BGE 138 IV 186 |
27. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland (Beschwerde in Strafsachen) |
1B_78/2012 vom 3. Juli 2012 |
Regeste |
Art. 46 und 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG; Art. 5 Abs. 1 BV; Art. 2 Abs. 1, Art. 319 Abs. 1 und Art. 324 Abs. 1 StPO; Fristenstillstand bei Zwischen- und Endentscheiden; Beschwerdelegitimation; Legalitätsprinzip und Grundsatz "in dubio pro duriore" bei Einstellungen. |
Beschwerdelegitimation eines nahen Angehörigen des Opfers zur Anfechtung der Einstellung einer Strafuntersuchung gegen medizinisches Personal einer Privatklinik wegen fahrlässiger Tötung (E. 1.4). |
Grundsatz "in dubio pro duriore" bei Einstellungen. Bundesrechtswidrigkeit der Verfahrenserledigung im vorliegenden Fall verneint (E. 4). |
Sachverhalt |
A. Am 20. November 2009 stürzte Y. (geb. 1941) im Zentrum für Querschnittsgelähmte und Hirnverletzte, Z. AG, auf die rechte Kopfseite. Er erlitt eine Hirnblutung, an deren Folgen er nach seiner notfallmässigen Einlieferung ins Kantonsspital Winterthur am 21. November 2009 starb. In der Folge leitete die Kantonspolizei Zürich Ermittlungen (wegen aussergewöhnlichem Todesfall) ein. Am 11. Januar 2010 stellte der Sohn des Verstorbenen, X., Strafanzeige gegen die medizinisch verantwortlichen Ärzte bzw. gegen das Pflegepersonal der Z. AG wegen fahrlässiger Tötung. Er macht Zivilansprüche als Opferangehöriger geltend. Eine von der Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland eröffnete Strafuntersuchung stellte diese mit Verfügung vom 18. April 2011 ein. Die vom Strafanzeiger dagegen erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, mit Beschluss vom 14. Dezember 2011 ab.
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B. Gegen den Beschluss des Obergerichts gelangte X. mit Beschwerde vom 1. Februar 2012 an das Bundesgericht. Er beantragt im Hauptstandpunkt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides. (...)
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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(Auszug)
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Aus den Erwägungen: |
Die Bestimmungen über die sogenannten "Gerichtsferien" (Art. 46 Abs. 1 BGG) gelten nicht im Verfahren betreffend aufschiebende Wirkung und "andere vorsorgliche Massnahmen" sowie in der Wechselbetreibung und auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen (Art. 46 Abs. 2 BGG). Strafprozessuale Zwischenentscheide, etwa betreffend Beschlagnahmungen, sind in Bezug auf den Fristenstillstand (namentlich im Interesse der Verfahrensbeschleunigung) als "andere" vorsorgliche Massnahmen (i.S. von Art. 46 Abs. 2 BGG) zu behandeln (BGE 135 I 257 E. 1.5 S. 260 f.; vgl. AEMISEGGER/FORSTER, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2. Aufl., 2011, N. 61 zu Art. 79 BGG). Beschlagnahmungen (und andere Zwangsmassnahmen wie Haftentscheide) stellen nach der Praxis des Bundesgerichtes zwar keine vorsorglichen Massnahmen im Sinne von Art. 98 BGG (beschränkte Beschwerdegründe) dar, weshalb im Rahmen der Beschwerde in Strafsachen keine Kognitionsbeschränkung erfolgt (BGE 137 IV 122 E. 2 S. 125, BGE 137 IV 340 E. 2.4 S. 346 mit Hinweisen; vgl. AEMISEGGER/FORSTER, a.a.O., N. 46 zu Art. 79 BGG). Bei Beschlagnahmungen handelt es sich jedoch um "andere" vorsorgliche Massnahmen im Sinne von Art. 46 Abs. 2 BGG, weshalb dort kein Fristenstillstand eintritt.
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1.4.2 Als naher Angehöriger der verstorbenen Person in einer Strafuntersuchung wegen fahrlässiger Tötung erfüllt der Beschwerdeführer grundsätzlich den Opferbegriff (Art. 1 Abs. 2 OHG [SR 312.5]). Er beansprucht sinngemäss Genugtuung und Schadenersatz für die Tötung seines Vaters (vgl. Art. 47 OR). Auch die kantonalen Instanzen haben die Stellung des Beschwerdeführers als Opferangehöriger bzw. Privatstrafkläger grundsätzlich anerkannt. Die Z. AG, deren Ärzte bzw. Pflegepersonal beschuldigt werden, ist eine privatrechtliche Gesellschaft, weshalb sich hier keine weiteren Fragen zur Beschwerdelegitimation stellen.
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(...)
