BGE 136 V 57 |
8. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. C. gegen I. und Mitb. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
9C_751/2009 vom 24. November 2009 |
Art. 30c Abs. 6 BVG; Art. 331e Abs. 6 OR; Art. 22 FZG; Art. 122 ZGB. |
Art. 27 Abs. 1 IPRG; Art. 652 ff. ZGB. |
Sachverhalt |
A.a I. und C. heirateten am 10. August 1982. In der Folge waren beide Ehegatten in der Schweiz erwerbstätig und erwarben hier Vorsorgeguthaben der beruflichen Vorsorge. Im Juli 2001 kauften sie gemeinsam eine Wohnliegenschaft in O. I. bezog dazu von seiner Vorsorgeeinrichtung einen Vorbezug im Betrag von Fr. 71'547.-, C. aus ihrer Vorsorgeeinrichtung einen solchen von Fr. 50'000.-.
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A.b Mit Urteil vom 17. Mai 2004 wurde die Ehe vom Familiengericht in der Türkei geschieden. Am 3. März 2006 erhob C. beim Bezirksgericht X. eine Klage auf Ergänzung des Scheidungsurteils. Mit Urteil vom 18. Oktober 2007 ordnete das Gericht die hälftige Teilung der für die Ehedauer gemäss Art. 22 f. FZG (SR 831.42) zu ermittelnden Austrittsleistung an und überwies nach Eintritt der Rechtskraft die Sache gemäss Art. 142 Abs. 2 ZGB an das Versicherungsgericht des Kantons Aargau.
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B. Mit Urteil vom 16. Juni 2009 errechnete das Versicherungsgericht für C. ein zu teilendes Vorsorgeguthaben von Fr. 63'058.10 (Fr. 16'587.50 Freizügigkeitsleistung im Zeitpunkt der Scheidung + Fr. 50'000.- Vorbezug - Fr. 3'529.40 aufgezinstes voreheliches Guthaben) und für I. ein solches von Fr. 114'898.- (Fr. 33'351.- Freizügigkeitsleistung im Zeitpunkt der Scheidung + Fr. 71'547.- Vorbezug). Das Gericht wies demgemäss die Vorsorgeeinrichtung von I. an, auf das Freizügigkeitskonto von C. Fr. 25'914.95 (Hälfte der Differenz) zuzüglich Zins zu überweisen.
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C. C. erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, die Vorsorgeeinrichtung des Beschwerdegegners sei anzuweisen, den Betrag von Fr. 75'914.95 zuzüglich Zins auf ihr Freizügigkeitskonto zu überweisen. Eventualiter sei das angefochtene Urteil zu ergänzen und die Vorsorgeeinrichtung des Beschwerdeführers (recte: Beschwerdegegners) zu verpflichten, den von der Beschwerdeführerin im Rahmen des Vorbezugs in die eheliche Liegenschaft investierten Betrag von Fr. 50'000.- auf ihr Freizügigkeitskonto zu überführen. Subeventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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Aus den Erwägungen: |
3.2 Die Beschwerdeführerin rügt, damit stehe ihr die für sie ermittelte Austrittsleistung nicht effektiv zur Verfügung, was Art. 122 ZGB und Art. 22 FZG verletze. Sie beantragt daher, es sei ihr zusätzlich zu der zugesprochenen Leistung ihr ganzer Vorbezug von Fr. 50'000.- zu überweisen. Damit verkennt sie, dass das vorbezogene Kapital zwar im Falle einer Scheidung vor Eintritt des Vorsorgefalls als Freizügigkeitsleistung gilt und wertmässig bei der Vorsorgeausgleichsteilung zu berücksichtigen ist (Art. 30c Abs. 6 BVG; Art. 331e Abs. 6 OR), aber eben in das mit dem Vorbezug gekaufte Wohneigentum investiert ist. Es ist weiterhin für die Vorsorge gebunden (Art. 30d und 30e BVG) und dient dieser, indem das Wohneigentum genutzt werden kann, aber es fällt aus dem Vermögen der Vorsorgeeinrichtung heraus (BGE 132 V 332 E. 4.1; BÄDER FEDERSPIEL, a.a.O., S. 12 f. Rz. 26, S. 267 Rz. 546) und kann deshalb nicht in Form von Vorsorgeguthaben bzw. einer Austrittsleistung zur Verfügung stehen. Mit der gleichen Argumentation könnte übrigens auch der Beschwerdegegner beantragen, es sei ihm zu Lasten der Beschwerdeführerin der ganze von ihm bezogene Vorbezugsbetrag (Fr. 71'547.-) zu überweisen, weil ihm sonst seine Austrittsleistung nicht zur Verfügung stehe, was aber ebenso unbegründet wäre. Dass die vorbezogenen Gelder zur Zeit nicht in Form von Vorsorgeguthaben bei einer Vorsorgeeinrichtung vorhanden sind, ist die Konsequenz der von beiden Parteien getroffenen Entscheidung, einen Vorbezug zu tätigen. Der betreffende Betrag ist aber für die Beschwerdeführerin vorsorgerechtlich keineswegs verloren: Er steckt nach wie vor in dem damit erworbenen Wohneigentum und ist dort im Rahmen von Art. 30d und 30e BVG für die Vorsorge gesichert. Unter den Voraussetzungen von Art. 30d Abs. 1 und 5 BVG wird der Betrag der Vorsorgeeinrichtung der Beschwerdeführerin zurückzuzahlen sein und damit deren Vorsorgeguthaben wieder erhöhen.
