BGE 127 V 491 - Verschiebung der öffentlichen Verhandlung |
71. Auszug aus dem Urteil |
vom 26. September 2001 i. S. H. gegen Schweizerische Unfallversicherungsanstalt und Verwaltungsgericht des Kantons Luzern |
Regeste |
Art. 6 Ziff. 1 EMRK: Öffentliche Verhandlung. Die auf sachliche Gründe gestützte Ablehnung des Begehrens um Verschiebung einer öffentlichen Verhandlung verstösst nicht gegen Bundesrecht, insbesondere nicht gegen Art. 6 Ziff. 1 EMRK. |
Auszug aus den Erwägungen: |
Aus den Erwägungen:
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Erwägung 1 |
a) aa) Gemäss Art. 108 Abs. 1 UVG (Ingress) wird das Verfahren der kantonalen Versicherungsgerichte grundsätzlich von den Kantonen selbst geregelt, wobei es jedoch den in dieser Bestimmung einzeln aufgeführten Minimalanforderungen zu genügen hat. Bezüglich der Öffentlichkeit der Verhandlung wird in Art. 108 Abs. 1 lit. e UVG einzig festgehalten, dass die Parteien "in der Regel" zur Verhandlung vorgeladen werden (Satz 1) und die Beratung des Gerichts in Anwesenheit der Parteien stattfinden "kann" (Satz 2).
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§ 35 Abs. 1 des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege des Kantons Luzern vom 3. Juli 1972 (VRG; Systematische Rechtssammlung des Kantons Luzern [SRL] Nr. 40) bestimmt, dass die Behörde gesetzlich bestimmte Fristen nur erstrecken kann, wenn die betroffene Partei oder ihr Vertreter während des Fristenlaufes stirbt oder handlungsunfähig wird. Nach Abs. 2 können behördlich bestimmte Fristen durch die Behörde erstreckt werden, wenn vor Fristablauf ein Gesuch gestellt und ein ausreichender Grund glaubhaft gemacht wird. Diese Vorschriften gelten sinngemäss für die Verschiebung von Terminen (Abs. 3).
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Die Verordnung über das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht in Streitsachen aus dem Gebiet der eidgenössischen und der kantonalen Sozialversicherung (...) vom 20. Oktober 1983 (SRL Nr. 44) enthält hinsichtlich der Verschiebung einer im kantonalen Verfahren angesetzten öffentlichen Verhandlung keine besonderen Regeln.
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bb) Die verfahrensrechtlich strittige Ablehnung der Verschiebung der öffentlichen Verhandlung mit Schreiben vom 20. September 1999 kommt nach dem Gesagten einer kantonalrechtlichen prozessleitenden Zwischenverfügung gleich (zum Begriff der Zwischenverfügung: RHINOW/KOLLER/KISS, Öffentliches Prozessrecht und Justizverfassungsrecht des Bundes, Basel/Frankfurt a.M. 1996, S. 237 Rz 1235 ff.; GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., Bern 1983, S. 53 ff. und 140 ff.). Daran ändert nichts, dass die gestützt auf Art. 108 UVG erlassenen kantonalrechtlichen Bestimmungen auf Grund der derogatorischen Kraft des internationalen Rechts so auszulegen sind, dass sie der durch Art. 6 Ziff. 1 EMRK gewährleisteten Garantie einer öffentlichen Verhandlung genügen (BGE 122 V 51 Erw. 2b mit Hinweis). In BGE 126 V 143 hat das Eidg. Versicherungsgericht in Änderung der bisherigen Rechtsprechung erkannt, dass die bundesverwaltungsrechtlichen Normen über die prozessuale Ausgestaltung des kantonalen Sozialversicherungsprozesses zusammen mit den Grundsätzen des Sachzusammenhangs und der Einheit des Prozesses für die sachliche Zuständigkeit des Eidg. Versicherungsgerichts zur Überprüfung kantonalen Verfahrensrechts sprechen, und zwar auch dann, wenn es allein um die Anfechtung eines reinen kantonalrechtlichen Prozess(zwischen)entscheides geht, und unabhängig davon, ob das Rechtsmittel in der Sache selbst ergriffen wird. Für die Annahme einer bundesrechtlichen Verfügungsgrundlage im Sinne von Art. 97 OG in Verbindung mit Art. 5 VwVG und Art. 128 OG genügt es daher, wenn der dem Verfahren zu Grunde liegende materiellrechtliche Streitgegenstand dem Bundessozialversicherungsrecht angehört. Das ist vorliegend zu bejahen, da es in der Hauptsache um die Leistungspflicht nach UVG geht, weshalb die Verwaltungsgerichtsbeschwerde auch insoweit zulässig ist, als sie sich gegen die unterbliebene Verschiebung der öffentlichen Verhandlung richtet.
