BGE 141 V 625 |
68. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Öffentliche Arbeitslosenkasse des Kantons Aargau (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
8C_838/2014 vom 29. September 2015 |
Regeste |
Art. 14 Abs. 1 lit. b AVIG; Befreiung von der Erfüllung der Beitragszeit. |
Sachverhalt |
A. Der 1973 geborene A. war bis Ende Februar 2010 als Kranführer tätig gewesen. Am 21. März 2010 erlitt er bei einem Treppensturz eine Distorsion am oberen linken Sprunggelenk. Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gewährte Heilbehandlung und richtete - mit grösseren Unterbrüchen (Juni 2010 bis Oktober 2011) - Taggelder bis 31. Juli 2013 auf der Basis einer vollständigen Arbeitsunfähigkeit aus. Am 2. Dezember 2011 wurde er aufgrund der zurückgebliebenen posttraumatischen Rotatoreninstabilität operativ versorgt (Operationsbericht des Spitals C. vom 13. Dezember 2011). Eine weitere Operation fand am 26. Oktober 2012 zur Entfernung des störenden Osteosynthesematerials statt. Im Anschluss daran erfolgte in Zusammenarbeit mit der Invalidenversicherung eine stationäre Rehabilitation vom 23. Januar bis 5. März 2013 zur beruflichen Abklärung hinsichtlich Arbeitsvermittlung. Die SUVA sprach A. zudem eine Rente der Unfallversicherung ab 1. August 2013 bei einem Invaliditätsgrad von 17 % zu.
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Am 19. August 2013 beantragte A. Leistungen der Arbeitslosenversicherung, wobei er sich im Ausmass von 80 % einer Vollzeitbeschäftigung dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellte. Mangels Erfüllung der Beitragszeit und fehlender Befreiung von der Erfüllung der Beitragszeit wies die Arbeitslosenkasse des Kantons Aargau mit Verfügung vom 13. November 2013 den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung ab, woran sie auf Einsprache hin festhielt (Einspracheentscheid vom 17. Dezember 2013).
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C. A. lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids seien ihm ab 19. August 2013 die gesetzlichen Leistungen zuzusprechen.
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Die Öffentliche Arbeitslosenkasse beantragt Abweisung der Beschwerde. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) hat sich auf entsprechende Aufforderung des Bundesgerichts hin zur Frage des Vorliegens eines Befreiungstatbestands nach Art. 14 Abs. 1 lit. b AVIG (SR 837.0) geäussert.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
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Aus den Erwägungen: |
Art. 14 Abs. 1 lit. b AVIG erfordert damit eine durch Krankheit, Unfall oder Mutterschaft bedingte Arbeitsunfähigkeitsperiode von mehr als einem Jahr, wobei Arbeitsunfähigkeit die durch eine Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit bedingte, volle oder teilweise Unfähigkeit ist, im bisherigen Beruf oder Aufgabenbereich zumutbare Arbeit zu leisten; bei langer Dauer wird auch die zumutbare Tätigkeit in einem anderen Beruf oder Aufgabenbereich berücksichtigt (Art. 6 ATSG [SR 830.1]).
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3. Streitig ist der Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung. Es stellt sich dabei die Frage, ob sich der Beschwerdeführer auf den Befreiungstatbestand von Art. 14 Abs. 1 lit. b AVIG berufen kann, da feststeht, dass er innerhalb der vom 19. August 2011 bis 18. August 2013 dauernden Rahmenfrist für die Beitragszeit (Art. 9 Abs. 3 AVIG) nicht während mindestens zwölf Monaten eine beitragspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat (Art. 13 Abs. 1 AVIG).
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3.2 Der Beschwerdeführer wendet ein, die Vorinstanz verletze Bundesrecht, indem sie davon ausgehe, die blosse Arbeitsunfähigkeit im angestammten Beruf genüge nicht für die Befreiung von der Erfüllung der Beitragspflicht gemäss Art. 14 Abs. 1 lit. b AVIG. Die Unfallversicherung habe ihm einen relativen Berufsschutz gewährt, weshalb ein Berufswechsel nur unter bestimmten, im Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts U 301/02 vom 1. Oktober 2003 genannten Voraussetzungen verlangt werden könne. Dieser Schutz gelte auch für arbeitslose, unfallversicherte Personen, die nach Einstellung der Unfallversicherungstaggelder Leistungen der Arbeitslosenversicherung in Anspruch nehmen müssten. Solange der Unfallversicherer in Anwendung von Art. 16 UVG in Verbindung mit Art. 6 ATSG den Taggeldanspruch bejahe, müsse auch die Arbeitslosenversicherung gestützt auf Art. 14 AVIG von der Befreiung der Erfüllung der Beitragszeit ausgehen. Die Bejahung der Arbeitsunfähigkeit des Unfallversicherers begründe somit die erforderliche Kausalität im Sinne von Art. 14 Abs. 1 lit. b AVIG. Hiervon sei das Bundesgericht auch im Urteil 8C_404/2013 vom 14. November 2013 in E. 4 ausgegangen. Der Entscheid der Vorinstanz verletze somit auch das in Art. 41 Abs. 2 BV geregelte Prinzip der Sozialstaatlichkeit und den Vertrauensschutz des Versicherten. Er müsse für den Fortgang des sozialversicherungsrechtlichen Verfahrens, da er unter dem Berufsschutz der Unfallversicherung stehe, auf die Arbeitsunfähigkeitsbeurteilung des Unfallversicherers vertrauen können. Ausserdem sei er zwar ab Mai 2012 medizinisch-theoretisch erwerbsfähig gewesen, eine Neueingliederung sei jedoch weder nach Unfallversicherungsrecht noch aus arbeitslosenversicherungsrechtlicher Sicht zumutbar gewesen, da die Metallentfernung am Fuss mit anschliessender stationärer Rehabilitation dannzumal geplant gewesen sei. Dass sich die Metallentfernung bis Oktober 2012 verzögert habe, sei nicht ihm anzulasten. In der Zeit von Mai 2012 bis zum Ende der Rehabilitation im März 2013 seien die gesundheitlichen Verhältnisse nicht stabil gewesen.
