41. Auszug aus dem Urteil vom 17. September 1980 i.S. N. gegen Krankenkasse des Kantons Bern und Versicherungsgericht des Kantons Aargau
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Regeste
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Art. 12 KUVG und 23 Abs. 2 Vo III.
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Aus den Erwägungen:
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Die Statuten der Krankenkasse des Kantons Bern sehen bei Aufenthalt in einer Heilanstalt mindestens die gesetzlichen Leistungen vor (Art. 43 Abs. 4). Bei ärztlich verordneten Entwöhnungskuren für Trunksüchtige werden die gleichen Leistungen gewährt, wobei sich die Höhe des Beitrages an die übrigen Kosten der Krankenpflege nach den bundesrechtlichen Vorschriften (Art. 24 Abs. 1 Vo III) bemisst (Art. 45); vorbehalten bleibt eine Kürzung oder Verweigerung der Leistungen wegen groben Selbstverschuldens (Art. 86 lit. d).
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Gemäss Art. 85 lit. f der Statuten werden keine Versicherungsleistungen gewährt "während der Internierung in Untersuchungs- oder Strafhaft, während des richterlichen oder administrativen Massnahmenvollzugs in Anstalten jeglicher Art und während der Einweisung zur psychiatrischen Behandlung".
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Wie das Bundesamt für Sozialversicherung zutreffend bemerkt, ist im Bereich der Versicherungsleistungen zu beachten, dass das Gesetz Mindestleistungen vorsieht, auf welche grundsätzlich jeder Versicherte Anspruch hat. Die in Art. 12 ff. KUVG statuierte Leistungspflicht der Kassen würde aber in Frage gestellt, wenn die Kassen in den Statuten beliebig Voraussetzungen nennen könnten, unter welchen sie die gesetzlichen Leistungen nicht zu erbringen hätten. Einschränkende Bestimmungen sind - im Rahmen des Grundsatzes der Rechtsgleichheit - nur soweit zulässig, als sie sich sachlich begründen lassen. Im übrigen haben die Kassen die Versicherung nach dem Grundsatz der Gegenseitigkeit zu betreiben (Art. 3 Abs. 3 KUVG, BGE 105 V 281) und - insbesondere bei der Anordnung von Sanktionen - das Verhältnismässigkeitsprinzip zu beachten (BGE 104 V 10, BGE 102 V 197, BGE 99 V 129, 98 V 147; RSKV 1980 S. 20).
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4. a) Im nicht veröffentlichten Urteil vom 16. Mai 1974 i.S. Akyildiz hat das Eidg. Versicherungsgericht festgestellt, eine Statutenbestimmung, wonach während des Vollzugs einer Untersuchungs- bzw. Strafhaft oder einer administrativen Internierung in einer Arbeitserziehungsanstalt keine Leistungen gewährt werden, sei nicht bundesrechtswidrig, auch wenn sie sozialpolitisch nicht zu befriedigen vermöge. Dieses Urteil und die entsprechende Praxis der Aufsichtsbehörde blieben nicht unbestritten (vgl. RSKV 1979 S. 236, 1977 S. 55, 1969 S. 168 sowie Berichte der Eidgenössischen Expertenkommission für die Revision der Krankenversicherung vom 11. Februar 1972, S. 110, und vom 5. Juli 1977, S. 73). Ob hieran festgehalten werden kann, braucht im vorliegenden Verfahren indessen nicht näher geprüft zu werden, da es nicht um eine der in jenem Entscheid genannten Massnahmen, sondern um die Kosten einer gestützt auf Art. 44 StGB verfügten Einweisung in eine Trinkerheilanstalt geht.
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b) Die Statuten der Krankenkasse des Kantons Bern sehen einen Leistungsausschluss auch "während des richterlichen oder administrativen Massnahmenvollzugs in Anstalten jeglicher Art" vor. Damit wird eine Leistungspflicht auch mit Bezug auf Massnahmen zur Behandlung von Trunk- und Rauschgiftsüchtigen im Sinne von Art. 44 StGB ausgeschlossen. Bei diesen Massnahmen steht aber nicht die Strafe bzw. die Sicherung der Gesellschaft vor dem Straffälligen, sondern dessen Besserung mit therapeutischen Mitteln im Vordergrund. Sie werden angeordnet, weil der Richter (meist gestützt auf ein medizinisches Gutachten) zum Schluss gelangt, dass die Straftat in Zusammenhang mit einer behandlungsbedürftigen Krankheit steht. Die Behandlung erfolgt in der Regel in einer Heilanstalt im Sinne des KUVG und grundsätzlich in gleicher Weise wie bei nicht straffälligen Erkrankten der gleichen Art.
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Diese tatsächlichen Gegebenheiten können krankenversicherungsrechtlich nicht unbeachtet bleiben. Entscheidend ist, dass keine hinreichenden sachlichen Gründe bestehen, welche einen Ausschluss von der Leistungspflicht zu begründen vermöchten. Dass die Behandlung nicht "aus freien Stücken" erfolgt, ist entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht ausschlaggebend. Abgesehen davon, dass eine Heilanstaltsbehandlung kaum je als freiwillig bezeichnet werden kann, kennt das Gesetz keine Bestimmung, wonach die Versicherungsleistungen lediglich zu erbringen wären, wenn sie freiwillig in Anspruch genommen werden. Unter krankenversicherungsrechtlichen Gesichtspunkten macht es keinen grundsätzlichen Unterschied aus, ob sich der Versicherte aufgrund ärztlicher oder richterlicher Anordnung in einer Heilanstalt aufhält; insbesondere bestimmt sich die Dauer des Heilanstaltsaufenthaltes auch im Falle des Massnahmenvollzugs nach der Behandlungsbedürftigkeit (Art. 44 Ziff. 4 StGB). Statutenbestimmungen, mit welchen die Kassenleistungen bei Massnahmen nach Art. 44 StGB ausgeschlossen werden, erweisen sich demzufolge als bundesrechtswidrig. Dies gilt jedenfalls insoweit, als der Ausschluss nicht auf Fälle beschränkt wird, in welchen die Strafvollzugsbehörde für die Kosten des Massnahmenvollzugs aufkommt.
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