52. Auszug aus dem Urteil vom 14. November 1980 i.S. Imboden gegen Städtische Arbeitslosenkasse Bern und Versicherungsgericht des Kantons Bern
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Regeste
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Art. 29 Abs. 1 AlVV ist gesetzmässig (Erw. 2).
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Art. 38 Abs. 2 AlVV ist weder gesetz- noch verfassungswidrig (Erw. 5).
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Sachverhalt
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Beat Imboden, geboren 1952, schloss am 23. Oktober 1978 die Prüfungen für die Erlangung des bernischen Fürsprecherpatentes ab und erhielt am 25. Oktober 1978 durch schriftliche Mitteilung der Prüfungskommission Kenntnis von den Ergebnissen. Am 24. November 1978 wurde er als Fürsprecher patentiert, nachdem er am gleichen Tag den im Prüfungsreglement vorgesehenen Probevortrag gehalten hatte.
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Vom 1. November 1978 an besuchte Beat Imboden die Stempelkontrolle und machte mit Gesuch vom 2. November 1978 "ab sofort" einen Taggeldanspruch geltend. Mit Verfügung vom 11. Dezember 1978 stellte die Städtische Arbeitslosenkasse Bern fest, Beat Imboden sei "ab Patentierung zum bernischen Fürsprecher am 24. November 1978, nach Bestehen von 25 Sonderkarenztagen, anspruchsberechtigt". Ferner entschied die Arbeitslosenkasse Bern mit Verfügung vom 25. Mai 1979, dass sich das Taggeld nach einem Tagesverdienst von Fr. 80.-- bemesse und demnach Fr. 52.-- betrage.
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Gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Bern vom 1. November 1979, womit die Beschwerden Beat Imbodens abgewiesen wurden, erhebt dieser Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
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Aus den Erwägungen:
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Die gesetzliche Grundlage für Art. 29 Abs. 1 AlVV erblickt die Vorinstanz in Art. 9 Abs. 5 AlVB. Danach kann der Bundesrat Personengruppen, die aus besonderen Gründen den Nachweis der ausreichenden beitragspflichtigen Beschäftigung nicht erbringen können, unter bestimmten Voraussetzungen davon befreien. Der Beschwerdeführer wendet dagegen im wesentlichen ein, die Formulierung "unter bestimmten Voraussetzungen" bedeute nicht, dass den fraglichen Personengruppen z.B. eine Sonderkarenzfrist auferlegt werden könne; vielmehr sei gemeint, dass nur ganz bestimmten Personengruppen der betreffende Nachweis erlassen werde, so z.B. Personengruppen, welche die Voraussetzungen des Art. 17 AlVV erfüllten, indem sie wie er das Studium abgeschlossen hätten. Wie Art. 9 Abs. 5 AlVB auszulegen ist und ob diese Bestimmung allenfalls die gesetzliche Grundlage für Art. 29 Abs. 1 AlVV bildet, kann indessen aus den nachfolgenden Gründen offen bleiben.
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Art. 36 Abs. 2 AlVG (in Verbindung mit Art. 62 AlVG) ermächtigt den Bundesrat, die Anspruchsberechtigung für Versicherte, bei denen besondere Verhältnisse vorliegen, durch Verordnung abweichend vom Gesetz zu regeln, wobei in einem nicht abschliessenden Katalog als Beispiele einige Personengruppen aufgezählt werden. Der Beschwerdeführer behauptet, die in dieser Bestimmung erwähnten Personengruppen (Grenzgänger, Heimarbeiter, mit Provisionen oder Bedienungsgeldern entlöhnte Arbeitnehmer, Bezüger von Renten oder Taggeldern wegen Unfall oder Krankheit) zeigten, "dass es sich hier um etwas völlig anderes" handle; im übrigen "wäre auch diese Kompetenzbestimmung zu unbestimmt, um gestützt darauf in einer Vollziehungsverordnung (und erst recht in einer gesetzesvertretenden Verordnung) Art. 29 Abs. 1 AlVV zu erlassen". Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. Der Gesetzgeber hat dem Bundesrat in Art. 36 Abs. 2 AlVG einen weiten Ermessensbereich eingeräumt, um die Anspruchsberechtigung von Versicherten zu regeln, bei denen besondere Verhältnisse vorliegen. Die Einführung von Sonderkarenztagen beschlägt zweifellos die Anspruchsberechtigung der Versicherten. Ebenso liegen bei Versicherten, die unter Art. 29 Abs. 1 AlVV fallen, besondere Verhältnisse insofern vor, als sie einen Nachweis der von den andern Versicherten verlangten beitragspflichtigen Beschäftigung als Anspruchsvoraussetzung zum vornherein ausschliessen. Zutreffend ist zwar, dass der Gesetzgeber in Art. 26 AlVG selbst über Karenztage legiferiert hat. Daraus kann jedoch - entgegen der Meinung des Beschwerdeführers - nicht geschlossen werden, er habe sich damit die Regelung von Karenztagen generell vorbehalten. Vielmehr hat er damit den "Normalfall" geordnet, während er die Regelung von Sonderfällen in Art. 36 Abs. 2 AlVG dem Bundesrat überliess.
