48. Urteil vom 9. November 1978 i.S. S. gegen Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen und Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen
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Regeste
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Kinderrenten für Pflegekinder (Art. 49 AHVV).
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Sachverhalt
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A.- Mit Verfügung vom 10. September 1975 wurde Eugen S. eine ab 1. März 1975 laufende ganze einfache Invalidenrente samt Zusatzrente für seine Ehefrau zugesprochen. Weil der Versicherte in der Anmeldung zum Leistungsbezug Mario S. (geb. 25. Juli 1960) als eheliches Kind bezeichnet hatte, wurde auch eine Kinderrente ausgerichtet. Nachdem die Ehefrau des Versicherten am 30. März 1976 das 60. Altersjahr vollendet hatte, sprach ihm die Ausgleichskasse mit Wirkung ab 1. März 1976 eine Ehepaar-Invalidenrente sowie eine Doppel-Kinderrente zu (Verfügung vom 21. Mai 1976).
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Anlässlich der Anmeldung zum Bezuge der die Invalidenrente ablösenden Altersrente stellte die Ausgleichskasse fest, dass es sich bei Mario S. nicht um ein eheliches Kind des Versicherten, sondern um ein aussereheliches Kind seiner Tochter handelt, welches seit der Geburt in seinem Haushalt lebt. Mit Verfügung vom 9. Juni 1976 teilte die Ausgleichskasse Eugen S. mit, er könne keine Kinderrente der AHV beanspruchen, weil das Pflegeverhältnis wegen Unterhaltsleistungen der leiblichen Mutter und des Kindsvaters nicht unentgeltlich sei. Ebensowenig habe aber ein Anspruch auf eine Kinderrente der Invalidenversicherung bestanden, weshalb die von Mai 1975 bis Mai 1976 zu Unrecht ausgerichteten Kinderrenten im Betrage von Fr. 5'214.- zurückzubezahlen seien.
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B.- Beschwerdeweise beantragte die Amtsvormundschaft, in Aufhebung der Verfügung vom 9. Juni 1976 sei die Kinderrente der AHV auszurichten und die Rückforderung von Fr. 5'214.- als gegenstandslos zu erklären; sollte die Beschwerde abgewiesen werden, so sei die Eingabe als Erlassgesuch zu behandeln. Es wurde im wesentlichen geltend gemacht, das Mündel Mario S. habe sich seit seiner Geburt praktisch ununterbrochen im Haushalt seiner Grosseltern aufgehalten, nachdem seine Mutter nie in der Lage gewesen sei, ihm Pflege und Erziehung angedeihen zu lassen. Der Kindsvater sei verpflichtet worden, an den Unterhalt von Mario S. bis zum 6. Lebensjahr Fr. 90.- monatlich, vom 7. bis 13. Lebensjahr Fr. 120.- und vom 14. bis 18. Jahr Fr. 140.- zu bezahlen. Trotz Strafklage wegen Vernachlässigung von Unterstützungspflichten und Betreibungen hätten die Unterhaltsbeiträge kaum eingebracht werden können; die letzte Zahlung im Betrage von Fr. 78.50 sei am 2. Oktober 1974 erfolgt. Auch die Mutter habe zwangsmässig an die Unterstützungspflicht gebunden werden müssen; sie habe sich verpflichtet, monatlich Fr. 120.- bis zum 9. Altersjahr ihres Sohnes und anschliessend Fr. 150.- bis zu dessen Eintritt ins Erwerbsleben zu leisten. Seither seien im Durchschnitt Fr. 100.- im Monat eingegangen, wovon noch die Kostenvorschüsse für die Betreibungen gegenüber dem Kindsvater hätten abgezogen werden müssen. Da dieser Betrag weniger als einen Viertel der Unterhaltskosten ausmache, sei nach der Rechtsprechung Unentgeltlichkeit des Pflegeverhältnisses anzunehmen, weshalb die Kinderrente geschuldet sei.
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Die Ausgleichskasse führte in ihrer Vernehmlassung aus, dass sie mangels Richtlinien zur Berechnung des Unterhaltsbedarfs von Pflegekindern bis zu 16 Jahren ermessensweise von einem Notbedarf von Fr. 12.- im Tage ausgehe. Somit würden die von der Mutter erbrachten monatlichen Beiträge mehr als einen Viertel betragen, weshalb das Pflegeverhältnis nicht als unentgeltlich bezeichnet werden könne.
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Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen stellte fest, dass Mario S. von seinen Grosseltern lange vor dem Eintritt der Invalidität von Eugen S. zu dauernder Pflege und Erziehung aufgenommen worden sei. Die Verwaltung habe im Rahmen des ihr zustehenden Ermessensspielraums gehandelt, wenn sie die monatlichen Pflegekosten auf Fr. 365.- geschätzt habe. Die erhaltenen Beiträge von durchschnittlich Fr. 100.- im Monat lägen demnach über der von der Rechtsprechung festgelegten Toleranzgrenze von 25%. Durch Entscheid vom 1. April 1977 wies das Versicherungsgericht daher die Beschwerde ab und überwies die Akten zur Prüfung des Erlassgesuchs an die Ausgleichskasse.
