BGE 145 IV 80 |
9. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Beschwerde in Strafsachen) |
6B_91/2018 vom 27. Dezember 2018 |
Art. 96 Abs. 1 StPO; Bekanntgabe und Verwendung von Personendaten bei hängigem Strafverfahren. |
Vorgehen bei Pfändung eines aus der strafprozessualen Beschlagnahme zu entlassenden Vermögenswerts durch das Betreibungsamt. |
Sachverhalt |
A. Die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich führte eine Strafuntersuchung gegen X. wegen Verdachts auf Versicherungsbetrug, Drohung, Nötigung, Tätlichkeiten und Widerhandlungen gegen das Waffen- und Betäubungsmittelgesetz. Am 11. Juli 2016 beschlagnahmte sie einen bei X. sichergestellten Bargeldbetrag von Fr. 7'000.-, wobei sich kurz daraufhin herausstellte, dass dieser das Geld zwei Tage zuvor im Casino gewonnen hatte. Da der Betreibungsregisterauszug von X. mehrere betreibungsrechtliche Ereignisse gegen diesen aufwies, die teilweise in nicht getilgte Verlustscheine mündeten, informierte die Staatsanwaltschaft mit Blick auf den bevorstehenden Abschluss der Strafuntersuchung am 22. Juni 2017 das Betreibungs- und Gemeindeammannamt N. (nachfolgend: Betreibungsamt) über die sichergestellten Fr. 7'000.- und erkundigte sich, ob der Betroffene in den zwei Wochen vor dem 11. Juli 2016 frei über Bargeld habe verfügen dürfen. Mit Antwortschreiben vom 7. Juli 2017 teilte das Betreibungsamt der Staatsanwaltschaft mit, X. sei im fraglichen Zeitraum gepfändet worden. Jedes Einkommen (Geld), auch nicht durch Arbeitserwerb, welches das monatliche festgelegte Existenzminimum von Fr. 1'880.- übersteige, hätte dem Betreibungsamt abgeliefert werden müssen. Anschliessend hielt es fest: "Somit pfänden wir den Betrag von Fr. 7'000.- bei der Staatsanwaltschaft IV Zürich ein und bitten sie höflich den Betrag auf unser PC-Konto x zu überweisen mit dem Vermerk BR - 26'994."
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B. Mit Verfügung vom 10. Juli 2017 stellte die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich das Verfahren teilweise ein. Ausserdem ordnete sie unter anderem an, dass der am 11. Juli 2016 beschlagnahmte Bargeldbetrag in der Höhe von Fr. 7'000.- dem Betreibungsamt überwiesen werde.
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C. Mit Beschluss vom 5. Dezember 2017 wies das Obergericht Zürich die dagegen erhobene Beschwerde in Bezug auf die beantragte Herausgabe der beschlagnahmten Fr. 7'000.- ab.
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D. X. führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, der Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich sei insoweit aufzuheben, als dass die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich anzuweisen sei, den am 11. Juli 2016 sichergestellten Bargeldbetrag in der Höhe von Fr. 7'000.- seinem Rechtsvertreter Thomas Schütz zu seinen Handen herauszugeben. Eventualiter sei die Sache insoweit zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Zudem ersucht er für das Verfahren vor Bundesgericht um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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Aus den Erwägungen: |
Erwägung 1 |
1.1 Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz habe die Anordnung der Staatsanwaltschaft, den beschlagnahmten Bargeldbetrag von Fr. 7'000.- an das Betreibungsamt zu überweisen, zu Unrecht geschützt. Die Staatsanwaltschaft sei nicht befugt gewesen, das Betreibungsamt über den aus der Beschlagnahme zu entlassenden Geldbetrag zu orientieren. Art. 96 Abs. 1 StPO stelle keine hinreichende Grundlage für einen solchen Informationsaustausch dar. Bei den weitergegebenen Angaben handle es sich nicht um Personendaten im Sinne von Art. 96 Abs. 1 StPO. Ohnehin erlaube diese Bestimmung den Strafbehörden nicht, Daten an schweizerische Zivil- und Verwaltungsbehörden zu übermitteln. Da es an einer genügenden gesetzlichen Grundlage fehle, sei die Weitergabe der Information rechtswidrig erfolgt. Dem Beschwerdeführer dürfe daraus kein Nachteil erwachsen. Er sei so zu stellen, als hätte dieser rechtswidrige Informationsaustausch nie stattgefunden, weshalb die Staatsanwaltschaft ihm den mittels Verfügung dem Betreibungsamt zugewiesenen, jedoch noch nicht ausbezahlten Betrag von Fr. 7'000.- herauszugeben hätte.
