BGE 132 V 82
 
11. Auszug aus dem Urteil i.S. G. gegen Kantonale Arbeitslosenkasse St. Gallen und Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen
 
C 272/04 vom 21. November 2005
 
Regeste
Art. 51 Abs. 1 und Art. 52 Abs. 1, Art. 121 AVIG; Art. 21 und 53 EFTA-Übereinkommen; Art. 8, 16 Abs. 2 und Art. 18 Anhang K des EFTA-Übereinkommens; Art. 1 Abs. 1 Anhang K Anlage 2 des EFTA-Übereinkommens; Art. 4 Abs. 1 Bst. g und Art. 71 Abs. 1 Bst. a Ziff. ii der Verordnung Nr. 1408/71; Art. 9 Abs. 2 Anhang K Anlage 1 des EFTA-Übereinkommens; Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Fürstentum Liechtenstein über die Arbeitslosenversicherung: Anspruch einer Grenzgängerin auf Insolvenzentschädigung.
 
Sachverhalt
A. Die 1958 geborene G. war seit 1. Oktober 2002 als Grenzgängerin in der X. AG tätig, währenddem sie ihren Wohnsitz im Fürstentum Liechtenstein beibehielt. Am 29. April 2003 kündigte die Arbeitgeberin die Stelle auf Ende Mai 2003. Gleichzeitig teilte sie der Versicherten mit, dass sie ab sofort freigestellt sei.
(...)
Am 13. August 2003 meldete sich G. zum Bezug von Insolvenzentschädigung an. Mit Verfügung vom 22. Januar 2004 lehnte die Kantonale Arbeitslosenkasse St. Gallen den Anspruch für den Zeitraum ab 1. Mai 2003 ab mit der Begründung, die Versicherte sei vollständig freigestellt gewesen und hätte der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehen können. Die Insolvenzentschädigung decke ausschliesslich Lohnansprüche für geleistete Arbeit. Im Monat Mai 2003 habe die Versicherte keine Arbeitsleistungen mehr erbracht. Zudem ziehe die Verneinung eines Anspruchs auf Arbeitslosenentschädigung für Mai 2003 durch das Amt für Volkswirtschaft des Fürstentums Liechtenstein nicht automatisch einen solchen auf Insolvenzentschädigung nach sich. An dieser Auffassung hielt die Arbeitslosenkasse mit Einspracheentscheid vom 5. März 2004 fest.
B. Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 10. November 2004 ab.
C. Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt G., die Arbeitslosenkasse sei zu verpflichten, ihr für Mai 2003 eine Insolvenzentschädigung auszurichten.
Die Arbeitslosenkasse verzichtet auf eine Vernehmlassung. Das Staatssekretariat für Wirtschaft nahm am 29. April 2005 zur staatsvertraglichen Problematik Stellung.
 
Aus den Erwägungen:
 
Erwägung 3
3.1 Die Insolvenzentschädigung ist eine Lohnausfallversicherung bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers. Sie setzt eine Lohnforderung des Versicherten gegenüber dem insolventen Arbeitgeber voraus. Unter Lohnforderung im Sinne von Art. 52 Abs. 1 AVIG ist grundsätzlich der massgebende Lohn gemäss Art. 5 Abs. 2 AHVG zu verstehen, einschliesslich der geschuldeten Zulagen. Als zweiseitiger Vertrag verpflichtet der Arbeitsvertrag den Arbeitnehmer zur Leistung von Arbeit und den Arbeitgeber zur Entrichtung eines Lohnes. Die Rechtsfolge besteht aus arbeitslosenversicherungsrechtlicher Sicht darin, dass die Lohnforderung grundsätzlich an die Leistung von Arbeit gebunden ist. Der Schutzzweck der Insolvenzentschädigung erstreckt sich daher nur auf tatsächlich geleistete, aber nicht entlöhnte Arbeit; sie erfasst nicht Lohnforderungen wegen (ungerechtfertigter) vorzeitiger Auflösung des Arbeitsverhältnisses und für noch nicht bezogene Ferien. Diese Praxis stützt sich auf den Gesetzeswortlaut und den klaren Willen des Gesetzgebers (BGE 125 V 494 Erw. 3b mit Hinweisen).