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b) Art. 6 Ziff. 1 EMRK ist anwendbar, da materiell-rechtlich Leistungen nach UVG im Streite liegen und es sich dabei rechtsprechungsgemäss um zivilrechtliche Ansprüche im Sinne der genannten Konventionsbestimmung handelt (BGE 122 V 50 f. Erw. 2a). Eine Verletzung des Grundsatzes der Öffentlichkeit (Satz 1; vgl. FROWEIN/PEUKERT, EMRK-Kommentar, 2. Aufl., Kehl/Strassburg/Arlington 1996, Rz 117 zu Art. 6 EMRK; HAEFLIGER/SCHÜRMANN, Die Europäische Menschenrechtskonvention und die Schweiz, 2. Aufl., Bern 1999, S. 190 ff.; MARK E. VILLIGER, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention [EMRK], 2. Aufl., Zürich 1999, Rz 443 ff.) ist indessen zu verneinen. Einerseits wurde die auf den 21. Oktober 1999 festgesetzte partei- und publikumsöffentliche Verhandlung gemäss der Vorladung vom 9. August 1999 durchgeführt. Andererseits wurde das Prinzip der Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlung nicht dadurch verletzt, dass die Vorinstanz den Verhandlungstermin, nach Rücksprache mit dem Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin, festgesetzt sowie gestützt auf sachliche Gründe (einfaches und rasches Verfahren, vgl. Art. 108 Abs. 1 lit. a UVG; zeitliche Belastung des Gerichts; fehlender Nachweis kostenintensiver Dispositionen im Zusammenhang mit der geltend gemachten Ferienabwesenheit) bereits mit Verfügung vom 20. September 1999 eine Verschiebung der Verhandlung abgelehnt hat. Analoges gilt hinsichtlich der Frage, ob die Vorinstanz dem Gebot der Fairness im Verfahren (fair trial; Satz 1) zuwider handelte (vgl. FROWEIN/PEUKERT, a.a.O., Rz 71 ff. zu Art. 6 EMRK; HAEFLIGER/SCHÜRMANN, a.a.O., S. 179 ff.; VILLIGER, a.a.O., Rz 473 ff.). In Prozessen über zivilrechtliche Ansprüche gewährleistet Art. 6 Ziff. 1 EMRK nicht generell, jedoch dann einen Anspruch auf persönliches Erscheinen oder mündliche Anhörung vor Gericht, wenn dies für die Entscheidung der Sache von unmittelbarer Bedeutung ist (RKUV 1996 Nr. U 246 S. 167 Erw. 6 c/bb mit Hinweisen). Wie es sich damit verhält, wenn in einer unfallversicherungsrechtlichen Streitigkeit die Würdigung medizinischer Akten in Frage steht und die Beschwerdeführerin sich durch ihren Rechtsvertreter im kantonalen Verfahren mehrfach schriftlich äusseren konnte (Beschwerde, Replik, Stellungnahme samt Ergänzungsfragen/Zusatzaufträge zum vom Gericht in Auftrag gegebenen polydisziplinären Gutachten), braucht nicht beurteilt zu werden, da die Vorinstanz der Beschwerdeführerin mit Vorladung vom 9. August 1999 auch das Recht zur persönlichen Teilnahme an der öffentlichen Verhandlung vom 21. Oktober 1999 eingeräumt hatte. Die Erörterung des Prozessstoffes im Rahmen der persönlichen Beteiligung am Verfahren steht in engem Zusammenhang mit der beweisrechtlichen Frage, ob die Vorinstanz zu Recht auf eine Parteibefragung verzichtet hat. Zu prüfen bleibt deshalb, ob der Verzicht auf diese eine Gehörsverletzung darstellt. Das ist konventions- (Art. 6 Ziff. 1 EMRK; HAEFLIGER/SCHÜRMANN, a.a.O., S. 187 ff.) wie verfassungsrechtlich (Art. 4 aBV; Art. 29 Abs. 2 BV; BGE 126 V 130) zu verneinen. Die Beschwerdeführerin konnte sich, wie bereits dargelegt, im Rahmen des zweifachen Schriftenwechsels und im Zusammenhang mit der Erstattung des Gerichtsgutachtens Gehör verschaffen. Inwieweit die persönliche Befragung den Sachverhalt weiter hätte klären können, ist nicht ersichtlich, weshalb im Verzicht auf die persönliche Befragung und in der damit verbundenen antizipierten Beweiswürdigung keine Gehörsverletzung erblickt werden kann (BGE 122 V 162 ff. Erw. 1d und 2 mit Hinweisen), zumal das rechtliche Gehör im Rahmen des Äusserungsrechts keinen Anspruch auf mündliche Anhörung verleiht (BGE 125 I 219 Erw. 9b). Die Behauptung, wonach die Vorinstanz mit Schreiben vom 20. September 1999 die persönliche Befragung der Beschwerdeführerin als entscheidrelevant erachtet habe, trifft nicht zu.
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