11. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft AG gegen V. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
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8C_859/2013 vom 24. Februar 2014
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Regeste
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Art. 50 Abs. 1 und 2, Art. 53 Abs. 2 ATSG; Art. 18 UVG; Wiedererwägung bei vergleichsgestützter Leistungszusprechung des Unfallversicherers.
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Sachverhalt
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A. Die 1959 geborene V. war als Küchenangestellte in einem Spital tätig und dadurch bei der Helvetia Unfall (nachfolgend: Helvetia) obligatorisch gegen Unfallfolgen versichert, als sie sich am 8. März 1984 bei einem Autounfall verletzte. Die Helvetia anerkannte ihre Leistungspflicht und erbrachte die gesetzlichen Leistungen. Im März 1998 unterbreitete die Elvia Versicherungen (nachfolgend: Elvia) als Rechtsnachfolgerin der Helvetia der Versicherten den Vorschlag, für die verbleibenden Folgen des Unfalls vergleichsweise eine ab 1. Januar 1998 laufende Invalidenrente bei einem Invaliditätsgrad von 33,33 % und einem versicherten Verdienst von Fr. 54'000.- sowie eine Integritätsentschädigung aufgrund einer Integritätseinbusse von 10 % zuzusprechen. Die Versicherte stimmte dem Vorschlag bis auf den versicherten Verdienst, der auf Fr. 62'000.- zu erhöhen sei, zu. Mit rechtskräftiger Verfügung vom 23. September 1998 erklärte sich die Elvia "unpräjudizierlich" bereit, den versicherten Verdienst und damit die Rente entsprechend anzuheben, und sprach die Leistungen in diesem Sinne zu.
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Mit Verfügung vom 1. Oktober 2012 zog die Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft AG (nachfolgend: Allianz) als Rechtsnachfolgerin der Elvia die Verfügung vom 23. September 1998 insofern in Wiedererwägung, als sie rückwirkend ab 1. Januar 1998 den versicherten Verdienst auf Fr. 40'943.- reduzierte und die Rente entsprechend herabsetzte. Zur Begründung führte sie an, der versicherte Verdienst und mit ihm der Rentenanspruch seien in der damaligen Verfügung offensichtlich unrichtig festgesetzt worden. Das müsse berichtigt werden. Auf eine Rückforderung der in der Zeit bis 31. August 2012 zu viel ausgerichteten Betreffnisse werde, soweit nicht ohnehin die Verjährung eingetreten sei, verzichtet. V. erhob Einsprache. Mit Entscheid vom 12. März 2013 hiess die Allianz diese teilweise gut, indem sie den versicherten Verdienst auf Fr. 41'254.60 erhöhte und den Rentenanspruch entsprechend festsetzte. Im Übrigen hielt der Versicherer an der Verfügung vom 1. Oktober 2012 fest.
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B. In Gutheissung der von V. hiegegen eingereichten Beschwerde hob das Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt die Verfügung vom 1. Oktober 2012 und den Einspracheentscheid vom 12. März 2013 auf (Entscheid vom 14. Oktober 2013).
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C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die Allianz, es sei der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben und der Einspracheentscheid vom 12. März 2013 zu bestätigen.
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Die vorinstanzlichen Akten wurden eingeholt. Ein Schriftenwechsel wurde nicht durchgeführt.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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Aus den Erwägungen:
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Streitig und zu prüfen ist, ob die Allianz zu Recht in Wiedererwägung der Verfügung vom 23. September 1998 den versicherten Verdienst auf Fr. 41'254.60 reduziert und die Invalidenrente entsprechend herabgesetzt hat.
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Erwägung 3
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Voraussetzung einer Wiedererwägung ist - nebst der erheblichen Bedeutung der Berichtigung -, dass kein vernünftiger Zweifel an der Unrichtigkeit der Verfügung (gemeint ist hiebei immer auch ein allfälliger Einspracheentscheid) besteht, also nur dieser einzige Schluss denkbar ist. Dieses Erfordernis ist in der Regel erfüllt, wenn eine Leistungszusprache aufgrund falscher Rechtsregeln erfolgt ist oder wenn massgebliche Bestimmungen nicht oder unrichtig angewandt wurden (BGE 138 V 324 E. 3.3 S. 328). Ob dies zutrifft, beurteilt sich nach der bei Erlass der Verfügung bestandenen Sach- und Rechtslage, einschliesslich der damaligen Rechtspraxis (vgl. BGE 138 V 147 E. 2.1 S. 149, BGE 138 V 324 E. 3.3 S. 328).
