BGE 131 V 472 |
61. Urteil i.S. Regionales Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) Rapperswil, vertreten durch das Amt für Arbeit, St. Gallen, gegen F. und Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen |
C 192/04 vom 14. September 2005 |
Regeste |
Art. 27 Abs. 2 ATSG: Beratungspflicht der Versicherungsträger. |
Folgen der Verletzung der Beratungspflicht. (Erw. 5) |
Sachverhalt |
A. Der 1982 geborene F. meldete sich am 21. November 2003 bei der Arbeitslosenversicherung zur Stellenvermittlung und am 10. Dezember 2003 zum Bezug von Arbeitslosenentschädigung (mit Wirkung ab 27. Oktober 2003) an. Im Antragsformular erklärte er, dass er bereit und in der Lage sei, eine Vollzeittätigkeit anzunehmen, und seit 24. November 2003 stundenweise als PC/LAN-Supporter für die von ihm neu gegründete Firma X. tätig sei, ohne indessen ein Einkommen zu erzielen.
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Anlässlich des Erstgespräches vom 18. Dezember 2003 gab F. an, dass er beabsichtige, im Februar 2004 einen fünfmonatigen Sprachaufenthalt in Z. anzutreten, was er in einem an das Regionale Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) Rapperswil gerichteten Schreiben vom 19. Januar 2004 bestätigte. Das von der Arbeitslosenkasse um Prüfung der Vermittlungsfähigkeit angefragte RAV eröffnete dem Versicherten mit Verfügung vom 20. Januar 2004, er sei ab Antragstellung (d.h. ab 21. November 2003) nicht vermittlungsfähig gewesen. Zur Begründung gab es im Wesentlichen an, dass die nur gerade zweieinhalb Monate betragende Zeit zwischen der Antragstellung und dem Beginn des Sprachaufenthaltes zu kurz sei, um die Vermittlungsfähigkeit zu bejahen, und dass eine ver sicherte Person grundsätzlich in der Lage sein müsse, eine Dauerstelle anzunehmen. An diesem Standpunkt hielt das RAV auf Einsprache des Versicherten hin fest (Entscheid vom 12. Februar 2004). |
F. schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Staatssekretariat für Wirtschaft verzichtet auf eine Vernehmlassung.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
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2. Gemäss Art. 27 des - im vorliegenden Fall anwendbaren - Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 sind die Versicherungsträger und Durchführungsorgane der einzelnen Sozialversicherungen verpflichtet, im Rahmen ihres Zuständigkeitsbereiches die interessierten Personen über ihre Rechte und Pflichten aufzuklären (Abs. 1). Jede Person hat Anspruch auf grundsätzlich unentgeltliche Beratung über ihre Rechte und Pflichten. Dafür zuständig sind die Versicherungsträger, denen gegenüber die Rechte geltend zu machen oder die Pflichten zu erfüllen sind. Für Beratungen, die aufwändige Nachforschungen erfordern, kann der Bundesrat die Erhebung von Gebühren vorsehen und den Gebührentarif festlegen (Abs. 2). Stellt ein Versicherungsträger fest, dass eine versicherte Person oder ihre Angehörigen Leistungen anderer Sozialversicherungen beanspruchen können, so gibt er ihnen unverzüglich davon Kenntnis (Abs. 3).
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Nach der gleichzeitig mit dem ATSG am 1. Januar 2003 in Kraft gesetzten Ausführungsbestimmung des Artikels 19a AVIV klären die in Artikel 76 Absatz 1 Buchstaben a-d AVIG genannten Durchführungsstellen die Versicherten über ihre Rechte und Pflichten auf, insbesondere über das Verfahren der Anmeldung und über die Pflicht, Arbeitslosigkeit zu vermeiden und zu verkürzen (Abs. 1). Die Kassen klären die Versicherten über die Rechte und Pflichten auf, die sich aus dem Aufgabenbereich der Kassen (Art. 81 AVIG) ergeben (Abs. 2). Die kantonalen Amtsstellen und die regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) klären die Versicherten über die Rechte und Pflichten auf, die sich aus den jeweiligen Aufgabenbereichen (Art. 85 und 85b AVIG) ergeben (Abs. 3).
