BGE 141 IV 87 |
11. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern (Beschwerde in Strafsachen) |
6B_718/2014 vom 10. Dezember 2014 |
Regeste |
Art. 197, 255 Abs. 2 lit. a und Art. 260 Abs. 3 StPO; hinreichender Tatverdacht bei Zwangsmassnahmen; Erstellung von DNA-Profilen; erkennungsdienstliche Erfassung. |
Die Erstellung eines DNA-Profils ist von der Staatsanwaltschaft (oder vom Gericht) anzuordnen. Art. 255 StPO ermöglicht nicht die routinemässige (invasive) Entnahme von DNA-Proben und deren Analyse. Die Kompetenz zur Erstellung von DNA-Profilen kann nicht durch generelle Weisungen der Generalstaatsanwaltschaft auf die Polizei übertragen werden (E. 1.3.2 und 1.4.2). |
Die mündliche Anordnung einer erkennungsdienstlichen Erfassung ist nur zulässig, wenn die Zwangsmassnahme unaufschiebbar ist. Abstrakte Zweckmässigkeitsüberlegungen können die gesetzlich vorgeschriebene Dringlichkeit nicht ersetzen (E. 1.3.3 und 1.4.3). |
Sachverhalt |
A. Am 30. Januar 2013 deponierte X. zusammen mit drei weiteren Personen während eines Asylsymposiums in der Universität Bern Mist auf Tischen im Vortragsraum. Die Kantonspolizei nahm die Personalien der vier Personen beim Verlassen des Universitätsgebäudes auf und stellte bei einer der vier Festgenommenen (nicht X.) auf dem Polizeirevier ein Informationsblatt über das Asylsymposium sicher. Alle vier Personen machten im Rahmen der polizeilichen Befragung von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch und stimmten einer erkennungsdienstlichen Behandlung nicht zu. Nachdem die Kantonspolizei dem zuständigen Staatsanwalt telefonisch mitgeteilt hatte, die Festgenommenen hätten eine Sachbeschädigung begangen und könnten für weitere Straftaten in Frage kommen, ordnete dieser telefonisch die erkennungsdienstliche Erfassung an. Zudem veranlasste die Kantonspolizei bei allen vier Personen die Entnahme einer DNA-Probe mittels Wangenschleimhautabstrichs und die Erstellung von DNA-Profilen. Auf telefonische Nachfrage informierte die Universität Bern die Kantonspolizei am gleichen Tag, dass die Tische ohne Beschädigung hatten gereinigt werden können und dass keine Strafanzeige erstattet werde.
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Die Staatsanwaltschaft bestätigte die erkennungsdienstliche Erfassung am 31. Januar 2013 schriftlich und führte zur Begründung aus, bei der Überprüfung der Personalien habe sich herausgestellt, dass eine der vier festgenommenen Personen (ebenfalls nicht X.) bereits am 21. Januar 2013 eine Asylkonferenz in Bern hatte stören wollen. Keine Person sei zur Aussage bereit gewesen, weshalb unter den gegebenen Umständen mit einer substanziell erhöhten Wahrscheinlichkeit zu rechnen sei, dass sich die vier Personen in der Vergangenheit oder in Zukunft anderer Delikte gewisser Schwere schuldig gemacht haben oder machen werden. Die erkennungsdienstliche Erfassung erweise sich angesichts der Geringfügigkeit des Eingriffs als verhältnismässig.
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B. Mit revidiertem Strafbefehl vom 13. März 2013 verurteilte die Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland X. wegen Verunreinigung fremden Eigentums zu einer Busse von Fr. 100.- und auferlegte ihr die Verfahrenskosten von Fr. 100.-. Zudem verfügte sie die umgehende Löschung der erkennungsdienstlichen Daten und des DNA-Profils nach Eintritt der Rechtskraft des Strafbefehls. X. erhob gegen den Strafbefehl erneut Einsprache mit dem Antrag, ihr sei eine Genugtuung von Fr. 1.- zuzusprechen, eventualiter sei an Stelle einer finanziellen Genugtuung festzustellen, dass die Durchführung der erkennungsdienstlichen Massnahmen und die Entnahme der DNA-Probe rechtswidrig erfolgt seien. Zudem sei die unverzügliche Löschung der Daten anzuordnen. Schuldspruch und Kostenentscheid blieben (erneut) unangefochten. Das Regionalgericht Bern-Mittelland wies die Einsprache mit Verfügung vom 21. Juni 2013 im schriftlichen Verfahren ab und stellte fest, dass der Strafbefehl in Rechtskraft erwachsen ist. Die Kosten des Einspracheverfahrens auferlegte es X. Die hiergegen ergriffene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Bern am 23. Juni 2014 ab. Es stellte fest, dass der Strafbefehl vom 13. März 2013 in Rechtskraft erwachsen ist (Ziff. I des Urteilsdispositivs) und die Zwangsmassnahmen rechtmässig erfolgt sind (Ziff. II des Urteilsdispositivs). Die Verfahrenskosten erster (Fr. 400.-) und zweiter Instanz (Fr. 500.-) auferlegte es X. (Ziff. III des Urteilsdispositivs).
