die Patientin rasch einer ärztlichen Beurteilung zugeführt werden.
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Damit sei erstellt, dass das pflichtwidrige Unterlassen der Beschwerdeführerin für die Verletzungen der Klägerin kausal sei. Unerheblich sei dagegen, dass die Teilnehmerinnen einen sog. Haftungsausschluss unterzeichneten und auf die Freiwilligkeit und Gefährlichkeit des Feuerlaufs mehrfach hingewiesen worden waren, weil eine Garantenpflicht nicht wegbedungen werden könne. Eine rechtfertigende Einwilligung in die schwere Körperverletzung falle ebenfalls ausser Betracht, weil es an einem sittlichen oder ethischen Zweck fehle.
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Erwägung 4 |
4.2 Das Bundesgericht hat bisher die Frage, ob die Einwilligung des Verletzten bei Fahrlässigkeitsdelikten begrifflich überhaupt möglich ist (BGE 114 IV 100 E. 4) bzw. wie weit einer solchen bei Gefährdung durch einen Dritten Schranken gesetzt sind (BGE 125 IV 189 E. 3a), nicht abschliessend geprüft. Ein unlängst ergangener Entscheid stellt indessen klar, dass sich die Einwilligung beim vorsätzlichen Verletzungsdelikt sowohl auf die Tathandlung als auch auf den tatbestandsmässigen Erfolg beziehen müsste (BGE 131 IV 1 E. 3.1). Entsprechendes gilt auch für das Fahrlässigkeitsdelikt. Eine Einwilligung liegt nicht schon vor, wenn das um die Gefährdung wissende Opfer lediglich in das Risiko einwilligt, sondern es müsste zugleich den Verletzungserfolg in Kauf nehmen, was nur ausnahmsweise vorkommen dürfte. Denn in der Regel wird der Betroffene mindestens ebenso wie der unvorsätzlich handelnde Täter gerade darauf vertrauen, dass die Gefährdung für seine Rechtsgüter folgenlos bleiben wird (PHILIPPE WEISSENBERGER, Die Einwilligung des Verletzten bei den Delikten gegen Leib und Leben, Diss. Bern 1996, S. 144).
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Nach dem angefochtenen Entscheid haben alle beteiligten Personen, an erster Stelle die Klägerin, darauf vertraut, dass sich beim Feuerlauf niemand die Füsse verbrennen würde. Eine Einwilligung in den tatbestandsmässigen Erfolg der (schweren) Körperverletzung liegt deshalb nicht vor. Inwiefern rechtlich von Bedeutung ist, dass die Klägerin freiwillig und auf eigene Verantwortung am Feuerlauf teilgenommen hat, bleibt bei der Zurechnung des Verletzungserfolges zu prüfen.
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4.4 In diesem Zusammenhang unterscheidet die jüngere Rechtsprechung und Lehre zwischen Mitwirkung an fremder Selbstgefährdung und einverständlicher Fremdgefährdung (BGE 125 IV 189 E. 3a; BGE 131 IV 1 E. 3.2; ANDREA ESTHER HUBER, Die Selbstgefährdung des Verletzten, Diss. Zürich 2003, insbes. S. 46 ff.; WEISSENBERGER, a.a.O., S. 100 ff. und passim; CLAUS ROXIN, Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 4. Aufl., München 2006, § 11 N. 107 ff.; SCHÖNKE/SCHRÖDER/CRAMER/STERNBERG-LIEBEN, Strafgesetzbuch, Kommentar, 27. Aufl., München 2006, § 15 N. 165 ff.). Blosse Mitwirkung an fremder Selbstgefährdung liegt vor, wenn der Rechtsgutträger sich bewusst und freiverantwortlich einer bestimmten Gefahr für seine Rechtsgüter aussetzt und der andere diese Selbstgefährdung lediglich ermöglicht, veranlasst oder unterstützt. Einverständliche Fremdgefährdung ist demgegenüber gegeben, wenn der Rechtsgutträger sich im Bewusstsein des Risikos durch einen anderen gefährden lässt (BGE 125 IV 189 E. 3a). Die Abgrenzung erfolgt nach dem Kriterium der Tatherrschaft. Danach ist zu fragen, ob der Rechtsgutträger das Tatgeschehen derart beherrscht, dass er darin jederzeit und bis zuletzt steuernd einzugreifen vermag, oder aber das Gefährdungsgeschehen in den Händen des Dritten liegt (BGE 131 IV 1 E. 3.2). Entscheidend ist insoweit die Herrschaft über den letzten, unmittelbar zur Verletzung führenden Akt (SCHÖNKE/SCHRÖDER/CRAMER/STERNBERG-LIEBEN, a.a.O., § 15 N. 165).