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4.2.1 Eine Einstellung habe (nach Art. 319 Abs. 1 lit. a StPO) zu erfolgen, wenn sich ein Tatverdacht nicht in dem Masse erhärten lässt, das eine Anklage rechtfertigt. Anzuklagen sei in der Regel nur dann, wenn genügend Anhaltspunkte vorliegen, die es rechtfertigen, das Verfahren fortzuführen, und die Staatsanwaltschaft die Tatbeteiligung sowie eine Strafe bzw. Massnahme im Zeitpunkt der Anklageerhebung für wahrscheinlich hält. Keine Anklage sei zu erheben, wenn mit Sicherheit oder grosser Wahrscheinlichkeit mit einem Freispruch zu rechnen ist. Art. 319 StPO wolle zwar die beschuldigte Person vor Anklagen schützen, die mit einiger Sicherheit zu Freisprüchen führen müssten. Da die Staatsanwaltschaft aber nicht dazu berufen sei, über Recht und Unrecht zu richten, dürfe sie nicht allzu rasch, gestützt auf eigene Bedenken, zu einer Einstellung schreiten. In Zweifelsfällen beweismässiger oder rechtlicher Natur sei tendenziell Anklage zu erheben. Der Grundsatz "in dubio pro reo" (Art. 10 Abs. 3 StPO) sei in diesem Zusammenhang nicht anwendbar.
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4.2.4 Zwar seien (laut Gutachten) vor dem Unfall mehrere Situationen eingetreten, bei denen sich der Patient "inadäquat und nicht einschätzbar präsentiert" habe. Er sei jedoch auf der Überwachungsstation selbstständig mit dem Rollstuhl umhergefahren. Wohl seien seine kognitiven Hirnleistungen eingeschränkt gewesen, gelegentlich habe er auch Beatmungs- und Venenkanülen herausgezogen oder versucht, sich selber aus dem Bett oder aus dem Rollstuhl zu erheben. Solche Handlungen des Patienten hätten jedoch nur durch eine weitgehende Einschränkung seiner Mobilität und Bewegungsfreiheit völlig verhindert werden können. Ob eine entsprechende Fixierung vom Patienten selbst und von seinen Angehörigen überhaupt akzeptiert worden wäre, hätten die Gutachter aus rechtsmedizinischer Sicht nicht beurteilen können. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass das Pflegepersonal zwingend notwendige Sicherungsmassnahmen nicht umgesetzt und damit den Unfall verursacht hätte, seien jedenfalls nicht ersichtlich.
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4.3.1 Er wirft der Staatsanwaltschaft vor, sie habe nicht selber untersucht, was sich in der fraglichen Zeit (zwischen der komplikationsfrei verlaufenen Körperpflege und dem fatalen Sturz) ereignet habe. Dass die kantonalen Instanzen sich diesbezüglich primär auf die Abklärungen der medizinischen Gutachter (und den Bericht der Kantonspolizei Zürich vom 13. Januar 2010 über den aussergewöhnlichen Todesfall) stützen, ist im vorliegenden Zusammenhang nicht als bundesrechtswidrig zu beanstanden. Die Experten zogen bei ihren Abklärungen zum Ablauf der medizinischen Behandlung und Pflege namentlich die einschlägigen ärztlichen Berichte sowie die Medikations- und Pflegeprotokolle bei, die medizinischen Obduktionsbefunde, die Richtlinien der Z. AG betreffend Rollstuhlhandhabung und Sturzprävention sowie eine Fotodokumentation betreffend den verwendeten Rollstuhl inklusive Sicherheitsgurt. Der Beschwerdeführer legt nicht dar, inwieweit die Ausführungen der Gutachter in diesem Zusammenhang nicht schlüssig oder die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanzen willkürlich wären. Dies gilt insbesondere für sein Vorbringen, die von den Gutachtern mitberücksichtigten schriftlichen Richtlinien betreffend Rollstuhlhandhabung und Sturzprävention seien erst gut ein Jahr nach dem Unfallereignis erlassen worden bzw. die Verantwortlichen hätten daraus pflegetechnische Konsequenzen gezogen. Soweit der Beschwerdeführer argumentiert, bei "richtiger" Überwachung und Anlegen eines Bauch- bzw. Sicherheitsgurtes wäre es nicht zum fatalen Sturz gekommen, setzt er sich mit den Erwägungen des angefochtenen Entscheides inhaltlich nicht auseinander.
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4.3.2 Bei Würdigung sämtlicher Umstände erscheint im vorliegenden Fall die Möglichkeit einer Verurteilung der beanzeigten Personen (im Sinne der in E. 4.1 dargelegten Rechtsprechung) nicht deutlich wahrscheinlicher als ein Freispruch. Ebenso wenig sind willkürliche Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz ersichtlich. Die Einstellung der Untersuchung hält vor dem Bundesrecht stand.
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