BGE 121 V 251 |
40. Auszug aus dem Urteil vom 20. November 1995 i.S. G. gegen Ausgleichskasse des Kantons Zürich und AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich |
Regeste |
Art. 6 IVG, Art. 1 FlüB, Art. 25 AsylG (in der Fassung gemäss dringlichem BB über das Asylverfahren vom 22. Juni 1990 [AVB]), Art. 14a ANAG (ebenfalls in der Fassung gemäss AVB). |
- Im Falle der Beschwerdeführerin erweist sich die vorläufige Aufnahme, welche zusammen mit dem ablehnenden Asylentscheid getroffen worden ist, als gewöhnliche ausländerrechtliche Massnahme, da kein Entscheid ergangen ist, der die (materielle) Flüchtlingseigenschaft im Sinne von Art. 3 AsylG feststellt; die Beschwerdeführerin kann sich daher nicht auf den FlüB berufen. |
Sachverhalt |
A.- G., geb. 1947, stammt aus der ehemaligen Tschechoslowakei. Sie reiste am 25. Februar 1983 in die Schweiz ein und suchte am 15. März 1983 um Asyl nach. Mit Verfügung vom 4. Februar 1987 wies der damals zuständige Delegierte für das Flüchtlingswesen (DFW) das Gesuch ab, ordnete aber gleichentags die Internierung durch freie Unterbringung (seit 1988: vorläufige Aufnahme) an. Mit Entscheid vom 14. Januar 1988 wies das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) die gegen die Asylverweigerung gerichtete Beschwerde ab. Das nunmehr zuständige Bundesamt für Flüchtlinge (BFF) hob die vorläufige Aufnahme mit Verfügung vom 14. August 1992 auf den 24. Februar 1993 auf. Eine hiegegen erhobene Beschwerde hiess das EJPD mit Entscheid von 1. März 1993 teilweise gut, hob die angefochtene Verfügung auf und wies die Sache zu neuer Beurteilung an das BFF zurück. Eine neue Verfügung ist aus den Akten nicht ersichtlich.
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B.- Am 14. November 1990 hatte sich G. bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug angemeldet. Mit unangefochten in Rechtskraft erwachsener Verfügung vom 15. November 1990 wurde das Begehren von der Ausgleichskasse des Kantons Zürich abgewiesen unter Hinweis auf Art. 6 IVG und den Umstand, dass sich die Gesuchstellerin erst seit 1983 in der Schweiz aufhalte.
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Am 18. Oktober 1991 meldete sich G. erneut bei der Invalidenversicherung an. Mit Verfügung vom 19. Februar 1992 wies die Kasse das Begehren wiederum ab, wobei sie nebst dem Hinweis auf Art. 6 IVG geltend machte, dass die Gesuchstellerin nicht als Flüchtling anerkannt sei, weshalb der Bundesbeschluss über die Rechtsstellung der Flüchtlinge in der AHV/IV auf sie keine Anwendung finde.
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C.- Die hiegegen erhobene Beschwerde wies die AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich mit Entscheid vom 25. August 1993 ab mit der Begründung, gemäss fremdenpolizeilicher Auskunft sei gegenüber der Gesuchstellerin am 4. Februar 1987 die "vorläufige Aufnahme" verfügt worden. Dieser Status habe im Zeitpunkt des Verfügungserlasses immer noch bestanden, weshalb sie nicht als "Flüchtling" zu betrachten sei. Weil sich zudem weder an den Voraussetzungen nach Art. 6 IVG noch am Aufenthaltsstatus etwas geändert habe, sei die Kassenverfügung zu Recht erfolgt.
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D.- G. lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde erheben mit den Anträgen auf Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides, Zusprechung einer ganzen Invalidenrente sowie Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und Verbeiständung. Im wesentlichen beruft sie sich darauf, dass die "vorläufige Aufnahme" Asylcharakter habe und "Asylgewährung auf Zeit" bedeute; dadurch werde die Flüchtlingseigenschaft festgestellt.
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Die Ausgleichskasse schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, dies unter Hinweis auf eine Stellungnahme der Invalidenversicherungs-Kommission (IVK), wonach die vorläufige Aufnahme nicht einer Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft entspricht. Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) hat sich zunächst nicht vernehmen lassen.
