BGE 130 V 424 |
63. Urteil i.S. S. gegen SANITAS Grundversicherungen AG und Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden |
K 92/03 vom 21. Juli 2004 |
Regeste |
Art. 25 Abs. 2 lit. a und g KVG in Verbindung mit Art. 33 lit. g KVV und Art. 26 KLV: Kosten der ärztlichen Begleitung eines Krankentransportes. |
Sachverhalt |
A. S., wohnhaft in T., ist bei der Sanitas Krankenversicherung obligatorisch krankenpflegeversichert. Am 23. November 2002 wurde er um 23.00 Uhr in einem ärztlich begleiteten Krankenwagen in das Ospidal Val Müstair eingeliefert; nach einer Untersuchung wurde er um 24.00 Uhr - wiederum in einer Ambulanz mit ärztlicher Begleitung - in das Spital Oberengadin überführt. Mit Datum vom 24. November 2002 stellte das Ospidal Val Müstair für den Krankenwageneinsatz zwei Rechnungen über Fr. 357.- und Fr. 1278.20, wobei die nach Zeittarif abgerechneten Kosten für die begleitende Ärztin insgesamt Fr. 700.- ausmachten. Nachdem S. diese Rechnungen bezahlt hatte, leitete er sie zur Rückerstattung an die Sanitas weiter, welche den in Art. 26 KLV maximal vorgesehenen Betrag von Fr. 500.- an die Transportkosten vergütete. S. erklärte sich damit nicht einverstanden und verlangte, dass die Rechnungen für die zwei Krankentransporte einerseits nach den Kosten für die Transportleistungen (nach Art. 26 KLV) und andererseits für die ärztlich-medizinischen Pflichtleistungen (nach Art. 25 Abs. 2 lit. a KVG) aufzuteilen und dementsprechend abzurechnen seien. Mit Verfügung vom 19. Februar 2003 lehnte die Sanitas diese Vorgehensweise ab, da die "Kosten für die Begleitperson Arzt ... mit den Leistungen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung für Transportkosten abgegolten" seien, was durch Einspracheentscheid vom 10. März 2003 bestätigt worden ist.
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B. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden mit Entscheid vom 27. Juni 2003 ab.
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C. S. führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides und des Einspracheentscheides seien ihm die Kosten für die "Begleitperson Arzt" im Umfang von Fr. 700.- zu vergüten.
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Die Sanitas schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung, Abteilung Kranken- und Unfallversicherung (seit dem 1. Januar 2004 im Bundesamt für Gesundheit), auf eine Vernehmlassung verzichtet.
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D. Abschliessend nimmt S. zur Vernehmlassung der Sanitas Stellung.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: |
Erwägung 1 |
1.1 Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Krankenversicherungsbereich geändert worden. In zeitlicher Hinsicht sind jedoch grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw. 1), was hier mit der Durchführung der Krankentransporte in der Nacht vom 23. auf den 24. November 2002 geschehen ist. Daran ändert nichts, dass Verfügung und Einspracheentscheid (der an die Stelle der Verfügung tritt; BGE 119 V 350 Erw. 1b mit Hinweisen) erst im Jahr 2003 ergangen sind .
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In Art. 33 lit. g KVV hat der Bundesrat das Departement beauftragt, nach Anhören der zuständigen Kommission den in Artikel 25 Absatz 2 lit. g KVG vorgesehenen Beitrag an die Transport- und Rettungskosten zu bezeichnen, wobei die medizinisch notwendigen Transporte von einem Spital in ein anderes einen Teil der stationären Behandlung darstellen. In der Folge hat das Departement in Art. 26 Abs. 1 KLV vorgesehen, dass die Versicherung 50 Prozent der Kosten von medizinisch indizierten Krankentransporten zu einem zugelassenen, für die Behandlung geeigneten und im Wahlrecht des Versicherten stehenden Leistungserbringer übernimmt, wenn der Gesundheitszustand des Patienten oder der Patientin den Transport in einem anderen öffentlichen oder privaten Transportmittel nicht zulässt; maximal wird pro Kalenderjahr ein Betrag von 500 Franken übernommen. Art. 26 Abs. 2 KLV bestimmt überdies, dass der Transport in einem den medizinischen Anforderungen des Falles entsprechenden Transportmittel zu erfolgen hat.
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1.4 Art. 43 Abs. 1 KVG schreibt vor, dass die Leistungserbringer ihre Rechnungen nach Tarifen oder Preisen erstellen. Nach Art. 43 Abs. 2 KVG ist der Tarif eine Grundlage für die Berechnung der Vergütung und kann namentlich auf den benötigten Zeitaufwand abstellen (Zeittarif; lit. a). Die Tarife und Preise werden in Verträgen zwischen Versicherern und Leistungserbringern vereinbart (oder in den vom Gesetz bestimmten Fällen von der zuständigen Behörde festgesetzt; Art. 43 Abs. 4 KVG); dies trifft für die "Vereinbarung betreffend Tarif für Primär- und Sekundärtransporte und -Einsätze zwischen dem Verband Heime und Spitäler Graubünden (H+S) und dem Kantonalverband Bündnerischer Krankenversicherer (KBK [heute santésuisse GR])" zu, die im Zeitpunkt des Krankentransportes (23./24. November 2002) gültig gewesen ist.
