BGE 147 IV 373 |
38. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Beschwerde in Strafsachen) |
6B_1022/2020 vom 2. Juni 2021 |
Regeste |
Art. 307 Abs. 1 StGB; falsches Zeugnis; Strafbarkeit bei fehlender Zeugeneigenschaft. |
Sachverhalt |
A. A. wird vorgeworfen, im polizeilichen Ermittlungsverfahren betreffend einen von ihr und ihrem Ehemann erlittenen Raubüberfall am 5. Juli 2017 wahrheitswidrig angegeben zu haben, sie und nicht ihr Ehemann habe das Fahrzeug gelenkt, mit dem sie unmittelbar vor dem Raubüberfall unterwegs gewesen seien. Gleiches soll sie an ihrer polizeilichen Befragung als Auskunftsperson vom 6. Juli 2017 sowie an ihrer staatsanwaltschaftlichen Befragung als Zeugin vom 3. September 2018 in dem gegen ihren Ehemann wegen Fahrens in fahrunfähigem Zustand geführten Strafverfahren ausgesagt haben.
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Der Einzelrichter des Bezirksgerichts Zürich verurteilte A. am 23. September 2019 wegen falschen Zeugnisses und mehrfacher versuchter Begünstigung zu einer bedingten Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu Fr. 500.-, bei einer Probezeit von zwei Jahren, und einer Verbindungsbusse von Fr. 5'000.-.
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B. Auf Berufung von A. und Anschlussberufung der Staatsanwaltschaft Zürich - Sihl sprach das Obergericht des Kantons Zürich A. am 23. Juni 2020 wegen versuchten falschen Zeugnisses und versuchter Begünstigung schuldig. Es bestrafte A. mit einer bedingten Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu Fr. 500.-, ebenfalls bei einer Probezeit von zwei Jahren.
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C. A. führt Beschwerde in Strafsachen. Sie beantragt, den angefochtenen Entscheid aufzuheben und sie vom Vorwurf des versuchten falschen Zeugnisses freizusprechen sowie von einer Bestrafung wegen versuchter Begünstigung Umgang zu nehmen. Eventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zu neuer Entscheidung zurückzuweisen.
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Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich und das Obergericht verzichteten auf eine Vernehmlassung.
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Aus den Erwägungen: |
Erwägung 1 |
1.3 Sowohl die Vorinstanz als auch die Beschwerdeführerin gehen übereinstimmend davon aus, dass gegen letztere im Zeitpunkt ihrer im Strafverfahren gegen ihren Ehemann am 3. September 2018 erfolgten Zeugeneinvernahme bereits ein Tatverdacht wegen Begünstigung ihres Ehemanns bestanden habe. Weshalb dieser Verdacht in diesem Zeitpunkt vorhanden gewesen sei, geht aus der Begründung des angefochtenen Entscheids nicht unmittelbar hervor. Es lässt sich allerdings (immerhin) aus den weiteren Erwägungen der Vorinstanz herleiten, in welchen sie Auffällig- sowie Widersprüchlichkeiten im Aussageverhalten der Beschwerdeführerin und ihres Ehemanns anlässlich der Befragungen der Ehegatten vom 5. bzw. 6. Juli 2017 beschreibt (plötzlich geänderte Aussagen betreffend die Lenkereigenschaft, Einwirken des Ehemanns auf die Beschwerdeführerin, sie solle ihre Aussagen entsprechend ändern). Nachdem der betreffende Sachverhalt von der Beschwerdeführerin nicht beanstandet wird, braucht hierauf indes nicht weiter eingegangen zu werden; von einem am 3. September 2018 bestandenen Tatverdacht gegen die Beschwerdeführerin wegen Begünstigung ihres Ehemanns ist auszugehen (Art. 105 Abs. 1 BGG). Können gewisse vorhandene Verdachtsgründe hinsichtlich der abzuklärenden oder einer anderen damit zusammenhängenden Straftat nicht ausgeräumt werden, ist die zu befragende Person nach Art. 178 lit. d StPO als Auskunftsperson einzuvernehmen. Zutreffend befinden die Vorinstanz wie auch die Beschwerdeführerin deshalb, dass letztere aufgrund der vorgelegenen Verdachtsmomente betreffend eines Delikts, das im Zusammenhang mit der ihrem Ehemann vorgeworfenen Straftat steht, am 3. September 2018 nicht als Zeugin, sondern als Auskunftsperson hätte befragt werden müssen. In Berücksichtigung dieses Umstands sieht die Vorinstanz eine Strafbarkeit der Beschwerdeführerin wegen falschen Zeugnisses im Sinne von Art. 307 StGB in der Variante des Versuchs als gegeben. Sie gelangt zu diesem Schluss unter Hinweis auf BGE 94 IV 1 S. 4 f. und mit der Begründung, die Beschwerdeführerin sei im Moment der Zeugeneinvernahme auf die Wahrheitspflichten und die strafrechtlichen Folgen einer wissentlich falschen Zeugenaussage hingewiesen worden und habe dennoch falsch ausgesagt.
