BGE 136 IV 117 |
17. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Beschwerde in Strafsachen) |
6B_202/2010 vom 31. Mai 2010 |
Regeste |
Art. 144 Abs. 3, aArt. 70 und Art. 97 StGB; Begriff des grossen Schadens, Bestimmung der Verjährungsfrist beim grossen Schaden. |
Sieht der qualifizierte Tatbestand eine fakultative Strafschärfung vor, ist für die Bestimmung der Verjährungsfrist nicht auf den Grundtatbestand abzustellen. Verjährungsrechtlich relevant ist vielmehr die angedrohte Höchststrafe (E. 4.3.3). |
Aus den Erwägungen: |
Erwägung 4 |
Die Vorinstanz wendet die bis zum 30. September 2002 geltenden Verjährungsbestimmungen an, was der Beschwerdeführer zu Recht nicht beanstandet. Sie führt aus, dass für Taten, die damals mit Gefängnis bis zu drei Jahren oder mit Busse bedroht gewesen seien, eine relative Verjährungsfrist von 5 und eine absolute Verjährungsfrist von 7 ½ Jahren gelte (aArt. 70 und 72 StGB). Deshalb seien unter anderem die vor dem 24. Mai 2002 verübten Sachbeschädigungen verjährt. Davon ausgenommen seien die im Sinne von Art. 144 Abs. 3 StGB grossen Sachbeschädigungen, die als Verbrechen noch nicht verjährt seien.
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Erwägung 4.3 |
Entgegen den Ausführungen in der Botschaft, wonach die Grenzziehung zwischen dem grossen und dem normalen Schaden durch eine langjährige Rechtsprechung geklärt worden sei (vgl. Botschaft vom 24. April 1991 über die Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes, BBl 1991 II 1014 Ziff. 213.11), finden sich in der Rechtsprechung nur wenige Hinweise. Das Bundesgericht qualifizierte einen Schaden in der Höhe von Fr. 40'000.- (BGE 106 IV 24) respektive von Fr. 82'000.- (BGE 117 IV 437 E. 2 S. 440) als gross. In der Literatur wird mehrheitlich die Grenze bei Fr. 10'000.- gesetzt, wobei teilweise die Verhältnisse des Betroffenen herangezogen werden (ANDREAS DONATSCH, Delikte gegen den Einzelnen, 9. Aufl. 2008, S. 184; STRATENWERTH/WOHLERS, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Handkommentar, 2. Aufl. 2009, N. 6 zuArt. 144 StGB; für die Berücksichtigung persönlicher Verhältnisse PHILIPPE WEISSENBERGER, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. II, 2. Aufl. 2007, N. 61 zu Art. 144 StGB; CHRISTIAN FAVRE UND ANDERE, Code pénal annoté, 3. Aufl. 2007, N. 3.1. zu Art. 144 StGB; TRECHSEL/CRAMERI, in: Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 2008, N. 10 zu Art. 144 StGB). Eine weitere Meinung stellt allein auf einen objektiven Massstab ab, ohne diesen zu beziffern (BERNARD CORBOZ, Les infractions en droit suisse, Bd. I, 2002, N. 32 zu Art. 144 StGB; MARTIN SCHUBARTH, in: Delikte gegen das Vermögen: Art. 137-172, Kommentar, Bd. II, 1990, N. 40 zu Art. 145 StGB). Nach NIGGLI sind die persönlichen Verhältnisse des Betroffenen heranzuziehen. Bei juristischen Personen soll hingegen ein objektiver Massstab (mehr als Fr. 10'000.-) gelten (MARCEL NIGGLI, Das Verhältnis von Eigentum, Vermögen und Schaden nach schweizerischem Strafgesetz, 1992, S. 233 ff.).
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Der Richter hat bei der Prüfung der Frage, ob im konkreten Fall ein Qualifikationsgrund vorliegt, stets auch die Höhe der angedrohten Mindeststrafe zu berücksichtigen. Denn bei der Auslegung von Straftatbeständen ist auch der angedrohten Strafe Rechnung zu tragen. Dafür sprechen bereits der Grundsatz der Verhältnismässigkeit, dem gerade auch im Strafrecht eine grosse Bedeutung zukommt, und das Schuldprinzip (BGE 116 IV 319 E. 3b S. 329 f. mit Hinweisen). Während die einfache Sachbeschädigung mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit einer Geldstrafe bestraft wird, kann bei einem grossen Schaden auf eine Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren erkannt werden. Zudem erhebt Art. 144 Abs. 3 StGB den Grundtatbestand zu einem Offizialdelikt. Mit Blick auf die fakultative Strafschärfung sind die Konsequenzen eines grossen Schadens im Vergleich zur altrechtlichen obligatorischen Strafschärfung weniger einschneidend. Zu beachten ist überdies, dass der Richter auch im Rahmen des Grundtatbestands eine Strafe von beispielsweise über einem Jahr aussprechen kann, wenn Unrechts- und Schuldgehalt der Tat dies erfordern. Es scheint sachgerecht, einen Schaden von mindestens Fr. 10'000.- als gross im Sinne von Art. 144 Abs. 3 StGB zu bezeichnen. Ob bei geschädigten natürlichen oder juristischen Personen auch auf deren finanzielle Verhältnisse abzustellen ist, kann offenbleiben. Solche sind hier nicht bekannt. Der Hinweis des Beschwerdeführers auf die Höhe des Aktienkapitals der A. AG ist unbehelflich, da dieses keinerlei Rückschlüsse auf die Vermögenssituation erlaubt.
