BGE 102 V 223 |
55. Urteil vom 3. Dezember 1976 i.S. Renggli gegen Kantonale Arbeitslosenversicherungskasse Schaffhausen und Rekurskommission der Arbeitslosenversicherung des Kantons Schaffhausen |
Regeste |
Art. 13 Abs. 1 AlVG. |
Sachverhalt |
Anton Renggli war seit 1969 Mitglied der Arbeitslosenkasse des Schweizerischen Werkmeisterverbandes; Alois Renggli gehörte seit 1964 der Kantonalen Arbeitslosenversicherungskasse an, und Josef Renggli wurde 1974 wieder in die kantonale Kasse aufgenommen, nachdem er vorübergehend wegen selbständiger Erwerbstätigkeit entlassen worden war.
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Mit Verfügungen vom 23. Dezember 1975 teilte die kantonale Arbeitslosenkasse Josef und Alois Renggli mit, dass sie als Aktionäre einer Familien-Aktiengesellschaft nicht Arbeitnehmer sein könnten und deshalb rückwirkend auf den 31. Dezember 1973 aus der Mitgliedschaft wieder entlassen würden unter Rückerstattung der für 1974 und 1975 bezahlten Prämien.
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B.- Gegen diese Verfügungen beschwerten sich Josef und Alois Renggli bei der Rekurskommission der Arbeitslosenversicherung des Kantons Schaffhausen. Sie stellten den Antrag, ihre "Mitgliedschaft der kant. Arbeitslosenkasse Schaffhausen aufrecht erhalten zu können und auch in den Genuss von deren Leistungen zu kommen".
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Die Vorinstanz hat beide Beschwerden mit Entscheiden vom 6. April 1976 abgewiesen.
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C.- Josef und Alois Renggli lassen Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und beantragen, die angefochtenen Entscheide sowie die Kassenverfügungen vom 23. Dezember 1975 seien aufzuheben. Zur Begründung wird auf die in ARV 1953 Nr. 48 und 1959 Nr. 56 publizierten Urteile des Eidg. Versicherungsgerichts sowie auf das Kreisschreiben des Bundesamtes für Industrie, Gewerbe und Arbeit vom 24. Juli 1975 verwiesen und geltend gemacht: Die Beschwerdeführer seien regelmässig als Arbeitnehmer bei der Firma Gebr. Renggli AG tätig; ihre Arbeit sei voll und ganz kontrollierbar. Rechtspolitisch sei bedeutsam, dass heute mit guten Gründen die Versicherbarkeit von Selbständigerwerbenden postuliert werde. Beim Arbeitnehmer einer Aktiengesellschaft, die unter teilweisem Einfluss dieses Aktionärs stehe, dürften nicht gegenüber früher erhöhte Anforderungen an die Versicherungsfähigkeit gestellt werden. Jeder der beiden Beschwerdeführer sei Minderheitsaktionär und könne von den andern zwei Brüdern majorisiert werden, was eine gewisse Abhängigkeit von der Gesellschaft bedeute.
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Die Arbeitslosenversicherungskasse verzichtet auf eine Vernehmlassung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
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Das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit stellt den Antrag auf Abweisung beider Verwaltungsgerichtsbeschwerden.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: |
In seinem Kreisschreiben vom 24. Juli 1975 hat sich das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit zur Versicherbarkeit von Personen, die Inhaber von Aktien der Firma sind, in der sie arbeiten, eingehend geäussert und erklärt, dass solche Personen unter den allgemein gültigen Voraussetzungen sich einer Arbeitslosenversicherungskasse anschliessen können. Sie müssten somit Arbeitnehmer sein. Wesentliches Merkmal des Arbeitnehmerbegriffs sei die Abhängigkeit des Arbeitnehmers, d.h. die Unselbständigkeit seiner Arbeitsweise, bzw. das Unterordnungsverhältnis in arbeitsorganisatorischer Hinsicht. Auch Personen in leitender Funktion könnten Arbeitnehmer sein. Hingegen sei weder der Alleinaktionär noch der Mehrheitsaktionär Arbeitnehmer seiner Firma, über die er wirtschaftlich wie über sein Eigentum verfügen könne. Bei Minderheitsaktionären müsse fallweise, je nach der Stellung, die sie im Betrieb einnehmen, entschieden werden, wobei es sich im Zweifel empfehlen werde, darauf abzustellen, ob die Betreffenden AHV-rechtlich als Selbständigerwerbende oder als Unselbständigerwerbende gelten.