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b) Der Beschwerdeführer bringt des weitem vor, Art. 29 Abs. 1 AlVV verstosse gegen das Rechtsgleichheitsprinzip und das Willkürverbot des Art. 4 BV, indem er zwar Studienabschliessenden 25 Karenztage auferlege, nicht aber den ihnen vergleichbaren Lehrlingen, die bei Arbeitslosigkeit bereits nach einem Karenztag Taggelder der Arbeitslosenversicherung beziehen könnten.
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Bezüglich der Überprüfung umstrittener Verordnungsnormen hat das Bundesgericht in BGE 104 Ib 209 Erw. 3b folgendes ausgeführt:
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"Wenn die Delegationsnorm relativ unbestimmt ist und damit dem Bundesrat
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zwangsläufig ein grosser Bereich gesetzgeberischen Ermessens eingeräumt
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wird, muss das Bundesgericht sich auf die Prüfung beschränken, ob die
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umstrittenen Verordnungsvorschriften offensichtlich aus dem Rahmen der dem
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Bundesrat im Gesetz delegierten Kompetenzen herausfallen oder aus andern
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Gründen verfassungs- oder gesetzwidrig sind. Er kann jedoch sein eigenes
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Ermessen nicht an die Stelle desjenigen des Bundesrates setzen und hat auch
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nicht zu untersuchen, ob die vorgesehenen Massnahmen wirtschaftlich
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zweckmässig sind oder nicht. Für die Zweckmässigkeit der angeordneten
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Massnahmen zur Erreichung des gesetzes- oder verfassungsrechtlich
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bestimmten Zieles trägt der Bundesrat die Verantwortung, nicht das
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Bundesgericht. Die von ihm verordnete Regelung verstösst allerdings dann
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gegen Art. 4 BV, wenn sie sich nicht auf ernsthafte Gründe stützen lässt,
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wenn sie sinn- oder zwecklos ist oder wenn sie rechtliche Unterscheidungen
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trifft, für die sich ein vernünftiger Grund in den tatsächlichen
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Verhältnissen nicht finden lässt (BGE 103 Ib 140, BGE 101 Ib 145, BGE 100 Ib 312
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f., 99 Ib 169).
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Gleiches gilt, wenn eine Verordnung es unterlässt, Unterscheidungen zu
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treffen, die richtigerweise hätten berücksichtigt werden sollen."
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Somit ist zu prüfen, ob Art. 29 Abs. 1 AlVV sich nicht auf ernsthafte Gründe stützen lässt, ob er sinn- oder zwecklos ist oder rechtliche Unterscheidungen trifft, für die sich ein vernünftiger Grund in den tatsächlichen Verhältnissen nicht finden lässt. Unter diesem Gesichtspunkt ist folgendes von Bedeutung: Ohne Sonderkarenztage würde der unter Art. 29 Abs. 1 AlVV fallende Personenkreis insgesamt besser gestellt als die übrigen Versicherten (Lehrlinge eingeschlossen), deren Anspruchsberechtigung vom Nachweis einer ausreichenden beitragspflichtigen Beschäftigung abhängt. Eine solche Bevorzugung wollte der Verordnungsgeber vermeiden, indem er anordnete, dass der fragliche Personenkreis vor dem erstmaligen Bezug von Arbeitslosenentschädigung 25 Karenztage zu bestehen hat. Demnach stellen die 25 Karenztage gemäss Art. 29 Abs. 1 AlVV für die betreffenden Versicherten das Gegenstück zu dem von den übrigen Versicherten verlangten Beschäftigungsnachweis dar. Es kann deshalb nicht gesagt werden, Art. 29 Abs. 1 AlVV widerspreche Art. 4 BV im Sinne der zitierten Rechtsprechung. Die Vorinstanz ging daher zu Recht davon aus, dass der Beschwerdeführer 25 Karenztage zu bestehen hat.