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1.3 Gemäss Art. 96 Abs. 1 StPO darf die Strafbehörde aus einem hängigen Verfahren Personendaten zwecks Verwendung in einem anderen hängigen Verfahren bekannt geben, wenn anzunehmen ist, dass die Daten wesentliche Aufschlüsse geben können. Der Begriff der Personendaten ist entsprechend der Definition in Art. 3 lit. a des Bundesgesetzes vom 19. Juni 1992 über den Datenschutz (DSG; SR 235.1) zu verstehen (GERHARD FIOLKA, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 8 zu Art. 96 StPO i.V.m. N. 2 und 6 zu Art. 95 StPO; SCHMID/JOSITSCH, Schweizerische Strafprozessordnung [StPO], Praxiskommentar, 3. Aufl. 2018, N. 3 zu Vor Art. 95-99 StPO; Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts [nachfolgend: Botschaft zur StPO], BBl 2006 1160 Ziff. 2.2.8.8). Danach sind alle Angaben, die sich auf eine bestimmte oder bestimmbare Person beziehen, als Personendaten zu qualifizieren (Art. 3 lit. a DSG). Die Staatsanwaltschaft hat dem Betreibungsamt mitgeteilt, dass beim Beschwerdeführer am 11. Juli 2016 ein Bargeldbetrag von Fr. 7'000.- sichergestellt werden konnte, und dieses damit über dessen wirtschaftliche Situation orientiert. Damit wurden ohne weiteres Personendaten weitergegeben. Eine Beschränkung der Bestimmung auf Daten zur Person im engsten Sinne, wie es der Beschwerdeführer fordert, erscheint nicht angezeigt. Die Regelungen von Art. 95-99 StPO knüpfen an das Datenschutzrecht, vorab an das DSG an (BBl 2006 1159 Ziff. 2.2.8.8), weshalb es sich rechtfertigt, auf die darin aufgeführte Legaldefinition der Personendaten abzustellen und diesen Begriff im DSG wie auch in der StPO einheitlich zu verwenden. Entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers führt diese weite Begriffsbestimmung auch nicht dazu, dass bei der polizeilichen Datenerhebung keinerlei Datenschutz mehr bestehen würde, zumal die Weitergabe von Personendaten an verschiedene Voraussetzungen geknüpft ist, welche von den Behörden einzuhalten sind (vgl. E. 1.4.4 nachfolgend). Damit kann auch nicht gesagt werden, dass die Geheimhaltungspflichten nach Art. 73 StPO und die strafrechtlich geschützte Pflicht zur Wahrung des Amtsgeheimnisses gemäss Art. 320 StGB ins Gegenteil verkehrt werden.
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Erwägung 1.4 |
1.4.2 Das Gesetz ist in erster Linie aus sich selbst heraus auszulegen, das heisst, nach dem Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zugrunde liegenden Wertungen auf der Basis einer teleologischen Verständnismethode. Die Gesetzesauslegung hat sich vom Gedanken leiten zu lassen, dass nicht schon der Wortlaut die Norm darstellt, sondern erst das an Sachverhalten verstandene und konkretisierte Gesetz. Gefordert ist die sachlich richtige Entscheidung im normativen Gefüge, ausgerichtet auf ein befriedigendes Ergebnis der ratio legis. Dabei befolgt das Bundesgericht einen pragmatischen Methodenpluralismus und lehnt es namentlich ab, die einzelnen Auslegungselemente einer hierarchischen Prioritätsordnung zu unterstellen. Die Gesetzesmaterialien sind zwar nicht unmittelbar entscheidend, dienen aber als Hilfsmittel, um den Sinn der Norm zu erkennen. Bei der Auslegung neuerer Bestimmungen kommt den Materialien eine besondere Stellung zu, weil veränderte Umstände oder ein gewandeltes Rechtsverständnis eine andere Lösung weniger nahelegen (BGE 142 IV 401 E. 3.3 S. 404, BGE 142 IV 1 E. 2.4.1 S. 3 f.; BGE 141 III 195 E. 2.4 S. 198 f.; je mit Hinweisen).
