BGE 141 V 372 |
41. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich gegen A. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
8C_832/2014 vom 28. Mai 2015 |
Regeste |
Art. 51 Abs. 1 lit. a AVIG; Art. 731b Abs. 1 Ziff. 3 OR; Art. 171 ff. SchKG; Insolvenztatbestand. |
Sachverhalt |
A. A., geboren 1962, war ab 1. April 2011 bei der B. GmbH (...) angestellt. Nachdem ihr trotz zweimaliger schriftlicher Aufforderung die Löhne für die Monate Juni und Juli 2012 (zuzüglich Anteil 13. Monatslohn und Kinderzulagen) nicht ausgerichtet wurden, kündigte sie das Arbeitsverhältnis am 28. August 2012 fristlos. Der Zahlungsbefehl vom 4. September 2012 führte nach Zustellungsproblemen mangels ordentlicher Bestellung der Organe zur provisorischen Rechtsöffnung (vgl. Entscheid des Bezirksgerichts C. vom 29. November 2011) und zum Fortsetzungsbegehren vom 22. Januar 2013 resp. zur Konkursandrohung vom 13. Februar 2013. A. gelangte mangels ordentlicher Bestellung der Organe an das Handelsgericht des Kantons Zürich, welches mit Entscheid vom ... die B. GmbH auflöste und deren Liquidation nach den Vorschriften über den Konkurs anordnete; am ... stellte der Konkursrichter das Liquidationsverfahren mangels Aktiven ein (...). A. ersuchte die Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich (nachfolgend: Arbeitslosenkasse) um Insolvenzentschädigung für die ihr für den Zeitraum von 1. Juni bis 30. August 2012 geschuldeten Löhne und Zulagen. Die Arbeitslosenkasse lehnte dies mit Verfügung vom 27. März 2013, bestätigt mit Einspracheentscheid vom 22. Juli 2013, ab.
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B. In Gutheissung der dagegen erhobenen Beschwerde hob das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich am 8. Oktober 2014 den Einspracheentscheid vom 22. Juli 2013 auf und wies die Sache unter Feststellung eines Insolvenztatbestandes sowie der Erfüllung der Schadenminderungspflicht an die Arbeitslosenkasse zurück, damit diese nach Prüfung der weiteren Voraussetzungen über den Anspruch auf Insolvenzentschädigung neu verfüge.
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C. Die Arbeitslosenkasse führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, es sei der vorinstanzliche Entscheid unter Bestätigung des Einspracheentscheids aufzuheben.
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A. lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) verzichtet auf eine Vernehmlassung.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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(Auszug)
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Aus den Erwägungen: |
Die Arbeitslosenkasse rügt, die Vorinstanz habe zu Unrecht einen Tatbestand im Sinne von Art. 51 Abs. 1 AVIG angenommen, denn die Aufzählung in Art. 51 Abs. 1 AVIG sei abschliessend und die vom Handelsgericht angeordnete Liquidation der aufgelösten Gesellschaft nach den Bestimmungen des Konkursrechts stelle keinen Konkurs im Sinne von Art. 51 Abs. 1 AVIG dar; zur Bejahung der erfüllten Schadenminderungspflicht äussert sich die Arbeitslosenkasse nicht.
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Erwägung 5 |
5.1 Nach konstanter Rechtsprechung ist die Aufzählung der Insolvenztatbestände nach Art. 51 Abs. 1 AVIG abschliessend (vgl. statt vieler BGE 131 V 196 mit Hinweisen). Demnach ist zu prüfen, ob der vorliegende Sachverhalt auf einen der dort genannten Tatbestände zutrifft.