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3. Streitig ist sodann, von welchem Tag an die vom Beschwerdeführer zu bestehenden Sonderkarenztage anzurechnen sind. Verwaltung und Vorinstanz halten dafür, dass auf das Datum der Patentierung des Beschwerdeführers zum bernischen Fürsprecher (24. November 1978) abzustellen sei. Der Beschwerdeführer vertritt demgegenüber die Auffassung, die Sonderkarenztage seien vom Tag nach der Bekanntgabe der Prüfungsergebnisse (26. Oktober 1978) bzw. eventuell vom erstmaligen Besuch der Stempelkontrolle (1. November 1978) an zu berechnen.
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a) Nach Art. 17 Abs. 1 AlVV ist für den Beginn der Befreiung vom Nachweis der beitragspflichtigen Beschäftigung der "Schulaustritt oder Abschluss bzw. Abbruch der Ausbildung" massgebend. Dieser Zeitpunkt ist auch das frühestmögliche Datum, von welchem an Sonderkarenztage bestanden werden können. Eine Vorverlegung des Beginns würde dazu führen, dass die Sonderkarenztage bei Schulaustritt bzw. Abschluss oder Abbruch der Ausbildung bereits zurückgelegt wären, womit Art. 29 Abs. 1 AlVV praktisch gegenstandslos würde. Im vorliegenden Fall ist denn auch nicht dieser Punkt umstritten, sondern die Frage, wann die Ausbildung des Beschwerdeführers abgeschlossen war.
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b) Im Urteil vom 25. Oktober 1976 i.S. Grüninger hat das Eidg. Versicherungsgericht entschieden, dass als Studienabschluss der Zeitpunkt gilt, in welchem der Student davon Kenntnis erhält, dass er die Schlussprüfung mit Erfolg bestanden hat (ARV 1977 Nr. 5 S. 26). Daran ist festzuhalten. Vorliegend geht aus den Akten hervor, dass der Beschwerdeführer die Prüfungen für das Fürsprecherpatent am 23. Oktober 1978 abschloss und die Mitteilung über das Prüfungsresultat am 25. Oktober 1978 erhielt. Fraglich ist jedoch, ob er mit diesem Datum Kenntnis davon erhielt, dass er auch die "Schlussprüfung" im Sinne des vorerwähnten Urteils bestanden hatte. Das Reglement über die Berner Fürsprecherprüfungen enthält unter anderem folgende Bestimmungen:
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"§ 19. Der Kandidat wird unter Vorbehalt des Probevortrages zur
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Patentierung empfohlen, wenn er 45 Punkte erreicht hat und nicht in 4
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Fächern als ungenügend (Noten 0, 1, 2) befunden worden ist.
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§ 20. Aufgrund des Prüfungsergebnisses und nach Anhörung des mündlichen
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Vortrages beschliesst das Obergericht über die Erteilung des Patentes.
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Ist der Probevortrag ungenügend, so kann das Obergericht einen neuen
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Probevortrag anordnen; wird dieser wiederum als ungenügend befunden, so
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kann der Bewerber abgewiesen werden."
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Neben dem Erreichen einer bestimmten Punktezahl in den Prüfungen ist demnach für die Patentierung erforderlich, dass das Obergericht den Probevortrag des Kandidaten als genügend erachtet. Diesen Vortrag hielt der Beschwerdeführer unbestrittenermassen am 24. November 1978, worauf er am gleichen Tag sein Patent erhielt. Die Vorinstanz nahm deshalb an, der Beschwerdeführer habe vom erfolgreichen Bestehen des Schlussexamens am 24. November 1978 Kenntnis erhalten und die Karenztage daher erst von diesem Tag an bestehen können. Der Beschwerdeführer behauptet demgegenüber, der Probevortrag bedeute eine reine Formalität, weshalb der 25. Oktober 1978 als Tag zu betrachten sei, an dem er vom erfolgreich bestandenen Schlussexamen Kenntnis erhalten habe. Dieser Betrachtungsweise kann jedoch nicht gefolgt werden. Die Vorinstanz hielt sich an den unmissverständlichen Wortlaut des Prüfungsreglementes; ihr Entscheid lässt sich daher auch in diesem Punkt nicht beanstanden.
