BGE 140 V 464
 
59. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Schweizerische Ausgleichskasse SAK (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
 
9C_224/2014 vom 19. September 2014
 
Regeste
Art. 33 und 47 Abs. 1 lit. a ATSG; Art. 8 DSG; Art. 50a Abs. 1 lit. e Ziff. 2 und Abs. 4 lit. b AHVG; Anspruch einer Erbin auf Einsicht in die AHV-Akten ihrer verstorbenen Eltern.
Ist das Gesuch um Akteneinsicht ausschliesslich in der Verfolgung eines erbrechtlichen Anspruchs begründet, kommt das datenschutzrechtliche Auskunftsrecht von Art. 8 DSG nicht zum Tragen (E. 4.2).
Frage offengelassen, ob Art. 50a Abs. 4 lit. b AHVG im Falle von verstorbenen Versicherten zur Anwendung gelangt (E. 4.3).
 
Sachverhalt
A. A., schweizerisch-italienische Doppelbürgerin, ersuchte die Schweizerische Ausgleichskasse (SAK) am 23. November 2010, ihr einen Auszug aus dem Individuellen Konto (IK-Auszug) ihrer verstorbenen Eltern B. und C. sowie eine Aufstellung aller ihnen ausgerichteten Leistungen der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) zuzustellen. Auf Aufforderung der SAK hin, die Gründe für dieses Begehren darzulegen, führte A. aus, im Rahmen einer erbrechtlichen Auseinandersetzung (in Italien) benötige sie lückenlose Angaben über das Einkommen ihrer Eltern (Schreiben vom 19. Januar 2011). Die SAK wies A. mit Schreiben vom 9. Februar 2011 darauf hin, dass die verlangten Angaben zur Beurteilung von Familien- oder Erbrechtsstreitigkeiten (allein) an Zivilgerichte - bei ausländischen Gerichten im Rahmen der internationalen Rechtshilfe in Zivilsachen - übermittelt werden könnten. Nach Rücksprache mit dem Bundesamt für Sozialversicherungen (Stellungnahme vom 25. Februar 2013) lehnte die SAK mit Verfügung vom 5. März 2013 und Einspracheentscheid vom 16. Mai 2013 das Ersuchen der A. ab. Ein Wiedererwägungs-/Erläuterungsgesuch vom 17. Juni 2013 beschied die SAK mit Entscheid vom 2. Oktober 2013 abschlägig.
B. Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 31. Januar 2014 ab.
C. A. lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und unter Aufhebung des angefochtenen Entscheids beantragen, die Beschwerdegegnerin sei anzuweisen, ihr die IK-Auszüge ihrer verstorbenen Eltern zuzustellen und ihr Dauer und Höhe der Rentenzahlungen an ihre Eltern mitzuteilen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
 