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4.3.2 Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, die exakte Schadenshöhe stehe nicht fest und die Anwendung des qualifizierten Tatbestands beruhe auf einer blossen Schadensschätzung, genügt die Beschwerde den Begründungsanforderungen nicht (Art. 106 Abs. 2 BGG). Da der Schaden im Rahmen eines Strafverfahrens regelmässig nicht exakt festgestellt werden kann, sind Schätzungen unvermeidbar. Der Beschwerdeführer kritisiert das angefochtene Urteil, ohne eine willkürliche Tatsachenfeststellung zu behaupten und aufzuzeigen. Er beschränkt sich vielmehr auf eine pauschale Kritik an der Schadensfeststellung. Dadurch vermag er keine Verfassungsverletzung darzutun. Im Übrigen wäre es ihm angesichts der in diesem Zusammenhang kleinen Zahl der Delikte zumutbar gewesen, seine Rüge für jedes Delikt und den entsprechenden Schadensbetrag zu substanziieren. Auf die Beschwerde ist in diesem Punkt nicht einzutreten.
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Selbst wenn das Vorbringen des Beschwerdeführers ausreichend substanziiert wäre, ist es in der Sache unzutreffend. Es ist nicht ersichtlich, dass der Schluss der Vorinstanz, wonach die Schäden jeweils Fr. 10'000.- übersteigen, auch im Ergebnis willkürlich wäre.
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Erwägung 4.3.3 |
4.3.3.1 Der Beschwerdeführer bringt vor, beim Qualifikationstatbestand von Art. 144 Abs. 3 StGB liege lediglich eine Strafzumessungsregel vor. Zudem sei die Straferhöhung bloss fakultativ. In BGE 125 IV 74 habe das Bundesgericht entschieden, dass im Fall der fakultativen Möglichkeit einer Strafmilderung die Verjährungsfristen des Grund- und nicht des privilegierten Tatbestands zum Tragen kämen. Dasselbe müsse auch im umgekehrten Fall gelten, wo die Berücksichtigung des verschärften Strafrahmens fakultativer Natur sei.
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4.3.3.2 Die Rüge ist unbegründet. Massgebend für die Bestimmung der Verjährungsfrist ist die vom Gesetz angedrohte Höchststrafe. Abzustellen ist somit auf ein rein formales Merkmal. Bei Strafnormen des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches, welche neben einem Grundtatbestand qualifizierte oder privilegierte Tatbestände vorsehen, ist der Strafrahmen jenes Tatbestands massgeblich, dessen der Täter beschuldigt wird. Ebenso sind die "(besonders) schweren" oder die "(besonders) leichten" Fälle zu behandeln. Das Bundesgericht erwog in BGE 108 IV 41, dass die abstrakte Betrachtungsweise nicht nur dort anwendbar sei, wo für ein und denselben Tatbestand wahlweise zwei verschiedene Arten von Strafen angedroht würden, sondern auch in den Fällen, wo neben einem Grundtatbestand durch eigens umschriebene Qualifikationen gekennzeichnete Tatbestände mit besonderen Strafdrohungen vorgesehen seien. Schärfungs- und Milderungsgründe des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches seien bei der Ermittlung der angedrohten Höchststrafe zu berücksichtigen, sofern der Richter dabei in objektiver Weise unter Vernachlässigung aller den konkreten Fall berührender subjektiver Elemente den Gehalt der betreffenden Qualifikationen feststelle (BGE 108 IV 41 E. 2 S. 42 ff.). Auch die leichten bzw. besonders leichten Fälle, welche Strafmilderungsgründe des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches darstellen, sind für die Bestimmung der Verjährungsfrist massgebend. Dies gilt jedoch nur, wenn für die privilegierten Tatbestände ein besonderer Strafrahmen und nicht bloss die Möglichkeit einer Strafmilderung vorgesehen ist. Das Bundesgericht erwog, dass der privilegierte Tatbestand der Urkundenfälschung (Art. 251 Ziff. 2 StGB) eine fakultative Strafrahmenerweiterung nach unten vorsehe. Auszugehen sei (weiterhin) von der angedrohten Höchststrafe und somit vom Grundtatbestand (BGE 125 IV 74 E. 2 S. 77 f.). Sieht der qualifizierte Tatbestand wie in Art. 144 Abs. 3 StGB eine fakultative Strafschärfung vor, so erweitert sich der Strafrahmen nach oben. Verjährungsrechtlich relevant ist die (neu) angedrohte Höchststrafe. Deshalb ist das Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach bei einer fakultativen Strafschärfung (wie richtigerweise bei einer fakultativen Strafmilderung) auf den Grundtatbestand abzustellen sei, unzutreffend. Hat der Täter einen grossen Schaden verursacht, gelten mithin längere Verjährungsfristen (vgl. aArt. 70 StGB [in der bis 30. September 2001 gültigen Fassung] und Art. 97 StGB). Diese ergänzen somit die Regelung des alten und neuen Verjährungsrechts, wonach geringfügige Sachbeschädigungen (Art. 172ter StGB) kürzeren Verjährungsfristen unterstehen (vgl. aArt. 109 und Art. 109 StGB).
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