BGE 141 V 37 |
7. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen A. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
8C_762/2014 vom 19. Januar 2015 |
Regeste |
Art. 39 UVG; Art. 50 UVV; "Dirt-Biken" als absolutes Wagnis. |
Sachverhalt |
A. Der 1985 geborene A. ist als Strassenbauer bei der B. AG angestellt und in dieser Eigenschaft bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch unfallversichert. Am 15. Februar 2014 stürzte er beim "Dirt-Biken" und zog sich einen Knochenbruch am linken Handgelenk zu. Die SUVA erbrachte die gesetzlichen Leistungen (Heilkosten), kürzte jedoch mit Verfügung vom 7. März 2014 das Taggeld um 50 Prozent mit der Begründung, der Unfall sei auf ein Wagnis zurückzuführen. Die dagegen erhobene Einsprache wies sie mit Entscheid vom 4. April 2014 ab.
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B. Die gegen den Einspracheentscheid erhobene Beschwerde hiess das Kantonsgericht Luzern gut mit der Feststellung, der Versicherte habe Anspruch auf ungekürzte Leistungen (Entscheid vom 8. September 2014).
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C. Die SUVA erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, der kantonale Entscheid sei aufzuheben und der Einspracheentscheid zu bestätigen.
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Während der Beschwerdegegner und das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung verzichten, beantragt die Vorinstanz Abweisung der Beschwerde.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
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Aus den Erwägungen: |
Erwägung 2 |
2.3 Lehre und Rechtsprechung unterscheiden zwischen absoluten und relativen Wagnissen. Ein absolutes Wagnis liegt vor, wenn eine gefährliche Handlung nicht schützenswert ist oder wenn die Handlung mit so grossen Gefahren für Leib und Leben verbunden ist, dass sich diese auch unter günstigsten Umständen nicht auf ein vernünftiges Mass reduzieren lassen. Ein relatives Wagnis ist gegeben, wenn es die versicherte Person unterlassen hat, die objektiv vorhandenen Risiken und Gefahren auf ein vertretbares Mass herabzusetzen, obwohl dies möglich gewesen wäre (BGE 97 V 72; SVR 2007 UV Nr. 4 S. 10, U 122/06 E. 2.1; Urteil 8C_504/2007 E. 6.1).
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Erwägung 3 |
Ein relatives Wagnis falle ausser Betracht, da dem Versicherten nicht vorgehalten werde, die nötigen Sicherheitsmassnahmen nicht getroffen zu haben.
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3.2 Demgegenüber macht die SUVA geltend, Sprünge auf einem Mountainbike über Erdhügel, bei denen es darum gehe, möglichst spektakuläre Tricks auszuführen, beinhalteten naturgemäss ein sehr grosses Sturz- und Verletzungsrisiko. Dieses könne nicht auf ein vernünftiges Mass reduziert werden. Auch beim hobbymässigen Betreiben dieser Sportart gehe es eben gerade darum, möglichst spektakuläre Sprünge und Tricks auszuführen. Die Verwendung eines Velos bei dieser Sportart erhöhe das Verletzungsrisiko zusätzlich, da die Metallteile des Fahrzeuges bei Stürzen zu schweren Verletzungen etwa an den Fingern oder im Gesicht führen können. In dieser Hinsicht sei die Sportart mit dem Snowboarden nicht zu vergleichen. Gefährliche Sprünge mit einem Velo in der Luft würden lediglich von einer kleinen Anzahl Personen praktiziert, weshalb auch nicht gesagt werden könne, durch die Qualifizierung der Sportart als absolutes Wagnis würde einer breiten Bevölkerung der Versicherungsschutz entzogen.
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Erwägung 4 |
4.2 Wie die Vorinstanz richtig ausgeführt hat, ist ein absolutes Wagnis vor allem dann anzunehmen, wenn eine gefährliche Sportart wettkampfmässig ausgeführt wird. Dies trifft etwa bei eigentlichen Rennen zu, wo es darum geht, schneller als die Konkurrenten zu sein. Diese Einstufung ist aber nicht auf solche Betätigungen beschränkt. Einer Sportart kann an sich ein derart grosses Verletzungsrisiko innewohnen, dass sie auch als absolutes Wagnis gilt, wenn sie bloss hobbymässig ausgeübt wird. Dies belegen die oben aufgeführten Beispiele (Speedflying, Base Jumping, Boxwettkämpfe). Bei diesen Betätigungen besteht eine sehr hohe Verletzungsgefahr und dieses Risiko lässt sich auch unter günstigen Umständen nicht auf ein vernünftiges Mass reduzieren (vgl. Art. 50 Abs. 2 Satz 1 UVV; BGE 112 V 44 E. 2c S. 49; SVR 2012 UV Nr. 21 S. 77, 8C_472/2011 E. 5.2 i.f.).
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4.4 Sprünge mit einem Bike in grösserer Höhe bergen an sich schon ein hohes Verletzungsrisiko in sich, welches auch durch eine geeignete Schutzkleidung nicht restlos minimiert werden kann. Dies belegt der vorliegende Fall. Dieses Risiko vergrössert sich selbstredend, wenn in die Flugphasen der Sprünge eine Akrobatik eingebaut wird. Die Gefahr ergibt sich einerseits aus der Geschwindigkeit, mit der gefahren wird, andrerseits aus den Tricks, die Ziel des Dirt-Jumps sind. Dabei kann - anders als es die Vorinstanz annimmt - nicht gesagt werden, beim hobbymässigen Ausüben dieser Sportart würden keine gefährlichen Sprünge ausgeführt. Die Wahl der Geschwindigkeit und des Schweregrades der Sprünge liegt allein beim Sportler. Da das Ziel dieser Sportart darin besteht, möglichst spektakuläre, attraktive Sprünge auszuüben, ist es auch beim nicht wettkampfmässigen "Dirt-Biken" erstrebenswert, immer höher oder weiter zu springen und den Schweregrad der Einlagen zu erhöhen. Darin liegt gerade die Herausforderung dieser Sportart. Dies führt zu einem nicht mehr vertretbaren Gefährdungspotenzial. Dieses lässt sich nur auf ein vernünftiges Mass reduzieren, wenn die vorgegebenen künstlichen Hindernisse und Schanzen eine minimale Höhe nicht überschreiten und daher gefährliche Jumps gar nicht durchgeführt werden können. Ist dies nicht der Fall, kann eben gerade nicht gesagt werden, der bloss hobbymässige Biker werde sein Risiko beschränken; vielmehr liegt der Reiz der Sportart darin, bezüglich der Höhe der Sprünge und der Schwierigkeit der Tricks an seine Grenzen zu gehen. Damit wird das Risiko unkalkulierbar.
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