BGE 141 IV 132 |
16. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Wallis und A. (Beschwerde in Strafsachen) |
6B_818/2014 vom 8. April 2015 |
Regeste |
Unrechtmässiger Besitz von Waffen und Waffenzubehör; Verletzung der Meldepflicht; unberechtigtes Tragen von Waffen; Art. 4 ff., 27 Abs. 1, Art. 33 Abs. 1 lit. a, Art. 34 Abs. 1 lit. i, Art. 42 Abs. 5-7 WG. |
Die blosse Verletzung der Meldepflicht von Art. 42 Abs. 5 WG ist ausschliesslich nach Art. 34 Abs. 1 lit. i WG zu ahnden. Eine Bestrafung wegen unrechtmässigen Besitzes nach Art. 33 Abs. 1 lit. a WG kommt in Betracht, wenn die betroffene Person sowohl die dreimonatige Meldefrist von Art. 42 Abs. 5 WG als auch die Frist von Art. 42 Abs. 6 WG unbenutzt verstreichen liess (E. 2.5.2). Der Meldepflicht von Art. 42 Abs. 5 WG unterstehen verbotene Waffen im Sinne von Art. 5 Abs. 2 WG. Waffen, für deren Besitz keine kantonale Ausnahmebewilligung erforderlich ist, sondern ein Waffenerwerbsschein genügt, werden von der Bestimmung nicht erfasst (E. 2.7.2). Konkurrenz zwischen Art. 34 Abs. 1 lit. i WG und Art. 33 Abs. 1 lit. a WG (E. 2.7.3). |
Der seit der Revision des Waffengesetzes vom 22. Juni 2007 in Art. 27 WG neu verwendete Begriff der "öffentlich zugänglichen Orte" stellt keine Erweiterung des Anwendungsbereichs, sondern eine Präzisierung des Begriffs der "Öffentlichkeit" im Sinne von aArt. 27 Abs. 1 WG dar (E. 3.2.2). Begriff der "öffentlich zugänglichen Orte" (E. 3.2.2 und 3.2.3). Zu einem Haus gehörende Plätze, Höfe oder Gärten sind in Anlehnung an Art. 186 StGB und die dazu ergangene Rechtsprechung nicht "öffentlich" bzw. der "Öffentlichkeit nicht zugänglich" im Sinne von Art. 27 Abs. 1 WG, wenn sie umfriedet sind. Offene Plätze zählen, auch wenn sie zu einem Haus gehören, nicht zu den geschützten Objekten im Sinne von Art. 186 StGB und sind insofern öffentlich zugänglich (E. 3.2.4). Anforderungen an die Anklageschrift (E. 3.4). |
Sachverhalt |
A. Das Kantonsgericht Wallis verurteilte X. am 6. Juni 2014 zweitinstanzlich wegen Sachbeschädigung (Art. 144 i.V.m. Art. 110 Abs. 3bis StGB) sowie mehrfachen unberechtigten Tragens und Besitzes von Waffen und Waffenzubehör (Art. 33 Abs. 1 lit. a des Bundesgesetzes vom 20. Juni 1997 über Waffen, Waffenzubehör und Munition [Waffengesetz, WG; SR 514.54]) zu einer bedingten Geldstrafe von 54 Tagessätzen zu Fr. 80.- und einer Busse von Fr. 1'020.-. Es verpflichtete ihn, A. für das erstinstanzliche Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 3'100.- und für das zweitinstanzliche Verfahren eine solche von Fr. 1'000.- zu bezahlen.
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X. nahm in den Jahren 2006 bis 2009 auf dem Vorplatz auf der Westseite seines Stalls unter freiem Himmel und öffentlich zugänglich Hofschlachtungen vor. Am 20. August 2009 schoss er auf den Jagdhund von A. Das Tier musste aufgrund der erlittenen Verletzungen noch gleichentags eingeschläfert werden. X. trug anlässlich der Schlachtungen sowie am 20. August 2009 jeweils ohne Waffentragbewilligung eine Waffe auf öffentlichem Grund. Er besass zudem unberechtigt zwei Schalldämpfer, ein Laserzielgerät und drei Pistolen.
