BGE 145 V 50 |
5. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Ausgleichskasse medisuisse gegen A. AG und vice versa (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
9C_4/2018 / 9C_18/2018 vom 24. Januar 2019 |
Regeste |
Art. 4, Art. 5 Abs. 1 und 2, Art. 9 Abs. 2 lit. f AHVG; Art. 7 lit. h und Art. 23 AHVV; Dividendenauszahlungen als massgeblicher Lohn. |
Sachverhalt |
A.a Die A. AG ist seit 2008 im Handelsregister des Kantons Glarus eingetragen und der Ausgleichskasse medisuisse, St. Gallen (fortan: Ausgleichskasse), als beitragspflichtige Arbeitgeberin angeschlossen. Aktionäre der A. AG waren in den Jahren 2009 und 2010 zu je 50 % die Dres. med. B. und C. Beide waren zugleich als Arbeitnehmer für die Gesellschaft tätig und bezogen hierfür - bei angegebenen Pensen von 80-90 % - im Jahr 2009 Löhne von je Fr. 144'000.- und im Jahr 2010 von Fr. 144'000.- (Dr. med. B.) bzw. von Fr. 134'799.- (Dr. med. C.). Zusätzlich schüttete die A. AG den Anteilsinhabern Dividenden von je Fr. 250'000.- pro Jahr aus.
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A.b Nach einer Arbeitgeberkontrolle am 8. Juni 2012 forderte die Ausgleichskasse mit Nachzahlungsverfügungen vom 29. Dezember 2014 von der A. AG für die Jahre 2009 und 2010 paritätische Sozialversicherungsbeiträge (AHV/IV/EO sowie FAK samt Verwaltungskosten und Zinsen) im Gesamtbetrag von Fr. 27'315.20 (Aufrechnung von an die Praxisinhaber ausbezahlten Dividenden als beitragspflichtiger Lohn in Höhe von total Fr. 233'201.-). Auf Einsprache hin reduzierte sie die zugrunde liegenden Lohnaufrechnungen für die Jahre 2009 und 2010 auf insgesamt Fr. 139'457.- (Einspracheentscheid vom 29. Juli 2016).
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B. Die hiergegen erhobene Beschwerde der A. AG hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Glarus - nach Anhörung der Ausgleichskasse, welche eine Erhöhung der Aufrechnung auf total Fr. 166'800.- verlangte - mit Entscheid vom 16. November 2017 teilweise gut und änderte den Einspracheentscheid der Ausgleichskasse insoweit ab, als es die Aufrechnung auf gesamthaft Fr. 112'114.- festsetzte.
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C. Die Ausgleichskasse sowie die A. AG führen (separat) Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Erstere beantragt, die A. AG sei - unter Aufhebung des angefochtenen Entscheids - zu verpflichten, Sozialversicherungsbeiträge nachzuzahlen für aufgerechnete Löhne in Höhe von insgesamt Fr. 166'800.- für die Jahre 2009 und 2010 (Verfahren 9C_4/2018). Letztere beantragt, der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Glarus vom 16. November 2017 sei aufzuheben, soweit die Aufrechnung in Höhe von Fr. 112'114.- betreffend; der Einspracheentscheid der Ausgleichskasse vom 29. Juli 2016 sowie die Verfügungen vom 29. Dezember 2014 seien vollumfänglich aufzuheben (Verfahren 9C_18/2018).
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Im Rahmen des Schriftenwechsels beantragt die A. AG, die Beschwerde der Ausgleichskasse (Verfahren 9C_4/2018) sei abzuweisen; diese beantragt ihrerseits die Abweisung der Beschwerde der A. AG (Verfahren 9C_18/2018). Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) beantragt die Gutheissung der Beschwerde der Ausgleichskasse (Verfahren 9C_4/2018) und die Abweisung derjenigen der A. AG (Verfahren 9C_18/2018).
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Die A. AG gelangt im Verfahren 9C_18/2018 mit einer weiteren Eingabe ans Bundesgericht.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde der Ausgleichskasse ab. Diejenige der A. AG weist es ab, soweit darauf einzutreten ist.
