BGE 101 V 77
 
13. Urteil vom 27. Mai 1975 i.S. Z. gegen OSKA-Krankenversicherung und Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen
 
Regeste
Eine statutarische Bestimmung, wonach beim Aufenthalt in einer Trinkerheilanstalt (Art. 23 Abs. 2 Vo III) die Zahlung eines auf das gesetzliche Minimum gekürzten Taggeldes vorgesehen wird, verletzt Art. 3 Abs. 3 KUVG.
 
Sachverhalt
A.- Z. ist bei der OSKA-Krankenversicherung kollektiv für 80% des entgangenen Lohnes versichert. Als Alkoholiker musste er sich in der Trinkerheilanstalt E. einer Entwöhnungskur unterziehen. Am 6. Juli 1973 teilte ihm die Krankenkasse verfügungsweise mit, dass sie ihm für die Dauer seines Anstaltsaufenthaltes ein tägliches Krankengeld von nur Fr. 2.-- ausrichte. Sie stützte sich dabei auf Art. 19 der allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Kollektiv-Krankenversicherung.
B.- Gegen diese Verfügung beschwerte sich Z. beim Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen.
Dieses hat die Beschwerde mit Entscheid vom 13. Dezember 1973 abgewiesen: Zwar erlaube das KUVG den Krankenkassen nicht ausdrücklich, eine statutarische Regelung vorzusehen, wonach bei Aufenthalt in einer Trinkerheilanstalt nur das Minimal-Taggeld von Fr. 2.-- gewährt werde, verbiete dies aber auch nicht. Eine solche Reduktion verstosse insbesondere nicht gegen das Gegenseitigkeitsprinzip, Das Problem unter dem Gesichtspunkt des Selbstverschuldens zu beurteilen wäre nur dann möglich, wenn keine Statutenbestimmung bestände, die ausschliesslich auf das objektive Kriterium des Aufenthalts in einer Trinkerheilanstalt abstellt. Zudem wäre es oft sehr schwierig oder gar unmöglich, die Verschuldensfrage zu beantworten.
C.- Z. lässt diesen Entscheid mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Eidg. Versicherungsgericht weiterziehen und beantragen, die Kasse sei zu verpflichten, ihm für die Dauer seines Anstaltsaufenthalts 80% des entgangenen Lohnes Zu bezahlen. Eine Statutenbestimmung, die das Taggeld bei Aufenthalt in einer Trinkerheilanstalt, ungeachtet des Verschuldens des Versicherten, auf Fr. 2.-- reduziere, verstosse gegen die Prinzipien der Verhältnismässigkeit und ... der Gegenseitigkeit.
Die Kasse lässt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragen. Der Gesetzgeber selber differenziere bewusst zwischen dem Alkoholismus und den "eigentlichen" Krankheiten. Art. 24 Abs. 3 Vo III über die Krankenversicherung enthalte jedenfalls eine Schlechterstellung des Entwöhnungspatienten. Eine Statutenbestimmung der streitigen Art sei sicherlich zulässig, nachdem weder das KUVG noch die entsprechenden Verordnungen eine Reduktion des Taggeldes bei Trinkerheilkuren auf Fr. 2.-- untersagen würden ...
Auch das Bundesamt für Sozialversicherung stellt den Antrag auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Mit dem Hinweis auf das Urteil vom 19. März 1969 i.S. Kübler äussert sich das Amt dahin, dass das Eidg. Versicherungsgericht eine Statutenbestimmung, welche bei Kuren in Trinkerheilanstalten die Reduktion des Krankengeldes auf das gesetzliche Minimum vorsehe, offenbar als bundesrechtskonform betrachte.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
"Hält sich ein Versicherter auf Anordnung des Arztes in einer Anstalt oder besondern Abteilung einer Anstalt auf, in denen ausschliesslich Entwöhnungskuren für Trunksüchtige unter ärztlicher Leitung durchgeführt werden, so gewährt die OSKA ein tägliches Krankengeld von Fr. 2.--."
a) Das Eidg. Versicherungsgericht hat in dem sowohl vom Beschwerdeführer als auch von der Kasse mehrfach zitierten Urteil i.S. Kübler klar dargelegt, dass Trunksucht an sich schon prinzipiell als Krankheit gilt und nicht erst dann, wenn sie Symptom oder Ursache einer andern Erkrankung ist (EVGE 1969 S. 12). Es kann auf jene Ausführungen verwiesen werden. Daraus, dass die Trunksucht eine Krankheit ist, ergibt sich entgegen der Auffassung der Kasse, dass sich der Beschwerdeführer wegen einer eigentlichen Krankheit in der Anstalt E. aufhält.
b) Schon allein vom Zweck des Gesetzes her, der in der Förderung einer sozial gerechten Versicherung besteht, sind die Kassen im Bereich der über das gesetzliche Minimum hinausgehenden, statutarisch vorgesehenen Leistungen nicht absolut frei. Diesem Zweckgedanken widerspräche eine statutarische Bestimmung, wonach der Versicherungsschutz in dem Umfang, als er nicht durch das Gesetz verpflichtend vorgeschrieben ist, bei bestimmten Krankheiten einfach wegfällt. Eine solche Bestimmung würde aber auch direkt dem in Art. 3 Abs. 3 KUVG ausdrücklich verankerten Grundsatz der Gegenseitigkeit zuwiderlaufen. Dieses Prinzip beherrscht den Betrieb der Krankenkassen auch hinsichtlich jener Geldleistungen, die sie statutarisch über die zwingenden gesetzlichen Voraussetzungen und Ansätze hinaus gewähren (BGE 98 V 84). Es schliesst aus, dass eine Kasse ohne ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung ihre Leistungen nach verschiedenen Arten von Krankheiten differenziert. Sonst könnten es die Kassen zum vorneherein ablehnen, für Krankheiten, die erfahrungsgemäss eine länger dauernde Arbeitsunfähigkeit zur Folge haben, wie beispielsweise Geisteskrankheiten und Krebs, ein höheres Taggeld als das gesetzliche Minimum von Fr. 2.-- zu gewähren.
c) Die von der Kasse postulierte Lösung würde auch anderweitig zu krassen Ungleichheiten in der rechtlichen Behandlung der Versicherten führen, indem derjenige Versicherte, der sich zur Entwöhnungskur in einer Trinkerheilanstalt aufhält, nur das Minimalkrankengeld bekäme, währenddem jenem Alkoholkranken, welcher sich der gleichen Entwöhnungskur in einer psychiatrischen Heilanstalt unterzieht, das volle versicherte Krankengeld ausbezahlt würde.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 13. Dezember 1973 und die Kassenverfügung vom 6. Juli 1973 aufgehoben. Die Kasse wird verpflichtet, dem Beschwerdeführer im Sinne von Erwägung 2 das volle versicherte Krankengeld auszurichten unter Vorbehalt einer allfälligen Kürzung wegen Selbstverschuldens gemäss Erwägung 3.