9. Urteil vom 6. April 1995 i.S. K. gegen Schweizerische Unfallversicherungsanstalt und Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden
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Regeste
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Art. 37 Abs. 2 UVG: Kürzung der Geldleistungen bei Grobfahrlässigkeit.
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Sachverhalt
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A.- K. (geb. 1949) arbeitete in der Firma X AG einem der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) unterstellten Betrieb. Als er sich am 29. Juli 1992, mittags, mit einem Motorfahrrad auf dem Weg zur Arbeit befand, wurde er von einem Kleinbus angefahren und weggeschleudert. Dabei erlitt er unter anderem schwere Kopfverletzungen.
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Die SUVA, welcher der Unfall gemeldet wurde, anerkannte grundsätzlich ihre Leistungspflicht, kürzte aber mit Verfügung vom 28. September 1992 die Geldleistungen um 10%, weil der Versicherte nach ihren Erhebungen den Schutzhelm nicht getragen habe, was ein grobes Verschulden darstelle. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 10. März 1993 fest.
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B.- K. liess Beschwerde führen, die das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden mit Entscheid vom 14. Juli 1993 abwies.
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C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt K. die Aufhebung des kantonalen Entscheids beantragen.
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Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf Vernehmlassung.
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Im Rahmen eines - nach Edition von Strafakten angeordneten - zweiten Schriftenwechsels halten die Parteien an ihren Begehren fest.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
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a) Die Verwaltung als verfügende Instanz und - im Beschwerdefall - der Richter dürfen eine Tatsache nur dann als bewiesen annehmen, wenn sie von ihrem Bestehen überzeugt sind (KUMMER, Grundriss des Zivilprozessrechts, 4. Aufl., Bern 1984, S. 136). Im Sozialversicherungsrecht hat der Richter seinen Entscheid, sofern das Gesetz nicht etwas Abweichendes vorsieht, nach dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu fällen. Die blosse Möglichkeit eines bestimmten Sachverhalts genügt den Beweisanforderungen nicht. Der Richter hat vielmehr jener Sachverhaltsdarstellung zu folgen, die er von allen möglichen Geschehensabläufen als die wahrscheinlichste würdigt (BGE 119 V 9 Erw. 3c/aa mit Hinweisen).
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Bei sich widersprechenden Angaben des Versicherten über den Unfallhergang ist auf die Beweismaxime hinzuweisen, wonach die sogenannten spontanen "Aussagen der ersten Stunde" in der Regel unbefangener und zuverlässiger sind als spätere Darstellungen, die bewusst oder unbewusst von nachträglichen Überlegungen versicherungsrechtlicher oder anderer Art beeinflusst sein können. Wenn der Versicherte seine Darstellung im Laufe der Zeit wechselt, kommt den Angaben, die er kurz nach dem Unfall gemacht hat, meistens grösseres Gewicht zu als jenen nach Kenntnis einer Ablehnungsverfügung des Versicherers (BGE 115 V 143 Erw. 8c; RKUV 1988 Nr. U 55 S. 363 Erw. 3b/aa mit Hinweisen).
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b) Gestützt auf die Aussagen des Unfallverursachers und eines Zeugen kann die Frage, ob der Beschwerdeführer den Helm getragen hat, nicht beantwortet werden. Anlässlich der polizeilichen Einvernahme gut 10 Tage nach dem Unfall gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, dass er einen schwarzen Sonnenhut auf dem Kopf getragen habe. Auf die Frage, wo sich sein Helm befunden habe, antwortete er, er glaube, sei sich aber nicht mehr sicher, dass er ihn auf die Lenkstange gelegt habe (Einvernahmeprotokoll vom 7. August 1992). Im Rahmen des Verfahrens vor der SUVA und in der Einsprache liess er geltend machen, es sei offensichtlich, dass die Kausalität zwischen dem Nichttragen des Schutzhelms und den erlittenen Verletzungen nicht gegeben sei (Schreiben vom 21. September 1992, Einsprache vom 30. September 1992). Erst in der Ergänzung zur Einsprache vom 31. Januar 1993 liess der Beschwerdeführer erstmals einwenden, es sei möglich, dass sich der Helm während des Sturzes vom Kopf gelöst habe. Da die SUVA auch in ihrem Einspracheentscheid vom 10. März 1993 davon ausging, dass der Versicherte den Helm im Unfallzeitpunkt mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht getragen habe, wurde in der kantonalen Beschwerde schliesslich argumentiert, es treffe keineswegs zu, dass der Beschwerdeführer den Helm nicht getragen habe. Diesbezüglich könne der wahre Sachverhalt nicht als erstellt betrachtet werden. Der Versicherte vermöge sich nicht an das Unfallgeschehen zu erinnern, sondern nur an die Vorgänge vor dem Unfall. Daher könne er mit Bezug auf das Tragen oder Nichttragen des Helms keine glaubwürdigen Angaben liefern (Beschwerde vom 8. Juni 1993). Auch in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird bestritten, dass das Nichttragen des Helms mit überwiegender Wahrscheinlichkeit bewiesen sei.