Aus den Erwägungen:
2.2 Nach Art. 50a AHVG dürfen Organe, die mit der Durchführung, der Kontrolle oder der Beaufsichtigung der Durchführung dieses Gesetzes betraut sind, sofern kein überwiegendes Privatinteresse entgegensteht, Daten in Abweichung von Artikel 33 ATSG bekannt geben: im Einzelfall und auf schriftlich begründetes Gesuch hin Zivilgerichten, wenn die Daten für die Beurteilung eines familien- oder erbrechtlichen Streitfalles erforderlich sind (Abs. 1 lit. e Ziff. 2). In den übrigen Fällen dürfen Daten in Abweichung von Artikel 33 ATSG an Dritte wie folgt bekannt gegeben werden: Personendaten, sofern die betroffene Person im Einzelfall schriftlich eingewilligt hat oder, wenn das Einholen der Einwilligung nicht möglich ist, diese nach den Umständen als im Interesse des Versicherten vorausgesetzt werden darf (Abs. 4 lit. b). Die weiteren in Art. 50a AHVG geregelten Konstellationen sind hier nicht relevant.
3. Die Vorinstanz erwog, Art. 50a AHVG regle diejenigen Fälle, in welchen eine Datenbekanntgabe in Abweichung von Art. 33 ATSG in Frage komme. Vorliegend komme eine solche unter dem Titel von Art. 50a Abs. 1 lit. e Ziff. 2 und Abs. 4 lit. b AHVG in Betracht. Die Beschwerdeführerin habe zwar ein eigenes Interesse an der Datenherausgabe glaubhaft gemacht, sie habe aber nicht vorgetragen noch sei dies anderweitig ersichtlich, weshalb die Datenbekanntgabe im Sinne von Art. 50a Abs. 4 lit. b AHVG im Interesse der verstorbenen Versicherten liegen könnte. Ferner sei nicht ersichtlich, weshalb die Beschwerdeführerin nicht im Rahmen des in Italien lite pendenten erb- und familienrechtlichen Zivilprozesses ein Gesuch um rechtshilfeweisen Aktenbeizug stellen könnte, wie dies in Art. 50a Abs. 1 lit. e Ziff. 2 AHVG vorgesehen sei. Diese Vorgehensweise sei auch deshalb gerechtfertigt, weil das zuständige Gericht eine erste Interessenabwägung vornehmen könne. Dies könne - mangels Kenntnis des hängigen Prozesses und der gegenläufigen Standpunkte - weder die Verwaltung noch das Sozialversicherungsgericht, ebenso wenig sei die Beurteilung möglich, ob die Datenbekanntgabe überhaupt etwas zur Lösung des Streitfalles beitragen könnte. Art. 50a AHVG regle die Datenbekanntgabe spezialgesetzlich und umfassend, so dass für eine subsidiäre Anwendung des Bundesgesetzes vom 19. Juni 1992 über den Datenschutz (DSG; SR 235.1) kein Raum bleibe. Ebenfalls nichts zu ihren Gunsten vermöge die Beschwerdeführerin aus ihrer Erbenstellung abzuleiten, da in Art. 50a AHVG Erben nicht als (generell) auskunftsberechtigte Personen bezeichnet würden und Art. 50a Abs. 1 lit. e Ziff. 2 AHVG seines Sinngehalts beraubt würde, wenn jeder Erbe Einsicht in die Daten verlangten könnte. Folglich habe die Verwaltung das Datenherausgabegesuch zu Recht abgelehnt.
 
