BGE 98 V 31 |
8. Auszug aus dem Urteil vom 16. Februar 1972 i.S. W. gegen Ausgleichskasse des Schweizerischen Wirtevereins und AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich |
Regeste |
Art. 7 Abs. 1 IVG. |
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: |
2. a) Im Gerichtsgutachten wird darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer (geb. 1923) schon in seiner Kindheit schwere neurotische Symptome gezeigt habe. Im Jahre 1944 habe ein Berufsunfall eine Nephrektomie notwendig gemacht. Seither sei der Beschwerdeführer auch durch rezidivierende Thrombosen und Rückenschmerzen geschädigt. Er habe deswegen im Jahre 1947 begonnen, sich übermässig dem Alkohol hinzugeben. Zudem sei medizinisch eine erhöhte Gerinnungsbereitschaft des Blutes bei Alkoholismus nicht bekannt. Wenn der Versicherte 1969 eine Thrombose der Arteria carotis interna erlitten habe, so dürfe dies demnach nicht oder jedenfalls nicht allein auf chronischen Alkoholgenuss zurückgeführt werden. Vielmehr bestehe ein Zusammenhang mit der schon seit Jahren vorhandenen Thrombosebereitschaft. Dabei könne aber die Vermutung nicht von der Hand gewiesen werden, dass das Absetzen der Antikoagulantientherapie im Oktober 1969 durch den Beschwerdeführer das Entstehen der Thrombose der Arteria carotis interna ausgelöst oder erleichtert habe. Doch sei zu berücksichtigen, dass eine Blutungsbereitschaft des Magens bestanden habe, die ohnehin das Sistieren der Antikoagulantienbehandlung hätte notwendig werden lassen. Diese Neigung zu Magenblutungen sei die Folge einer chronischen, offenbar alkoholbedingten Gastritis. Insofern sei der Zusammenhang zwischen dem Alkoholabusus und der Thrombose der Arteria carotis interna, die zur Invalidität geführt habe, gegeben. Den kausalen Anteil des Alkoholismus am Gesundheitsschaden schätzt der Gerichtsgutachter auf etwa einen Viertel.
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b) Gestützt auf diese Darlegungen ergibt sich für die Belange des Art. 7 Abs. 1 IVG, dass die Rente des Beschwerdeführers lediglich um einen Viertel gekürzt werden dürfte. Die Kürzung setzt aber voraus, dass W. den chronischen Alkoholismus voll zu verantworten hätte. In dieser Hinsicht lässt sich dem Gerichtsgutachten folgendes entnehmen: Der Alkoholgenuss des Beschwerdeführers sei sowohl auf seine unfallbedingten Schmerzen als auch auf seine schwere Psychoneurose zurückzuführen. Der Versicherte habe nach seinem schweren Unfall im Jahre 1944 die erlittenen Schmerzen ohne Zweifel nicht wie eine psychisch gesunde Persönlichkeit zu ertragen vermocht. Selbst ein primär seelisch ausgeglichenes Individuum wäre bei solchen chronischen Schmerzen gefährdet, in Schmerzmitteln oder im Alkohol oder in beidem Zuflucht zu suchen. Beim Beschwerdeführer sei diese Gefährdung wegen der schon vor dem Alkoholismus durchgemachten psychischen Fehlentwicklung, die sich auf seine introvertierte Persönlichkeit aufgepfropft habe, naturgemäss noch stärker gewesen. Dazu komme die besondere Gefährdung durch den Wirteberuf. Demnach könne der Alkoholismus dem Versicherten nicht oder mindestens nicht weitgehend angelastet werden.
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Dieser Teil des Gerichtsgutachtens, den das Gericht ebenfalls als schlüssig erachtet, lässt erkennen, dass der Beschwerdeführer den Alkoholismus nur in geringem Mass selbst verschuldet hat, so dass nicht erklärt werden kann, er habe seine Invalidität, soweit sie alkoholbedingt ist, grobfahrlässig herbeigeführt. Die Voraussetzung für die Rentenkürzung ist damit nicht gegeben, weshalb die Ausgleichskasse die volle Rente auszurichten hat...
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