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Der Aufgabenbereich der von den Kantonen zu errichtenden (Art. 85b Abs. 1 Satz 1 AVIG) RAV ist im AVIG nicht näher umschrieben. In Art. 85b Abs. 1 Satz 2 und 3 AVIG wird lediglich festgehalten, dass die Kantone den RAV Aufgaben der kantonalen Amtsstelle übertragen und ihnen die Durchführung der Anmeldung zur Arbeitsvermittlung übertragen können. Im Kanton St. Gallen schreibt Art. 6 der Verordnung über regionale Arbeitsvermittlungszentren vom 13. November 1995 und 19. März 1996 vor, dass die RAV eine Auskunftsstelle der kantonalen Arbeitslosenkasse betreiben (Abs. 1 lit. h), dass sie die Vermittlungsfähigkeit von Arbeitslosen überprüfen (Abs. 1 lit. i [in Kraft seit 1. März 2001]) und dass sie Fälle entscheiden, die der kantonalen Amtsstelle von den Kassen unterbreitet werden (Abs. 1 lit. k [in Kraft seit 1. März 2001]).
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Erwägung 3 |
3.1 Nach Auffassung der Vorinstanz hätte das RAV den Versicherten gestützt auf Art. 27 Abs. 2 ATSG am 18. Dezember 2003, als er anlässlich des Beratungsgesprächs seine Pläne betreffend Auslandaufenthalt (ab Februar 2004) bekanntgegeben hatte, auf die fehlende Vermittlungsfähigkeit hinweisen müssen. Die Unterlassung dieses Hinweises habe dazu geführt, dass der Versicherte insofern nicht ohne Nachteil wieder rückgängig zu machende Dispositionen getroffen habe, als er im Fall der Verschiebung des Sprachaufenthalts (gegen welche Möglichkeit am 18. Dezember 2003 keine Anhaltspunkte vorgelegen hätten), z.B. auf Ende 2004, vermittlungsfähig und dementsprechend - unter Vorbehalt der Prüfung der weiteren Anspruchsvoraussetzungen - anspruchsberechtigt gewesen wäre. Da die Voraussetzungen des Vertrauensschutzes erfüllt seien, sei der Versicherte so zu stellen, wie wenn er anlässlich des Gesprächs vom 18. Dezember 2003 auf die fehlende Vermittlungsfähigkeit hingewiesen worden wäre und er in der Folge den Sprachaufenthalt verschoben hätte. Ein Anspruch könne demgemäss nicht mit der Begründung, der Versicherte sei nicht vermittlungsfähig, verneint werden.
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3.2 Das Beschwerde führende RAV vertritt demgegenüber den Standpunkt, weder der RAV-Personalberater noch ein anderes Vollzugsorgan sei verpflichtet gewesen, den Versicherten auf die möglicherweise fehlende Vermittlungsfähigkeit hinzuweisen. Die Beratungspflicht sei auf Handlungen zu beschränken, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Geltendmachung und Erhaltung des Leistungsanspruchs und der Schadenminderungspflicht ständen. Hätte der Beschwerdegegner - wie die Vorinstanz annehme - durch Beratung in die Lage versetzt werden sollen, seine geplante Reise rechtzeitig zu verschieben, um in den Genuss von Arbeitslosenentschädigung zu kommen, hätte diesem im Ergebnis nahe gelegt werden müssen, seine Arbeitslosigkeit zu verlängern und damit die Schadenminderungspflicht zu verletzen. Sodann habe die Vorinstanz aufgrund einer blossen Parteibehauptung angenommen, dass der Versicherte ohne weiteres in der Lage und bereit gewesen wäre, den Sprachaufenthalt z.B. auf Ende 2004 zu verschieben, was angesichts der langfristigen Zukunftsplanung und des beabsichtigten Studiums aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung als gewagt bezeichnet werden dürfe, dies namentlich in Anbetracht des Umstandes, dass der Versicherte seinen fünfmonatigen Sprachaufenthalt als wichtig für das Studium erachtet habe, womit eine Verschiebung desselben auf Ende 2004 notgedrungen eine Verzögerung des Studienbeginns um ein Jahr zur Folge gehabt hätte. Die fehlende frühzeitige Information des Versicherten sei damit nicht kausal für die unterlassene Rückgängigmachung der nachteiligen Disposition. Im Weitern setze sich die Vorinstanz, wenn sie den RAV-Personalberater verpflichte, sich gegenüber einem Versicherten klar und unmissverständlich zur Vermittlungsfähigkeit zu äussern, über die im vierten Titel des AVIG (Art. 76 ff. AVIG) festgelegte Kompetenzausscheidung und Aufgabenteilung der Vollzugsorgane hinweg. Ein Personalberater sei im Übrigen gar nicht in der Lage, in der kurzen Zeit anlässlich des Erstgespräches die für die Beurteilung der Vermittlungsfähigkeit massgebenden konkreten Umstände des Einzelfalles zu beurteilen.