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Erwägung 3 |
Der Versicherte ist demgegenüber der Auffassung, dass Vorinstanz und Krankenkasse der Kernfrage ausgewichen seien, ob die aufgrund einer im Einzelfall wegen medizinischer Indikation angeordnete Transportbegleitung durch einen Arzt eine Leistung nach Art. 25 Abs. 2 lit. a KVG (mit voller Kostenübernahmepflicht) oder eine Transportleistung nach lit. g (mit limitierter Kostenübernahme) darstelle. Das kantonale Gericht lasse in seiner Argumentation ausser Acht, dass Art. 43 Abs. 2 KVG nebst dem Einzelleistungs- und Pauschaltarif (lit. b und c) auch den Zeittarif (lit. a) vorsehe. Hier sei gemäss Vereinbarung zwischen H+S und santésuisse GR der Zeittarif angewandt worden, weshalb die in der verrechneten Zeit erbrachte Einzelleistung nicht genannt werden müsse. Die Arztpräsenz auf dem Transport beinhalte die dauernde, im Sicherheitsanspruch des Patienten begründete Überwachung des Zustandes und von Fall zu Fall die Vornahme von notwendigen Pflegemassnahmen, Diagnosen und Therapien. Die Einschätzung der Möglichkeit/Wahrscheinlichkeit unterschiedlicher Geschehnisse sei für die Indikationsstellung der Transportbegleitung durch einen Arzt bestimmend; die Arztbegleitung weise jedenfalls auf einen kritischen Zustand des zu transportierenden Patienten hin. Nach Art. 25 KVG seien die - u.a. von Ärzten - zu erbringenden Massnahmen, die der Untersuchung, Diagnosestellung und Behandlung einer Krankheit dienen, sowie Pflegemassnahmen Leistungen der Grundversicherung, deren Kosten die obligatorische Krankenversicherung zu übernehmen habe. Diese Leistungen könnten auch ambulant - und damit auch in einem Transportfahrzeug - erbracht werden. Dass der Begleitarzt eines Krankentransportes Leistungen je nach Einzelfall in unterschiedlicher Beanspruchung und in wechselnder Kombination erbringe, begründe und rechtfertige die Anwendung des Zeittarifs. Pflichtleistungen der Grundversicherung erbringe der Arzt in jedem Fall; sogar die "einfache", nach anerkannten Methoden vorgenommene Beruhigung des Patienten wäre letztlich als eine Leistung von ärztlicher Psychotherapie zu qualifizieren und damit eine Pflichtleistung (Art. 2 Abs. 1 KLV). Aufgrund dieser Ausführungen sei es zwingend, die medizinisch indizierte Begleitung eines Krankentransportes durch einen Arzt grundsätzlich als eine Leistung nach Art. 25 Abs. 2 lit. a KVG anzuerkennen. Sie habe mit der eigentlichen Transportleistung gemäss Art. 25 Abs. 2 lit. g nichts zu tun, denn sie wäre, bei Ausfall der Transportmöglichkeit (z.B. fehlendes Fahrzeug oder geschlossener Pass) in genau gleicher Weise am Krankenbett zu erbringen, in welchem Fall die Kostenübernahme im Rahmen der Grundversicherung unbestritten wäre. Schliesslich habe bereits im KUVG die medizinisch indizierte Transportbegleitung durch einen Arzt eine Pflichtleistung dargestellt, während die Übernahme der Transportkosten an sich den Krankenkassen freigestellt gewesen sei; mit der Einführung des KVG seien die statutarischen freiwilligen Leistungen in der Grundversicherung abgeschafft und die Frage der Übernahme der Transportkosten sei einheitlich geregelt worden, ohne dass die bisher vollständig vergütete ärztliche Leistung abgeschafft werden sollte.
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3.2 Das Gesetz ist in erster Linie nach seinem Wortlaut auszulegen. Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene Auslegungen möglich, so muss nach seiner wahren Tragweite gesucht werden unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente, namentlich des Zwecks, des Sinnes und der dem Text zu Grunde liegenden Wertung. Wichtig ist ebenfalls der Sinn, der einer Norm im Kontext zukommt. Vom klaren, d.h. eindeutigen und unmissverständlichen Wortlaut darf nur ausnahmsweise abgewichen werden, u.a. dann nämlich, wenn triftige Gründe dafür vorliegen, dass der Wortlaut nicht den wahren Sinn der Bestimmung wiedergibt. Solche Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte der Bestimmung, aus ihrem Grund und Zweck oder aus dem Zusammenhang mit andern Vorschriften ergeben (BGE 130 II 71 Erw. 4.2, BGE 130 V 50 Erw. 3.2.1, BGE 129 II 356 Erw. 3.3, BGE 129 V 165 Erw. 3.5, BGE 129 V 284 Erw. 4.2, je mit Hinweisen).