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4. Im Eventualantrag verlangt die Beschwerdeführerin, die Vorsorgeeinrichtung ihres ehemaligen Ehemannes sei zu verpflichten, den von ihr in die ehemals eheliche Liegenschaft investierten Betrag von Fr. 50'000.- auf ihre Vorsorgeeinrichtung zu überweisen. Nach dem Gesagten ist dieser Antrag ebenfalls unbegründet, da der entsprechende Betrag bei der Vorsorgeeinrichtung des Ehemannes gar nicht mehr vorhanden ist. Er kann daher nicht durch Überweisung von der Vorsorgeeinrichtung des ausgleichspflichtigen Ehegatten auf diejenige des ausgleichsberechtigten übertragen werden (BGE 135 V 324 E. 5.2.2 S. 331 f.). Es trifft auch nicht zu, dass infolge der Scheidung die Voraussetzungen für den Vorbezug nicht mehr erfüllt wären, weshalb dieser in die Vorsorgeeinrichtung der Beschwerdeführerin zurückzuführen sei. Unbestritten waren die Vorbezüge zulässig. Eine Rückerstattungspflicht entsteht nur in den Fällen von Art. 30d Abs. 1 BVG. Vorliegend steht jedoch die Liegenschaft nach wie vor im Gesamteigentum der ehemaligen Ehegatten, so dass namentlich auch der Tatbestand von Art. 30d Abs. 1 lit. a oder b BVG (Veräusserung oder Einräumung gleichartiger Rechte) von vornherein nicht erfüllt ist, ohne dass auf die Frage eingegangen werden müsste, unter welchen Umständen eine Zuweisung des Wohneigentums an einen der ehemaligen Ehegatten gemäss Art. 30e Abs. 1 Satz 3 BVG überhaupt eine Rückzahlungspflicht auslöst (dazu und zu den verschiedenen Lehrauffassungen BÄDER FEDERSPIEL, a.a.O., S. 118 ff. Rz. 218 ff.). Die Scheidung als solche führt nicht zu einer Rückerstattungspflicht und macht den Vorbezug nicht nachträglich unzulässig, auch wenn einer der Ehegatten nachher nicht mehr in der Wohnung lebt.
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Erwägung 5 |
5.2 Die Besonderheit des vorliegenden Falles liegt darin, dass das Scheidungsurteil von einem türkischen Gericht gefällt wurde und das von diesem angewendete türkische Recht die Trennung von güterrechtlicher und vorsorgeausgleichsrechtlicher Teilung nicht kennt. In der gerichtlich genehmigten Scheidungskonvention ("Protokoll") wurde erwähnt, dass die Parteien die Liegenschaft in O. gemeinsam gekauft haben und dafür Fr. 50'000.- verwendet wurden, die aus der Pensionskasse der Beschwerdeführerin stammten. Weiter ist darin ausgeführt (Ziff. 6 Abs. 2, zit. nach der in den Akten liegenden Übersetzung): "Dieses Haus wird I. gehören, unter der Bedingung, dass er den gesamten Bankkredit bezahlt, die für das Haus eingenommen wurde. Falls der Bankkredit nicht bezahlt wird oder falls bei der Bezahlung ein Problem auftauchen sollte, wird das Recht von C. auf diesem Haus weiter bestehen bleiben." In der Folge erfüllte der Ehemann offenbar diese Bedingung nicht, so dass das Haus weiterhin im Gesamteigentum steht. Eine Regelung über den Vorsorgeausgleich enthielt das türkische Urteil nicht. In solchen Fällen ist mittels einer Ergänzungsklage vor dem schweizerischen Scheidungsgericht die Teilung des Vorsorgeguthabens nach den Art. 122 ff. ZGB anzuordnen (Art. 59 und 64 IPRG [SR 291]; BGE 131 III 289 E. 2.3), was die Beschwerdeführerin denn auch durch Ergänzungsklage beim Bezirksgericht X. getan hat. Sie hat dort - soweit das Gericht auf die Klage eintrat - die Rechtsbegehren gestellt, die Austrittsleistung sei hälftig zu teilen (Ziff. 4), der Ehemann sei zu verpflichten, den Betrag von Fr. 50'000.