BGE 144 V 127
 
17. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. und B. gegen Groupe Mutuel Versicherungen Easy Sana Krankenversicherung AG (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
 
9C_263/2017 vom 21. März 2018
 
Regeste
Art. 24 Abs. 1 und 2 Bst. a der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit; Art. 3 Abs. 1 und 2 KVG; Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 lit. e und f KVV; Krankenversicherungspflicht von Bezügern einer Altersrente eines EU-Mitgliedstaats.
 
Sachverhalt
A.
A.a Die verheirateten deutschen Staatsangehörigen B., geb. 1955, und A., geb. 1950, verlegten ihren Wohnsitz im Herbst 2015 in die Schweiz, wo sie eine Aufenthaltsbewilligung B (ohne Erwerbstätigkeit) erhielten. Seit 1. Januar 2016 bezieht A. eine Regelaltersrente der Deutschen Rentenversicherung.
A.b Auf das von A. am 19. Oktober 2015 ausgefüllte Beitragsformular hin bestätigte die Groupe Mutuel Versicherungen Easy Sana Krankenversicherung AG (nachfolgend: Easy Sana) mit Schreiben vom 21. Dezember 2015 den Versicherungsabschluss für die obligatorische Krankenpflegeversicherung ab 1. Januar 2016; gleichzeitig wurden entsprechende Versicherungsausweise 2016 ausgehändigt.
Am 13. April 2016 teilte die Easy Sana A. mit, dass er und seine Ehefrau auf Grund des ausländischen Rentenbezugs bzw. des Nichtbezugs einer Rente oder eines anderweitigen Einkommens in der Schweiz nicht in der Schweiz, sondern in Deutschland krankenversicherungspflichtig seien. Die abgeschlossenen Versicherungsverträge würden daher rückwirkend per 1. Januar 2016 annulliert. Nachdem A. sich diesem Vorgehen widersetzt hatte, erliess die Easy Sana am 9. Juni 2016 eine Verfügung, mit welcher sie die Krankenversicherungsverträge rückwirkend per Beginn auf 1. Januar 2016 auflöste und feststellte, dass keine Versicherungsdeckung gemäss KVG bei ihr bestehe. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 18. August 2016 fest.
B. Die dagegen von den Eheleuten A. und B. erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau ab.
C. A. und B. führen Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragen, in Aufhebung des angefochtenen Entscheids sei die Gültigkeit der Versicherungsverträge festzustellen und die Easy Sana zu verpflichten, ihnen eine Versicherungsbescheinigung zuhanden der deutschen Rentenversicherung auszustellen. Mit der Eingabe werden diverse Unterlagen aufgelegt.
Die Easy Sana schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) äussert sich ebenfalls in der Sache.
D. A. und B. reichen mit Eingaben vom 19. und 21. Juni 2017 weitere Dokumente ein.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
 
Aus den Erwägungen:
 
Erwägung 3
 
Erwägung 4
4.1 Nach Art. 1 Abs. 1 des auf der Grundlage von Art. 8 des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (FZA; SR 0.142. 112.681) ausgearbeiteten und Bestandteil des Abkommens bildenden (Art. 15 FZA) Anhangs II FZA (in der bis 31. März 2012 geltenden Fassung) in Verbindung mit Abschnitt A dieses Anhangs wenden die Vertragsparteien untereinander insbesondere die Verordnungen (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (AS 2004 121; nachfolgend VO Nr. 1408/71), und (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 (AS 2005 3909) oder gleichwertige Vorschriften an.
Mit Wirkung auf 1. April 2012 sind diese beiden Rechtsakte durch die Verordnungen (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (SR 0.831.109.268.1; nachfolgend: VO Nr. 883/2004) sowie (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (SR 0.831.109. 268.11; nachfolgend: VO Nr. 987/2009) abgelöst worden (BGE 143 V 52 E. 6.1 S. 55 f.; BGE 141 V 246 E. 2.1 S. 248 f.).