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Erwägung 4 |
4.1 Ist der Versicherte infolge des Unfalles voll oder teilweise arbeitsunfähig, so hat er nach Art. 16 UVG Anspruch auf ein Taggeld. Bei langer Dauer wird auch die zumutbare Tätigkeit in einem anderen Beruf oder Aufgabenbereich berücksichtigt. Steht fest, dass die versicherte Person unter dem Blickwinkel der Schadenminderungspflicht einen Berufswechsel vorzunehmen hat, so hat der Versicherungsträger sie dazu aufzufordern und ihr zur Anpassung an die veränderten Verhältnisse sowie zur Stellensuche eine angemessene Übergangsfrist einzuräumen, während welcher das bisherige Taggeld geschuldet bleibt. Diese Übergangsfrist ist in der Regel auf drei bis fünf Monate zu bemessen. Die durch die Pflicht zur Schadenminderung gebotene Verwertung der Restarbeitsfähigkeit in einem anderen als dem angestammten Tätigkeitsbereich bildet aber die Ausnahme vom Grundsatz, wonach für die Bemessung der Arbeitsunfähigkeit auf die tatsächliche Einschränkung im zuletzt ausgeübten Beruf abzustellen ist (BGE 114 V 281 E. 1d S. 283; RKUV 1987 S. 393, U 106/86 E. 2b; Urteil 8C_173/2008 vom 20. August 2008 E. 2.3 mit weiteren Hinweisen).
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Mit der erstmaligen Einstellung der Taggeldleistungen Ende Mai 2010 wies die SUVA den Versicherten auf seine Arbeitsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt hin (Schreiben der SUVA vom 19. Mai 2010), worauf er sich bei der Arbeitslosenversicherung zum Leistungsbezug anmeldete und von September 2010 bis Januar 2011 einen Zwischenverdienst als Mitarbeiter in der Produktion erzielte. Mit Schreiben vom 2. März 2011 hielt die SUVA nach einem Gespräch nochmals die weiterhin bestehende volle Arbeitsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt schriftlich fest. Von August bis anfangs November 2011 arbeitete der Beschwerdeführer daraufhin als Kranführer, wobei er angab, auf unebenem Boden immer wieder einzuknicken. Dies führte zur Rückfallmeldung bei der SUVA (Notiz der SUVA vom 24. November 2011). Das weitere Vorgehen machte diese vom Heilungsverlauf nach der geplanten Operation zur Stabilisierung des linken oberen Sprungelenks abhängig. Ab Oktober 2011 bis 31. Juli 2013 leistete die SUVA dementsprechend erneut ein Taggeld auf der Basis einer 100%igen Arbeitsunfähigkeit und orientierte die Arbeitslosenversicherung dahingehend. Die im Monat Mai 2012 in Aussicht gestellte Entfernung des störenden Osteosynthesematerials erfolgte schliesslich erst am 26. Oktober 2012 (Austrittsbericht des Spitals C. vom 26. Oktober 2012). Eine kreisärztliche Untersuchung sollte nach dieser Operation stattfinden (Aktennotiz der SUVA vom 2. April 2012), wurde dann aber bereits am 26. April 2012 durchgeführt, wobei die vom Kreisarzt Dr. med. B. festgestellte vollständige Arbeitsfähigkeit in leidensadaptierten Tätigkeiten dem Versicherten im Beisein der zuständigen Case-Managerin mitgeteilt wurde. Eine Aufforderung, die restliche Arbeitsfähigkeit in einer dem Zumutbarkeitsprofil entsprechenden Verweisungstätigkeit zu verwerten (E. 4.1), unterblieb jedoch. Die SUVA richtete vielmehr weiterhin bis Ende Juli 2013 ein volles Taggeld aus und meldete den Beschwerdeführer zur beruflichen Abklärung in der Klinik D. an. Erst nachdem gestützt hierauf keine weiteren Massnahmen in beruflicher Hinsicht angezeigt waren, schloss sie den Fall ab.
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4.4 Auch wenn es dem Versicherten damit gemäss grundsätzlich zutreffender vorinstanzlicher Feststellung, objektiv betrachtet, möglich gewesen wäre, während über eines Jahres innert der Rahmenfrist für die Beitragszeit vom 19. August 2011 bis 18. August 2013 einer beitragspflichtigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, bestand für ihn durch die auch nach April 2012 auf der Basis einer vollständigen Arbeitsunfähigkeit ausgerichteten Unfalltaggelder - ohne Aufforderung, sich gemäss kreisärztlicher Feststellung um eine zumutbare Tätigkeit zu bemühen - sowie der nach der Entfernung des Osteosynthesematerials noch geplanten beruflichen Abklärung in der Klinik D., keine Veranlassung anzunehmen, die Verwertung der bestehenden Restarbeitsfähigkeit werde von ihm trotz weiterer Leistung von Taggeldern der Unfallversicherung verlangt. Deshalb besteht gestützt auf Art. 14 Abs. 1 lit. b AVIG ein Befreiungstatbestand. Die Arbeitslosenkasse wird daher über den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung ab Anspruchserhebung nach Prüfung der übrigen Anspruchsvoraussetzungen zu befinden haben.
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