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Die Straflosigkeit der Mitwirkung an fremder Selbstgefährdung findet ihre Grenze jedoch dort, wo der Veranlasser oder Förderer das Risiko kraft überlegenen Sachwissens besser erfasst (BGE 125 IV 189 E. 3a S. 194) oder erkennt, dass das Opfer die Tragweite seines Entschlusses nicht überblickt. In diesem Fall schafft er ein Risiko, das vom Willen des Opfers nicht mehr gedeckt und dessen Verwirklichung daher dem Mitwirkenden zuzurechnen ist (BGE 131 IV 1 E. 3.3 mit Hinweisen).
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Erwägung 5 |
Die Gefahr, die in den Verletzungserfolg umschlug, ist nicht auf eine Unterlassung der Beschwerdeführerin zurückzuführen. Sie hat an der Selbstgefährdung durch aktives Tun mitgewirkt, und danach beurteilt sich der strafrechtliche Vorwurf (vgl. dazu BGE 120 IV 265 E. 2b S. 271; BGE 115 IV 199 E. 2a S. 203 f.). Deshalb braucht hier nicht entschieden zu werden, ob und inwieweit sie zugunsten der Teilnehmerinnen eine Garantenstellung (aus Vertrag) einnahm. Immerhin ist klarzustellen, dass dort, wo die Mitwirkung nach den dargelegten Grundsätzen straflos bleibt, auch der Umweg über ein gefährliches Vorverhalten (Ingerenz) nicht zur Erfolgsabwendungspflicht und Unterlassungshaftung des Mitwirkenden führen kann, was allgemein anerkannt ist (vgl. nur STRATENWERTH, a.a.O., § 14 Rz. 22 S. 430; ROXIN, a.a.O., § 11 N. 112; LACKNER/KÜHL, Strafgesetzbuch, Kommentar, 26. Aufl., München 2007, vor § 211 N. 26).
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Den Fahrlässigkeitsvorwurf begründet die Vorinstanz damit, dass die Klägerin ihre Füsse nur 15 Minuten (statt wie vom Arzt empfohlen mindestens 20-30 Minuten) im Wassereimer kühlen konnte. Dies genügt indessen nicht, um die eingetretenen Verletzungen der Beschwerdeführerin zuzurechnen. Denn einerseits führte das Bereitstellen des Wassereimers gerade nicht zu einer Risikoerhöhung während des Gefährdungsverlaufs, sondern diente der Verhütung und Linderung allfälliger Verbrennungen. Andererseits konnten die Teilnehmerinnen selbst erkennen, welche Kühlmöglichkeit für den Fall von Verbrennungen bereitstand. Die Vorsichtsmassnahme blieb somit ohne Einfluss auf das Gefährdungsgeschehen und das von den Feuerläuferinnen eingegangene Risiko.
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5.4 Der Schuldspruch der Beschwerdeführerin wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung (Art. 125 Abs. 2 StGB) verletzt aus den dargelegten Gründen Bundesrecht. Der ebenfalls erhobene Einwand, die Verletzungen seien nicht als schwere Schädigung im Sinne von Art. 125 Abs. 2 StGB zu qualifizieren, wird damit gegenstandslos.
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