4.2 Diese neuen Verordnungen - in der seit 1. Januar 2015 geltenden Fassung (somit einschliesslich der Änderung gemäss Verordnung [EU] Nr. 465/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 zur Änderung der Verordnung [EG] Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit und der Verordnung [EG] Nr. 987/2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung [EG] Nr. 883/2004 [AS 2015 345]) - sind auf den hier zu beurteilenden Fall in zeitlicher, persönlicher und sachlicher Hinsicht anwendbar (vgl. u.a. BGE 143 V 52 E. 6.2 S. 56; BGE 141 V 612 E. 3.1 S. 615 f. mit weiteren Hinweisen).
 
Erwägung 4.2.1
4.2.1.1 Titel II der VO Nr. 883/2004 (Art. 11-16) enthält allgemeine Kollisionsregeln zur Bestimmung der anzuwenden Rechtsvorschriften. Dabei legt Art. 11 Abs. 1 VO Nr. 883/2004 den kollisionsrechtlichen Grundsatz der Einheitlichkeit der anwendbaren Rechtsvorschriften in dem Sinne fest, dass für jede betroffene Person die Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats massgebend sind.
4.2.1.2 Bei Arbeitnehmenden und Selbstständigerwerbenden gelten in der Regel die Rechtsvorschriften desjenigen Mitgliedstaats, in dem sie ihre Tätigkeit ausüben (Art. 11 Abs. 3 Bst. a VO Nr. 883/2004 [Beschäftigungsland- oder Erwerbsortprinzip]; BGE 143 V 52 E. 6.2.1 S. 56; BGE 140 V 98 E. 6.3 S. 102; Urteil 8C_273/2015 vom 12. August 2015 E. 3.2). Nichterwerbstätige sind sodann ebenfalls den Rechtsvorschriften (nur) eines Mitgliedstaats unterstellt. Nach Art. 11 Abs. 3 Bst. e VO Nr. 883/2004 unterliegen sie den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats, sofern nichts anderes bestimmt ist. Dabei handelt es sich um einen eigenen Anspruch auf Grund des Wohnorts (BGE 143 V 52 E. 6.2.2 S. 56 f.; BGE 140 V 98 E. 8.1 S. 103).
4.2.2.1 Titel III VO Nr. 883/2004 beinhaltet Kollisionsnormen für besondere Situationen im jeweiligen Zweig des Systems der sozialen Sicherheit (beispielsweise in Kapitel 1 [Art. 17-35] Leistungen bei Krankheit sowie Leistungen bei Mutterschaft und gleichgestellte Leistungen bei Vaterschaft). Der Charakter als Kollisionsnorm ist dabei nicht immer bereits aus dem Wortlaut klar erkennbar. Im Unterschied zu Titel II handelt es sich bei diesen Bestimmungen regelmässig nur um punktuelle Regelungen bezüglich einzelner Zweige der sozialen Sicherheit oder einzelner Rechtsgebiete (Näheres bei FRANK SCHREIBER, in: VO [EG] Nr. 883/2004, Verordnung zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, Kommentar, 2012, N. 11 zu Vor Art. 11 VO Nr. 883/2004).