Dem Tatbestand der geleisteten Arbeit hat die Rechtsprechung diejenigen Fälle gleichgestellt, in denen der Arbeitnehmer nur wegen Annahmeverzugs des Arbeitgebers im Sinne von Art. 324 OR keine Arbeit leisten konnte. Solange der Arbeitnehmer in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis steht, hat er einen Lohnanspruch, der gegebenenfalls einen Anspruch auf Insolvenzentschädigung rechtfertigen kann (BGE 125 V 495 Erw. 3b mit Hinweisen).
3.2 Ob Ansprüche für geleistete Arbeit im Sinne von Art. 51 ff. AVIG in Frage stehen, beurteilt sich also nicht danach, ob qualitativ oder quantitativ vertragsmässig gearbeitet wurde. Ebenso wenig ist der rechtliche Bestand eines Arbeitsverhältnisses allein ein taugliches Kriterium, weil eine faktische Betrachtungsweise Platz zu greifen hat (BGE 121 V 381 Erw. 3c, BGE 119 V 157 Erw. 2a; vgl. auch BGE 125 V 495 Erw. 3b). Es geht vielmehr um Lohnansprüche für effektive Arbeitszeit, während welcher die versicherte Person der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung stehen kann, weil sie in dieser Zeit dem Arbeitgeber zur Verfügung stehen muss (URS BURGHERR, Die Insolvenzentschädigung, Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers als versichertes Risiko, Diss. Zürich 2004, S. 90). Massgebend für die Bestimmung, ob Anspruch auf Insolvenzentschädigung besteht, mithin geleistete Arbeit im Sinne von Art. 51 ff. AVIG vorliegt, ist somit die Abgrenzung gegenüber der Arbeitslosenversicherung und damit, ob die versicherte Person in der fraglichen Zeit vermittlungsfähig war (Art. 15 Abs. 1 AVIG) und die Kontrollvorschriften (Art. 17 AVIG) erfüllen konnte. Ist dies zu bejahen, so besteht kein Anspruch auf Insolvenzentschädigung (BGE 121 V 379 Erw. 2b). Bei einer ungerechtfertigten fristlosen Entlassung kann der Arbeitnehmer der Vermittlung grundsätzlich wie jede andere arbeitslose Person zur Verfügung stehen. Er ist daher dem vermittlungsfähigen Arbeitnehmer gleichzustellen, der nach Eröffnung des Konkurses Anspruch auf Kündigungslohn hat. Bestehen über die Erfüllung der Ansprüche aus ungerechtfertigter Entlassung begründete Zweifel, ist die Ausrichtung einer Arbeitslosenentschädigung nach Art. 29 Abs. 1 AVIG möglich, nicht hingegen die Gewährung einer Insolvenzentschädigung (BGE 111 V 270 Erw. 1b). Um zu bestimmen, ob Arbeitslosen- oder Insolvenzentschädigung in Frage kommt, ist somit darauf abzustellen, ob die versicherte Person in der fraglichen Periode vermittlungsfähig war und die Kontrollvorschriften befolgen konnte (BGE 121 V 379 Erw. 2b; ARV 2003 S. 256 Erw. 2.4.1 [Urteil vom 10. Januar 2003, C 109/02]). Diese Grundsätze gelten auch bei ungerechtfertigter fristloser Entlassung (Art. 337c OR) und wenn das Arbeitsverhältnis zur Unzeit aufgelöst wird (Art. 336c OR). In diesen Fällen weist die versicherte Person eine genügend grosse Verfügbarkeit auf, um eine zumutbare Arbeit anzunehmen und sich den Kontrollvorschriften zu unterziehen (BGE 125 V 495 Erw. 3b, BGE 121 V 380 Erw. 3). Keine andere Betrachtungsweise hat bei der Freistellung während der Kündigungsfrist Platz zu greifen (ARV 2003 S. 257 Erw. 2.4.3 [Urteil vom 10. Januar 2003, C 109/02]; Urteile N. vom 15. April 2005 [C 214/04] und A. vom 28. Januar 2002 [C 164/01]).