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E.- Der Instruktionsrichter hat die asylrechtliche Verfügung vom 4. Februar 1987 und den Entscheid vom 14. Januar 1988 beigezogen und eine schriftliche Auskunft beim BFF eingeholt zu den Voraussetzungen, unter denen eine "vorläufige Aufnahme als Flüchtling" angeordnet wird.
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Das Schreiben des BFF vom 28. Januar 1994 wurde den Parteien sowie dem BSV zur Stellungnahme unterbreitet.
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Aus den Erwägungen: |
b) Das Abkommen vom 4. Juni 1959 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Tschechoslowakischen Republik über soziale Sicherheit (in Kraft getreten am 1. Dezember 1959) wurde mit Note vom 14. August 1986 von der Tschechoslowakei gekündigt. Gemäss Art. 19 des Abkommens traten dieses sowie die diesbezügliche Verwaltungsvereinbarung am 30. November 1986 ausser Kraft. Es ist hier daher nicht anwendbar.
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a) Das Eidg. Versicherungsgericht hat sich in dem in BGE 115 V 4 publizierten Urteil S. vom 13. März 1989 einlässlich mit dem Flüchtlingsbegriff gemäss FlüB auseinandergesetzt und ist dabei zum Schluss gekommen, dass im Sozialversicherungsbereich der formelle, von der Asylgewährung abhängige Flüchtlingsbegriff massgeblich sei. Dazu führe die Auslegung der Bestimmung nach deren Sinn und Zweck, wonach der Sozialversicherungsgesetzgeber die Anwendbarkeit des FlüB nur auf diejenigen Flüchtlinge beschränkt wissen wollte, die in der Schweiz Asyl erhalten haben, d.h. anerkannt seien. Denn es sei kein Grund ersichtlich, weshalb abgewiesene Asylbewerber besser gestellt werden sollten als Ausländer aus sog. Nichtvertragsstaaten. Im gleichen Fall hat das Eidg. Versicherungsgericht ferner entschieden, dass als Staatenloser gemäss Art. 3bis FlüB nur gelte, wer von den zuständigen Behörden formell den Status als Staatenloser zuerkannt erhalten habe.
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b) Die Rechtsstellung der Flüchtlinge in der Schweiz richtet sich nach dem für Ausländer geltenden Recht, soweit nicht besondere Bestimmungen, namentlich des Asylgesetzes und des internationalen Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, anwendbar sind (Art. 24 AsylG; SR 142.31). Die Wirkung der Rechtsstellung des Flüchtlings ist in Art. 25 AsylG geregelt. Das vorstehend genannte Urteil ging von der Asylgesetzgebung aus, wie sie 1989 bestanden hatte. Damals hatte Art. 25 AsylG folgenden Wortlaut (AS 1980 1723):
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"Der Ausländer, dem die Schweiz Asyl gewährt hat, gilt gegenüber allen eidgenössischen und kantonalen Behörden als Flüchtling im Sinne dieses Gesetzes sowie des internationalen Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge."
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Mit dem dringlichem Bundesbeschluss über das Asylverfahren vom 22. Juni 1990 (AVB; AS 1990 938), dessen Gültigkeit ursprünglich bis Ende 1995, nunmehr bis längstens Ende 1997 (AS 1995 4356) befristet ist, sind zahlreiche Bestimmungen des Asyl- und Ausländerrechts geändert worden. So hat u.a. Art. 25 AsylG folgende neue Fassung erhalten:
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"Der Ausländer, dem die Schweiz Asyl gewährt hat oder der als Flüchtling vorläufig aufgenommen wurde, gilt gegenüber allen eidgenössischen und kantonalen Behörden als Flüchtling im Sinne dieses Gesetzes sowie des internationalen Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge."
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3. Es fragt sich, ob die Beschwerdeführerin aus dem befristet abgeänderten Art. 25 AsylG etwas für sich herleiten kann und ob die "vorläufige Aufnahme" Asylcharakter hat und als "Asylgewährung auf Zeit" zu verstehen ist, wie sie in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorbringen lässt. Dabei ist zunächst der Frage nachzugehen, was unter der "vorläufigen Aufnahme als Flüchtling" zu verstehen ist und wie sie gesetzlich geregelt ist.