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Die vom Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit angeführten Kriterien beruhen weitgehend auf der Praxis des Eidg. Versicherungsgerichts zur Frage der Arbeitnehmereigenschaft im Sinn von Art. 13 Abs. 1 AlVG. In ARV 1957 Nr. 49 legte das Gericht das Hauptgewicht darauf, dass die Arbeit auf Rechnung eines Unternehmens geleistet wird und dass ein arbeitsorganisatorisches Unterordnungsverhältnis besteht (vgl. ARV 1953 Nr. 47 und 48). Ausschlaggebende Bedeutung wurde dem Umstand beigemessen, dass die betreffende Person mit der AHV als Selbständigerwerbende abrechnete. Das Gericht äusserte sich ferner in dem Sinn, dass der Begriff des Unselbständigerwerbenden in der AHV nicht enger sei als der Begriff des Arbeitnehmers im Arbeitslosenversicherungsrecht. In ARV 1959 Nr. 56 stellte es aber klar, dass der Versicherte in der Arbeitslosenversicherung nicht notwendigerweise gleich behandelt werden müsse wie in der AHV; immerhin bilde das AHV-rechtliche Beitragsstatut ein Indiz, und die in der Arbeitslosenversicherung zu treffende Lösung sollte nicht ohne zwingende Gründe von derjenigen der AHV abweichen.
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Nach dieser Rechtsprechung käme also dem AHV-Beitragsstatut ausschlaggebende Bedeutung zu; mindestens aber hätte es als Ausgangspunkt für die arbeitslosenversicherungsrechtliche Qualifikation einer Person zu dienen. Eine solche Konzeption würde zwar die Beurteilung des Einzelfalles vereinfachen und zudem dem berechtigten Postulat nach Begriffsharmonisierung in allen Sozialversicherungsbereichen entsprechen. Sie vermöchte aber den besondern Belangen der Arbeitslosenversicherung nicht voll zu genügen, zumal hier hinzukommt, dass die Versicherungsfähigkeit auch von der Regelmässigkeit und der Überprüfbarkeit der Erwerbstätigkeit abhängt, was sich zum Teil mit der Arbeitnehmereigenschaft überschneidet, sich aber mit ihr nicht deckt. Eine Übergewichtung des AHV-Beitragsstatuts liesse zudem befürchten, dass den personellen und wirtschaftlichen Realitäten nicht genügend Rechnung getragen werden könnte. In dieser Richtung ging schon das in ARV 1969 Nr. 33 publizierte Urteil, in welchem das Gericht erklärt, dass die Kriterien zur Bestimmung der Arbeitnehmereigenschaft in der AHV/IV/EO nicht notwendigerweise die gleichen seien wie in der Arbeitslosenversicherung. Schliesslich führte es in ARV 1971 Nr. 2 aus, dass die Arbeitsbedingungen in ihrer Gesamtheit betrachtet werden müssten.
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Angesichts dieser Rechtsprechung, die eine gewisse Klarheit vermissen lässt, sieht sich das Gericht heute veranlasst, seine Praxis dahin zu präzisieren, dass dem AHV-Beitragsstatut kein ausschlaggebendes Gewicht für die Stellung des Betroffenen in der Arbeitslosenversicherung zukommt, sondern dass es ein Indiz bildet, das in gleicher Weise wie die übrigen Beurteilungsfaktoren - insbesondere rechtlicher und wirtschaftlicher Art - und zusammen mit diesen zu würdigen ist.