 
Erwägung 4
4.1 Das kantonale Gericht hat erwogen, aufgrund des Wortlautes des Kündigungsschreibens vom 29. April 2003 könne nicht geschlossen werden, dass die Versicherte trotz sofortiger Freistellung weiterhin an einem Internetauftritt der Arbeitgeberin hätte mitarbeiten müssen. Im Schreiben vom 30. April 2003 habe die Beschwerdeführerin denn auch einzig auf die Kündigung auf den 31. Mai 2003 und die sofortige Freistellung Bezug genommen und mitgeteilt, dass sie am folgenden Tag die Schlüssel persönlich abgeben werde. Auch in den Stellungnahmen ihres Rechtsvertreters vom 5. Dezember 2003 und 15. Januar 2004 werde mit keinem Wort erwähnt, dass sie sich trotz sofortiger Freistellung für einen Internetauftritt hätte zur Verfügung stellen müssen, obwohl die Frage des Anspruchs auf Insolvenzentschädigung trotz Freistellung Gegenstand der beiden Eingaben gebildet habe. Die erstmals in der Einsprache vom 20. Februar 2004 vorgebrachte Behauptung, sie habe sich der ehemaligen Arbeitgeberin für einen Internetauftritt zur Verfügung halten müssen, erscheint nach Auffassung der Vorinstanz unter den gegebenen Umständen nicht glaubwürdig, zumal nicht nachvollziehbar sei, weshalb ausgerechnet für die Mitarbeit an einem Internetauftritt das im Kündigungsschreiben erwähnte, nicht mehr stimmige Vertrauensverhältnis ohne Belang hätte sein sollen. Die Vorinstanz kam daher zum Schluss, dass die Versicherte zum 30. April 2003 vollständig und bedingungslos freigestellt worden war.
4.3 Als Zwischenergebnis ist somit festzuhalten, dass der Beschwerdeführerin gestützt auf Art. 51 ff. AVIG kein Anspruch auf Insolvenzentschädigung zusteht.
 
Erwägung 5
5.1 Vom Amt für Volkswirtschaft des Fürstentums Liechtenstein erhielt die Beschwerdeführerin die Auskunft, während der Dauer der Freistellung bestehe kein Taggeldanspruch. Die Versicherte macht nun geltend, es stelle eine Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes dar, wenn eine im Fürstentum Liechtenstein wohnhafte und in der Schweiz als Grenzgängerin erwerbstätige Person in eine Leistungslücke falle, indem sie in der Schweiz keine Insolvenzentschädigung erhalte, weil sie sich als freigestellte Arbeitnehmerin der Arbeitsvermittlung hätte zur Verfügung stellen und die Kontrollvorschriften hätte erfüllen können, während im Fürstentum Liechtenstein in einer solchen Situation ein Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung verneint werde. Aus Koordinationsgründen müsse bei diesen Gegebenheiten ein Anspruch auf Insolvenzentschädigung bejaht werden.
Zu prüfen ist, ob ein Anspruch auf Insolvenzentschädigung aus dem am 1. Juni 2002 in Kraft getretenen Übereinkommen vom 4. Januar 1960 zur Errichtung der Europäischen Freihandelsassoziation in der Fassung gemäss Abkommen vom 21. Juni 2001 zur Änderung des Übereinkommens zur Errichtung der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA-Übereinkommen; SR 0.632.31) oder aus dem Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Fürstentum Liechtenstein über die Arbeitslosenversicherung (SR 0.837.951.4) abzuleiten ist.
5.2 Nach Art. 21 des EFTA-Übereinkommens regeln die Mitgliedstaaten die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit gemäss Anlage 2 zu Anhang K und durch das Protokoll zu Anhang K über die Freizügigkeit zwischen Liechtenstein und der Schweiz. Laut Art. 53 des EFTA-Übereinkommens bilden die dort genannten Anhänge, Anlagen und Protokolle des EFTA-Übereinkommens - darunter der Anhang K über die Freizügigkeit - integrierenden Bestandteil des Übereinkommens. Art. 8 Anhang K "Freizügigkeit (Freier Personenverkehr)" des EFTA-Übereinkommens verweist bezüglich der Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit ebenfalls auf Anlage 2. Gemäss Art. 1 Abs. 1 Anhang K Anlage 2 ("Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit") des EFTA-Übereinkommens in Verbindung mit Abschnitt A dieses Anhangs wenden die Vertragsparteien untereinander insbesondere die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständigerwerbende sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (nachfolgend: Verordnung Nr. 1408/71), und die Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständigerwerbende sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, oder gleichwertige Vorschriften an. Der am 1. Juni 2002 in Kraft getretene neue Art. 121 AVIG verweist in lit. b auf diese beiden Koordinierungsverordnungen. Ziel des mit den drei EFTA-Staaten Island, Liechtenstein und Norwegen abgeschlossenen Abkommens bildet die Anwendung der grundsätzlich gleichen Regelung, wie sie zwischen der Schweiz und der EG vereinbart wurde (vgl. Botschaft des Bundesrates zur Genehmigung des Abkommens vom 21. Juni 2001 zur Änderung des Übereinkommens vom 4. Januar 1960 zur Errichtung der Europäischen Freihandelsassoziation [EFTA], BBl 2001 4963 ff.).
