BGE 101 V 129
 
25. Urteil vom 4. September 1975 i.S. Zumwald gegen Schweizerische Kranken- und Unfallkasse Konkordia und Kantonsgericht Freiburg
 
Regeste
Art. 2 KUVG.
 
Sachverhalt
A.- Die Eheleute Oscar und Martha Zumwald wohnten bis Juli 1973 in Überstorf, nachher in Flamatt. Der Ehemann wurde am 6. März 1974 ins Inselspital Bern eingewiesen, wo er am 30. April 1974 verstarb. Am 9. April 1974 gelangte der Sozialdienst des Inselspitals an die Schweizerische Kranken- und Unfallkasse Konkordia mit dem Begehren um Übernahme der Krankenpflegekosten auf Grund des in der Gemeinde Überstorf bestehenden Krankenversicherungsobligatoriums. Die Krankenkasse bestritt die Leistungspflicht mit der Begründung, Oscar Zumwald habe keinen Antrag zur Aufnahme in die Krankenversicherung gestellt und sei auch nicht von Amtes wegen der Kasse zugewiesen worden. Eine Kassenmitgliedschaft sei daher nicht begründet worden.
Mit Verfügung vom 11. Juni 1974 bestätigte die Kasse ihre Stellungnahme gegenüber der Ehefrau des Verstorbenen.
B.- Martha Zumwald beschwerte sich beim Kantonsgericht in Freiburg und machte geltend, ihr Ehemann hätte gemäss dem in der Gemeinde Überstorf auf den 1. Januar 1973 in Kraft getretenen Krankenversicherungsobligatorium zwangsweise der Krankenkasse Konkordia zugeteilt werden müssen, nachdem er sich nicht von sich aus versichert habe. Das Versicherungsverhältnis hätte auch nach dem Wohnortswechsel weitergeführt werden können.
Die Vorinstanz wies die Beschwerde am 2. September 1974 ab mit der Begründung, das von der Gemeinde verfügte Versicherungsobligatorium habe nicht unmittelbar die Kassenmitgliedschaft der versicherungspflichtigen Personen zur Folge. Die Mitgliedschaft setze vielmehr ein Eintrittsbegehren bzw. eine von der Gemeinde zwangsweise verfügte Zuteilung zu einer der beiden Vertragskassen voraus. Im Falle von Oscar Zumwald habe nie eine persönliche Zugehörigkeit zur Krankenkasse Konkordia bestanden; weder habe er der Kasse je freiwillig angehört noch sei er ihr von der Gemeinde zwangsweise als Mitglied zugewiesen worden. Die Voraussetzungen hiezu seien im übrigen bereits im August 1973 mit dem Wohnsitzwechsel dahingefallen.
C.- Martha Zumwald erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Begehren, die Krankenkasse Konkordia habe für ihren verstorbenen Ehemann "die statutarischen Leistungen aus der Krankenpflegeversicherung während des Aufenthaltes im Inselspital Bern vom 6. März 1974 bis 30. April 1974 zu gewähren". In der Begründung hält sie daran fest, das von der Gemeinde verfügte Versicherungsobligatorium habe unmittelbar zur Folge gehabt, dass ihr Ehemann bei der Krankenkasse Konkordia versichert gewesen sei. Dass er der Kasse nicht als Mitglied zugewiesen worden sei, habe er nicht zu vertreten. Soweit ein bundesrechtlich statthaftes Obligatorium bestehe, sei dieses auch durchzusetzen, nicht anders als in der obligatorischen Unfallversicherung.
Während die Krankenkasse auf eine Stellungnahme verzichtet, beantragt das Bundesamt für Sozialversicherung Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Nach Auffassung des Bundesamtes hätte die Gemeinde hinreichend Zeit gehabt, die zwangsweise Zuteilung zur Kasse vorzunehmen. Dass die Gemeinde den Versicherungspflichtigen der Kasse nicht rechtzeitig gemeldet habe, entbinde diese nicht von ihren Verpflichtungen. Andernfalls würde das Institut der Zwangsversicherung illusorisch und die Durchführung der obligatorischen Krankenversicherung in Frage gestellt.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
b) Gegen eine Verfügung auf dem Gebiete der gestützt auf Art. 2 KUVG obligatorisch erklärten Krankenversicherung ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde insoweit zulässig, als sich die Verfügung auf Bundesrecht stützt oder hätte stützen sollen (BGE 98 V 163). Im vorliegenden Fall ist streitig, ob der Ehemann der Beschwerdeführerin auf Grund des von der Gemeinde verfügten Versicherungsobligatoriums Anspruch auf die gesetzlichen und statutarischen Versicherungsleistungen hat. Dies beurteilt sich - wie nachstehend darzutun sein wird - nach den bundesrechtlichen Grundsätzen über die Entstehung und Rechtsnatur des Versicherungsverhältnisses. Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist somit einzutreten.