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Erwägung 4 |
Mit der Einführung dieser allgemeinen Aufklärungs- und Beratungspflicht der Sozialversicherer auf den 1. Januar 2003 wurde in der Arbeitslosenversicherung die Bestimmung des Art. 20 Abs. 4 AVIV (in der ab 1. Januar 1997 gültig gewesenen Fassung) aufgehoben, wonach die zuständige Amtsstelle den Versicherten auf seine Pflichten nach Art. 17 AVIG aufmerksam machte, insbesondere auf seine Pflicht, sich um Arbeit zu bemühen.
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Nach der vor In-Kraft-Treten des ATSG ergangenen (und mithin für die dem ATSG unterstehenden Sozialversicherungszweige heute überholten) Rechtsprechung (BGE 124 V 220 Erw. 2b; ARV 2002 S. 113, BGE 124 V 2000 Nr. 20 S. 98 Erw. 2b) bestand indessen keine umfassende Auskunfts-, Beratungs- und Belehrungspflicht der Behörden (unter Vorbehalt von Art. 16 KVG in der bis 31. Dezember 2002 geltenden Fassung), namentlich auch nicht gestützt auf den verfassungsmässigen Grundsatz von Treu und Glauben (vgl. auch RHINOW/KRÄHENMANN, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Ergänzungsband, Basel 1990, Nr. 74 B/Vb S. 229). Unter der damals herrschenden Rechtslage brauchten die Organe der Arbeitslosenversicherung daher - vorbehältlich des vom 1. Januar 1997 bis 31. Dezember 2002 gültig gewesenen Art. 20 Abs. 4 AVIV (bis Ende 1996 Art. 19 Abs. 4 AVIV) - nicht von sich aus - spontan, ohne vom Versicherten angefragt worden zu sein - Auskünfte zu erteilen oder auf drohende Rechtsnachteile aufmerksam zu machen. Dies galt auch für drohende Verluste sozialversicherungsrechtlicher Leistungen. Eine in ihrer Tragweite beschränkte Abweichung davon ergab sich aus Art. 20 Abs. 4 AVIV (in der bis 31. Dezember 2002 geltenden Fassung), welche Bestimmung den den Arbeitsämtern gesetzlich zugewiesenen Informationsauftrag klar umriss. Die Anwendung dieser Grundsätze führte beispielsweise dazu, dass die Verwaltung den Versicherten nach einer mit Vermittlungsunfähigkeit begründeten Ablehnungsverfügung nicht von sich aus auf die Notwendigkeit, sich den Kontrollvorschriften zu unterziehen, hinzuweisen hatte, wenn für sie der Rechtsirrtum des Versicherten, er sei mangels feststehender Anspruchsberechtigung nicht befugt, sich den Kontrollvorschriften zu unterziehen, nicht erkennbar war (unveröffentlichtes Urteil W. vom 10. Dezember 1996, C 31/96), ebenso wenig wie die ALV-Durchführungsstelle den Versicherten von sich aus über die Folgen der Aufnahme einer Zwischenverdiensttätigkeit (unveröffentlichtes Urteil L. vom 4. Juli 1997, C 181/96), namentlich der Aufnahme einer Zwischenverdiensttätigkeit, bei welcher ein unter dem orts- und berufsüblichen liegender Lohn erzielt wurde (ARV 2000 Nr. 20 S. 95), zu informieren hatte oder bei einer einmaligen Vorsprache von sich aus auf die Notwendigkeit der Stempelkontrolle und die Möglichkeit des Bezuges von Arbeitslosenentschädigung aufmerksam zu machen hatte (ARV 1979 Nr. 13 S. 82, 1976 Nr. 13 S. 85).