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Um wiedererwägungsweise auf eine verfügte Leistung zurückkommen zu können, genügt es aber nicht, wenn ein einzelnes Anspruchselement rechtswidrig festgelegt wurde. Vielmehr hat sich die Leistungszusprache auch im Ergebnis als offensichtlich unrichtig zu erweisen. So muss etwa, damit eine zugesprochene Rente wegen einer unkorrekten Invaliditätsbemessung wiedererwägungsweise aufgehoben werden kann, - nach damaliger Sach- und Rechtslage - erstellt sein, dass eine korrekte Invaliditätsbemessung hinsichtlich des Leistungsanspruchs zu einem anderen Ergebnis geführt hätte (vgl. BGE 117 V 8 E. 2c/aa S. 20; SVR 2006 UV Nr. 17 S. 60, U 378/05 E. 5.3; sodann aus jüngerer Zeit: Urteil 8C_778/2012 vom 27. Mai 2013 E. 3.1 mit weiteren Hinweisen). Eine Wiedererwägung einer prozentgenauen Invalidenrente bedingt sodann, dass die Differenz des Invaliditätsgrades zu der als zweifellos unrichtig erkannten Verfügung mindestens 5 Prozentpunkte beträgt (BGE 140 V 85 E. 4 S. 87).
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3.2.1 Die Befugnis zum Abschluss eines Vergleichs ermächtigt die Behörde nicht, bewusst eine gesetzwidrige Vereinbarung zu schliessen, also von einer von ihr als richtig erkannten Gesetzesanwendung im Sinne eines Kompromisses abzuweichen. Ist der Vergleich im Gesetzesrecht zugelassen, so wird aber damit den Parteien bei ungewisser Sach- oder Rechtslage die Befugnis eingeräumt, ein Rechtsverhältnis vertraglich zu ordnen, um die bestehende Rechtsunsicherheit zu beseitigen. Dabei und damit wird in Kauf genommen, dass der Vergleichsinhalt von der Regelung des Rechtsverhältnisses abweicht, zu der es bei umfassender Klärung des Sachverhalts und der Rechtslage allenfalls gekommen wäre. Ein Vergleich ist somit zulässig, soweit der Verwaltung ein Ermessensspielraum zukommt sowie zur Beseitigung rechtlicher und/oder tatsächlicher Unklarheiten (BGE 138 V 147 E. 2.4 S. 149 f.; vgl. auch KUPFER BUCHER, a.a.O., S. 198 f. mit Hinweisen auf Gesetzesmaterialien).
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3.2.2 Rechtsprechungsgemäss kann ein Vergleich grundsätzlich ebenso in Wiedererwägung gezogen werden wie eine Verfügung. Es sind jedoch im Rahmen von Art. 53 Abs. 2 ATSG höhere Anforderungen zu stellen, um dem Vergleichscharakter Rechnung zu tragen (BGE 138 V 147 E. 2.3 S. 149). Der Mechanismus der Interessenabwägung ist somit bei der Wiedererwägung eines Vergleichs bzw. einer Verfügung der gleiche; Unterschiede ergeben sich jedoch bei der Gewichtung, namentlich des Schutzes des berechtigten Vertrauens in den Bestand, der tendenzmässig beim Vergleich stärker als bei der Verfügung ausfällt (BGE 138 V 147 E. 2.4 S. 150).
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Zu beachten ist dabei auch, dass die Zusprechung von Sozialversicherungsleistungen in der Regel auf verschiedenen Anspruchsgrundlagen beruht. Im UVG sind dies, nebst etwa der Versicherungsdeckung und den notwendigen kausalen Zusammenhängen, bei der Invalidenrente in erster Linie der Invaliditätsgrad - mit den diesem zugrunde liegenden Faktoren der Invaliditätsbemessung - und der versicherte Verdienst, bei der Integritätsentschädigung die Integritätseinbusse. Werden Sozialversicherungsleistungen gestützt auf einen Vergleich verfügt, umfasst dieser für gewöhnlich eine gesamthafte Würdigung aller relevanten Anspruchsfaktoren. Das heisst, jede Vergleichspartei bezieht in ihre Überlegungen mit ein und nimmt in Kauf, dass bei der vergleichsweisen Erledigung einige Anspruchsfaktoren eher zu ihren Gunsten, andere eher zu ihren Ungunsten ausgelegt werden als bei einer umfassenden Prüfung, und sie wägt ab, welchem Ergebnis sie bei gesamthafter Betrachtung zustimmen will. Der Versicherungsträger hat sich hiebei im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens zu halten. Für die versicherte Person wird die rasche Zusprechung einer möglichst hohen Leistung im Vordergrund stehen (vgl. E. 3.2.1 hievor).
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4. Im vorliegenden Fall hat der Unfallversicherer sich auf den versicherten Verdienst beschränkt und die übrigen rentenrelevanten Faktoren unberücksichtigt gelassen. Das rechtfertigt, selbst wenn der versicherte Verdienst isoliert betrachtet als offensichtlich unrichtig zu betrachten wäre, keine Wiedererwägung der gestützt auf den Vergleich zugesprochenen Invalidenrente. Hinzu kommt, dass der Vergleich auch eine Integritätsentschädigung umfasste. Inwieweit auch diese zu berücksichtigen wäre, kann aber offenbleiben, da sich die Wiedererwägung schon aufgrund des zuvor Gesagten als unzulässig erweist. Das kantonale Gericht hat den Einspracheentscheid somit zu Recht aufgehoben. Die Beschwerde ist abzuweisen.
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