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B. X. beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, ihn von den Vorwürfen der Sachbeschädigung sowie des unberechtigten Tragens und Besitzes von Waffen und Waffenzubehör freizusprechen und A. keine Parteientschädigung zuzusprechen. Eventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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C. Das Kantonsgericht reichte eine Stellungnahme ein. Die Staatsanwaltschaft liess sich nicht vernehmen. A. wurde nicht zur Stellungnahme aufgefordert.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
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Aus den Erwägungen: |
2.2 Der Beschwerdeführer hält dem entgegen, es sei nicht ersichtlich, weshalb der Gesetzgeber in Art. 34 Abs. 1 lit. i WG die Verletzung der Meldepflicht von Art. 42 Abs. 5 WG unter Strafe stelle, wenn bei unbenutztem Ablauf der Meldefrist der Tatbestand des unberechtigten Besitzes gemäss Art. 33 Abs. 1 lit. a WG zur Anwendung gelange. Dadurch werde der Tatbestand der Meldepflichtverletzung seines Sinnes entleert. Anders als in Art. 42 Abs. 1 WG präzisiere der Gesetzgeber in Art. 42 Abs. 5 WG nicht, dass die Berechtigung zum Besitz der Waffe hinfällig werde, falls der Meldepflicht nicht nachgekommen werde.
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Erwägung 2.4 |
2.4.3 Das Waffenbesitzverbot von Art. 5 Abs. 2 WG wurde mit der auf den 12. Dezember 2008 in Kraft getretenen Revision des Waffengesetzes neu in das Gesetz aufgenommen (vgl. Botschaft vom 1. Oktober 2004 zur Genehmigung der bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union, einschliesslich der Erlasse zur Umsetzung der Abkommen [«Bilaterale II»], BBl 2004 5965 ff., 6264 zu Art. 5; Botschaft vom 11. Januar 2006 zur Änderung des Bundesgesetzes über Waffen, Waffenzubehör und Munition, BBl 2006 2713 ff., 2731 zu Art. 5).
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Wer die in Art. 5 Abs. 2 WG aufgeführten Waffen unter dem neuen Waffenrecht weiterhin besitzen möchte, hat dafür innerhalb von sechs Monaten nach Inkrafttreten des Verbots nach Art. 5 Abs. 2 WG ein Gesuch um eine Ausnahmebewilligung im Sinne von Art. 5 Abs. 4 WG einzureichen (Art. 42 Abs. 6 Satz 1 und 3 WG; BBl 2006 2731 zu Art. 5). Eine Ausnahmebewilligung zum Erwerb nach altem oder geltendem Recht berechtigt zum weiteren Besitz der betreffenden Waffe (BBl 2006 2731 zu Art. 5). Ausgenommen von der Pflicht zur Einreichung eines Gesuchs um eine Ausnahmebewilligung nach Art. 42 Abs. 6 WG ist daher, wer bereits eine gültige Ausnahmebewilligung zum Erwerb der Waffe hat (Art. 42 Abs. 6 Satz 2 WG). Ist dies nicht der Fall und wird keine Ausnahmebewilligung beantragt oder ein solches Gesuch abgelehnt, so muss der Besitzer die Waffe an eine berechtigte Person veräussern oder zur Aufbewahrung übertragen, ansonsten er wegen unberechtigten Besitzes nach Art. 33 Abs.1 lit. a WG belangt werden kann (Art. 42 Abs. 6 Satz 3 und Abs. 7 WG; BBl 2006 2731 zu Art. 5).
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2.4.5 Der Erwerb von Waffenzubehör ist nach altem und neuem Recht nur mit einer Ausnahmebewilligung zulässig (Art. 5 Abs. 1 lit. g i.V.m. Art. 5 Abs. 4 WG; aArt. 5 Abs. 1 lit. e i.V.m. aArt. 5 Abs. 3 lit. a WG). Das Gesetz definiert das Waffenzubehör abschliessend (BBl 2006 2730 zu Art. 4). Darunter fallen Schalldämpfer sowie Laser- und Nachtsichtzielgeräte (Art. 4 Abs. 2 lit. a und b WG; aArt. 4 Abs. 2 lit. a und b WG). Seit der Gesetzesänderung vom 22. Juni 2007 werden als Waffenzubehör zudem auch jene Bestandteile erfasst, mit denen das Waffenzubehör mit wenigen Handgriffen hergestellt werden kann (besonders konstruierte Bestandteile), sowie Granatwerfer, die als Zusatz zu einer Feuerwaffe konstruiert wurden (Art. 4 Abs. 2 lit. a-c WG; BBl 2006 2730 zu Art. 5).