2. a) Die Gemeinde Überstorf hat auf den 1. Januar 1973 die obligatorische Krankenversicherung für alle auf dem Gemeindegebiet wohnhaften Personen eingeführt und hiefür mit der Christlichsozialen Kranken- und Unfallkasse der Schweiz und mit der Schweizerischen Kranken- und Unfallkasse Konkordia einen Vertrag abgeschlossen. In einem von der Gemeinde erlassenen Reglement wird zur Versicherungspflicht ausgeführt, diese beginne mit dem Monat, in welchem eine Person im Sinne der Art. 23 ff. ZGB auf dem Gemeindegebiet Wohnsitz nehme (Art. 2 und 3). Nach Art. 8 des Reglementes kann der Versicherungspflicht durch Beitritt zu den "obligatorischen Versicherungskassen" (Vertragskassen) oder durch Mitgliedschaft bei einer andern anerkannten Krankenkasse nachgekommen werden. Nichtversicherte haben ein Eintrittsbegehren auf einem Formular auszufüllen, welches ihnen von der Kasse oder von der Gemeinde ausgehändigt wird (Art. 9). Gemäss Art. 12 setzt die Gemeinde Anfang und Ende der Versicherungspflicht fest und macht dem Versicherten und der Kasse hierüber schriftlich Mitteilung. Die Gemeinde überwacht die Erfüllung der Versicherungspflicht; kommt jemand trotz Mahnung der Versicherungspflicht nicht nach, so wird er von Amtes wegen durch die Gemeinde einer der beiden Vertragskassen nach einer bestimmten Schlüsselung zugeführt (Art. 13).
b) Auf Grund dieser Bestimmungen stellt sich die Krankenkasse Konkordia (welcher der Ehemann der Beschwerdeführerin nach der im Gemeindereglement festgelegten Schlüsselung angeschlossen worden wäre) auf den Standpunkt, mangels eines persönlichen Beitrittes oder einer zwangsweisen Zuweisung durch die Gemeinde sei kein Versicherungsverhältnis begründet worden, weshalb die Kasse auch nicht leistungspflichtig sei.
Demgegenüber vertritt die Beschwerdeführerin die Auffassung, die Gemeinde hätte Oscar Zumwald im Sinne des bestehenden Versicherungsobligatoriums zwangsweise der Krankenkasse Konkordia zuteilen müssen. Mit dem Obligatorium werde die Kasse unmittelbar dem Versicherten gegenüber verpflichtet, die vertraglich festgelegten Leistungen zu gewähren.
3. Die geltende Krankenversicherung beruht auf dem System der persönlichen Versicherung. Die Rechte und Pflichten des Versicherten ergeben sich aus dessen persönlicher Zugehörigkeit zu einer Krankenkasse und werden durch den Kassenbeitritt begründet. Dies gilt grundsätzlich auch in der obligatorischen Krankenversicherung von Kantonen und Gemeinden (vgl. BONER/HOLZHERR, Die Krankenversicherung, S. 27; STEINMANN, Die Stellung der Kantone in der Krankenversicherung unter besonderer Berücksichtigung des Obligatoriums, Diss. Zürich 1973, S. 37). Das im vorliegenden Fall bestehende Versicherungsobligatorium beseitigt lediglich die Freiwilligkeit des Kassenbeitritts in dem Sinne, dass sich der Nichtversicherte einer anerkannten Krankenkasse anzuschliessen hat; ein zwangsweiser Anschluss an eine Kasse erfolgt nur, falls der Versicherungspflichtige dieser Pflicht nicht nachkommt. Das Versicherungsverhältnis wird demzufolge nicht schon damit begründet, dass die gesetzlichen Voraussetzungen der Versicherungspflicht erfüllt sind; vielmehr bedarf es eines Beitritts seitens des Versicherungspflichtigen bzw. einer Zuweisung durch das Gemeinwesen.
Dass unter diesen Umständen trotz des Obligatoriums Lücken im Versicherungsschutz bestehen können, mag als unbefriedigend erscheinen, ergibt sich indessen aus der Natur des in Rede stehenden Obligatoriums, welches keine Versicherung von Gesetzes wegen, sondern lediglich eine Versicherungspflicht begründet. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin lässt sich das vorliegende Obligatorium daher auch nicht mit demjenigen der Unfallversicherung im Sinne des zweiten Titels des KUVG vergleichen. Vielmehr verhält es sich wie bei den gemäss Art. 4 Abs. 2 AlVG erlassenen Obligatorien der Arbeitslosenversicherung (vgl. HOLZER, Kommentar zum Bundesgesetz über die Arbeitslosenversicherung S. 37 f.; VÖKT, Rechtsstellung und Rechtsbeziehungen der Kassen nach dem neuen Bundesgesetz über die Arbeitslosenversicherung, Diss. Basel 1954, S. 142).
b) Der Einwand, die Gemeindeverwaltung hätte bis Ende Juli 1973, als die Eheleute Zumwald die Gemeinde Überstorf verliessen, genügend Zeit gehabt, eine Zwangszuteilung vorzunehmen, vermag zu keinem andern Ergebnis zu führen. Nach dem Gesagten setzt die Leistungspflicht der Kasse ein tatsächliches Mitgliedschaftsverhältnis voraus. Selbst eine pflichtwidrige Unterlassung der Zwangszuteilung vermag nicht mitgliedschaftsbegründend zu sein. Ein fehlerhaftes Verhalten der Gemeindeverwaltung kann allenfalls deren Haftbarkeit begründen, eine Leistungspflicht der Krankenkasse lässt sich hieraus aber nicht ableiten.
Etwas anderes ergibt sich auch aus dem zwischen der Gemeinde Überstorf und den beteiligten Krankenkassen geschlossenen Vertrag nicht. Dieser regelt praktisch nur die Versicherungsleistungen und enthält keine Bestimmung, wonach bei einem Zuteilungsversäumnis der Gemeindeverwaltung dennoch eine Leistungspflicht der Vertragskasse entstehen würde. Auch aus den erwähnten Bestimmungen des Gemeindereglementes ergeben sich hiefür keine Anhaltspunkte. Die getroffene Regelung beruht vielmehr auf dem vollzogenen Kassenbeitritt, weshalb die Krankenkasse zu Recht eine Leistungspflicht abgelehnt hat.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.