4.2.2.2 Art. 23 ff. VO Nr. 883/2004 regeln im Sinne der beschriebenen speziellen gemeinschaftsrechtlichen Koordinationsbestimmungen den Sachleistungsanspruch der Rentner und ihrer Familienangehörigen bei Krankheit. Danach erhält eine Person, die eine Rente nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats bezieht und die keinen Anspruch auf Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats hat, dennoch Sachleistungen für sich und ihre Familienangehörigen, sofern nach den Rechtsvorschriften des für die Zahlung ihrer Rente zuständigen Mitgliedstaats Anspruch auf Sachleistungen bestünde, wenn sie in diesem Mitgliedstaat wohnte (Art. 24 Abs. 1 VO Nr. 883/2004). Hat der Rentner nur Anspruch auf Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften eines einzigen Mitgliedstaats, so übernimmt der zuständige Träger dieses Mitgliedstaats die Kosten für die Sachleistungen (Art. 24 Abs. 2 Bst. a VO Nr. 883/2004). Art. 24 VO Nr. 883/2004 umfasst den Fall, dass Rentner mangels hinreichender Beziehungen zum Rentensystem des Wohnortstaats keinen originären Anspruch auf Sachleistungen bei Krankheit im Wohnortstaat haben. Beim Bezug nur einer Rente ist der Träger für Leistungen bei Krankheit desjenigen Staats kostenpflichtig, der die Rente leistet. Dem Rentner wird ein Anspruch auf Sachleistungsaushilfe gegenüber dem Träger des Wohnortstaats gewährt (SCHREIBER, a.a.O., N. 1 und 7 zu Art. 24 VO Nr. 883/2004).
 
Erwägung 4.2.3
4.2.3.1 Die Anwendung der Kollisionsnormen der VO Nr. 883/2004, nach denen sich die anzuwendenden Rechtsvorschriften bestimmen, ist für die Mitgliedstaaten zwingend. Sie bilden ein geschlossenes System von Kollisionsnormen, das den nationalen Gesetzgebern die Befugnis nimmt, in diesem Bereich den Geltungsbereich und die Anwendungsvoraussetzungen ihrer nationalen Rechtsvorschriften im Hinblick darauf zu bestimmen, welche Personen ihnen unterliegen und in welchem Gebiet sie ihre Wirkung entfalten sollen (erwähntes EuGH-Urteil C-345/09 van Delft u.a., Randnrn. 51 f., 56).
4.2.3.2 Bei den vorgenannten Art. 24 f. VO Nr. 883/2004 handelt es sich somit um - von den Mitgliedstaaten zu rezipierende - Bestimmungen, die abweichende Sonderregelungen für die den Rentnern bei Krankheit zustehenden Leistungen enthalten.
4.2.4.1 Gemäss Art. 3 Abs. 1 KVG (in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 KVV [SR 832.102]) muss sich grundsätzlich jede Person mit Wohnsitz in der Schweiz innert drei Monaten nach der Wohnsitznahme oder der Geburt in der Schweiz für Krankenpflege versichern lassen, untersteht also dem Krankenversicherungsobligatorium nach KVG. Abs. 2 der Bestimmung stipuliert, dass der Bundesrat Ausnahmen von der Versicherungspflicht vorsehen kann. Er ist damit befugt, bestimmte Personen mit Wohnsitz in der Schweiz von der Versicherungspflicht auszunehmen (BGE 134 V 34 E. 5.5 S. 37 f. mit Hinweisen; Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts K 141/97 vom 3. Dezember 1999 E. 4b, in: SVR 2000 KV Nr. 30 S. 95).
4.2.4.2 Die Ausnahmen von der Versicherungspflicht wurden zum einen in der - hier interessierenden - Form der Nichtunterstellung geregelt, die nach Gesetz oder Verordnung automatisch eintritt (Art. 2 Abs. 1 KVV; vgl. auch GEBHARD EUGSTER, Krankenversicherung, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 3. Aufl. 2016, S. 423 Rz. 46). So sind in der Schweiz niedergelassene Personen, die zwar keinen Anspruch auf eine schweizerische, aber nach dem FZA sowie seinem Anhang II einen Anspruch auf eine Rente eines Mitgliedstaats der Europäischen Gemeinschaft haben, von der Versicherungspflicht in der Schweiz befreit (Art. 2 Abs. 1 lit. e KVV). Gleiches gilt laut lit. f der Verordnungsbestimmung für Personen, die als Familienangehörige einer unter lit. e erwähnten Person in deren ausländischen Krankenversicherung mitversichert sind und entweder Anspruch auf Leistungsaushilfe haben oder für Behandlungen in der Schweiz über einen gleichwertigen Versicherungsschutz verfügen.