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5. Schliesslich verlangt der Beschwerdeführer, das ihm zustehende Taggeld sei für die ganze Dauer seiner Bezugsberechtigung auf einem höheren Tagesverdienst als Fr. 80.-- festzusetzen. Dabei behauptet er nicht etwa, dass er nicht unter den von Verwaltung und Vorinstanz angewendeten Art. 38 Abs. 2 AlVV falle; vielmehr wendet er ein, diese Bestimmung sei gesetz- und verfassungswidrig, soweit darin festgelegt wird, dass das Taggeld der Absolventen von Hochschulen, Lehrerseminarien, höheren technischen Lehranstalten, Techniken, Fachschulen und ähnlichen Lehranstalten, die nach einer mindestens einjährigen Ausbildung einen beruflichen Abschluss vermitteln, höchstens nach einem Tagesverdienst von Fr. 80.-- zu bemessen ist.
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a) Als gesetzliche Grundlagen des Art. 38 Abs. 2 AlVV betrachtet die Vorinstanz Art. 36 Abs. 2 AlVG sowie Art. 12 Abs. 2 AlVB, und zwar mit Recht. Nach Art. 36 Abs. 2 AlVG kann die Bemessung der Arbeitslosenentschädigung für Versicherte, bei denen besondere Verhältnisse vorliegen, durch Verordnung abweichend geregelt werden. Dass bei den vom Nachweis der beitragspflichtigen Beschäftigung befreiten Versicherten besondere Verhältnisse im Sinne dieser Bestimmung vorliegen, wurde bereits in Erw. 2a hievor festgehalten. Art. 12 Abs. 2 AlVB sodann ermächtigt den Bundesrat, die Bemessungsgrundlagen für Personen zu bestimmen, die nach Art. 9 Abs. 5 AlVB bezugsberechtigt sind, also für die vom Nachweis der beitragspflichtigen Beschäftigung befreiten Personen. Durch die beiden Bestimmungen (Art. 36 Abs. 2 AlVG und Art. 12 Abs. 2 AlVB) wurde dem Bundesrat eine weit gefasste Verordnungskompetenz eingeräumt, innerhalb welcher er sich beim Erlass des Art. 38 Abs. 2 AlVV gehalten hat.
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b) Die Verfassungswidrigkeit des Art. 38 Abs. 2 AlVV besteht nach Meinung des Beschwerdeführers darin, dass bei den dort genannten Absolventen für die Bemessung des Taggeldes von einem Tageseinkommen von höchstens Fr. 80.-- ausgegangen wird, während nach Lehrabschluss eine derartige Obergrenze nicht vorgesehen ist (Art. 38 Abs. 1 AlVV). Bezüglich der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze über Gesetz- und Verfassungsmässigkeit bundesrätlicher Verordnungen und deren Überprüfung kann auf die Erw. 2b hievor verwiesen werden. Die Begründung einer frankenmässigen Obergrenze für die Bemessung der Taggelder in Art. 38 Abs. 2 AlVV liegt darin, dass für den betreffenden Personenkreis aufgrund aller in Betracht fallenden Umstände eine Begrenzung des Taggeldansatzes als sozialpolitisch vertretbar und im Sinne des Versicherungsprinzipes, d.h. zur Vermeidung eines allzu krassen Missverhältnisses zwischen den vom Leistungsansprecher bezahlten Beiträgen und den Taggeldbezügern, angezeigt ist. Bei den Versicherten mit Lehrabschluss ist eine derartige Massnahme allein schon deshalb nicht nötig, weil die Anfangslöhne erfahrungsgemäss wesentlich homogener sind und auch niedriger liegen, als dies zum Beispiel bei gewissen Hochschulabsolventen der Fall ist. Daher kann die in Art. 38 Abs. 2 AlVV festgelegte frankenmässige Obergrenze nach der dem Eidg. Versicherungsgericht zustehenden Überprüfungsbefugnis nicht als verfassungswidrig betrachtet werden. Die Einwendungen des Beschwerdeführers vermögen hieran nichts zu ändern.
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
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