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2. Die Brüder Anton, Josef und Alois Renggli sind mit je einem Drittel am Aktienkapital der Gebrüder Renggli AG beteiligt. Sie bilden zusammen den Verwaltungsrat, führen die Firmengeschäfte gemeinsam und gleichberechtigt und tragen eigene wirtschaftliche Risiken. Als alleinige Aktionäre sind sie weder zeitlich noch organisatorisch massgeblich fremden Direktiven unterworfen. Zutreffend weist das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit darauf hin, dass gerade darin der entscheidende Unterschied zu dem in den Verwaltungsgerichtsbeschwerden zitierten, in ARV 1953 Nr. 48 veröffentlichten Urteil i.S. Borgognon liegt. Dieser Versicherte wurde trotz seiner Eigenschaft als Direktor und Verwaltungsratsdelegierter einer Aktiengesellschaft als Arbeitnehmer bezeichnet, weil er nicht für seine eigene, sondern für die Rechnung der Gesellschaft tätig war, die - als Inhaberin des Unternehmens - allein Risiken zu tragen hatte und aus ihrer Aktivität die Gewinne zog; daher hatte Borgognon gegenüber der Gesellschaft die Stellung eines Arbeitnehmers. Bei einer Familien-Aktiengesellschaft dagegen haften die einzelnen Aktionäre im Umfang ihrer finanziellen Beteiligung für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft; anderseits haben sie im Verhältnis ihres Aktienbesitzes Anspruch auf Dividende und auf den Anteil an einem allfälligen Liquidationsgewinn. So verhält es sich bei den Brüdern Renggli.
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Was in den Verwaltungsgerichtsbeschwerden dagegen vorgebracht wird, ist unbehelflich. Dass die drei Aktionäre und Verwaltungsräte der Firma Gebrüder Renggli AG von der AHV als Unselbständigerwerbende erfasst sind, tritt gegenüber der Tatsache, dass sie gemeinsam Eigentümer und Leiter ihres Unternehmens und als solche niemandem unterstellt sind, eindeutig in den Hintergrund. Wohl ist es möglich, dass der einzelne der drei Verwaltungsräte von den beiden andern überstimmt wird. Das macht ihn aber nicht schon zu einem Unterstellten, jedenfalls nicht bei den heute vorliegenden Verhältnissen, wo die drei Brüder alleinige Aktionäre und Verwaltungsräte der Familien-Aktiengesellschaft sind, die zugegebenermassen in der Absicht gegründet wurde, das private Eigentum der drei Beteiligten bei einer allfälligen Liquidation der Firma zu schützen.
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Aus allem ergibt sich, dass die Brüder Renggli arbeitslosenversicherungsrechtlich nicht als Arbeitnehmer qualifiziert werden können und daher nicht versicherbar sind. Wohl mag es, wie in den Verwaltungsgerichtsbeschwerden ausgeführt wird, rechtspolitisch wünschbar sein, auch Selbständigerwerbende als versicherungsfähig anzuerkennen. Dabei handelt es sich aber um ein de lege ferenda zu lösendes Problem, in das der Richter nicht durch eigene Rechtsfindung eingreifen darf.
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3. Unbefriedigend ist freilich, dass die Beschwerdeführer vom 1. Januar 1974 hinweg weiterhin in der Arbeitslosenkasse belassen bzw. neu aufgenommen wurden und dass die Verwaltung erst rund zwei Jahre später anlässlich einer Taggeldforderung die Versicherungsunfähigkeit feststellte und den rückwirkenden Ausschluss verfügte. Indessen war die Verwaltung verpflichtet, den gesetzmässigen Zustand wiederherzustellen. Davon könnte nur abgesehen werden, wenn der im Verwaltungsrecht geltende Grundsatz von Treu und Glauben dies erfordern würde. Insbesondere wäre eine vom geltenden materiellen Recht abweichende Behandlung des Rechtsuchenden nur zulässig, wenn dieser im Vertrauen auf die Richtigkeit eines Verwaltungsaktes Dispositionen getroffen hat, die nicht ohne Nachteil rückgängig gemacht werden können, bzw. Dispositionen zu treffen unterlassen hat, die nicht ohne Nachteil nachgeholt werden können (BGE 100 V 157, unveröffentlichtes Urteil vom 9. Juni 1976 i.S. Neinhaus). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Die Beschwerdeführer selber machen in keiner Weise geltend, im Vertrauen auf die Aufnahme in die Arbeitslosenkasse bzw. auf die Weiterdauer der Mitgliedschaft Dispositionen der erwähnten Art getroffen oder unterlassen zu haben.
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Mit Recht hat daher die Kantonale Arbeitslosenkasse Josef und Alois Renggli rückwirkend auf den 31. Dezember 1973 aus der Mitgliedschaft wieder entlassen.
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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