Ferner wurden im angefochtenen Entscheid die Voraussetzungen einer Wiedererwägung des Verwaltungsaktes, mit welchem die Beschwerdegegnerin auf Anmeldung der Beschwerdeführer hin deren Aufnahme in die Krankenversicherung formell vollzogen hatte, bejaht. Da weder ein Versicherungsobligatorium noch die Möglichkeit einer freiwilligen Versicherung vorgesehen sei, bestünden keine Zweifel an der Unrichtigkeit der Aufnahme der Beschwerdeführer in den Kreis der bei der Beschwerdegegnerin obligatorisch im Sinne des KVG Versicherten. Mangels Vertrauensbetätigung seitens der Beschwerdeführer, welche einer rückwirkenden Korrektur entgegenstehen könnte, und weil auch keine Nachteile ersichtlich seien, mit denen das Ehepaar A. und B. bei Fortführung seiner deutschen Versicherung rechnen müsste, habe die Wiedererwägung rückwirkend zu erfolgen. Die vom Krankenversicherer vorgenommene Wiedererwägung ex tunc sei somit nicht zu beanstanden.
 
Erwägung 6
 
Erwägung 6.2
6.2.1 Zunächst wird eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 KVG und Art. 1 Abs. 1 KVV geltend gemacht, wonach jede in der Schweiz wohnhafte Person der obligatorischen Krankenpflegeversicherung nach KVG unterstellt sei. Ausnahmen vom Versicherungsobligatorium seien eng zu umschreiben und dürften keinen Selbstzweck darstellen. Die in Art. 2 Abs. 1 KVV vorgesehenen Ausschlusstatbestände könnten daher nur eintreten, wenn andernorts ein gleichwertiger Versicherungsschutz bestehe. Der Ausnahmekatalog bezwecke einzig, eine "Doppelpflichtversicherung" zu verhindern. Bei der Neufassung von Art. 2 Abs. 1 KVV - die Ergänzung durch lit. c-f erfolgte auf 1. Juni 2002 - sei übersehen worden, dass es Einzelfälle gäbe, die zwar unter die entsprechenden Befreiungstatbestände fielen, bei denen aber keine anderweitige Pflichtversicherung vorhanden sei. Das Ziel der Novellierung habe nicht darin bestanden, bestimmte Personengruppen vom schweizerischen Versicherungsschutz auszuschliessen, sondern, bei Vorliegen einer äquivalenten ausländischen Versicherung, die Befreiung zu vereinfachen.
6.2.2 Dem ist mit dem BAG entgegen zu halten (vgl. Vernehmlassung vom 9. Juni 2017), dass die Krankenpflegeversicherung nach KVG in der Schweiz zwar grundsätzlich obligatorisch ist. Dies gilt indessen nur für Personen, welche die im Gesetz und in den Ausführungsverordnungen festgelegten Voraussetzungen erfüllen. Wie hiervor aufgezeigt (vgl. E. 4.2.4), kann der Bundesrat gemäss Art. 3 Abs. 2 KVG Ausnahmen vorsehen, was er mit Art. 2 KVV getan hat. Gemäss dessen Abs. 1 lit. c-f KVV sind sämtliche Personen, die in der Schweiz wohnen, aber gestützt auf das europäische Koordinationsrecht der Versicherungspflicht eines anderen Mitgliedstaats unterstehen, automatisch von der Versicherungspflicht in der Schweiz ausgenommen. Dazu gehören explizit auch ausländische Rentenbezüger und ihre Familienangehörigen (lit. e und f). Es wird dabei nicht unterschieden, ob im Ausland ein gesetzlicher oder ein privater Krankenversicherungsschutz besteht. Sollte B. keinen eigenen Anspruch auf deutsche Rentenleistungen haben, wäre sie gestützt auf Art. 2 Abs. 1 lit. f KVV als Familienangehörige eines deutschen Einfachrentners ebenfalls