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Art. 96 Abs. 1 StPO definiert den Begriff des hängigen Verfahrens nicht näher. Es mag zwar zutreffen, dass der Wortlaut der Bestimmung für sich allein genommen eher darauf hinweist, dass mit dem Begriff des hängigen Verfahrens hängige Strafverfahren gemeint sind. Dass der Gesetzgeber mit dem Begriff der hängigen Verfahren neben den Strafverfahren auch Zivil- und Verwaltungsverfahren erfassen wollte, erscheint indessen nicht als ausgeschlossen. Jedenfalls kann nicht gesagt werden, dass der Wortlaut von Art. 96 Abs. 1 StPO einer derartigen Auslegung entgegenstehen würde. Dies gilt umso mehr, zumal es dem Gesetzgeber, hätte er den Informationsaustausch tatsächlich auf Strafverfahren beschränken wollen, ein Leichtes gewesen wäre, diesen gesetzgeberischen Willen klar zu äussern.
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Ebenso verhält es sich, wenn man die Entstehungsgeschichte der Bestimmung betrachtet. Art. 109 Abs. 1 des Vorentwurfs für eine Schweizerische Strafprozessordnung (VE-StPO), der Vorläufer von Art. 96 Abs. 1 StPO, bestimmte, dass Personendaten in einem anderen Strafverfahren als demjenigen, für das sie beschafft worden sind, verwendet werdendürfen, wenn anzunehmen sei, dass sie wesentliche Aufschlüsse geben könnten. Eine Verwendung für andere Zwecke als jene der Strafverfolgungsbehörden sei nicht zulässig. Im darauffolgenden Vernehmlassungsverfahren wurde hinsichtlich der Regelungen zum Datenschutz, wozu auch der besagte Art. 109 VE- StPO gehörte, teilweise bemerkt, dass die Bestimmungen zu kompliziert und zu überarbeiten seien (Bundesamt für Justiz, Zusammenfassung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens über die Vorentwürfe zu einer Schweizerischen Strafprozessordnung und zu einem Bundesgesetz über das Schweizerische Jugendstrafverfahren, 2003, S. 31). Im Entwurf der eidgenössischen StPO (E-StPO) wurde die Regelung von Art. 109 Abs. 1 VE-StPO nicht übernommen, sondern durch Art. 94 Abs. 1 E-StPO ersetzt, welcher mit dem heutigen Art. 96 Abs. 1 StPO übereinstimmt. Dieser geht vom Wortlaut her weiter, als dass er allgemein von hängigen Verfahren spricht und andere Verfahren als das Strafverfahren nicht mehr explizit ausschliesst. In der Botschaft dazu wurde sodann festgehalten, Abs. 1 der Bestimmung statuiere ein blosses Recht zur Bekannt- und Weitergabe von Daten und entspreche Artikel 29bis Abs. 4 des durch die StPO abgelösten Bundesgesetzes vom 15. Juni 1934 über die Bundesstrafrechtspflege (BStP; BS 3 303) (BBl 2006 1159 Ziff. 2.2.8.8). Weitergehende Bemerkungen, etwa weshalb die Regelung im Vergleich zu Art. 109 Abs. 1 VE-StPO auszuweiten sei, enthielt die Botschaft zur StPO nicht. Auch im Parlament wurde die Bestimmung nicht näher diskutiert (AB 2006 S 1009; AB 2007 N 949).
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Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, dass im E-StPO bzw. in der StPO die Formulierung von Art. 29bis Abs. 4 BStP wohl der Einfachheit halber übernommen wurde und dass am ursprünglichen Gehalt von Art. 109 Abs. 1 VE-StPO nichts verändert werden sollte, handelt es sich um blosse Spekulation. So lässt sich dieser Argumentation etwa entgegenhalten, dass die Botschaft zur StPO explizit festhalte, dass die heutige Bestimmung dem früheren Art. 29bis Abs. 4 BStP entspreche. Nach der damaligen BStP-Bestimmung war der Informationsaustausch aber nicht auf Strafverfahren beschränkt, sondern erlaubte etwa die Weiterverwendung von Personendaten aus einem laufenden gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahren in einem Straf- oder auch Verwaltungsverfahren (HANSJÖRG STADLER, Bemerkungen zur Teilrevision des BStP im Zusammenhang mit dem eidgenössischen Datenschutzgesetz, ZStrR 112/1 S. 302; Botschaft vom 16. Oktober 1990 über die Datenbearbeitung auf dem Gebiet der Strafverfolgung [Zusatzbotschaft zum Datenschutzgesetz], BBl 1990III 1230 Ziff. 4). Vor diesem Hintergrund ist festzuhalten, dass aufgrund fehlender klarer Erläuterungen weder die Botschaft noch die parlamentarische Beratung noch die Zusammenfassung des Vernehmlassungsverfahrens einen klaren gesetzgeberischen Willen erkennen lässt.
