BGE 145 IV 137 |
14. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt (Beschwerde in Strafsachen) |
6B_23/2018 vom 26. März 2019 |
Art. 2 Abs. 2 StGB; lex mitior. |
Art. 42 Abs. 2 StGB; dies a quo der Fünfjahresfrist nach Art. 42 Abs. 2 StGB (Gewährung des Strafaufschubs). |
Sachverhalt |
B. X. beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das appellationsgerichtliche Urteil sei aufzuheben. Für die Freiheitsstrafe von sieben Monaten sei der bedingte Strafvollzug zu gewähren. Eventualiter sei die Sache zu neuem Entscheid an das Appellationsgericht zurückzuweisen. X. ersucht um unentgeltliche Rechtspflege.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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Aus den Erwägungen: |
Erwägung 2 |
Weiter erklärt der Beschwerdeführer, die Vermietung des Einfamilienhauses, derentwegen er neu verurteilt worden sei, gehe auf Februar und März 2015 zurück. Zwischen dem Urteil des Strafgerichts Basel-Stadt vom 5. Juni 2009 und den neuen Tathandlungen lägen somit mehr als fünf Jahre. Damit die Freiheitsstrafe bedingt ausgesprochen werden könne, seien somit keine besonders günstigen Umstände nötig. Da ihm keine ungünstige Prognose gestellt werden könne, sei ihm der bedingte Strafvollzug zu gewähren. Für die Legalprognose sei wesentlich, dass die frühere Verurteilung zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen auf strafrechtlichen Vorwürfen aus den Jahren 2002 bis 2004 beruhten und somit auf Sachverhalten, welche sich vor ungefähr 15 Jahren ereignet hätten. Der Beschwerdeführer habe sich somit während mehr als zehn Jahren korrekt verhalten. Wegen derart lange zurückliegender Verfehlungen könne nicht von einer ungünstigen Prognose ausgegangen werden, zumal er mit den Geschädigten eine aussergerichtliche Vereinbarung geschlossen habe. Die Vorinstanz habe den bedingten Strafvollzug nur deshalb verweigert, weil sie Art. 42 Abs. 2 StGB anwende und die Bewährungsaussichten nicht besonders günstig seien.
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2.2 Wurde der Täter innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Tat zu einer bedingten oder unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten oder zu einer Geldstrafe von mindestens 180 Tagessätzen verurteilt, so ist der Aufschub einer Geldstrafe, von gemeinnütziger Arbeit oder einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten und höchstens zwei Jahren nur zulässig, wenn besonders günstige Umstände vorliegen (Art. 42 Abs. 2 StGB).
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Besonders günstig sind Umstände, die ausschliessen, dass die Vortat die Prognose verschlechtert. Der bedingte Strafvollzug ist nur möglich, wenn eine Gesamtwürdigung aller massgebenden Faktoren den Schluss zulässt, dass trotz der Vortat eine begründete Aussicht auf Bewährung besteht. Dabei ist zu prüfen, ob die indizielle Befürchtung durch die besonders günstigen Umstände zumindest kompensiert wird. Das trifft etwa zu, wenn die neuerliche Straftat mit der früheren Verurteilung in keinerlei Zusammenhang steht, oder bei einer besonders positiven Veränderung in den Lebensumständen des Täters (BGE 134 IV 1 E. 4.2.3 mit Hinweisen). Dem Sachgericht steht bei der Legalprognose des künftigen Verhaltens ein Ermessensspielraum zu. Das Bundesgericht greift nur ein, wenn das Sachgericht sein Ermessen über- bzw. unterschreitet oder missbraucht und damit Bundesrecht verletzt (BGE 134 IV 140 E. 4.2 S. 142 f.).
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Als Vorstrafe des Beschwerdeführers liegt eine bedingte Geldstrafe von 180 Tagessätzen vor. Diese wird vom früheren Art. 42 Abs. 2 StGB erfasst, nicht aber von dessen geltender Fassung, die somit für den Beschwerdeführer milder ist.