nicht in der Schweiz krankenversicherungspflichtig. Diese Regelung kommt, wie in der Bestimmung ausdrücklich erwähnt, sowohl bei einem Anspruch auf Leistungsaushilfe (Vorliegen einer gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland) als auch bei einem für Behandlungen in der Schweiz gleichwertigen Versicherungsschutz (private Krankenversicherung) zur Anwendung. In wenigen, abschliessend aufgeführten Spezialfällen besteht sodann die Möglichkeit eines freiwilligen Anschlusses an die Krankenpflegeversicherung (Art. 3 [Grenzgänger und -gängerinnen], Art. 4 Abs. 3 [entsandte Arbeitnehmer und -nehmerinnen] und Art. 6 KVV [Personen mit Vorrechten nach internationalem Recht]). Personen mit Wohnsitz in der Schweiz, die eine ausländische Rente erhalten, fallen nicht darunter, sondern sind im Gegenteil gemäss Art. 2 Abs. 1 lit. e und f KVV gerade von der Versicherungspflicht (und -möglichkeit) ausgenommen.
 
Erwägung 6.3
6.3.1 Die Beschwerdeführer beanstanden des Weitern eine Verletzung von übergeordnetem Gemeinschaftsrecht, namentlich des in Art. 2 FZA enthaltenen Nichtdiskriminierungsgebots und von Art. 4 VO Nr. 883/2004, wonach, sofern die Verordnung nichts anderes bestimmt, Personen, für welche die Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten auf Grund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats haben wie die Staatsangehörigen dieses Staats ("Gleichbehandlung"). So verstosse Art. 2 Abs. 1 lit. e KVV gegen diese Bestimmungen, weil die Regelung dazu führe, dass die betroffene Person durch den Ausschluss von der schweizerischen Krankenpflegeversicherung je nach Konstellation über keine Versicherung verfüge. Dies treffe auf sie zu, da sie weder in Deutschland noch in einem anderem Mitgliedstaat krankenversicherungspflichtig seien. Den vorinstanzlich angeführten Art. 23 ff. VO Nr. 883/2004 käme entgegen der Betrachtungsweise des kantonalen Gerichts keine für die Frage der Versicherungspflicht inzident massgebende Bedeutung zu. Sie beinhalteten nicht die Begründung einer Versicherungspflicht an sich, sondern knüpften Rechtsfolgen an einen bereits bestehenden Anspruch. Der Ausschluss der schweizerischen Krankenpflegeversicherung für Ausländer in der Schweiz, die eine ausländische Rente bezögen, bewirke eine nicht zulässige Benachteiligung gegenüber schweizerischen Rentnern. Diese Schlussfolgerungen ergäben sich überdies auch aus dem Urteil des EuGH vom 11. Juni 1998 C-275/96 (Kuusijärvi, Slg. 1998 I-3419 Randnr. 30), das es der Schweiz untersage, Personen, für welche die schweizerischen Rechtsvorschriften nach der VO Nr. 883/2004 Gültigkeit hätten, von vornherein vom Anwendungsbereich dieser Bestimmungen auszuklammern. Genau dies geschehe aber mit dem in Art. 2 Abs. 1 lit. e KVV verankerten Ausschluss. Offensichtlich unrichtig sei überdies die Feststellung der Vorinstanz, infolge der Fortführung der bisherigen (privaten) deutschen Krankenversicherung entstünden ihnen keinerlei Nachteile, sei diese doch auf Ende 2015 aufgelöst worden. Zusammenfassend halte Art. 2 Abs. 1 lit. e KVV vor Art. 2 FZA sowie Art. 4 und 11 Abs. 3 Bst. e VO Nr. 883/2004 nicht stand und sei deshalb im vorliegenden Fall nicht anwendbar.