5.3 Art. 4 der Verordnung Nr. 1408/71 regelt den sachlichen Geltungsbereich. Danach gilt sie unter anderem für alle Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit, die Leistungen bei Arbeitslosigkeit (Abs. 1 lit. g) vorsehen. Die Aufzählung der Zweige der sozialen Sicherheit in Art. 4 ist erschöpfend (MAXIMILIAN FUCHS, in: MAXIMILIAN FUCHS [Hrsg.], Kommentar zum Europäischen Sozialrecht, 4. Aufl., Baden-Baden 2005, N 3 zu Art. 4 der Verordnung Nr. 1408/71). Unter den Begriff "Leistungen bei Arbeitslosigkeit" im Sinne von Art. 4 Abs. 1 lit. g der Verordnung Nr. 1408/71 fallen Geldleistungen, die bei Eintritt von Arbeitslosigkeit zu gewähren sind (FUCHS, a.a.O., N 19 zu Art. 4 der Verordnung Nr. 1408/71; UELI KIESER, Das Personenfreizügigkeitsabkommen und die Arbeitslosenversicherung, in: AJP 2003 S. 286). Es handelt sich somit um Geldleistungen, welche als Ersatz für den durch die Arbeitslosigkeit verloren gegangenen Lohn gedacht sind und dadurch dem Unterhalt der arbeitslosen Person dienen(BURGHERR, a.a.O., S. 27; PATRICIA USINGER-EGGER, Die soziale Sicherheit der Arbeitslosen in der Verordnung [EWG] Nr. 1408/71 und in den bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und ihren Nachbarstaaten, Diss. Freiburg [Schweiz] 2000, S. 60; vgl. auch Urteil des EuGH vom 27. November 1997 in der Rechtssache C-57/96, Meints, Slg. 1997, I-6689, Randnr. 27). Keine Leistungen im Sinne von Art. 4 Abs. 1 lit. g der Verordnung Nr. 1408/71 sind hingegen Insolvenzleistungen von Berufsverbänden, die bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers ausgerichtet werden, da Leistungen bei Arbeitslosigkeit Einkommensersatzfunktion haben, nicht jedoch der Erfüllung der Arbeitgeberpflichten gegenüber dem Arbeitnehmer dienen (FUCHS, a.a.O., N 20 zu Art. 4 der Verordnung Nr. 1408/71; vgl. auch Urteil des EuGH vom 15. Dezember 1976 in der Rechtssache 39/76, Mouthaan, Slg. 1976, 1901). Nicht in den sachlichen Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 fällt auch eine Entschädigungsregelung, nach der in der Landwirtschaft tätige Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis wegen Flächenstilllegung ihres früheren Arbeitgebers beendet worden ist, eine einmalige Leistung erhalten, deren Höhe sich ausschliesslich nach dem Alter der Berechtigten richtet und die zurückzuzahlen ist, wenn sie innerhalb von zwölf Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses erneut ein Arbeitsverhältnis mit ihrem früheren Arbeitgeber eingehen (Urteil des EuGH vom 27. November 1997 in der Rechtssache C-57/96, Meints, Slg. 1997, I-6689). Dasselbe gilt für die Insolvenzentschädigung nach Art. 51 ff. AVIG, denn damit soll der Arbeitnehmer für bereits geleistete Arbeit schadlos gehalten werden (USINGER-EGGER, a.a.O., S. 61). Es steht nicht die für Arbeitslosenleistungen typische Einkommensersatzfunktion im Zentrum, sondern es soll