Erwägung 4
Das Akteneinsichtsrecht gemäss Art. 47 Abs. 1 lit. a ATSG ist Teil des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV). Es handelt sich um einen verfahrensrechtlich begründeten Anspruch. Es steht der versicherten Person zu für die sie betreffenden Daten und bezieht sich grundsätzlich auf alle verfahrensbezogenen Akten (BGE 125 II 473 E. 4a S. 474 f. mit Hinweisen; Urteil 8C_978/2012 vom 20. Juni 2013 E. 3.2, in: SVR 2013 IV Nr. 30 S. 87; UELI KIESER, ATSG-Kommentar, 2. Aufl. 2009, N. 2 f. zu Art. 47 ATSG; THOMAS FLÜCKIGER, Recht der Sozialen Sicherheit: Verwaltungsverfahren, in: Handbücher für die Anwaltspraxis, Bd. XI, 2014, S. 144 Rz. 4.191 f.). Das Recht auf Akteneinsicht ist als solches nicht vererblich, sondern steht den Erben akzessorisch zu den auf sie übergegangenen Rechtspositionen zu (MATTHIAS HÄUPTLI, in: Praxiskommentar Erbrecht, 2. Aufl. 2011, N. 16a zu Art. 560 ZGB). Solche Rechtspositionen, welche von den verstorbenen Eltern auf die Beschwerdeführerin übergegangen sein könnten, wie beispielsweise bereits bestehende bzw. fällige Leistungsansprüche, Beitragsforderungen, Rückerstattungs- und Schadenersatzpflichten (Art. 1 Abs. 1 AHVG i.V.m. Art. 25 ATSG und Art. 2 Abs. 1 ATSV [SR 830.11]; UELI KIESER, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Sozialversicherungsrecht, Alters- und Hinterlassenenversicherung, 3. Aufl. 2012, N. 4 zu Art. 15 und N. 76 zu Art. 52 AHVG; vgl. auch WOLF/GENNA, Erbrecht, in: Schweizerisches Privatrecht, Bd. IV/1, 2012, S. 31), liegen unbestrittenermassen keine vor. Aus diesem Grund fällt ein dazugehöriges, verfahrensrechtlich begründetes Akteneinsichtsrecht ausser Betracht.
4.2 Weiter macht die Beschwerdeführerin geltend, ihr stehe das Recht auf Akteneinsicht gestützt auf Art. 8 DSG i.V.m. Art. 560 Abs. 2 ZGB zu. Dem kann nicht gefolgt werden. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin geht der datenschutzrechtliche Auskunftsanspruch gemäss Art. 8 DSG nicht auf die Erben über (HÄUPTLI, a.a.O., N. 16a zu Art. 560 ZGB; ROSENTHAL/JÖHRI, in: Handkommentar zum Datenschutzgesetz, 2008, N. 5 zu Art. 8 DSG). Ohnehin kommt der datenschutzrechtliche Anspruch (nur) soweit zum Tragen, als es den einschlägigen Zielsetzungen entspricht. Das Auskunftsrecht nach Art. 8 DSG ist dazu bestimmt, den Betroffenen in die Lage zu versetzen, seine übrigen Datenschutzrechte wahrzunehmen (BGE 139 V 492 E. 3.2 S. 494 mit Hinweisen). Dies hat auch für Art. 1 der Verordnung vom 14. Juni 1993 zum Bundesgesetz über den Datenschutz (VDSG; SR 235.11) zu gelten, welche die Modalitäten des Auskunftsrechts regelt. Das Gesuch der Beschwerdeführerin ist ausschliesslich in der Verfolgung eines erbrechtlichen Anspruchs begründet. Eingedenk dieser Zielsetzung, welche nicht mit derjenigen des DSG übereinstimmt, kann sich die Beschwerdeführerin nicht auf das datenschutzrechtliche Auskunftsrecht berufen. Bei dieser Ausgangslage kann offenbleiben, ob Abs. 7 dieser Verordnungsbestimmung, welche u.a. die Auskunftserteilung an nahe Verwandte von Verstorbenen zum Inhalt hat, gesetzmässig ist (kritisch hierzu: HÄUPTLI, a.a.O., N. 16a zu Art. 560 ZGB; MAURER-LAMBROU/KUNZ, in: Basler Kommentar, Datenschutzgesetz, 3. Aufl. 2014, N. 6 zu Art. 2 DSG; PHILIPPE MEIER, Protection des données, 2011, S. 177).
Die Bestimmung von Art. 50a Abs. 4 lit. b AHVG setzt für eine Datenbekanntgabe voraus, dass entweder eine - hier nicht gegebene - Einwilligung der betroffenen Person vorliegt oder, wenn das Einholen der Einwilligung nicht möglich ist, diese nach den Umständen als im Interesse des Versicherten vorausgesetzt werden darf. Zunächst einmal erscheint fraglich, ob letztgenannte Bedingung auf die vorliegende Konstellation, in welcher die Versicherten bereits verstorben sind, überhaupt zur Anwendung gelangen kann. Der Wortlaut der Bestimmung (wenn das Einholen der Einwilligung "nicht möglich" [und nicht: "nicht mehr möglich"]) und die Materialien, wonach namentlich der Fall geregelt werden soll, in welchem die betroffene Person entscheidunfähig geworden ist (Botschaft vom 24. November 1999 über die Anpassung und Harmonisierung der gesetzlichen Grundlagen für die Bearbeitung von Personendaten in den Sozialversicherungen; BBl 2000 255, 266 Ziff. 2.1.4) sprechen eher dagegen. Auch die Tatsache, dass der erbrechtliche Streitfall und damit die Datenbekanntgabe nach dem Tod des Versicherten bereits in Art. 50a Abs. 1 lit. e Ziff. 2 AHVG geregelt wird, scheint eher dagegen zu sprechen. Letztlich kann diese Frage jedoch offengelassen werden.
Die Vorinstanz erwog, die Beschwerdeführerin habe lediglich ihr eigenes Interesse an der Datenherausgabe glaubhaft gemacht, aber in keiner Weise dargetan (zur Mitwirkungspflicht der Parteien Art. 61 lit. c ATSG; BGE 125 V 193 E. 2 S. 195; BGE 122 V 157 E. 1a S. 158; je mit Hinweisen), weshalb diese im Interesse beider verstorbenen Elternteile sein sollte. Dies sei auch anderweitig nicht ersichtlich. In der Beschwerde wird nichts vorgebracht, was diese Feststellung als offensichtlich unrichtig oder sonst wie bundesrechtswidrig erscheinen liesse. Im Gegenteil ist aufgrund der Aktenlage zu vermuten, die Interessen der verstorbenen Eltern seien nicht deckungsgleich gewesen, zumal sie - gemäss Angaben der Beschwerdeführerin - offenbar uneins über die innerfamiliären Vermögensansprüche gewesen waren. Im Übrigen ist nicht zu beanstanden, dass das kantonale Gericht einzig das Interesse der verstorbenen Versicherten (und nicht auch dasjenige der Erben) als massgeblich erachtete, sieht Art. 50a Abs. 4 lit. b AHVG - anders als Abs. 1 - keine Interessenabwägung vor.