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C.- Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde stellt die Amtsvormundschaft die Anträge, in Aufhebung des kantonalen Urteils sei das Pflegeverhältnis als unentgeltlich anzuerkennen und daher die Rückzahlungspflicht zu verneinen; eventuell sei der Anspruch auf eine einfache Kinderrente bzw. eine Doppel-Kinderrente vom 1. März 1975 bis 31. März 1976 (Beginn der Lehre von Mario S.) zu bejahen und die darüber hinaus geleisteten Zahlungen seien zu erstatten.
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Ausgleichskasse und Bundesamt für Sozialversicherung schliessen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
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"Pflegekinder haben beim Tode der Pflegeeltern Anspruch auf eine
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Waisenrente, wenn sie unentgeltlich zu dauernder Pflege und Erziehung
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aufgenommen worden sind."
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b) Laut ständiger Rechtsprechung sind die Voraussetzungen der Unentgeltlichkeit der Pflege und Erziehung eines Pflegekindes erfüllt, wenn die von Dritten geleisteten Unterhaltsbeiträge nicht mehr als einen Viertel der tatsächlichen Unterhaltskosten ausmachen (BGE 103 V 57 Erw. 1b mit Hinweisen). In diesem Urteil hat das Eidg. Versicherungsgericht zudem eine neue, einheitliche Methode zur Bemessung des Unterhaltsbedarfs von Kindern eingeführt und stützt sich auf die von HANS WINZELER in Zusammenarbeit mit dem Jugendamt des Kantons Zürich ermittelten und um einen Viertel reduzierten Ansätze (BGE BGE 103 V 57 Erw. 1b; HANS WINZELER, Die Bemessung der Unterhaltsbeiträge für Kinder, Diss. Zürich 1974; vgl. dazu auch ZAK 1978 S. 295 ff.). Massgebend zur Bestimmung des Unterhaltsbedarfs ist grundsätzlich der Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles, wobei aber die voraussichtliche Entwicklung auf lange Sicht mit zu berücksichtigen ist (BGE 103 V 58 Erw. 1c).
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Auf Grund eines Beschlusses des Gesamtgerichts sind der Frage nach der Unentgeltlichkeit des Pflegeverhältnisses die effektiv geleisteten Unterhaltsbeiträge zugrunde zu legen. Insoweit ein höherer Unterhaltsbeitrag geschuldet ist, muss feststehen, dass der nicht bezahlte Teil des Beitrages objektiv nicht einbringlich ist. Die rechtlich geschuldeten Beiträge sind nur insoweit zu berücksichtigen, als die begründete Annahme besteht, dass sie in Zukunft tatsächlich bezahlt bzw. nachbezahlt werden.
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b) Mario S. war im Zeitpunkt der Entstehung der Invalidenrente seines Grossvaters (1. März 1975) knapp 15jährig. Gemäss den in Erw. 1 erwähnten, auf den vorliegenden Fall anwendbaren Empfehlungen des Jugendamtes des Kantons Zürich belief sich der Unterhaltsbedarf eines 13- bis 16jährigen Einzelkindes damals auf Fr. 710.- (Landesindex der Konsumentenpreise, Stand Dezember 1975). Nach Herabsetzung um einen Viertel ergibt sich ein massgebender Ansatz von Fr. 533.- (vgl. ZAK 1978 S. 297). Laut den Angaben der Amtsvormundschaft konnte vom Kindsvater trotz Strafklage wegen Vernachlässigung von Unterstützungspflichten und Betreibungen letztmals am 2. Oktober 1974 Fr. 78.50 erhältlich gemacht werden; und von der Mutter seien im Durchschnitt Fr. 100.- monatlich eingegangen.
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Würde auf diese Angaben abgestellt, so würden die für Mario S. geleisteten Unterhaltsbeiträge weniger als einen Viertel seines Unterhaltsbedarfes ausmachen, weshalb das Pflegeverhältnis als unentgeltlich angesehen werden müsste und die entsprechenden Kinderrenten nicht zu Unrecht ausgerichtet worden wären. Indessen haben Verwaltung und Vorinstanz die Angaben der Amtsvormundschaft über die eingegangenen Unterhaltsbeiträge nicht überprüft. Zudem kann auf Grund der Akten die Frage nicht beantwortet werden, ob die begründete Aussicht besteht, dass in Zukunft trotz Ausnützung sämtlicher rechtlicher Möglichkeiten weder vom Kindsvater noch von der Mutter des Mario S. die geschuldeten Beiträge von zusammen Fr. 290.- monatlich erhältlich gemacht werden könnten. Die Ausgleichskasse, an welche die Sache zurückgewiesen wird, hat diese Abklärungen vorzunehmen und gestützt darauf über den Anspruch auf die Kinderrente sowohl der Invalidenversicherung als auch der AHV bzw. über eine eventuelle Rückforderung neu zu verfügen. Sie wird dabei zu beachten haben, dass entgegen der angefochtenen Verfügung vom 9. Juni 1976 eine allfällige Rückforderung auch die Monate März und April 1975 zu umfassen hätte.
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 1. April 1977 sowie die angefochtene Kassenverfügung vom 9. Juni 1976 aufgehoben werden. Die Sache wird an die Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen zurückgewiesen, damit sie im Sinne der Erwägungen verfahre.
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