die Erfüllung einer Arbeitgeberpflicht gegenüber den Arbeitnehmenden sichergestellt werden (KIESER, a.a.O., S. 286 f.; BURGHERR, a.a.O., S. 27). Der Begriff der Arbeitslosigkeit umfasst lediglich das Risiko eines nicht erzielbaren, nicht aber dasjenige eines nicht eintreibbaren Einkommens (EBERHARD EICHENHOFER, in: MAXIMILIAN FUCHS [Hrsg.], a.a.O., N 5 zu Art. 67 der Verordnung Nr. 1408/71; BURGHERR, a.a.O., S. 27 f.; vgl. auch Urteil des EuGH vom 15. Dezember 1976 in der Rechtssache 39/76, Mouthaan, Slg. 1976, 1901, Randnr. 18/20; EDGAR IMHOF, Eine Anleitung zum Gebrauch des Personenfreizügigkeitsabkommens und der VO 1408/71, in: HANS-JAKOB MOSIMANN [Hrsg.], Aktuelles im Sozialversicherungsrecht, Zürich 2001, S. 53). Dogmatisch handelt es sich bei der Insolvenzentschädigung nicht um eine Versicherung der Arbeitslosigkeit. Das Risiko der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers wurde lediglich aus Gründen der Zweckmässigkeit und der ähnlichen Zielsetzung im Bundesgesetz über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung verankert (Botschaft zu einem neuen Bundesgesetz über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung vom 2. Juli 1980, BBl 1980 III 535). Zwischen den beiden Leistungszweigen besteht lediglich ein indirekter Zusammenhang, da die Insolvenzentschädigung nicht davon abhängt, ob der betroffene Arbeitnehmer im Anschluss an die Zahlungsunfähigkeit seines Arbeitgebers arbeitslos wird (THOMAS NUSSBAUMER, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, Rz 494). Fällt die Insolvenzentschädigung nach Art. 51 bis Art. 58 AVIG somit nicht unter den Begriff "Leistungen bei Arbeitslosigkeit" nach Art. 4 Abs. 1 lit. g der Verordnung Nr. 1408/71, kommt daher auch das Koordinationsrecht von Titel III Kapitel 6 dieser Verordnung nicht zur Anwendung, weshalb die Beschwerdeführerin gestützt darauf keinen Anspruch auf Insolvenzentschädigung für den Monat Mai 2003 abzuleiten vermag.
5.5 Gemäss Art. 9 Abs. 2 Anhang K Anlage 1 des EFTA-Übereinkommens geniessen ein Arbeitnehmer und seine in Artikel 3 dieser Anlage genannten Familienangehörigen die gleichen steuerlichen und sozialen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen. Diese Bestimmung entspricht inhaltlich Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. Nr. L 257 S. 2; vgl. dazu SILVIA BUCHER, Soziale Sicherheit, beitragsunabhängige Sonderleistungen und soziale Vergünstigungen: Eine europarechtliche Untersuchung mit Blick auf schweizerische Ergänzungsleistungen und Arbeitslosenhilfen, Diss. Freiburg [Schweiz] 1999, Rz 1085 ff.). In der Literatur (BURGHERR, a.a.O., S. 28; IMHOF, a.a.O., S. 53) wird die Auffassung vertreten, die Insolvenzentschädigung nach Art. 51 ff. AVIG stelle subsidiär eine soziale Vergünstigung dar, welche nach Art. 9 Abs. 2 Anhang K Anlage 1 des EFTA-Übereinkommens diskriminierungsfrei zu gewähren sei.
