BGE 143 V 363 |
38. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Ausgleichskasse des Kantons Thurgau (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
9C_18/2017 vom 28. November 2017 |
Regeste |
Art. 58 Abs. 1 ATSG; Art. 14 Abs. 1 lit. b i.V.m. Abs. 2 ELG; § 5 und 5a der Verordnung des Regierungsrates des Kantons Thurgau vom 11. Dezember 2007 zum Gesetz über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung; örtliche Zuständigkeit (negativer Kompetenzkonflikt). |
Die örtliche Zuständigkeit des kantonalen Versicherungsgerichts richtet sich daher nach dem Wohnsitz der Ergänzungsleistungsbezügerin im Zeitraum, für welchen die Anspruchsberechtigung konkret besteht (E. 5.3). |
Sachverhalt |
A. A., wohnhaft in X. (SG), pflegte ihre Mutter B. (geboren am 1. Januar 1920) an deren Wohnsitz in Y. (TG). Diese bezog neben einer Entschädigung der Invalidenversicherung für eine Hilflosigkeit schweren Grades Ergänzungsleistungen (EL) zu ihrer AHV-Rente. Im März 2014 ersuchte A. um Vergütung der bei der Pflege angefallenen Betreuungskosten. Mit Verfügung vom 13. Juni 2014 bzw. Einspracheentscheid vom 4. Juni 2015 wies die Ausgleichskasse des Kantons Thurgau (nachfolgend: Ausgleichskasse) das Gesuch ab. B. verstarb am 27. Februar 2015.
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B.a Die gegen den Einspracheentscheid vom 4. Juni 2015 erhobene Beschwerde der A. leitete das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau am 9. Juli 2015 formlos an das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen weiter.
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B.b Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen erachtete sich als unzuständig, trat auf die Beschwerde nicht ein und überwies die Sache zuständigkeitshalber zurück an das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau (Entscheid vom 9. September 2016).
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B.c Mit Entscheid vom 16. November 2016 erliess auch das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau einen förmlichen Nichteintretensentscheid wegen fehlender örtlicher Zuständigkeit.
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C. A. lässt gegen beide Entscheide Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Rechtsbegehren, das Bundesgericht habe über die Frage der örtlichen Zuständigkeit zu entscheiden und die Angelegenheit zur materiellen Beurteilung an die zuständige Instanz zu überweisen.
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Das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau, die Ausgleichskasse und das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine Vernehmlassung.
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Aus den Erwägungen: |
2. Nach dem im Abschnitt Rechtspflegeverfahren unter der Überschrift Zuständigkeit stehenden Art. 58 Abs. 3 ATSG überweist die Behörde, die sich als unzuständig erachtet, die Beschwerde ohne Verzug dem zuständigen Versicherungsgericht. Mit der Einreichung der Beschwerde bei der unzuständigen Behörde wird die Beschwerdefrist gewahrt (Art. 60 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 39 Abs. 2 ATSG). Dabei kann das sich als unzuständig betrachtende kantonale Versicherungsgericht einen Nichteintretensentscheid erlassen oder sich darauf beschränken, die Sache an das als zuständig betrachtete Versicherungsgericht eines anderen Kantons weiterzuleiten. Unabhängig davon, ob das erste Gericht die Beschwerde formlos weiterleitet oder einen förmlichen Nichteintretensentscheid erlässt, welcher von der rechtsuchenden Person im Hinblick auf die vorgenommene Weiterleitung der Sache an das zweite Gericht unangefochten blieb, ist bei Verneinung der örtlichen Zuständigkeit in einem Nichteintretensentscheid des zweiten Gerichts im Rahmen des dagegen eingeleiteten Beschwerdeverfahrens die Zuständigkeit beider in Frage kommenden Gerichte vom Bundesgericht ohne Bindung an den Nichteintretensentscheid des ersten kantonalen Gerichts zu prüfen. Da bei fehlender Zuständigkeit des zweiten Gerichts keine Instanz nach Art. 58 ATSG zur Verfügung stünde, kann bei einer solchen Verfahrenskonstellation die Rechtskraft des Nichteintretensentscheids des ersten kantonalen Gerichts nicht eintreten (BGE 135 V 153 E. 1.2 S. 155 f.; Urteil 9C_41/2012 vom 12. März 2012 E. 2.2; je mit Hinweisen).
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"§ 5 Vergütung nach dem Tod
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§ 5a Auszahlung der Vergütung
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1 Die Vergütung für ausgewiesene Krankheits- und Behinderungskosten ist an die anspruchsberechtigten Bezügerinnen und Bezüger einer jährlichen Ergänzungsleistung auszurichten.
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2 [...]."
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Erwägung 5 |
Erwägung 5.3 |
Ebenso wenig kann die Beschwerdeführerin als Beschwerde führende Dritte (E. 3) betrachtet werden, zumal die geltend gemachte aktive (Pflege-)Tätigkeit resp. deren Kostenersatz im EL-rechtlichen Kontext offensichtlich nicht ausserhalb, sondern innerhalb des streitigen Rechtsverhältnisses steht (BGE 139 V 170 E. 5.3 S. 175). Ob die Verfügung vom 13. Juni 2014 und der Einspracheentscheid vom 4. Juni 2015 zu Recht (alleine) an die Beschwerdeführerin adressiert waren, kann dahingestellt bleiben, führt doch auch die unrichtige oder unvollständige Bezeichnung des Verfügungsadressaten nicht zur Nichtigkeit der Verfügung, solange sich der ins Recht gefasste Adressat - wie hier - aus dem Sachzusammenhang eindeutig ergibt (HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. Aufl. 2016, S. 244 Rz. 1126).
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5.3.2 Nach dem Gesagten ist darauf zu schliessen, dass betreffend die Zuständigkeit des kantonalen Versicherungsgerichts der Wohnsitz im Zeitraum, für welchen die Anspruchsberechtigung konkret besteht, massgeblich bleibt. Dies gilt umso mehr, als die Beschwerdeführerin ihre Mutter (gemeinsam mit ihren Geschwistern) unstreitig an deren Wohnsitz in Y. (TG) pflegte. Im Kanton St. Gallen wurden hingegen zu keinem Zeitpunkt Pflege- oder Betreuungsleistungen erbracht. Damit liegt der Ort des direktesten Bezugs klarerweise im Kanton Thurgau, was ebenfalls für diesen Gerichtsstand spricht (BGE 135 V 153 E. 4.11 S. 161). Der Nichteintretensentscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 16. November 2016 verletzt daher Bundesrecht (Art. 95 lit. a BGG).
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