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Erwägung 2.5 |
2.5.2 Werden die in Art. 42 Abs. 5-7 WG vorgesehenen Fristen nicht eingehalten, so werden die Gegenstände gemäss der bundesrätlichen Botschaft nach Art. 31 WG wegen unerlaubten Besitzes von Waffen etc. beschlagnahmt. Der Besitzer wird zudem nach Art. 33 Abs. 1 lit. a WG bestraft (BBl 2006 2751 zu Art. 42). Eine solche Bestrafung kommt entgegen der Auffassung der Vorinstanz nur in Betracht, wenn die betroffene Person sowohl die dreimonatige Meldefrist von Art. 42 Abs. 5 WG als auch die Frist von Art. 42 Abs. 6 WG unbenutzt verstreichen liess. Die Verletzung der Meldepflicht von Art. 42 Abs. 5 WG wird in Art. 34 Abs. 1 lit. i WG ausdrücklich als Übertretung geahndet. Nach Art. 42 Abs. 6 WG, der eine Übergangsbestimmung zur Regelung der Besitzverhältnisse enthält (BBl 2006 2751 zu Art. 42), ist ein Gesuch um eine Ausnahmebewilligung zudem nicht erforderlich, wenn der Besitzer eine solche bereits hat. Die Botschaft hält dazu unmissverständlich fest, eine Ausnahmebewilligung zum Erwerb nach altem oder geltendem Recht berechtige zum weiteren Besitz der betreffenden Waffe (BBl 2006 2731 zu Art. 5; oben E. 2.4.3). Der Besitz erfolgt daher nicht ohne Berechtigung, wenn unter altem Recht eine gültige Ausnahmebewilligung zum Erwerb der Waffe erworben und nur die Meldepflicht von Art. 42 Abs. 5 WG missachtet wurde. Gleich verhält es sich, wenn vor Inkrafttreten des revidierten Waffengesetzes eine Ausnahmebewilligung für den Erwerb von Schalldämpfern, Laser- oder Nachtsichtzielgeräten eingeholt wurde. Die blosse Verletzung der Meldepflicht ist ausschliesslich nach Art. 34 Abs. 1 lit. i WG zu ahnden.
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Erwägung 2.7 |
Pistolen fallen grundsätzlich nicht unter Art. 5 Abs. 2 WG. Sie können mit einem Waffenerwerbsschein erworben werden (Art. 8 ff. WG) und bedürfen keiner kantonalen Ausnahmebewilligung (vgl. Schweizerisches Waffenrecht, Merkblatt des Bundesamtes für Polizei, Stand September 2014; BBl 2014 316). Entsprechend unterliegen sie keiner Meldepflicht im Sinne von Art. 42 Abs. 5 WG. Dem angefochtenen Entscheid kann nicht entnommen werden, weshalb bezüglich der Pistolen im Besitz des Beschwerdeführers von einer Waffe im Sinne von Art. 5 Abs. 2 WG auszugehen ist. Die Vorinstanz legt insbesondere nicht dar, es handle sich dabei um Seriefeuerwaffen (Maschinenpistolen).
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Die Frage braucht jedoch nicht abschliessend beantwortet zu werden, da vorliegend eine Bestrafung wegen Verletzung der Meldepflicht von Art. 42 Abs. 5 WG (Art. 34 Abs. 1 lit. i WG) zusätzlich zu einer solchen wegen unrechtmässigen Besitzes nach Art. 33 Abs. 1 lit. a WG bereits aufgrund des in Art. 391 Abs. 2 StPO verankerten Verbots der reformatio in peius nicht in Betracht kommt. Dieses untersagt nach der Rechtsprechung nicht nur eine Verschärfung der Sanktion, sondern auch eine härtere rechtliche Qualifikation der Tat. Letzteres ist der Fall, wenn der neue Straftatbestand eine höhere Strafdrohung vorsieht, sowie bei zusätzlichen Schuldsprüchen (BGE 139 IV 282 E. 2.5). Massgebend ist das Dispositiv (BGE 139 IV 282 E. 2.6).
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Erwägung 3 |
Erwägung 3.2 |
3.2.1 Wer vorsätzlich ohne Berechtigung Waffen trägt, erfüllt den Tatbestand von Art. 33 Abs. 1 lit. a WG. Das unberechtigte Tragen von Waffen war bereits vor Inkrafttreten des revidierten Waffengesetzes am 12. Dezember 2008 nach aArt. 33 Abs. 1 lit. a WG strafbar.