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C. X. führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, Ziff. II und III des obergerichtlichen Urteils seien aufzuheben, und es sei festzustellen, dass die erkennungsdienstlichen Massnahmen, die Entnahme einer DNA-Probe und die Erstellung einer DNA-Analyse widerrechtlich erfolgten. Eventualiter sei ihr wegen der rechtswidrigen Zwangsmassnahmen eine Genugtuung von F. 1.- zuzusprechen; subeventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Das Obergericht und die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern haben auf Vernehmlassungen verzichtet.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
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Aus den Erwägungen: |
Erwägung 1 |
Erwägung 1.3 |
1.3.2 Gemäss Art. 255 Abs. 2 lit. a StPO kann die Polizei die nicht invasive Probenahme bei Personen anordnen. Die Erstellung eines Profils ist allerdings auch in solchen Fällen von der Staatsanwaltschaft (oder vom Gericht) anzuordnen (Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1241 Ziff. 2.5.5; FRICKER/MAEDER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 29 zu Art. 255 StPO; NIKLAUS SCHMID, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 2. Aufl. 2013, N. 12 zu Art. 255 StPO; THOMAS HANSJAKOB, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, N. 21 zu Art. 255 StPO).
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Erwägung 1.4 |
Die Zwangsmassnahmen lassen sich auch nicht mit anderen, möglicherweise von der Beschwerdeführerin begangenen oder noch zu begehenden Straftaten begründen. Insoweit fehlt es bereits offensichtlich an konkreten Anhaltspunkten, die einen hinreichenden Tatverdacht im Sinne von Art. 197 Abs. 1 lit. b StPO begründen könnten. Die Vorinstanz geht selbst von einem lediglich eher vagen Tatverdacht aus. Sie legt nicht dar, inwieweit der Versuch einer anderen an der Protestaktion vom 30. Januar 2013 beteiligten Person, eine zehn Tage zuvor abgehaltene Konferenz mittels Transparent und Kundgebung stören zu wollen, und das nicht bei der Beschwerdeführerin sichergestellte Informationsblatt gegen diese einen hinreichenden Tatverdacht auf ein Offizialdelikt begründen sollen, das seinerseits die Anordnung von Zwangsmassnahmen erlaubt. Dies ist auch nicht ersichtlich.
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1.4.2 Die Kantonspolizei durfte die Erstellung des DNA-Profils nicht selbst anordnen. Die nicht in den Akten liegende Weisung der Generalstaatsanwaltschaft, "bei nicht invasiven Probeentnahmen gemäss Art. 255 Abs. 2 lit. a StPO (...) in den Fällen von Art. 255 Abs. 1 lit. a, b und c StPO (...) generell die Analyse der DNA-Proben zwecks Erstellung eines DNA-Profils" vorzunehmen, erweist sich in mehrfacher Hinsicht als bundesrechtswidrig. Art. 255 StPO ermöglicht nicht bei jedem hinreichenden Tatverdacht die routinemässige (invasive) Entnahme von DNA-Proben, geschweige denn deren generelle Analyse (vgl. Urteil 1B_685/2011 vom 23. Februar 2012 E. 3.3; FRICKER/MAEDER, a.a.O., N. 9 zu Art. 255 StPO; SCHMID, a.a.O., N. 4 zu Art. 255 StPO; a.A. HANSJAKOB, a.a.O., N. 21 zu Art. 255 StPO). Erforderlich ist eine Prüfung des jeweiligen Einzelfalls. Zudem hebt die Weisung die vom Gesetzgeber vorgesehene Differenzierung von DNA-Entnahme und DNA-Profil-Erstellung und die damit verbundenen unterschiedlichen Anordnungskompetenzen faktisch auf und überträgt diese in einer Vielzahl von Fällen der Polizei.
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1.4.3 Die erkennungsdienstliche Erfassung durfte mangels Dringlichkeit nicht mündlich angeordnet werden (vgl. Art. 260 Abs. 3 StPO). Die Vorinstanz legt nicht dar, warum die personenbezogene Zwangsmassnahme im Hinblick auf mögliche weitere (Sachbeschädigungs-)Delikte unaufschiebbar gewesen sein soll. Identität und Adresse der Beschwerdeführerin waren bekannt und die erkennungsdienstliche Erfassung hätte - wie die Vorinstanz in Bezug auf die Anlasstat in der Universität Bern zutreffend ausführt - jederzeit nachgeholt werden können. Abstrakte Zweckmässigkeitsüberlegungen vermögen die für jeden Einzelfall zu prüfenden gesetzlichen Voraussetzungen nicht zu ersetzen. Dass die sofortige Anordnung und Durchführung der Zwangsmassnahmen (auch) im Interesse der Beschwerdeführerin gelegen haben könnte, ist vor dem Hintergrund, dass sie diesen ausdrücklich widersprochen und anschliessend mit allen ihr zur Verfügung stehenden Rechtsmitteln dagegen vorgegangen ist, nicht nachvollziehbar.
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