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Aus den Erwägungen: |
Erwägung 3 |
3.2 Ob eine Vergütung als reiner Kapitalertrag zu qualifizieren ist, beurteilt sich nach dem Wesen und der Funktion einer Zuwendung. Deren rechtliche oder wirtschaftliche Bezeichnung ist nicht entscheidend und höchstens als Indiz zu werten. Unter Umständen können auch Zuwendungen aus dem Reingewinn einer Aktiengesellschaft beitragsrechtlich massgebender Lohn sein; dies gilt laut Art. 7 lit. h AHVV (SR 831.101) namentlich für Tantiemen. Es handelt sich dabei um Vergütungen, die im Arbeitsverhältnis ihren Grund haben. Zuwendungen, die nicht durch das Arbeitsverhältnis gerechtfertigt werden, gehören nicht zum massgebenden Lohn, sondern sind Gewinnausschüttungen (BGE 141 V 634 E. 2.2 S. 636 mit Hinweisen). Von der durch die Gesellschaft gewählten Aufteilung zwischen Lohn und Dividende weichen die Behörden nur ab, wenn ein offensichtliches Missverhältnis zwischen Arbeitsleistung und Lohn einerseits und zwischen eingesetztem Vermögen und Dividende anderseits besteht (BGE 141 V 634 E. 2.2.1 f. S. 637). Rechtsprechungsgemäss werden deklariertes AHV-Einkommen und branchenübliches Gehalt einerseits, sowie Dividendenzahlung und Aktienwert anderseits zueinander in Beziehung gesetzt, um zu prüfen, ob ein solches Missverhältnis besteht, und zu bestimmen, ob ein Teil der ausgeschütteten Dividende als beitragspflichtiges Einkommen aufzurechnen ist (BGE 141 V 634 E. 2.2.2 S. 637).
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3.3 Praxisgemäss ist es Sache der Ausgleichskassen, selbständig zu beurteilen, ob ein Einkommensbestandteil als massgebender Lohn oder als Kapitalertrag qualifiziert werden muss. Der in Art. 23 AHVV enthaltenen Ordnung entspricht es jedoch, dass sie sich in der Regel an die bundessteuerrechtliche Betrachtungsweise halten. Soweit es vertretbar ist, soll eine verschiedene Einschätzung der Steuerbehörde und der AHV-Verwaltung vermieden werden, dies um der Einheit und der Widerspruchslosigkeit der gesamten Rechtsordnung Willen (BGE 141 V 634 E. 2.5 S. 638).
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Erwägung 4 |
4.3.1 Eine solche lässt sich regelmässig nur begründen, wenn die neue Lösung besserer Erkenntnis des Gesetzeszwecks, veränderten äusseren Verhältnissen oder gewandelter Rechtsanschauung entspricht (BGE 143 V 269 E. 4 S. 277 mit Hinweis). Eine Rechtsprechungsänderung muss sich auf ernsthafte sachliche Gründe stützen können, die - vor allem im Hinblick auf das Gebot der Rechtssicherheit - umso gewichtiger sein müssen, je länger die als falsch oder nicht mehr zeitgemäss erkannte Rechtsanwendung für zutreffend erachtet worden ist.