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Dieses Ergebnis begründete das Bundesgericht mit dem Umstand, dass der Kassationshof kein Sachgericht sei, sondern bloss zu prüfen habe, ob die kantonale Behörde auf den von ihr festgestellten Sachverhalt das damals geltende Recht richtig angewendet habe. Dem entspreche, dass die Nichtigkeitsbeschwerde nicht von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung habe. Gemäss Art. 272 letzter Absatz des mittlerweile aufgehobenen Bundesgesetzes vom 15. Juni 1934 über die Bundesstrafrechtspflege bleibe der kantonale Entscheid trotz Einlegung des Rechtsmittels vollstreckbar, wenn nicht der Kassationshof oder dessen Präsident die Vollstreckung aufschiebe. Eine Vollstreckung, die danach zulässig gewesen sei, könne aber nicht nachträglich dadurch ungerechtfertigt werden, dass zur Zeit der Beurteilung der Nichtigkeitsbeschwerde anderes Recht gelte als bei der Beurteilung durch das Sachgericht (BGE 76 IV 259 E. 2; mehrfach bestätigt in BGE 97 IV 233 E. 2c; BGE 101 IV 359 E. 1; BGE 121 IV 131 E. 2a und BGE 129 IV 49 E. 5.2; BGE 97 I 919 E. 2 betraf Art. 104 lit. a OG [AS 1969.767] und das Bundesgericht als Verwaltungsgerichtsbehörde bei strafrechtlichen Massnahmen; die in Lehre und Rechtsprechung gelegentlich zitierten BGE 69 IV 225 und BGE 117 IV 369 handeln nicht von der hier interessierenden Frage der lex mitior im bundesgerichtlichen Verfahren).
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Dass das Bundesgericht im Verfahren der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde lediglich überprüfte, ob die Vorinstanz das zum Urteilszeitpunkt geltende Recht richtig angewendet hatte, bestätigte es letztmals mit Urteil 6S.74/2007 vom 6. Februar 2008.
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Demgegenüber halten andere Lehrstimmen dafür, seit dem Inkrafttreten von Art. 107 Abs. 2 BGG könne das Bundesgericht in der Sache selber entscheiden, wenn es die Beschwerde gutheisse. In diesen Fällen überprüfe es die Anwendung der lex mitior (MICHEL DUPUIs und andere [Hrsg.], CP Code pénal, 2. Aufl. 2017, N. 27 zu Art. 2 StGB; KILLIAS/KUHN/DONGOIS, Précis de droit pénal général, 4. Aufl. 2016, S. 304 N. 1628; JEAN GAUTHIER, in: Commentaire romand, Code pénal Bd. I, 2009, N. 29 zu Art. 2 StGB). DUPUIS und KILLIAS/KUHN/DONGOIS verweisen auf BGE 129 IV 49 E. 5.2. Allerdings erging dieser am 18. Dezember 2002 und damit gut vier Jahre vor Inkrafttreten des BGG am 1. Januar 2007. Abgesehen davon sagt dieser publizierte Entscheid nur aus, dass die kantonale Instanz, an welche die Sache unter Aufhebung ihres ersten Urteils im Verfahren der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde aus irgendwelchen Gründen zurückgewiesen wird, im neuen Verfahren zu prüfen hat, ob das neue Verjährungsrecht für die beschuldigte Person das mildere sei.
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POPP und BERKEMEIER verweisen ebenfalls auf Art. 107 Abs. 2 BGG. Ob sich die lex mitior durchsetze, hänge davon ab, ob ein Urteil wegen eines Verfahrensfehlers oder anderen Mangels kassiert werde oder ob es solchen Rügen standhalte. Es mache ganz den Eindruck, dass zur herrschenden Praxis eine formelle Sicht beitrage. Bei einer auf Rechtsfragen beschränkten Kognition werde die Rechtsanwendung der unteren Instanz geprüft, während bei umfassender Kognition das Recht originär angewendet werde. Diese Autoren bemängeln die Zufälligkeit der Resultate und fordern im Ergebnis, dass auch das Bundesgericht prüfe, ob gemäss Art. 2 Abs. 2 StGB die lex mitior anzuwenden sei (POPP/BERKEMEIER, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 4. Aufl. 2018, N. 13 zu Art. 2 StGB).
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HURTADO POZO schlägt vor, auf das Kriterium der abgeurteilten Sache abzustellen. Mithin komme es darauf an, ob gegen das Urteil noch ein ordentliches Rechtsmittel ergriffen werden könne. Bei ausserordentlichen Rechtsmitteln will er die Antwort davon abhängig machen, ob die aufschiebende Wirkung gewährt wurde oder nicht (JOSÉ HURTADO POZO, Droit pénal, Partie générale, 2. Aufl. 2008, Rz. 332-334 S. 113-114).