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a) Mit dem AVB kam neben der bisherigen Kategorie der Flüchtlinge, denen Asyl gewährt worden ist, neu hinzu diejenige der Flüchtlinge, welche vorläufig aufgenommen werden (BBl 1990 II 658 f.; KÄLIN, Grundriss des Asylverfahrens S. 165; ACHERMANN/HAUSAMMANN, Handbuch des Asylrechts, 2. A., S. 381).
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aa) Die vorläufige Aufnahme ist an sich eine generelle, von einem Asylverfahren unabhängig anwendbare ausländerrechtliche Massnahme (BBl 1990 II 667; KÄLIN, a.a.O., S. 200, Anm. 53), welche dann in Betracht kommt, wenn die Weg- oder Ausweisung eines Ausländers nicht möglich, nicht zulässig oder nicht zumutbar ist (Art. 14a ANAG [SR 142.20] in der Fassung gemäss Ziff. II AVB). Ursprünglich hatte das ANAG für solche Fälle die Internierung in einer geeigneten Anstalt gekannt. Zum Zwecke der Regelung des Anwesenheitsverhältnisses von erfolglosen Asylbewerbern, die aus irgendeinem Grund nicht zur Heimkehr angehalten werden konnten, erlangte in den achtziger Jahren die sog. "Internierung durch freie Unterbringung" Bedeutung. Im Rahmen der 2. Asylgesetzrevision vom 20. Juni 1986 (in Kraft seit 1. Januar 1988 [AS 1987 1665 und 1674]) ist darum im ANAG neben der eigentlichen Internierung das Institut der vorläufigen Aufnahme geschaffen worden (BBl 1986 I 14 f., 32 ff., 1990 II 665). Sie zeichnet sich gegenüber der Internierung durch verschiedene Vereinfachungen im Vollzug und insbesondere eben durch die freie Unterbringung des Ausländers aus (Art. 14c ANAG in der Fassung gemäss Ziff. II AVB; BBl 1986 I 14 f.). Mit dem Bundesgesetz über Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht vom 18. März 1994 (in Kraft seit 1. Februar 1995) wurden schliesslich die Internierung als solche sowie die sie betreffenden Bestimmungen in ANAG und AsylG aufgehoben (AS 1995 146).
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bb) Im Asylrecht nehmen Art. 16b und 18 AsylG (eingefügt resp. neugefasst durch Ziff. I AVB) ausdrücklich auf die vorläufige Aufnahme Bezug. Art. 16b AsylG regelt gemäss Randtitel das "Asyl oder die vorläufige Aufnahme ohne weitere Abklärungen" und hat jene Fälle im Auge, die klar positiv oder klar negativ liegen (BBl 1990 II 639 f.) und damit nach der Anhörung rasch entschieden werden können. Gibt diese kein genügend klares Bild vom Sachverhalt, trifft resp. veranlasst das BFF zusätzliche Abklärungen (Art. 16c AsylG), und der Entscheid über das Asylbegehren fällt erst später (vgl. zum Verfahren KÄLIN, a.a.O., S. 254 ff., ACHERMANN/HAUSAMMANN, a.a.O., S. 303 ff.). Unabhängig von der Verfahrensart kann Asyl indessen nur gewährt werden, wenn der Gesuchsteller im Sinne von Art. 12a AsylG nachweisen oder glaubhaft machen kann, dass er Flüchtling ist, und wenn kein Asylausschlussgrund (Art. 6-8a AsylG) vorliegt (vgl. Art. 16b Abs. 1 AsylG). Wird ein Asylgesuch abgelehnt (oder wird nicht darauf eingetreten), so hat das BFF in der Regel die Wegweisung aus der Schweiz zu verfügen und deren Vollzug anzuordnen (Art. 17 Abs. 1 AsylG). Ist der Vollzug der Wegweisung aber nicht möglich, nicht zulässig oder nicht zumutbar, so wird ein Asyl- und Wegweisungsentscheid getroffen und anstelle der Ansetzung einer Ausreisefrist die vorläufige Aufnahme angeordnet (Art. 16b Abs. 2 AsylG). In diesem Falle regelt das BFF das Anwesenheitsverhältnis nach den gesetzlichen Bestimmungen über die vorläufige Aufnahme (und - bis Ende Januar 1995 - Internierung) von Ausländern (Art. 18 Abs. 1 AsylG).
