BGE 144 V 29
 
4. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva) gegen SWICA Versicherungen AG (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
 
8C_396/2017 vom 1. Februar 2018
 
Regeste
Art. 77 Abs. 3 lit. a UVG; Art. 99 Abs. 2 UVV; Art. 49 Abs. 4 ATSG; Einsprachelegitimation des zweiten Unfallversicherers bezüglich der Leistungsverfügung des fallführenden Unfallversicherers.
 
Sachverhalt
A. Die 1951 geborene A. war als Pflegehelferin bei der Wohn- und Pflegeheim B. AG bei der SWICA Versicherungen AG (nachfolgend: SWICA) und als Raumpflegerin bei der C. AG bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) obligatorisch gegen die Folgen von Unfällen und Berufskrankheiten versichert. Am 25. November 2012 zog sie sich bei einem Nichtberufsunfall eine Knöchelfraktur links zu. Die Suva sprach A. mit Verfügung vom 2. Februar 2015 eine Integritätsentschädigung bei einer Integritätseinbusse von 15 % und mit Verfügung vom 5. März 2015 eine Invalidenrente ab 1. Januar 2015 basierend auf einer Erwerbsunfähigkeit von 37 % zu. Die SWICA erhob am 11. März 2015 vorsorglich Einsprache und reichte am 21. Mai 2015 die Einsprachebegründung nach. In dieser Eingabe beantragte sie, der Versicherten seien keine Invalidenrente sowie keine weiteren Heilbehandlungen zuzusprechen und die Integritätsentschädigung sei auf 10 % zu reduzieren. Mit Entscheid vom 17. Dezember 2015 trat die Suva auf die Einsprache nicht ein.
B. Die hiergegen von der SWICA erhobene Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 4. April 2017 gut, hob den Einspracheentscheid vom 17. Dezember 2015 auf und wies die Sache an die Suva zurück, damit sie auf die Einsprache der SWICA eintrete und über diese materiell befinde.
C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die Suva, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei der Einspracheentscheid vom 17. Dezember 2015 zu bestätigen, eventualiter sei die Sache in teilweiser Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids zur materiellen Prüfung der Einsprache gegen die Rentenverfügung vom 5. März 2015 an die Suva zurückzuweisen.
Die Versicherte, die SWICA und das Bundesamt für Gesundheit verzichten auf eine Vernehmlassung.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
 
Aus den Erwägungen:
Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze über die Leistungspflicht des Unfallversicherers für Nichtberufsunfälle bei Versicherten mit mehreren Arbeitgebern (Art. 77 Abs. 3 lit. a UVG in Verbindung mit Art. 99 Abs. 2 UVV [SR 832.202]), über die Eröffnung der Verfügung an einen anderen Versicherungsträger (Art. 49 Abs. 4 ATSG) sowie über die Legitimationsvoraussetzungen für die Erhebung einer Einsprache und Beschwerde (Art. 52 Abs. 1 und Art. 59 ATSG; BGE 132 V 74 E. 3.1 S. 77; vgl. auch Urteil 8C_251/2014 vom 11. März 2015 E. 3.1) zutreffend dargelegt. Darauf kann verwiesen werden. Richtig wiedergegeben hat das kantonale Gericht auch die hinsichtlich einer Anfechtungslegitimation interessierenden verschiedenen Varianten der Beeinflussung der Leistungspflicht eines Versicherungsträgers durch den Entscheid eines Sozialversicherers über einen ihm gegenüber geltend gemachten Anspruch. Möglich ist dabei im Wesentlichen, dass (a) die Verneinung einer Leistungspflicht des verfügenden Versicherungsträgers unmittelbar jene des anfechtungswilligen Trägers begründet, dass (b) die Anspruchsbeurteilung durch den einen Versicherer für den anderen Bindungswirkung entfaltet, so dass diesem eine selbstständige Prüfung einzelner Elemente grundsätzlich verwehrt ist, wenn er anschliessend über seine eigene Leistungspflicht zu befinden hat, dass (c) die strittige Verfügung unmittelbare quantitative Auswirkungen auf seine Leistungspflicht zeitigt oder dass (d) sie eine Vorleistungspflicht des anfechtenden Sozialversicherungsträgers begründet (BGE 134 V 153 E. 4.1 S. 154 f.; SVR 2009 UV Nr. 11 S. 45, 8C_606/2007 E. 5 f.; Urteil 8C_302/2017 vom 18. August 2017 E. 3.4).
 