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Den nach dem Einspracheentscheid, in Kenntnis der drohenden Leistungskürzung erhobenen Behauptungen kann indessen nicht der gleiche Beweiswert zuerkannt werden wie der ersten, von rechtlichen Überlegungen unbeeinflussten Aussage des Beschwerdeführers. Gemäss dieser hat der Beschwerdeführer im Zeitpunkt des Unfalls einen schwarzen Sonnenhut getragen und den Helm lediglich auf dem Mofa mitgeführt. Auf diese Aussage, welche der Beschwerdeführer durch seine Unterschrift bestätigt hat, ist abzustellen (vgl. BGE 108 V 250 Erw. 4a; RKUV 1984 Nr. K 570 S. 54 Erw. 2). Zudem ist es vorliegend unglaubwürdig, dass dem Beschwerdeführer während des Sturzes der Helm vom Kopf gerissen worden sein soll, wie in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde geltend gemacht wird: Denn einerseits ist ein Schutzhelm mit einem Kinnriemen versehen, der - korrekt festgemacht - verhindert, dass der Helm bei einem Unfall verloren wird; anderseits bestehen in den medizinischen Akten keine Hinweise darauf, dass der Helm gewaltsam vom Kopf gerissen worden ist, was entsprechende Verletzungen hinterlassen hätte.
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c) In Würdigung aller Umstände ist mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt des Unfalls seinen Schutzhelm zwar mitgeführt, aber nicht getragen hat. Dieses Verhalten stellt grundsätzlich eine grobe Fahrlässigkeit dar, welche eine Kürzung der Versicherungsleistungen rechtfertigt, wenn zwischen einem solchen Verschulden und dem Unfallereignis oder seinen Folgen - nebst dem immer erforderlichen natürlichen - ein adäquater Kausalzusammenhang besteht (BGE 118 V 307 Erw. 2c). Während der natürliche Kausalzusammenhang vorliegend ohne weiteres angenommen werden darf - das beweismässig erstellte Nichttragen des Helms hat, zumindest im Sinn einer Teilursache, zu den eingetretenen schweren Kopfverletzungen beigetragen -, ist die Frage der Adäquanz nachfolgend zu prüfen.
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b) Der Beschwerdeführer erlitt durch den Unfall schwere Kopfverletzungen, das heisst ein Schädelhirntrauma mit contusio cerebri und subduralem Hämatom links, Rissquetschwunde perital links sowie Subduralhämatom links fronto-parietal (Bericht des Kreisarzt-Stellvertreters Dr. med. B. vom 14. Mai 1993).