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4.3 In der Lehre wird - anders als im Bericht der Kommission des Nationalrates für soziale Sicherheit und Gesundheit vom 26. März 1999 - einhellig die Auffassung vertreten, dass mit Art. 27 ATSG eine wesentlich weiter gehende Beratungspflicht (welche namentlich auch Leistungsansprüche gegenüber anderen Sozialversicherungen umfassen kann; Abs. 3) stipuliert wird und die Bestimmung eine bedeutende Neuerung darstellt (vgl. KIESER, a.a.O., S. 323 unten f.; IMHOF/ZÜND, a.a.O., S. 306 unten f.; SPIRA, a.a.O., S. 527 unten f.; LOCHER, a.a.O., S. 430 f.). Nach der Literatur bezweckt die Beratung, die betreffende Person in die Lage zu versetzen, sich so zu verhalten, dass eine den gesetzgeberischen Zielen des betreffenden Erlasses entsprechende Rechtsfolge eintritt. Dabei sei die zu beratende Person über die für die Wahrnehmung der Rechte und Pflichten massgebenden Umstände rechtlicher oder tatsächlicher Art zu informieren, wobei gegebenenfalls ein Rat bzw. eine Empfehlung für das weitere Vorgehen abzugeben sei (KIESER, a.a.O., S. 319; SCHNEIDER, a.a.O., S. 80 ff.; vgl. auch zur Bestimmung des bis 31. Dezember 2002 in Kraft gewesenen Art. 16 KVG: GEBHARD EUGSTER, Krankenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, Rz 405).
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Die Norm des Art. 27 Abs. 2 ATSG ist § 14 des deutschen Sozialgesetzbuches (SGB) nachgebildet (vgl. SPIRA, a.a.O., S. 525 f.), gemäss welcher Bestimmung jeder Anspruch auf Beratung über seine Rechte und Pflichten nach diesem Gesetzbuch hat (Satz 1) und zuständig für die Beratung die Leistungsträger sind, denen gegenüber die Rechte geltend zu machen oder die Pflichten zu erfüllen sind (Satz 2). Dabei wird unter Beratung das individuelle Gespräch mit dem Einzelnen zur gezielten und umfassenden Unterrichtung über seine Rechte und Pflichten nach dem SGB verstanden (BURDENSKI/VON MAYDELL/SCHELLHORN, Kommentar zum Sozialgesetzbuch, Allgemeiner Teil, Darmstadt 1976, S. 121, N 11 zu § 14). Sie dient dazu, dem Berechtigten positiv den Weg aufzuzeigen, auf dem er zu der gesetzlich vorgesehenen Leistung gelangt (PETER MROZYNSKI, Sozialgesetzbuch, Allgemeiner Teil [SGB I], Kommentar, 2. Aufl., München 1995, S. 119, N 13 zu § 14). Der Umfang der Beratung richtet sich in erster Linie nach der Kompliziertheit des jeweiligen Normenkomplexes und sodann nach dem Grad der Angewiesenheit des Sozialleistungsberechtigten auf beratende Hilfe (MROZYNSKI, a.a.O., S. 117, N 8 zu § 14). Nach dem Kommentar von BURDENSKI/VON MAYDELL/SCHELLHORN (a.a.O., S. 121, N 12 zu § 14) hat der Leistungsträger die ihm aus dem Gesprächszusammenhang ersichtliche Situation des Ratsuchenden im Blick auf den in Frage stehenden besonderen Teil des SGB möglichst erschöpfend zu klären und gegebenenfalls durch eigene Fragen den Ausgangssachverhalt weiter aufzuklären. Im von BLEY et al. herausgegebenen Gesamtkommentar zum Sozialgesetzbuch (Band 1, Erstes Buch, Allgemeiner Teil, S. 192/1) wird sodann unter Hinweis auf Rechtsprechung und Lehre ausgeführt, dass der Versicherungsträger den Versicherten bei jeder gebotenen Befassung mit dessen Versicherungsangelegenheit auf Befugnisse zur Gestaltung seines Versicherungsverhältnisses, die offen zutage liegen und von jedem Versicherten verständigerweise ausgeübt würden, von Amts wegen hinzuweisen habe, selbst wenn fraglich sei, ob der Versicherte die Gestaltungsmöglichkeit tatsächlich nutzen könne und werde (vgl. auch MROZYNSKI, a.a.O., S. 117, N 8 zu § 14).