Erwägung 4
4.1 Unstreitig ist zunächst, dass vorliegend Art. 99 Abs. 2 UVV zur Anwendung kommt, da die Versicherte im Zeitpunkt des erlittenen Nichtberufsunfalls bei zwei Arbeitgebern beschäftigt und über diese einerseits bei der Suva, anderseits bei der SWICA unfallversichert war. Gemäss dieser Regelung war die Suva leistungspflichtig, weil die Versicherte zuletzt vor dem Unfall als Raumpflegerin tätig und in dieser Funktion bei der Suva unfallversichert war. Die SWICA hat der Suva einen Teil der Versicherungsleistungen zurückzuerstatten, wobei sich ihr Anteil nach dem Verhältnis des bei ihr versicherten Verdienstes zum gesamten versicherten Verdienst richtet und unbestrittenermassen wesentlich grösser ist als der Anteil der Suva.
4.2 Das kantonale Gericht hat bei dieser Ausgangslage auf die Besonderheit hingewiesen, dass ausschliesslich die Suva den Umfang der der Versicherten zustehenden Leistungen festlegt, diese jedoch im Ergebnis zum wesentlich grösseren Teil zulasten der SWICA gehen. Wohl habe Letztere nicht der Versicherten selber Leistungen auszurichten, doch werde sie der Suva ihren lohnsummenproportionalen Anteil zurückerstatten müssen. Die Vorinstanz erwog, die geschilderte Situation lasse sich nicht direkt einer der vier in BGE 134 V 153 E. 4.1 S. 154 f. aufgezeigten Konstellationen, in welchen sich zwei Versicherungsträger befinden können (vgl. E. 3 hiervor), zuordnen. Denn der anfechtungswillige zweite Versicherer komme, anders als in den genannten Konstellationen, gar nicht dazu, selber gegenüber der versicherten Person über den Umfang der dieser zustehenden Leistungen zu verfügen. Im Ergebnis jedoch - so das kantonale Gericht - sei die Situation weitgehend die gleiche wie in Konstellation (b). Mit dem Entscheid des verfügenden ersten Versicherers werde nämlich zugleich - bei Nichtanfechtung in Rechtskraft erwachsend - der Umfang der Leistungspflicht des zweiten Versicherers festgelegt, ohne dass dieser darauf Einfluss nehmen könnte. Der zweite Versicherer werde in diesem Sinne durch die Verfügung des ersten Versicherers so erheblich belastet, dass er analog zur Konstellation (b) in der für die Rechtsmittellegitimation geforderten Weise von der Verfügung berührt sei. Die Vorinstanz kam daher zum Schluss, die SWICA als zweiter Versicherer sei von der Verfügung der Suva, mit welcher im Ergebnis auch der Umfang ihrer Leistungspflicht festgelegt werde, im Sinne von Art. 59 ATSG berührt, weshalb ihr gemäss Art. 49 Abs. 4 ATSG die Verfügung zu eröffnen sei und sie die gleichen Rechtsmittel ergreifen könne wie die Versicherte. Das kantonale Gericht verpflichtete die Suva mithin, auf die Einsprache der SWICA einzutreten und über diese materiell zu befinden.
4.3 Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin hält dieser Entscheid vor Bundesrecht grundsätzlich stand:
4.3.1 Die Suva macht zunächst geltend, mangels einer Leistungspflicht der SWICA gegenüber der versicherten Person könne eine in BGE 134 V 153 E. 4.1.2 umschriebene Bindungswirkung, die ausnahmsweise ein Berührtsein durch die Verfügung eines anderen Versicherungsträgers begründen und somit eine Drittbeschwerde "contra Adressat" (d.h. gegen eine den Adressaten begünstigende Verfügung) zulassen könnte, gar nie entstehen. Ihr ist insoweit Recht zu geben, als die hier zu beurteilende Konstellation mit mehreren beteiligten Unfallversicherern - wie dies bereits die Vorinstanz dargelegt hat - nicht in allen Teilen in eine der in BGE 134 V 153 E. 4.1 dargelegten Fallgruppen passt. Diese Gruppenbildung kann indes nicht als abschliessend gelten, was sich bereits aus dem Ingress der