6.3.2 Den Beschwerdeführern ist insoweit zuzustimmen, als sich unmittelbar aus dem Wortlaut der Bestimmungen der VO Nr. 883/2004 keine Krankenversicherungspflicht in Deutschland ergibt. Art. 24 VO Nr. 883/2004 verpflichtet die Schweiz aber, Sachleistungen der Krankenversicherung an Rentner und deren Familienangehörige mit Wohnsitz in der Schweiz zu erbringen, auch wenn diese auf Grund des Bezugs einer Rente aus einem anderen Mitgliedstaat nicht in der Schweiz versichert sind. Diese Leistungserbringung erfolgt allerdings nur aushilfsweise. Die Kosten werden gemäss Abs. 2 der Bestimmung nicht durch den aushelfenden schweizerischen Träger, sondern durch den zuständigen Krankenversicherungsträger des die Rente zahlenden Staats übernommen. Auch ohne ausdrückliche Kollisionsregelung wird dadurch der leistungszuständige Versicherungsträger bestimmt: Es entsteht infolge der in Abs. 2 des erwähnten Artikels enthaltenen Kostenzuweisungsnorm im Rente zahlenden Staat eine Krankenversicherungspflicht mit den daraus folgenden Beitragspflichten.
6.3.2.1 Dass die endgültige Kostentragungspflicht im Rente zahlenden Staat mit dem Recht zur Erhebung entsprechender Beiträge verbunden ist, hat auch der EuGH in mehreren Urteilen festgehalten (vgl. etwa vom 10. Mai 2001 C-389/99 Rundgren, Slg. 2001 I-3731 Randnrn. 47 ff.; vom 18. Juli 2006 C-50/05 Nikula, Slg. 2006 I-7029 Randnrn. 29 ff., und C-345/09 van Delft u.a., a.a.O.). So wurde im letztgenannten Urteil van Delft u.a.darauf hingewiesen, dass die Art. 28 und 28a VO Nr. 1408/71 (welche weitgehend den nunmehr geltenden Art. 24 und 25 VO Nr. 883/2004 entsprechen) eine "Kollisionsnorm" enthalten, anhand derer für Rentner, die in einem anderen als dem zur Zahlung der Rente verpflichteten Mitgliedstaat wohnen, bestimmt werden kann, welcher Träger die darin angegebenen Leistungen zu erbringen hat und welche Rechtsvorschriften anwendbar sind (Randnr. 38 mit weiteren Hinweisen). Es besteht mithin eine Verknüpfung zwischen der Zuständigkeit für die Gewährung der Rente bzw. der Verpflichtung zur Übernahme der Kosten für Sachleistungen bei Krankheit und dem Recht, entsprechende Beiträge zu erheben (vgl. Randnr. 74). Dies führt dazu, dass eine Person mit Wohnsitz in der Schweiz, welche ausschliesslich eine deutsche Rente bezieht, auf Grund der erwähnten (ungeschriebenen) Kollisionsregel der deutschen Krankenversicherung angehört und durch die Schweiz aushilfsweise Sachleistungen erhält. Analoge Rechte für die Familienangehörigen sind dabei eingeschlossen. Ausdrücklich festgehalten hat der EuGH im betreffenden Urteil auch, dass es den Sozialversicherten, die vom Geltungsbereich der Normen erfasst werden, auf Grund des zwingenden Charakters der Vorschriften nicht frei steht, deren Wirkungen auszuhebeln, indem sie sich ihnen - freiwillig - entziehen (vgl. Randnrn. 52, 56 und 72).
In gleichem Sinne hat das deutsche Bundessozialgericht entschieden (vgl. Urteile vom 5. Juli 2005, B 1 KR 4/04 R, wiedergegeben und besprochen von KARL-JÜRGEN BIEBACK, in: ZESAR 2/2006 S. 81 ff., und vom 16. Juni 1999, B 1 KR 5/98 R, wiedergegeben und besprochen von ROLF SCHULER, Die europarechtliche Koordinierung der Krankenversicherung der Rentner, in: Die Sozialgerichtsbarkeit 25/2000 S. 523 ff. und 553 ff.).