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Wo die Grenzen der in Art. 27 Abs. 2 ATSG statuierten Beratungspflicht in generell-abstrakter Weise zu ziehen sind, braucht vorliegend nicht entschieden zu werden. Aufgrund des Wortlautes ("Jede Person hat Anspruch auf [...] Beratung über ihre Rechte und Pflichten."; "Chacun a le droit d'être conseillé [...] sur ses droits et obligations."; "Ognuno ha diritto [...] alla consulenza in merito ai propri diritti e obblighi.") sowie des Sinnes und Zwecks der Norm (Ermöglichung eines Verhaltens, welches zum Eintritt einer den gesetzgeberischen Zielen des betreffenden Erlasses entsprechenden Rechtsfolge führt) steht mit Blick auf den vorliegend zu beurteilenden Sachverhalt fest, dass es auf jeden Fall zum Kern der Beratungspflicht gehört, die versicherte Person darauf aufmerksam zu machen, dass ihr Verhalten (vorliegend: der Antritt eines Auslandaufenthaltes im Februar 2004) eine der Voraussetzungen des Leistungsanspruches (vorliegend: die Anspruchsvoraussetzung der Vermittlungsfähigkeit) gefährden kann.
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5. Unterbleibt eine Auskunft entgegen gesetzlicher Vorschrift oder obwohl sie nach den im Einzelfall gegebenen Umständen geboten war, hat die Rechtsprechung dies der Erteilung einer unrichtigen Auskunft gleichgestellt (BGE 124 V 221 Erw. 2b, BGE 113 V 71 Erw. 2, BGE 112 V 120 Erw. 3b; ARV 2003 S. 127 Erw. 3b, BGE 112 V 2002 S. 115 Erw. 2c, 2000 S. 98 Erw. 2b; vgl. auch MEYER-BLASER, Die Bedeutung von Art. 4 Bundesverfassung für das Sozialversicherungsrecht, in: ZSR 1992 2. Halbbd., S. 299 ff., S. 412 f.). Abgeleitet aus dem Grundsatz von Treu und Glauben, welcher den Bürger in seinem berechtigten Vertrauen auf behördliches Verhalten schützt, können falsche Auskünfte von Verwaltungsbehörden unter bestimmten Voraussetzungen eine vom materiellen Recht abweichende Behandlung des Rechtsuchenden gebieten. Gemäss Rechtsprechung und Doktrin ist dies der Fall, 1. wenn die Behörde in einer konkreten Situation mit Bezug auf bestimmte Personen gehandelt hat; 2. wenn sie für die Erteilung der betreffenden Auskunft zuständig war oder wenn die rechtsuchende Person die Behörde aus zureichenden Gründen als zuständig betrachten durfte; 3. wenn die Person die Unrichtigkeit der Auskunft nicht ohne weiteres erkennen konnte; 4. wenn sie im Vertrauen auf die Richtigkeit der Auskunft Dispositionen getroffen hat, die nicht ohne Nachteil rückgängig gemacht werden können, und 5. wenn die gesetzliche Ordnung seit der Auskunftserteilung keine Änderung erfahren hat (BGE 127 I 36 Erw. 3a, BGE 126 II 387 Erw. 3a; RKUV 2000 Nr. KV 126 S. 223; zu Art. 4 Abs. 1 aBV ergangene, weiterhin geltende Rechtsprechung: BGE 121 V 66 Erw. 2a mit Hinweisen). In analoger Anwendung dieser Grundsätze (wobei die dritte Voraussetzung diesfalls lautet: wenn die Person den Inhalt der unterbliebenen Auskunft nicht kannte oder deren Inhalt so selbstverständlich war, dass sie mit einer anderen Auskunft nicht hätte rechnen müssen) wurde in Fällen unterbliebener Auskunftserteilung unter anderem entschieden, dass es einer versicherten Person nicht zum Nachteil gereichen darf, wenn die Verwaltung sie nicht auf die Pflicht, sich möglichst frühzeitig, spätestens jedoch am ersten Tag, für den sie Arbeitslosenentschädigung beansprucht, zur Arbeitsvermittlung zu melden und die Kontrollvorschriften zu erfüllen, hinweist (Urteil A. vom 13. August 2003, C 113/02) oder wenn ihr das Arbeitsamt entgegen gesetzlicher Vorschrift anlässlich der Anmeldung keine Stempelkarte abgibt, weil dies einer unterbliebenen mündlichen Belehrung gleichkommt (nicht veröffentlichtes Urteil Z. vom 21. August 1995, C 94/95).