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Erwägung 2 |
2.1 Der Beschwerdeführer rügt weiter, die Vorinstanz verkenne, dass das Betreibungsamt keine Pfändung vollzogen habe. Die Anzeige des Betreibungsamts an die Staatsanwaltschaft sei vielmehr als vorsorgliche Massnahme im Sinne einer Sicherungsvorkehr zu qualifizieren. Diese sei mit einer zwangsvollstreckungsrechtlichen Beschlagnahme nicht gleichzusetzen und bewirke nicht, dass die damit sichergestellte Forderung zivilrechtlich an das Betreibungsamt übergehe. Vielmehr könne der betriebene Schuldner die Forderung weiterhin gültig einklagen bzw. gegenüber dem Drittschuldner geltend machen und in maiore minus auch weiterhin die Herausgabe an sich verlangen. Die Staatsanwaltschaft sei nicht befugt, den sichergestellten Betrag von Fr. 7'000.- dem Betreibungsamt zu überweisen. Entsprechend habe das Betreibungsamt auch keine Überweisung der betreffenden Summe verlangt. Vielmehr sei deren Erklärung so zu verstehen, dass das beschlagnahmte Geld dem Betreibungsamt herauszugeben sei, sofern dem Schuldner an der Herausgabe nicht ein Vorrecht zuzusprechen wäre. Die Frage, ob dem Beschwerdeführer an diesem Geld nicht ein Vorrang zustand, sei von der Beschwerdegegnerin zu prüfen gewesen. Dass die Beschwerdegegnerin wie auch die Vorinstanz diese Prüfung unterlassen hätten, käme einer Rechtsverweigerung gleich.
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Wie die Vorinstanz zutreffend ausführt, stand einer Rückgabe der Fr. 7'000.- die Erklärung des Betreibungsamts, dass diese den Betrag von Fr. 7'000.- bei der Staatsanwaltschaft einpfände und um dessen Überweisung erbitte, entgegen. Dass das Betreibungsamt keine Überweisung des fraglichen Betrags verlangt hat, kann mit Blick auf deren Schreiben nicht gesagt werden. Ebensowenig lässt sich der Erklärung entnehmen, dass das Betreibungsamt den Betrag bloss unter Vorbehalt einfordere, als dass dem Schuldner an der Herausgabe des Geldes nicht ein Vorrecht zuzusprechen wäre. Die Vorinstanz ging vielmehr zu Recht davon aus, dass die Erklärung des Betreibungsamts als zwangsvollstreckungsrechtliche Beschlagnahmeerklärung mit Einzug der Fr. 7'000.- zu verstehen ist. Entsprechend war die Staatsanwaltschaft gehalten, das Geld an das Betreibungsamt auszuhändigen bzw. zu verfügen, dass der Betrag an dieses herausgegeben werde. Dabei war es weder Aufgabe der Staatsanwaltschaft noch der Vorinstanz, die Rechtmässigkeit beziehungsweise die Formgültigkeit des Pfändungsbeschlags zu beurteilen und zu prüfen, ob dieser gerechtfertigt ist. Hierfür sind die Schuldbetreibungs- und Konkursbehörden zuständig. Soweit der Beschwerdeführer das Vorgehen des Betreibungsamts als nicht gesetzeskonform kritisiert, hat er seine Rügen im dafür vorgesehen SchKG-Verfahren vorzubringen. Der Vorwurf der Rechtsverweigerung ist unbegründet.
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Schliesslich lässt sich auch aus Art. 267 Abs. 4 und Abs. 5 StPO nichts für den Standpunkt des Beschwerdeführers entnehmen. Diese Bestimmungen erfassen Konstellationen, bei welchen mehrere Personen Anspruch auf Gegenstände oder Vermögenswerte, deren Beschlagnahme aufzuheben ist, erheben, wobei es sich dabei um Ansprüche handeln muss, die jeweils materiellrechtlich begründet werden können. Diese Ansprechereigenschaft kommt dem Betreibungsamt bei der vorliegenden Pfändung nicht zu. Ein Prätendentenstreit im Sinne von Art. 267 Abs. 4 bzw. Abs. 5 StPO liegt, wie auch der Beschwerdeführer anzuerkennen scheint, nicht vor. Damit hatten die Staatsanwaltschaft und auch die Vorinstanz nicht nach Art. 267 Abs. 4 bzw. Abs. 5 StPO vorzugehen.
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