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Eine Untersuchung der Medizinischen Hochschule Hannover hat ergeben, dass bei Zweiradfahrern der Kopf eine stark verletzungsgefährdete Körperregion ist. Nahezu die Hälfte der Personen seien hier verletzt worden: 73% der nicht helmgeschützten und 42% der helmgeschützten - Zahlen, welche die Schutzwirkung des Helms belegen würden. Während mit und ohne Helm nahezu die gleichen Verletzungsmuster aufgetreten seien, zeige dennoch die Schwere der Verletzungen deutlich eine Minderung, wenn der Helm getragen werde. So seien 8,9% Hirnkontusionen bei Nichthelmträgern und lediglich 4,1% bei Helmbenutzern aufgetreten. Auch der Anteil von schweren Frakturen, wie unter anderem der Schädelbasis, habe mit Helm weniger häufig festgestellt werden können (DIETMAR OTTE, Kinematik des motorisierten Zweiradunfalles - Verletzungsmuster, Langzeitfolgen und Schutzmöglichkeiten, in: Zeitschrift für Unfallchirurgie, Versicherungsmedizin und Berufskrankheiten, 80/1987 S. 39). Auch PD Dr. med. F. vom Gerichtsmedizinischen Institut der Universität Y schreibt, dass der Helm ein wirkungsvolles Mittel zur Verminderung der Unfallfolgen sei und dass seine günstigen Auswirkungen auf die Schwere der Unfälle durch statistische Untersuchungen belegt seien (O. FRYC, Accidents des motocycles par rapport aux statistiques suisses des accidents de la circulation, in: Zeitschrift für Unfallchirurgie, Versicherungsmedizin und Berufskrankheiten, 80/1987 S. 14). Weiter wird in einer Studie festgehalten, dass ein (am 1. Mai 1989 eingeführtes) Helmobligatorium für Mofafahrer zweifellos die Unfallfolgen günstig beeinflussen würde und sich dadurch ein Grossteil der kurzen Hospitalisationen infolge Commotio cerebri erübrigen könne (ENZLER/STÖHR/HARDER, Unfälle mit Zweiradfahrzeugen, Studie über 224 Verunfallte, die 1984 im Kantonsspital Basel stationär behandelt wurden, in: Zeitschrift für Unfallchirurgie, Versicherungsmedizin und Berufskrankheiten, 80/1987 S. 99 f.).
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Auch anlässlich der Beratung des Art. 57 Abs. 5 SVG, mit welchem dem Bundesrat die Kompetenz zur Einführung eines Helmobligatoriums übertragen wurde, bestand Einigkeit darüber, dass das Tragen eines Schutzhelms ein wirksames Mittel zur Verminderung von Unfallfolgen darstellt (Sten.Bull. 1979 NN II 914 ff., Voten Wilhelm, Spreng und Felber; vgl. BGE 118 IV 194 Erw. 2c). Im unveröffentlichten Urteil W. vom 9. Februar 1989 führt das Eidg. Versicherungsgericht aus, es sei unerheblich, dass das Nichttragen des zuerst nur für Motorradfahrer vorgeschriebenen Schutzhelms zwar nicht für das Unfallereignis, sondern nur für dessen Folgen, insbesondere für die erlittene Commotio cerebri, kausal gewesen sei.
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c) Aus dem Gesagten folgt, dass ein Schutzhelm im Falle eines Sturzes eines Zweiradfahrers Kopfverletzungen zu verhindern oder erheblich zu verringern vermag. Es kann daher auch ohne aufwendige unfalltechnische und unfallmedizinische Untersuchungen davon ausgegangen werden, dass die Verletzungen nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge beim Tragen des Schutzhelms nicht oder nicht im selben Ausmass entstanden wären. In diesem Sinne ist der adäquate Kausalzusammenhang zwischen dem Nichttragen des Schutzhelms und der Schwere der erlittenen Unfallverletzungen zu vermuten. Diese Vermutung gilt jedenfalls so lange, als es dem Versicherten (RKUV 1994 Nr. U 198 S. 221 Erw. 2) nicht gelingt, aufgrund des konkreten Unfallgeschehens darzutun, dass die Verletzungen auch mit Schutzhelm gleich schwer gewesen wären (vgl. BGE 109 V 154 Erw. 3b in fine; RKUV 1986 Nr. U 9 S. 354 Erw. 4a).
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d) Im vorliegenden Fall wird in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde eine derartige Nichtexistenz oder Unterbrechung des adäquaten Kausalzusammenhangs nicht hinreichend belegt. Damit erweist sich die von der SUVA verfügte und von der Vorinstanz geschützte Leistungskürzung, auch in masslicher Hinsicht, als Rechtens.
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