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b) Aus den dargelegten Bestimmungen ergibt sich, dass eine vorläufige Aufnahme im Falle der Abweisung eines Asylgesuchs dann in Frage kommt, wenn der Gesuchsteller kein Flüchtling im Sinne von Art. 3 AsylG ist (BBl 1990 II 639), oder wenn er zwar die Flüchtlingseigenschaft erfüllt, aber ein Asylausschlussgrund vorliegt. Ferner kann eine vorläufige Aufnahme auch ganz generell bei Ausländern in Betracht kommen, wenn eine Wegweisung aus den in Art. 14a ANAG genannten Gründen nicht vollzogen werden kann. Somit gibt es zwei Formen der vorläufigen Aufnahme, nämlich einerseits die vorläufige Aufnahme von Ausländern ausserhalb eines Asylverfahrens und von abgewiesenen Asylbewerbern ohne Flüchtlingseigenschaft sowie andererseits die vorläufige Aufnahme als Flüchtling. Der neue Art. 25 AsylG in der Fassung gemäss AVB betrifft nur die letztere Form der Aufnahme.
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c) Wie bereits erwähnt, ist das Institut der vorläufigen Aufnahme auf den 1. Januar 1988 eingeführt worden. Mit Inkrafttreten des AVB am 22. Juni 1990 ist sodann die besondere Form der asylrechtlichen vorläufigen Aufnahme als Flüchtling geschaffen worden. Während sich heute negative Asylentscheide dispositivmässig ausdrücklich zur Frage der Flüchtlingseigenschaft äussern (KÄLIN, a.a.O., S. 165 bei Anm. 65), war dies in den vor dem 22. Juni 1990 ergangenen Entscheiden nicht so. Darum empfehlen ACHERMANN/HAUSAMMANN (a.a.O., S. 398) Personen in dieser Situation, beim BFF ein Begehren um Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu stellen.
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Das EJPD führte im Entscheid vom 1. März 1993 in Ziff. 8.2 letzter Absatz aus, dass 1987 die vorläufige Aufnahme aufgrund der drohenden Bestrafung der Beschwerdeführerin wegen Republikflucht im Falle einer Rückkehr in die Tschechoslowakei angeordnet worden sei. Damit lag ein sog. subjektiver Nachfluchtgrund vor (KÄLIN, a.a.O., S. 131 f.), wie er heute in Art. 8a AsylG (eingefügt durch Ziff. I AVB) kodifiziert ist (KÄLIN, a.a.O., S. 187 f.). Nach der früheren Praxis, d.h. vor dem AVB, war in einem solchen Falle die Flüchtlingseigenschaft nicht gegeben (KÄLIN, a.a.O., S. 186 f., insbesondere Anm. 180). Hingegen ist sie aufgrund des AVB nunmehr zu bejahen (vgl. KÄLIN, a.a.O., S. 164), weil Art. 8a AsylG ausdrücklich davon spricht, dass dem Ausländer kein Asyl gewährt werde, der erst durch seine Ausreise aus dem Heimat- oder Herkunftsland oder wegen seines Verhaltens nach der Ausreise "Flüchtling im Sinne von Artikel 3 wurde". Die Flüchtlingseigenschaft aufgrund von Art. 8a AsylG könnte von der Beschwerdeführerin aber jedenfalls für die Zeit ab 22. Juni 1990 nicht angerufen werden, weil - so der Entscheid des EJPD vom 1. März 1993 - bereits im Oktober 1988 in der Tschechoslowakei eine präsidiale Amnestie für Straftaten im Zusammenhang mit der Republikflucht verkündet worden war und dieser Tatbestand nicht mehr unter Strafe steht.
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b) Bei dieser Sachlage erweist sich die vorläufige Aufnahme der Beschwerdeführerin als gewöhnliche ausländerrechtliche Massnahme. Die Beschwerdeführerin kann daher von vornherein nicht als Flüchtling im Sinne des FlüB betrachtet werden. Daran ändert entgegen der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nichts, dass die vorliegend angeordnete vorläufige Aufnahme faktisch "Asylcharakter" hat resp. sich als "Asylgewährung auf Zeit" auswirkt. Die Beschwerdeführerin verkennt nämlich, dass durch die Anordnung der vorläufigen Aufnahme nicht ohne weiteres die Flüchtlingseigenschaft im Sinne von Art. 3 AsylG festgestellt wird. Dazu bedürfte es eines besonderen Entscheids des BFF, der nicht vorliegt.
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