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Soweit BSV und Ausgleichskasse überhaupt über eine blosse Darlegung der eigenen Sicht der Dinge hinausgehen und den Begründungsanforderungen des Art. 42 Abs. 2 BGG genügen - was offenbleiben kann - legen sie jedenfalls keine Gründe dar, die eine Rechtsprechungsänderung rechtfertigen:
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4.3.2 Wie bereits die Vorinstanz antönte, hatte der Gesetzgeber Gelegenheit, sich mit der Frage der Umqualifizierung von Dividenden in AHV-pflichtigen Lohn - im Nachgang zur "Unternehmenssteuerreform II", welche die wirtschaftliche Doppelbelastung von Körperschaftsgewinnen und Dividenden verminderte und letztere damit für Unternehmeraktionäre attraktiver machte, im Wissen um die negativen Auswirkungen auf die AHV (vgl. dazu ausführlich etwa PAUL CADOTSCH, Unternehmenssteuerreform II: Dividenden und AHV-Beiträge, StR 64/2009 S. 47 ff.) - zu befassen. Das Parlament behandelte eine Motion Humbel Nr. 13.3748 mit dem Titel "AHV. Sicherung des Beitragssubstrats", die auf eine AHV-Beitragspflicht für Dividenden über 10 % des Unternehmenssteuerwertes abzielte, nicht. Dies, nachdem der Bundesrat zuvor die Ablehnung beantragt und auf die Möglichkeit der Ausgleichskassen, einzelfallgerecht gegen Missbräuche vorzugehen, verwiesen hatte. Ein früheres Postulat Humbel Nr. 12.4223 "AHV. Beitragssubstrat erhalten" wurde in Zusammenhang mit der "Unternehmenssteuerreform III" abgeschrieben (Botschaft vom 5. Juni 2015 zum Unternehmenssteuerreformgesetz III, BBl 2015 5103 Ziff. 1.2.9, 5159 Ziff. 3.1.1.5). Die in der bundesrätlichen Vorlage noch vorgesehene Erhöhung des Teilbesteuerungsmasses auf Beteiligungen sollte der Tendenz entgegenwirken, aus steuerlichen Gründen Dividenden statt Lohn zu beziehen. Das Anliegen wurde - nach Ablehnung der "Unternehmenssteuerreform III" in der Volksabstimmung vom 12. Februar 2017 (Bundesratsbeschluss vom 13. April 2017 über das Ergebnis der Volksabstimmung vom 12. Februar 2017, BBl 2017 3388 Art. 2) - mit der "Steuervorlage 17" wieder aufgenommen (Botschaft vom 21. März 2018 zum Bundesgesetz über die Steuervorlage 17, BBl 2017 2554 Ziff. 1.2.2.5 i.f.) und fand schliesslich im Bundesgesetz über die Steuerreform und die AHV-Finanzierung (STAF), das vom Parlament am 28. September 2018 verabschiedet wurde, seinen Niederschlag (Schlussabstimmungstext: BBl 2018 6031 ff., vgl. etwa Ziff. 2 Art. 18b Abs. 1 DBG, Ziff. 3 Art. 7 Abs. 1 StHG).
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Wenn Ausgleichskasse und BSV das Beitragssubstrat auf dem Wege der Rechtsprechungsänderung - völlig ungeachtet der steuerlichen Betrachtung und unabhängig vom Vorliegen eines offensichtlichen Missverhältnisses (E. 3.2 hiervor) - ausweiten wollen auf (fast) alle 10 % des Unternehmenssteuerwerts übersteigenden Dividendenzahlungen und damit in Kauf nehmen, dass ein und dieselben Einkünfte potenziell gleichzeitig mit Steuern (Gewinnsteuer, Einkommenssteuer, Verrechnungssteuer) und AHV-Beiträgen belastet würden (vgl. etwa RABAGLIO/SCHÄR, Geldwerte Leistungen: Praxiseskalation bei Steuern und AHV, StR 6/2018 S. 452 ff., 458), entspricht dies nach dem Gesagten offenkundig nicht dem gesetzgeberischen Willen, und mithin nicht besserer Erkenntnis des Gesetzeszwecks oder einer gewandelten Rechtsanschauung. Hinzu kommt, dass es dem Bundesgericht auch mit Blick auf den Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 5 Abs. 1 BV; vgl. etwa BGE 138 I 196 [Regest]) nicht zusteht, einer vom Gesetzgeber zu Gunsten anderer Lösungsansätze nicht weiter verfolgten Gesetzesausgestaltung auf dem Wege der Rechtsprechungsänderung zum Durchbruch zu verhelfen, wie die A. AG richtig vorbringt (vgl. etwa auch BGE 139 III 288 E. 2.3.3 S. 293).
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