BGE 143 IV 313
 
40. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. und Mitb. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen (Beschwerde in Strafsachen)
 
6B_942/2016 vom 7. September 2017
 
Regeste
Art. 55 SVG, Art. 198 Abs. 1 lit. a StPO; Zuständigkeit für die Anordnung einer Blutentnahme.
 
Sachverhalt
A. X. wurde am 26. Juli 2015 um 3:50 Uhr als Lenker eines Personenwagens von der Polizei angehalten und kontrolliert. Ein Drogenschnelltest lieferte ein positives Ergebnis auf Alt- und Frischkonsum von Cannabis. In der Folge wurde eine Blut- und Urinprobe entnommen. Im Blut konnte kein aktiver Cannabiswirkstoff (THC), sondern nur THC-Carbonsäure (ein inaktives Cannabis-Abbauprodukt) nachgewiesen werden.
B. In Bezug auf den Tatbestand des Fahrens in nicht fahrfähigem Zustand verfügte das Untersuchungsamt Altstätten am17. Dezember 2015 die Einstellung des Verfahrens. Wegen des vorangegangenen Drogenkonsums erliess es einen Strafbefehl.
C. X. und die A. GmbH erhoben Beschwerde gegen die Einstellungsverfügung. Diese betraf Fragen der Entschädigungen und Genugtuungen, der Verwertbarkeit verschiedener Beweismittel sowie der Mitteilung der Einstellungsverfügung an das Strassenverkehrsamt und die Polizei.
Die Anklagekammer des Kantons St. Gallen wies am 8. Juni 2016 die Beschwerde ab, soweit sie darauf eintrat. Die Verfahrenskosten von insgesamt Fr. 4'000.- wurden den Beschwerdeführern (Fr. 2'000.-) und Rechtsanwalt B. als deren Rechtsvertreter (Fr. 2'000.-) unter solidarischer Haftung auferlegt.
D. X. (Beschwerdeführer 1), die A. GmbH und Rechtsanwalt B. führen Beschwerde in Strafsachen. Sie beantragen, der Entscheid der Anklagekammer sei aufzuheben und die Sache sei an die Vorinstanz zurückzuweisen. Eventualiter seien X. verschiedene Entschädigungen und Genugtuungen zuzusprechen. X. und der A. GmbH sei für das vorinstanzliche Verfahren eine Parteientschädigung zuzusprechen; die vorinstanzlichen Verfahrenskosten seien auf die Staatskasse zu nehmen. Es sei festzustellen, dass verschiedene Gegenstände, Unterlagen und Ergebnisse unverwertbar seien; die damit verbundenen Aufzeichnungen seien aus den Akten zu entfernen oder zu schwärzen und nach Abschluss des Verfahrens zu vernichten. Von einer Mitteilung der Einstellungsverfügung an das Strassenverkehrsamt des Kantons St. Gallen sowie an die Innenfahndung der Kantonspolizei St. Gallen sei abzusehen. Vor dem Bundesgericht sei eine mündliche Verhandlung durchzuführen.
E. Das Untersuchungsamt Altstätten beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen. Die Anklagekammer verzichtet auf eine Vernehmlassung. Eine Replik wurde am 15. Mai 2017 eingereicht.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
 
Aus den Erwägungen:
5.2 Nach Art. 55 Abs. 3 lit. a SVG (in der bis zum 30. September 2016 geltenden Fassung) ist eine Blutprobe anzuordnen, wenn Anzeichen von Fahrunfähigkeit vorliegen. Soweit Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit aufgrund des Verdachts einer Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsgesetz oder anderer Gesetze durchzuführen sind, handelt es sich um Beweisabnahmen im Sinne der StPO. Diese regelt auch die Zuständigkeit für die Durchführung und Anordnung solcher Massnahmen, weshalb das Strassenverkehrsgesetz keine entsprechenden Bestimmungen mehr enthält. Für die Anordnung der Blutentnahme ist nach Art. 198 Abs. 1 lit. a StPO die Staatsanwaltschaft zuständig. Eine solche Anordnung kann gemäss Art. 241 Abs. 1 StPO auch zunächst mündlich, mithin telefonisch durch den Pikettstaatsanwalt erfolgen (Urteile 6B_532/2016 vom 15. Dezember 2016 E. 1.4.1; 6B_996/2016 vom 11. April 2017 E. 3.3; mit Hinweisen). Bei der Blutentnahme handelt es sich um eine Zwangsmassnahme, welche selbst dann von der Staatsanwaltschaft angeordnet werden muss, wenn der Betroffene in diese einwilligt. Für eine kantonale Bestimmung, welche die Zuständigkeit für die Anordnung einer Blutprobe unter bestimmten Bedingungen der Polizei überträgt, besteht kein Raum (Urteil 6B_1000/2016 vom 4. April 2017 E. 2.3.1 und 2.3.2 mit Hinweisen). Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang darauf, dass in Fällen, in welchen Anzeichen auf Fahrunfähigkeit bestehen, die ausschliesslich auf Alkoholeinfluss zurückzuführen sind, eine Blutprobe nur noch in Ausnahmefällen anzuordnen ist (vgl. Art. 55 Abs. 3 und 3bis SVG sowie Art. 12 der Verordnung vom 28. März 2007 über die Kontrolle des Strassenverkehrs[Strassenverkehrskontrollverordnung, SKV; SR 741.013] in den seit1. Oktober 2016 geltenden Fassungen). Weiterhin erforderlich bleibt die Anordnung einer Blutprobe zum Nachweis anderer Substanzen als Alkohol (Art. 55 Abs. 3 lit. a SVG und Art. 12a SKV in den seit 1. Oktober 2016 geltenden Fassungen). Von den Fällen, in welchen Anzeichen für eine Fahrunfähigkeit bestehen, dürfte es sich hierbei um eine Minderheit handeln.
Die Blutprobe wurde ohne Zutun der Staatsanwaltschaft von der Polizei angeordnet. Es handelt sich somit um eine rechtswidrige Zwangsmassnahme im Sinne von Art. 431 Abs. 1 StPO. Die Beschwerde ist in diesem Punkt begründet und die Sache ist an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese über die daraus entstehenden Ansprüche des Beschwerdeführers 1 befindet. (...)