6.3.2.2 Diese Sichtweise wird auch in der Literatur einhellig geteilt. CONSTANZE JANDA etwa hält ausdrücklich fest (in: Europäisches Sozialrecht, Maximilian Fuchs [Hrsg.], 7. Aufl. 2018, N. 1 ff. zu Art. 24 VO Nr. 883/2004), dass durch die Anordnung der aushilfsweisen Sachleistungserbringung in Art. 24 Abs. 1 Satz 2 VO Nr. 883/2004 und der Bestimmung des primär (endgültig) leistungspflichtigen Trägers in Abs. 2 inzident auch die anzuwendenden Rechtsvorschriften bestimmt würden. Für einen Einfachrentner ohne primären Leistungsanspruch für den Krankheitsfall im Wohnsitzstaat gälten daher die Rechtsvorschriften für den Fall der Krankheit und Mutterschaft desjenigen Mitgliedstaats, nach dessen Rechtsvorschriften die Rente gezahlt werde (Statut der Rentenleistung [Art. 24 Abs. 2 Bst. a VO Nr. 883/2004]; N. 3). Auch SCHREIBER vermerkt (a.a.O., N. 10 zu Art. 24 VO Nr. 883/2004), mit Art. 24 Abs. 2 VO Nr. 883/2004 werde nicht nur die Kostenträgerschaft geregelt, die einen entsprechenden Ausgleich nach sich ziehe. Es werde vielmehr auch der "zuständige Träger" einschliesslich des anwendbaren Rechts bestimmt. Ebenso äussern sich ferner EUGSTER (a.a.O., S. 441 f. Rz. 109 f.), URSULA HOHN (Rechtsprobleme bei der Umsetzung des Koordinationsrechts in der Krankenversicherung, in: Das europäische Koordinationsrecht der sozialen Sicherheit und die Schweiz, 2006, S. 61 ff., insb. S. 65 unten f.) sowie die vorerwähnten SCHULER (a.a.O.) und BIEBACK (a.a.O.).
6.3.2.3 Nach den Ausführungen des BAG wird diese Lesart auch durch keinen der Mitgliedstaaten angezweifelt. Die deutschen Behörden und Versicherungsträger berücksichtigen hierbei in ständiger Praxis auch die freiwillig gesetzliche und die private Krankenversicherung für die kollisionsrechtliche Zuordnung.
6.3.2.4 Ebenso wenig kommt schliesslich - entgegen der Darstellung der Beschwerdeführer - die Gemeinsame Einrichtung KVG als für den Bereich Krankheit zuständige Verbindungsstelle in ihrem "Leitfaden über die Krankenversicherung mit Bezug zur EU/EFTA und über die Leistungsaushilfe für Personen mit einer Grundversicherung in der Schweiz" zu einem gegenteiligen Schluss. In Ziff. 4.3.5.3 wird vielmehr präzisiert, dass eine Versicherungspflicht auf Grund der Wohnsitzverlegung in die Schweiz nur entstehe, wenn die betroffene Person nicht "wegen Bezugs einer Rente aus einem anderen Staat dort versicherungspflichtig" sei.
Das Vorliegen eines Rückkommenstitels im Sinne der Wiedererwägung nach Art. 53 Abs. 2 ATSG wurde im angefochtenen Entscheid somit grundsätzlich zu Recht bejaht. Streitig und zu prüfen ist einzig (vgl. nicht publ. E. 7 hiernach), ob der Vertrauensschutz eine abweichende Behandlung gebietet (vgl. BGE 138 V 258 E. 6 S. 269 f.; Urteil 9C_695/2015 vom 9. August 2016 E. 2.2 am Ende).