Die Diskriminierungsverbote und Gleichbehandlungsgebote verbieten nach der auch bei der Auslegung des EFTA-Übereinkommens zu berücksichtigenden (Art. 16 Abs. 2 Anhang K des EFTA-Übereinkommens, vgl. dazu Urteil des Bundesgerichts vom 1. Februar 2005 i.S. A., 2P.130/2004) Rechtsprechung des EuGH nicht nur "offenkundige" (bzw. "offensichtliche" oder "offene") Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit (unmittelbare/direkte Diskriminierung), sondern auch alle "versteckten" (bzw. "verschleierten" oder "verdeckten") Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zum gleichen Ergebnis führen (mittelbare/indirekte Diskriminierung). Eine Vorschrift des nationalen Rechts ist mittelbar diskriminierend, sofern sie nicht objektiv gerechtfertigt ist und in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck steht, wenn sie sich ihrem Wesen nach eher auf Wanderarbeitnehmer als auf inländische Arbeitnehmer auswirkt und folglich die Gefahr besteht, dass sie Wanderarbeitnehmer besonders benachteiligt (BGE 131 V 209 mit Hinweisen). Derselbe Diskriminierungsbegriff liegt auch Art. 9 Abs. 2 Anhang K Anlage 1 des EFTA-Übereinkommens und Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68 zugrunde (BGE 131 V 397 Erw. 5.1 mit Hinweisen). Sieht das nationale Recht eine gemeinschaftsrechtlich unzulässige diskriminierende Behandlung verschiedener Personengruppen vor, haben die Angehörigen der benachteiligten Gruppe Anspruch auf die gleiche Behandlung und auf die Anwendung der gleichen Regelung wie die übrigen Betroffenen, wobei diese Regelung, solange das nationale Recht nicht diskriminierungsfrei ausgestaltet ist, das einzig gültige Bezugssystem bleibt (BGE 131 V 209 mit Hinweisen).
Nach den Art. 51 ff. AVIG ist Wohnsitz in der Schweiz keine Anspruchsvoraussetzung. Erforderlich ist lediglich, dass der Arbeitnehmer der ALV-Beitragspflicht unterstellt ist, was besagen will, dass er eine der Beitragspflicht unterliegende Arbeitnehmertätigkeit ausübt (nicht veröffentlichtes Urteil B. vom 17. April 1989 [C 104/88]). Der Arbeitgeber des beitragspflichtigen Arbeitnehmers muss entweder in der Schweiz der Zwangsvollstreckung unterliegen oder in der Schweiz Arbeitnehmer beschäftigen (NUSSbaumer, a.a.O., Rz 506). So können insbesondere auch Grenzgänger mit Wohnsitz im Ausland bei gegebenen Voraussetzungen einen Anspruch auf Insolvenzentschädigung erwerben (vgl. auch BGE 112 V 143). Unabhängig von der Beantwortung der Frage, ob es sich bei der Insolvenzentschädigung subsidiär um eine soziale Vergünstigung handelt, welche nach Art. 9 Abs. 2 Anhang K Anlage 1 des EFTA-Übereinkommens diskriminierungsfrei zu gewähren wäre, kann mit Bezug auf die im Fürstentum Liechtenstein wohnhaft und als Grenzgängerin in der Schweiz erwerbstätig gewesene Beschwerdeführerin bereits deshalb keine Diskriminierung erblickt werden, weil die Schweiz die Insolvenzentschädigung unabhängig von Wohnsitz und Staatsangehörigkeit des Arbeitnehmers gewährleistet.
5.6 Sofern in Anlage 2 nichts Gegenteiliges bestimmt ist, werden gemäss Art. 18 Anhang K des EFTA-Übereinkommens die bilateralen Abkommen über die soziale Sicherheit zwischen den Mitgliedstaaten mit In-Kraft-Treten dieses Anhangs insoweit ausgesetzt, als in diesem Anhang derselbe Sachbereich geregelt ist. Im Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Fürstentum Liechtenstein über die Arbeitslosenversicherung vom 15. Januar 1979 findet die Insolvenzentschädigung keine koordinierungsrechtliche Regelung. Einzig das Abkommen mit Deutschland vom 20. Oktober 1982 erklärt den Leistungszweig der Insolvenzentschädigung als mitumfasst. Dies liegt darin begründet, dass im früheren Zeitpunkt der Vertragsschliessung mit den anderen Nachbarstaaten die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers in der Schweiz noch kein versichertes Risiko darstellte (vgl. BURGHERR, a.a.O., S. 24; USINGER-EGGER, a.a.O., S. 123). Da die Schweiz Insolvenzentschädigung ohnehin unabhängig vom Wohnort des Arbeitnehmers gewährt, erfahren Grenzgänger anderer Staaten als Deutschland durch die mangelnde staatsvertragliche Normierung keinen Nachteil, wenn die Voraussetzungen von Art. 51 AVIG erfüllt sind. Aus dem bilateralen Abkommen kann die Beschwerdeführerin mit Bezug auf den geltend gemachten Anspruch auf Insolvenzentschädigung somit ebenfalls nichts zu ihren Gunsten ableiten.