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1.5 Dass die Untauglichkeit des Subjekts prinzipiell seiner Strafbarkeit entgegensteht, entspricht ebenso der herrschenden Lehre (vgl. DONATSCH/TAG, Strafrecht I, 9. Aufl. 2013, S. 150 f.; HURTADO POZO, Droit pénal général, 3. Aufl. 2019, Rz. 1013 ff.; HURTADO POZO/ILLĂNEZ, in: Commentaire romand, Code pénal, Bd. I, 2. Aufl. 2021, N. 42 ff. zu Art. 22 StGB; KILLIAS UND ANDERE, Grundriss des Allgemeinen Teils des Schweizerischen Strafgesetzbuchs, 2. Aufl. 2017, Rz. 509; NIGGLI/MAEDER, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 4. Aufl. 2019, N. 36 zu Art. 22 StGB; STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 4. Aufl. 2011, S. 350; TRECHSEL/GETH, in: Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 3. Aufl. 2018, N. 18 zu Art. 22 StGB; TRECHSEL/NOLL/PIETH, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 7. Aufl. 2017, S. 190 f.). Zutreffend sieht diese den Grund für die Straflosigkeit darin, dass nur die Zuwiderhandlung gegen tatsächliche, nicht aber bloss eingebildete Pflichten Unrecht sein könne. Sie weist darauf hin, dass im Fall des untauglichen Täters zwar (anders als beim ebenfalls straflosen sog. Wahndelikt) das strafrechtliche Verbot bestehe, so wie der Täter es sich vorstelle, er jedoch nicht zu denen gehöre, an die es sich richte. Die fragliche Sonderpflicht könne er daher selbst versuchsweise nicht verletzen (vgl. NIGGLI/MAEDER, a.a.O., N. 37 zu Art. 22 StGB; STRATENWERTH, a.a.O., S. 351 f.).
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Verschiedene Autoren betonen mit Blick auf die Rechtsprechung, dass die Anwendung des Grundsatzes der Straflosigkeit des untauglichen Tatsubjekts im Einzelfall zu Schwierigkeiten führen könne (NIGGLI/MAEDER, a.a.O., N. 36 und 38 f. zu Art. 22 StGB; HURTADO POZO, a.a.O., Rz. 1016 f.; STRATENWERTH, a.a.O., S. 352 ff.). Sie sprechen sich für eine differenzierte Betrachtung aus. Übereinstimmend anerkennen sie, dass der Grundsatz aus den oben erwähnten Gründen jedenfalls im Fall von Sonderdelikten gelten müsse, bei denen die Sonderpflicht durch den Status des Täters (etwa als Amtsträger, Arbeitgeber oder Willensvollstrecker) begründet ist. Demgegenüber wird in Frage gezogen bzw. abgelehnt, von einem Fall eines (straflosen) untauglichen Subjekts dann zu sprechen, wenn sich die Sonderpflicht auf andere Weise (als durch die Person des Täters) durch eine bestimmte Situation ergibt, es sich mithin um situationsbedingte Pflichten handelt, die jedermann treffen können (vgl. NIGGLI/MAEDER, a.a.O., N. 39 zu Art. 22 StGB; HURTADO POZO, a.a.O., Rz. 1017; STRATENWERTH, a.a.O., S. 353 f.). Wie es sich in diesen letztgenannten Fällen verhält, braucht hier mangels Vorliegens einer entsprechenden Konstellation jedoch nicht weiter vertieft zu werden.
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1.6 Ausser Frage steht, dass der Täter in Fällen eigentlicher Sonderdelikte straflos bleiben muss, wenn er irrigerweise glaubt, gegen eine Sonderpflicht zu verstossen, die ihm einzig wegen seines vorgestellten - tatsächlich jedoch nicht vorhandenen - Personenstatus obliegt. Der Tatbestand des falschen Zeugnisses stellt ein solches Sonderdelikt dar, bei dem die Sonderpflicht - in der hier interessierenden Variante die Pflicht zur wahrheitsgemässen Aussage - durch den Status des Täters, d.h. seine Zeugeneigenschaft, begründet ist (vgl. E. 1.2 oben). Der vorinstanzliche Schluss auf eine versuchte Tatbegehung verfängt nicht. Anders als in BGE 94 IV 1 liegt der Fall eines untauglichen Versuchs infolge untauglichen Tatobjekts oder Tatmittels nicht vor, sondern vielmehr derjenige eines untauglichen Tatsubjekts. Die Beschwerdeführerin war im Einvernahmezeitpunkt nicht Zeugin, sondern Auskunftsperson und konnte daher selbst versuchsweise nicht gegen eine (ihr nicht obliegende) Wahrheitspflicht verstossen. Ein strafrechtlich relevantes Unrecht konnte sie folglich nicht begehen. Dass sie als Zeugin belehrt, mithin faktisch als solche behandelt wurde, und sich infolgedessen naheliegenderweise als solche wähnte, ändert weder an ihrer fehlenden Zeugenstellung noch an ihrer fehlenden Wahrheitspflicht etwas. Ihre diesbezügliche Fehlvorstellung erweist sich als strafrechtlich unbedeutend. Nachdem die Beschwerdeführerin mangels einer Zeugenstellung keine Wahrheitspflicht traf, verletzt die vorinstanzliche Verurteilung wegen versuchten falschen Zeugnisses Bundesrecht.
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