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Erwägung 3 |
Was die Literatur betrifft, so halten SCHNEIDER und GARRÉ sowie ANDRÉ KUHN fest, für die Berechnung der Fünfjahresfrist seien der Zeitpunkt der Verurteilung und jener der neuen Tat massgebend. Als dies a quo könne nur der Zeitpunkt der Eröffnung des erstinstanzlichen Urteils oder des Strafbefehls gelten, denn sonst wären Verurteilte, welche Rechtsmittel ergreifen, gegenüber den anderen grundlos benachteiligt (SCHNEIDER/GARRÉ, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 4. Aufl. 2018, N. 95 zu Art. 42 StGB; ANDRÉ KUHN, in: Commentaire romand, Code pénal, Bd. I, 2009, N. 21 zu Art. 42 StGB). Allerdings bemerken SCHNEIDER und GARRÉ an anderer Stelle, massgebend sei "die rechtskräftige Verurteilung innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Tat" (SCHNEIDER/GARRÉ, a.a.O., N. 89 zu Art. 42 StGB).
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STRATENWERTH erklärt, der Täter sei "erst im Zeitpunkt der Rechtskraft des entsprechenden Erkenntnisses" verurteilt (GÜNTER STRATENWERTH, Allgemeiner Teil, Bd. II: Strafen und Massnahmen, 2. Aufl. 2006, § 5 Rz. 41).
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JOSITSCH/EGE/SCHWARZENEGGER halten dafür, die fünfjährige Frist beginne mit der Fällung des Entscheids. Damit beantworten sie nicht, ob sie den erst- oder zweitinstanzlichen Entscheid meinen. Auch ihr Verweis auf Art. 49 Abs. 2 StGB und BGE 129 IV 117, welcher aArt. 68 Ziff. 2 StGB betrifft, trägt nicht zur Klärung der Frage bei (JOSITSCH/EGE/SCHWARZENEGGER, Strafen und Massnahmen, 9. Aufl. 2018, § 6 S. 155, vgl. auch Fn. 41).
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Erwägung 3.4 |
3.4.2 Die Vorinstanz verweist zur Begründung ihres Standpunkts auf das bereits erwähnte Urteil 6B_62/2009 vom 20. Mai 2009 sowie eine Reihe weiterer unpublizierter Urteile. Diese Entscheide betreffen allesamt eine andere Frage. Sie stellen im Zusammenhang mit Art. 46 Abs. 1 StGB bzw. aArt. 41 Ziff. 3 Abs. 1 StGB fest, dass die Probezeit mit der Eröffnung des Urteils zu laufen beginnt, das vollstreckbar wird. Ob die Rechtskraft in diesem Augenblick eintrete oder erst nach Ablauf einer Rechtsmittelfrist, sei unerheblich. Der Verurteilte sei mit der Eröffnung des Urteils gewarnt; von diesem Augenblick an werde von ihm ein dem Urteil gemässes Verhalten erwartet. Werde der erstinstanzliche Entscheid, der den Verurteilten unter Bewährungsprobe stellt, an eine obere Instanz weitergezogen, laufe die Probezeit von der Eröffnung desjenigen Urteils an, das nach Abschluss des Verfahrens zur Vollstreckung komme. Massgebend sei demnach, ob im Falle der Abweisung des Rechtsmittels der angefochtene Entscheid bestehen bleibe und vollstreckbar werde oder ob an seine Stelle das zweitinstanzliche Urteil trete (Urteile 6B_934/2015 vom 5. April 2016 E. 5.3.2; 6B_522/2010 vom 23. September 2010 E. 3; 6S.506/2001 vom 25. Februar 2002 E. 1a; je mit zahlreichen Hinweisen).
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Nach dem Dargelegten knüpfte die Vorinstanz den Aufschub zu Recht an besonders günstige Umstände im Sinne von Art. 42 Abs. 2 StGB. Der Beschwerdeführer behauptet bloss, es könne ihm keine ungünstige Prognose gestellt werden. Demgegenüber legt er nicht dar, inwiefern die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie ihm keine besonders günstige Prognose stellte.
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