Erwägung mit der Verwendung von "im Wesentlichen" ergibt. Massgebend ist, dass der von der Suva vorliegend festgelegte Invaliditätsgrad Bindungswirkung gegenüber der SWICA entfaltet, ohne dass diese in der Lage sein soll, darauf Einfluss zu nehmen. Damit liegt die Situation - wie das kantonale Gericht aufgezeigt hat - nahe an Konstellation (b), bei welcher die Anspruchsbeurteilung durch den einen Versicherer für den anderen Träger Bindungswirkung entfaltet, so dass diesem eine selbstständige Prüfung einzelner Elemente grundsätzlich verwehrt ist. Diese Bindungswirkung vermittelt eine hinreichende Beziehungsnähe, die zu einer Anfechtung "contra Adressat" berechtigt. Dem steht nicht entgegen, dass die SWICA vorliegend gegenüber der versicherten Person nicht direkt leistungspflichtig, sondern "nur" gegenüber der Suva rückerstattungspflichtig wird. Die Höhe der nach Massgabe des Verhältnisses der je versicherten Verdienste erfolgenden Rückerstattung bestimmt sich nämlich vor allem nach dem für die Leistungsbemessung zentralen Invaliditätsgrad, der vorliegend von der fallführenden Suva allein festgelegt wird. So erwächst dem mitbeteiligten Unfallversicherer durch die Festsetzung des Invaliditätsgrades durch den fallführenden Unfallversicherer ein unmittelbarer Nachteil im Sinne von BGE 134 V 153 E. 5.3.2.
4.3.2 Die Zulassung einer Beschwerdebefugnis "contra Adressat" erschwert das Verfahren sodann nicht zuungunsten der Beschwerdeführerin, sondern - wenn überhaupt - zum Nachteil der versicherten Person. Das Einsprache- und allfällige Rechtsmittelverfahren wird gegen deren Interessen initiiert, dies erst noch durch einen starken Akteur, was den fallführenden Versicherer in Versuchung bringen könnte, seine eigene Verfügung zum Nachteil der versicherten Person abzuändern. Vergleichbare Konstellationen gibt es intersystemisch, beispielsweise im Verfahren der Invalidenversicherung, bei welchem die Vorsorgeeinrichtungen zur Anfechtung zugelassen werden. Sie haben trotz grösseren Fallaufkommens nie zu besonderen Problemen geführt und die Interessen der Versicherten bleiben im Rahmen des gerichtlichen Rechtsschutzes gewahrt. Wohl mag es bei dieser Betrachtungsweise zusätzliche Einspracheverfahren geben, doch sind sie nicht aufwändiger als jene Fälle, in denen auch die versicherten Personen einsprechen.
4.3.3 Soweit die Suva schliesslich geltend macht, die SWICA hätte gemäss Empfehlung Nr. 2/98 der Ad-hoc-Kommission Schaden UVG, Aufteilung der Versicherungsleistungen bei Versicherten mit mehreren Arbeitgebern, die Fallführung übernehmen und damit selber über die Leistungsansprüche verfügen können, ergibt dies keine andere Betrachtungsweise. Wohl hätte sich die SWICA gemäss der vorliegend zeitlich massgebenden Empfehlung Nr. 2/98 vom 11. September 1998 um eine andere als die gesetzlich vorgesehene Fallführung bemühen können. Dies wäre indes nur auf einvernehmlicher Basis und unter Einbezug der versicherten Person möglich gewesen, womit nicht zwingend eine Vereinfachung des Verfahrensablaufs einhergehen muss. Davon abgesehen kann das Akzeptieren der gesetzlich vorgesehenen Fallführung nicht dazu führen, dass jedes Ergebnis der Fallerledigung mitgetragen werden muss, würde dies doch auf eine regelmässige Umkehr von Art. 99 Abs. 2 UVV jedenfalls in den Fällen hinauslaufen, in denen der beim nicht fallführenden Versicherungsträger versicherte Verdienst höher wäre. Dementsprechend kann im Verhalten der SWICA - Akzeptieren der gesetzlich vorgesehenen Fallführung durch die Suva und Anfechtung von deren Leistungsverfügung - kein Handeln wider Treu und Glauben erblickt werden.