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Der Wortlaut des Art. 25 Abs. 2 lit. g KVG stimmt - jedenfalls soweit die medizinisch notwendigen Transportkosten betreffend - in den drei Sprachversionen überein ("an die medizinisch notwendigen Transportkosten", "aux frais de transport médicalement nécessaires", "alle spese di trasporto necessarie dal profilo medico") und scheint auf den ersten Blick eindeutig zu sein. Es geht um die Kosten des Transports, d.h. der Beförderung eines Versicherten von seinem aktuellen Standort zu einem Leistungserbringer (vgl. auch Art. 26 KLV). Anspruch auf Transportkostenbeiträge hat, wer zum Zweck der Durchführung diagnostischer oder therapeutischer Massnahmen im Zusammenhang mit einer Krankheit und ihrer Folgen zu einem Leistungserbringer gebracht werden muss, ohne sich in der Notlage einer Rettungssituation zu befinden (GEBHARD EUGSTER, Krankenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, Rz 148). Jedoch stellt sich die Frage, was genau unter diesen medizinisch notwendigen Transportkosten zu verstehen ist, und insbesondere ob sie nur die Kosten für den Transport im eigentlichen Sinne in einem (allenfalls) speziell dafür ausgerüsteten Fahrzeug umfassen oder ob dazu auch Kosten gehören, die aus der personellen Besetzung des Transportmittels resultieren. In Bezug auf den Fahrer ist dies wohl zu bejahen, kann hier jedoch letztlich offen gelassen werden (in der hier anwendbaren Vereinbarung betreffend Tarif für Primär- und Sekundärtransporte ist der Fahrer weder unter der Grundleistung noch unter den Begleitpersonen erwähnt). Jedenfalls aber ist der Text des Art. 25 Abs. 2 lit. g KVG hinsichtlich der Kosten des medizinischen Begleitpersonals des Krankentransports (Sanitäter, Pflegepersonal, Ärzte) nicht eindeutig und ermöglicht denn auch verschiedene Auslegungen.
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Auch die in Art. 25 Abs. 2 lit. g KVG erwähnten Rettungskosten sind durch die obligatorische Krankenversicherung nicht voll gedeckt, sondern es wird nur (aber immerhin) ein Beitrag an die Kosten erstattet (nach Art. 27 KLV 50 Prozent der Kosten, höchstens Fr. 5000.- pro Kalenderjahr; zudem limitiert auf Rettungen in der Schweiz). Rettung ist mehr als medizinischer Notfalltransport; der Begriff der Rettungskosten erschöpft sich daher nicht in den Kosten für Rettungstransporte, sondern umfasst alle Massnahmen, die zur Rettung der betroffenen Person notwendig sind (EUGSTER, a.a.O., Rz 150). Die Kosten für die ärztliche Betreuung während des Rettungstransports sind nach EUGSTER (a.a.O., S. 77 FN 324) jedoch Pflichtleistungen im Sinne von Art. 25 Abs. 2 lit. a KVG und nicht Teil der Rettungskosten gemäss Art. 25 Abs. 2 lit. g KVG. Obwohl sich dieser Autor nicht zur Frage äussert, ob die ärztliche Betreuung bei medizinisch notwendigen Transporten als Pflichtleistung unter Art. 25 Abs. 2 lit. a KVG zu subsumieren ist oder nicht, ist kein Grund ersichtlich, weshalb in dieser Hinsicht etwas anderes als bei den Rettungskosten gelten sollte; die überzeugende Meinung von EUGSTER kann deshalb sinngemäss auf den hier massgebenden Sachverhalt übertragen werden.
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4. Da die Notwendigkeit einer ärztlichen Begleitung des Transportes des Beschwerdeführers von zu Hause ins Ospidal Val Müstair nicht bestritten ist (vgl. Erw. 2 hievor), hat die Krankenkasse hiefür die Pflichtleistungen im Sinne von Art. 25 Abs. 2 lit. a KVG gemäss der Vereinbarung betreffend Tarif für Primär- und Sekundärtransporte und -Einsätze zwischen dem Verband Heime und Spitäler Graubünden und dem Kantonalverband Bündnerischer Krankenversicherer KBK zu übernehmen. Die Weiterverlegung mit ärztlicher Begleitung ins Spital Oberengadin fällt dagegen unter die stationäre Behandlung und ist deshalb von vorneherein eine Pflichtleistung (vgl. Erw. 3.6 hievor). Die Sache wird deshalb an die Sanitas zurückgewiesen, damit sie ihre Leistungen neu festsetze und anschliessend verfüge.
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