- in die Vorsorgeeinrichtung der Beschwerdeführerin zu überführen (Ziff. 5) und die einfache Gesellschaft der Parteien bezüglich der ehemals ehelichen Liegenschaft in O. sei aufzulösen und die Liegenschaft ins Alleineigentum des Ehemannes zu überführen gegen Übernahme der Hypothekarschulden und nach Rücküberführung des WEF-Vorbezugs in die Vorsorgeeinrichtung der Beschwerdeführerin (Ziff. 6). In seinem rechtskräftigen Urteil vom 18. Oktober 2007 hat das Gericht das Rechtsbegehren Ziff. 4 gutgeheissen und die Sache gemäss Art. 142 Abs. 2 ZGB an das Versicherungsgericht des Kantons Aargau überwiesen. In Bezug auf das Rechtsbegehren Ziff. 5 hat es erwogen, es falle nicht in die Zuständigkeit des Scheidungsgerichts, die Rückerstattung nach Art. 30d BVG anzuordnen; insoweit damit ein güterrechtlicher Anspruch geltend gemacht werde, sei das Begehren abzuweisen, da das anerkennungsfähige türkische Scheidungsurteil diesbezüglich nicht lückenhaft sei. Auch das Rechtsbegehren Ziff. 6 sei abzuweisen, soweit das Güterrecht betreffend. Im Übrigen handle es sich um vollstreckungsrechtliche Probleme, die im Rahmen des Ergänzungsurteils nicht behandelt werden könnten.
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5.4 Die Beschwerdeführerin bringt allerdings vor, die vom türkischen Gericht getroffene Regelung sei dem schweizerischen Recht fremd; eine Weiterführung des Gesamthandverhältnisses bei Scheidung wäre nur im Einvernehmen der Parteien möglich gewesen. Sie macht damit sinngemäss geltend, das türkische Scheidungsurteil verletze den schweizerischen materiellen Ordre public (Art. 27 Abs. 1 IPRG). Es kann offenbleiben, ob dies überhaupt noch im vorsorgeausgleichsrechtlichen Verfahren geltend gemacht werden kann (Art. 29 Abs. 3 IPRG) oder ob es nicht im Rahmen der Scheidungs-Ergänzungsklage vor dem Bezirksgericht X. hätte geltend gemacht werden müssen (vgl. Urteil 2A.94/1999 vom 2. Juni 1999 E. 1c). Denn jedenfalls kann von einer Verletzung des Ordre public nicht gesprochen werden: Eine Anerkennung verstösst dann gegen den materiellen Ordre public, wenn das einheimische Rechtsgefühl durch die Anerkennung und Vollstreckung eines ausländischen Entscheides in unerträglicher Weise verletzt würde, weil dadurch grundlegende Vorschriften der schweizerischen Rechtsordnung missachtet werden. Die Anwendung des Ordre-public-Vorbehaltes ist im Bereich der Anerkennung ausländischer Entscheide restriktiver als im Bereich der Anwendung des fremden Rechtes gemäss Art. 17 IPRG (BGE 122 III 344 E. 4a). Eine solche Verletzung ist nicht schon dann zu bejahen, wenn einer der Ehegatten nach dem ausländischen Urteil weniger Leistungen erhält als er nach dem schweizerischen Recht erhalten würde (BGE 134 III 661 E. 4.2). Vorliegend wird gemäss dem türkischen Urteil das Gesamteigentum zumindest vorläufig weitergeführt. Die Beschwerdeführerin hat der Scheidungskonvention unterschriftlich zugestimmt und damit auch die darin enthaltene Regelung betreffend die Liegenschaft in O. genehmigt. Auch im schweizerischen Recht ist die Weiterführung gemeinschaftlichen Eigentums über die Scheidung hinaus nicht ausgeschlossen (BÄDER FEDERSPIEL, a.a.O., S. 312 f. Rz. 638; GIAN SANDRO GENNA, Auflösung und Liquidation der Ehegattengesellschaft, 2008, S. 52; FELIX KOBEL, Immobilien in der güterrechtlichen Auseinandersetzung, 2007, S. 91; DANIEL R. TRACHSEL, Spezialfragen im Umfeld des scheidungsrechtlichen Vorsorgeausgleiches: Vorbezüge für den Erwerb selbstbenutzten Wohneigentums und Barauszahlungen nach Art. 5 FZG, FamPra.ch 2005 S. 529 ff., 536; vgl. BGE 132 V 337 E. 3.4 S. 345). Der Ordre public ist somit nicht verletzt.
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