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Es sind keine Gründe ersichtlich, diese Gleichstellung von pflichtwidrig unterbliebener Beratung und unrichtiger Auskunftserteilung nach der Kodifizierung einer umfassenden Beratungspflicht im ATSG aufzugeben, dies um so weniger als diese Folgen einer Verletzung der Beratungspflicht in den Sitzungen der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit vom 8. Mai (Protokoll S. 9) und 11./12. September 1995 (Protokoll S. 12) diskutiert worden sind. Im Übrigen wird auch in der Lehre die Auffassung vertreten, dass eine ungenügende oder fehlende Wahrnehmung der Beratungspflicht gemäss Art. 27 Abs. 2 ATSG einer falsch erteilten Auskunft des Versicherungsträgers gleichkommt und dieser in Nachachtung des Vertrauensprinzips hiefür einzustehen hat (KIESER, a.a.O., S. 320, N 17 zu Art. 27; IMHOF/ZÜND, a.a.O., S. 317; FREIVOGEL, a.a.O., S. 96; zu alt Art. 16 KVG: EUGSTER, a.a.O., Rz 406 und FN 1031).
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Bevor indessen die von der Vorinstanz ohne weiteres zur Anwendung gebrachten vertrauensschutzrechtlichen Grundsätze greifen, bleibt zu prüfen, ob sich die Unterlassung dieser Information zum Zeitpunkt des Erstgespräches für den Versicherten nachteilig ausgewirkt hat. Es ist aufgrund der Akten nicht mit dem erforderlichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 126 V 360 Erw. 5b, BGE 125 V 195 Erw. 2, je mit Hinweisen) erstellt, dass hinsichtlich der Möglichkeit, den Auslandaufenthalt zu verschieben, in der Zeit zwischen dem 18. Dezember 2003 (Termin des Erstgespräches) und der Zustellung der Verfügung vom 20. Januar 2004 (mit welcher die Vermittlungsfähigkeit verneint wurde) eine Änderung zu Ungunsten des Versicherten eingetreten ist. Vielmehr finden sich in den Akten hiezu nur die Darstellungen des Versicherten, wonach er bezüglich des Zeitpunktes des Auslandaufenthaltes flexibel gewesen wäre (Einsprache vom 31. Januar 2004) bzw. den Auslandaufenthalt entsprechend den Bedürfnissen eines potentiellen (temporären) Arbeitgebers hinausgeschoben hätte (Beschwerde vom 24. Februar 2004), und die Behauptung, dass die Möglichkeit der Verschiebung bis Ende Dezember 2004 bestanden hätte (Replik vom 27. Mai 2004). In diesem Sinne beanstandet das RAV in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu Recht, dass die Vorinstanz aufgrund der blossen Parteibehauptung ohne weitere Prüfung beispielsweise der Stornierungsbedingungen angenommen hat, dass der Versicherte bei rechtzeitiger Information ohne weiteres in der Lage gewesen wäre, den Sprachaufenthalt (z.B. auf Ende 2004) zu verschieben. Die Sache wird daher an die Vorinstanz zurückgewiesen, damit sie den Beschwerdegegner auffordere, den Nachweis für die in der Zeit zwischen dem 18. Dezember 2003 und der Zustellung der Verfügung vom 20. Januar 2004 eingetretene Änderung in der Möglichkeit, den Auslandaufenthalt zu verschieben, zu erbringen. Ist der Versicherte dazu nicht in der Lage, hätte er, der aus der unbewiesen gebliebenen Tatsache Rechte ableiten wollte, die Folgen der Beweislosigkeit zu tragen (vgl. BGE 115 V 142 Erw. 8a) und könnte die Verwaltung nicht verpflichtet werden, nach den Regeln des Vertrauensschutzes für die am 18. Dezember 2003 unterbliebene Auskunftserteilung einzustehen. Kann hingegen der erforderliche Nachweis erbracht werden, wird die Vorinstanz der Frage nachzugehen haben, ob der Versicherte, wäre er im Dezember 2003 über die möglicherweise fehlende Vermittlungsunfähigkeit aufgeklärt worden, mit Blick auf den geplanten Studienbeginn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit bereit gewesen wäre, mit dem Sprachaufenthalt zuzuwarten, nachdem dies - wie das RAV zu Recht geltend macht - unter Umständen eine Verschiebung des Studienbeginns um ein Jahr zur Folge gehabt hätte.
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