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Der seit der Revision des Waffengesetzes vom 22. Juni 2007 in Art. 27 WG neu verwendete Begriff der "öffentlich zugänglichen Orte" dient der Klarstellung. Er stellt keine Erweiterung des Anwendungsbereichs, sondern eine Präzisierung des Begriffs der "Öffentlichkeit" im Sinne von aArt. 27 Abs. 1 WG dar (GERHARD FIOLKA, Das Tragen von Waffen an öffentlich zugänglichen Orten unter Berücksichtigung des Revisionsentwurfes vom 20. September 2002, AJP 2003 S. 940 f.; DANIEL MEIER, Stellungnahme zum Aufsatz "Das Tragen von Waffen an öffentlich zugänglichen Orten" von G. Fiolka, AJP 2003 S. 1254). Mit dem Begriff der "öffentlich zugänglichen Orte" soll gemäss der Botschaft zum Ausdruck gebracht werden, dass das Tragen von Waffen auch diejenigen Bereiche von Lokalitäten einschliesst, die sich zwar im Eigentum von Privatpersonen befinden, die jedoch für eine nicht präzis definierbare Anzahl Personen (etwa die Kundschaft einer Bar) zugänglich sind. Damit wollte der Gesetzgeber dem häufig auftretenden Rechtsirrtum vorbeugen, Waffen dürften in einem privat geführten Lokal (z.B. Klub, Konzertlokal) bewilligungsfrei getragen werden (BBl 2006 2741 zu Art. 27).
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3.2.4 Ob ein Ort öffentlich zugänglich ist, beurteilt sich nicht nur nach rechtlichen (Privateigentum), sondern auch nach faktischen Gesichtspunkten. Zu einem Haus gehörende Plätze, Höfe oder Gärten sind in Anlehnung an Art. 186 StGB und die dazu ergangene Rechtsprechung nicht "öffentlich" bzw. der "Öffentlichkeit nicht zugänglich" im Sinne von Art. 27 Abs. 1 WG, wenn sie umfriedet sind (FIOLKA, a.a.O., S. 939 f.; zustimmend MEIER, a.a.O., S. 1253). Umfriedet bedeutet, dass solche Flächen umschlossen sein müssen, etwa durch Zäune, Mauern oder Hecken. Massgebend ist die Erkennbarkeit der Abgrenzung und nicht deren Lückenlosigkeit (Urteil 6B_1056/2013 vom 20. August 2014 E. 2.1; ANDREAS DONATSCH, Delikte gegen den Einzelnen, 10. Aufl. 2013, S. 476; DELNON/RÜDY, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. II, 3. Aufl. 2013, N. 16 zu Art. 186 StGB). Offene Plätze zählen, auch wenn sie zu einem Haus gehören, nicht zu den geschützten Objekten im Sinne von Art. 186 StGB und sind insofern öffentlich zugänglich. An ihnen kann kein Hausrecht ausgeübt werden.
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Erwägung 3.3 |
Erwägung 3.4 |
3.4.1 Der Beschwerdeführer macht sinngemäss auch eine Verletzung des Anklageprinzips geltend. Nach diesem aus Art. 29 Abs. 2 und Art. 32 Abs. 2 BV sowie aus Art. 6 Ziff. 1 und 3 lit. a und b EMRK abgeleiteten und nunmehr in Art. 9 Abs. 1 StPO festgeschriebenen Grundsatz bestimmt die Anklageschrift den Gegenstand des Gerichtsverfahrens (Umgrenzungsfunktion). Die Anklage hat die der beschuldigten Person zur Last gelegten Delikte in ihrem Sachverhalt so präzise zu umschreiben, dass die Vorwürfe in objektiver und subjektiver Hinsicht genügend konkretisiert sind. Zugleich bezweckt das Anklageprinzip den Schutz der Verteidigungsrechte der angeschuldigten Person und garantiert den Anspruch auf rechtliches Gehör (Informationsfunktion; BGE 133 IV 235 E. 6.2 f.; BGE 126 I 19 E. 2a; je mit Hinweisen). Gemäss Art. 325 Abs. 1 lit. f StPO bezeichnet die Anklageschrift möglichst kurz, aber genau die der beschuldigten Person vorgeworfenen Taten mit Beschreibung von Ort, Datum, Zeit, Art und Folgen der Tatausführung.
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