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5.2 Wird wegen einem Mangel in der Organisation einer GmbH ein Verfahren nach Art. 731b OR notwendig, entscheidet der Richter - unabhängig von den Parteianträgen - über die Anordnung der angemessenen Massnahmen; d.h. der Kläger nach Art. 731b OR hat es nicht in der Hand, ob etwa als Folge eines Organmangels nur dieses neu bestellt oder aber - als ultima ratio - die Gesellschaft aufgelöst wird (vgl. Botschaft vom 19. Dezember 2001 zur Revision des Obligationenrechts [GmbH-Recht sowie Anpassungen im Aktien-, Genossenschafts-, Handelsregister- und Firmenrecht], BBl 2002 3148, 3232 Ziff. 2.2.3 Aktienrecht zu Art. 731b OR; WATTER/PAMER-WIESER, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht, Bd. II, 4. Aufl. 2012, N. 17 zu Art. 731b OR; MARCEL SCHÖNBÄCHLER, Die Organisationsklage nach Art. 731b OR, 2013, S. 187 ff.; PETER/CAVADINI, Commentaire romand, Code des obligations, Bd. II, 2008, N. 8 zu Art. 731b OR; BÜRGE/GUT, Richterliche Behebung von Organisationsmängeln der AG und der GmbH, SJZ 105/2009 S. 157, 159 f.; FRANCO LORANDI, Konkursverfahren über Handelsgesellschaften ohne Konkurseröffnung - Gedanken zu Art. 731b OR, AJP 2008 1378, 1384 f.; vgl. auch BGE 136 III 369 E. 11.4 S. 370). Zwar liegt bei der Auflösung der Gesellschaft nach Art. 731b OR keine Konkurseröffnung durch den Konkursrichter im Sinne der Art. 171 ff. SchKG vor, doch wird die Sache nach dem Auflösungsentscheid durch das Gericht an das örtlich zuständige Konkursamt überwiesen, damit es die Liquidation nach den Bestimmungen des Konkurses durchführt (vgl. Urteil 4A_706/2012 vom 29. Juli 2013 E. 3). In BGE 141 III 43 hält das Bundesgericht fest, ordne der Richter gestützt auf Art. 731b Abs. 1 Ziff. 3 OR die Auflösung der Gesellschaft und deren Liquidation nach den Vorschriften über den Konkurs an, werde ein normales Konkursverfahren durchgeführt (so bereits Urteil 5A_137/2013 vom 12. September 2013 E. 1.2.2) und ein Widerruf nach Art. 195 SchKG sei als Folge des definitiven Auflösungsentscheids ausgeschlossen. Mit Urteil 5A_137/2013 vom 12. September 2013 entschied das Bundesgericht, die Rechtsprechung von Urteil 5A_386/2010 vom 12. April 2011, wonach bei Auflösung einer Gesellschaft infolge Konkurseröffnung nach SchKG keine Möglichkeit mehr bestehe, diese infolge Organmangels gemäss Art. 731b OR aufzulösen, gelte auch in der umgekehrten Konstellation; somit werde ein hängiges Konkursverfahren bei Auflösung der Gesellschaft durch den Richter nach Art. 731b Abs. 1 Ziff. 3 OR gegenstandslos. Zwar wird in der Lehre z.T. die Ansicht vertreten, mit Art. 731b Abs. 1 Ziff. 3 OR sei kein neuer Konkursgrund geschaffen worden (vgl. BÜRGE/GUT, a.a.O., S. 160; LORANDI, a.a.O., S. 1382; WATTER/PAMER-WIESER, a.a.O., N. 24 zu Art. 731b OR), doch kommt der richterliche Auflösungsentscheid in seinen Rechtsfolgen einer Konkurseröffnung nach SchKG gleich, so dass dieser unter Art. 51 Abs. 1 lit. a AVIG zu subsumieren ist. Zudem ist eine Konkurseröffnung nach SchKG in diesen Fällen ausgeschlossen und die Erfordernisse von Art. 51 Abs. 1 AVIG können von der versicherten Person gar nicht mehr erfüllt werden. SCHÖNBÄCHLER kommt denn auch zum Schluss, der Auflösungsentscheid nach Art. 731b OR entspreche hinsichtlich der Anwendung sozialversicherungsrechtlicher Normen funktional einer Konkurseröffnung (a.a.O., S. 301; ebenso bereits LORANDI, a.a.O., S. 1393 f.). Unter diesen Umständen gibt es im Rahmen des Gleichbehandlungsgebots nach Art. 8 Abs. 1 BV keinen sachlichen Grund, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eines (ehemaligen) Arbeitgebers, welcher infolge eines Auflösungsentscheids nach Art. 731b Abs. 1 Ziff. 3 OR liquidiert wird, anders zu behandeln als jene, über deren (ehemaligen) Arbeitgeber der Konkurs nach Art. 171 ff. SchKG eröffnet wird.
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5.4 Die Vorinstanz hat somit zu Recht die Erfüllung des Insolvenztatbestandes nach Art. 51 Abs. 1 lit. a AVIG bejaht. Nachdem die Arbeitslosenkasse vor Bundesgericht die Erfüllung der Schadenminderungspflicht nach Art. 55 AVIG nicht gerügt hat und diese angesichts der unbestrittenen Gegebenheiten offensichtlich gegeben ist, ist die vorinstanzliche Aufhebung des Einspracheentscheids vom 22. Juli 2013 und Rückweisung an die Arbeitslosenkasse zu neuer Verfügung nicht zu beanstanden.
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