BGE 147 V 70
 
7. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Ausgleichskasse des Kantons Zürich (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
 
9C_531/2020 vom 17. Dezember 2020
 
Regeste
Art. 39 Abs. 3 AHVG; Art. 55quater Abs. 1 Satz 2 AHVV; Rentenaufschub.
 
Sachverhalt
A. Der im Dezember 1950 geborene A. ersuchte im September 2018 die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) um eine Vorausberechnung seiner Altersrente, wobei er bekanntgab, dass er die Rente um drei Jahre aufschieben wolle. Mit Schreiben vom 11. September 2018 wies die Ausgleichskasse des Kantons Zürich den Versicherten darauf hin, dass er das ordentliche Rentenalter bereits im Dezember 2015 erreicht und somit den Rentenaufschub nicht fristgerecht geltend gemacht habe. Im Juni 2019 meldete sich A. zum Bezug einer Altersrente mit Rentenaufschub an. Mit Verfügung vom 21. August 2019 wies die Ausgleichskasse das Gesuch um Rentenaufschub inklusive Aufschubszuschlag ab. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 4. Oktober 2019 fest. Sodann sprach sie A. mit Verfügung vom 12. November 2019 eine monatliche Altersrente von Fr. 961.- ab dem 1. Januar 2016 resp. von Fr. 970.- ab dem 1. Januar 2019 zu.
B. Mit Beschwerde gegen den Einspracheentscheid vom 4. Oktober 2019 verlangte A. den Aufschub der Altersrente bis zur Vollendung des 70. Altersjahres. Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies das Rechtsmittel mit Entscheid vom 23. Juni 2020 ab.
C. A. beantragt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, unter Aufhebung des Entscheids vom 23. Juni 2020 sei ihm der Aufschub der ordentlichen AHV-Altersrente bis zur Vollendung des 70. Lebensjahres und ab dann die Altersrente mit dem Gegenwert der nicht bezogenen Leistung ("Aufschubszuschlag") zu gewähren.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
 
Aus den Erwägungen:
 
Erwägung 3
3.2.3 Nach dem klaren Wortlaut von Art. 39 Abs. 3 AHVG hat der Gesetzgeber die Regelung des Verfahrens im Zusammenhang mit dem Rentenaufschub umfassend und ohne Einschränkung an den Bundesrat delegiert ("le Conseil fédéral [...] règle la procédure"; "il Consiglio federale [...] istituisce la procedura"). Vorschriften, wonach ein Recht nur innert einer bestimmten Frist (und allenfalls in einer bestimmten Form) rechtswirksam geltend gemacht werden kann, sind häufig vorkommende verfahrensrechtliche Bestimmungen. So sind etwa Art. 29 Abs. 3 ATSG, der die Einhaltung von Fristen und daran geknüpfte Rechtswirkungen bei der Geltendmachung eines Anspruchs betrifft, sowie Art. 52 Abs. 1 und Art. 60 Abs. 1 ATSG, die materielle Fristvorgaben enthalten, im 4. Kapitel des ATSG über die "Allgemeinen Verfahrensbestimmungen" eingeordnet. Aus der Botschaft vom 4. März 1968 zum Entwurf eines Bundesgesetzes betreffend Änderung des Bundesgesetzes über die Alters- und Hinterlassenenversicherung und zum Volksbegehren für den weiteren Ausbau von Alters- und Hinterlassenenversicherung und Invalidenversicherung (BBl 1968 I 602) ergibt sich kein Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber den Ermessensspielraum des Bundesrats bei der Verfahrensregelung einschränken und die Wahl des Rentenaufschubs unbefristet resp. mindestens bis zum Ablauf der maximalen Aufschubsdauer ermöglichen wollte. Es entspricht denn auch nicht Sinn und Zweck des gesetzlich vorgesehenen Rentenaufschubs, die Versicherten für mehrere Jahre in die Lage zu versetzen, dass sie auf die individuelle Entwicklung ihres Gesundheitszustands reagieren und dementsprechend - rückwirkend - die für sie wirtschaftlich bessere Lösung wählen können, wie die Vorinstanz zutreffend erkannt hat. Zudem lässt sich der versicherungstechnische Gegenwert der nicht bezogenen Leistung und damit der Erhöhungsfaktor (vgl. Art. 39 Abs. 2 und 3 AHVG sowie Art. 55ter AHVV) nur zuverlässig berechnen, wenn eine Wahl zwischen Nachzahlung oder Zuschlag (ab einem gewissen Zeitpunkt) ausgeschlossen ist (BGE 105 V 50 E. 2b S. 52; BGE 98 V 255 E. 1 S. 257).
Nach dem Gesagten respektierte der Bundesrat die Grenzen der gesetzlich delegierten Kompetenz, als er in Art. 55quater Abs. 1 Satz 2 AHVV eine Frist zur Erklärung des Rentenaufschubs statuierte. Die Frist - deren Länge den Rentenaufschub und die damit bezweckten gesetzgeberischen Ziele (vgl. dazu BBl 1968 I 635) nicht verunmöglicht und zu keinen weiteren Bemerkungen Anlass gibt - ist sachlich begründet und entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht bloss "toter Formalismus" (vgl. auch BGE 98 V 255 E. 1 in fine S. 257). Daran ändert nichts, dass die AHV "strukturell immer defizitär ist", wie der Beschwerdeführer vorbringt. Eine Verfassungswidrigkeit - soweit sie überhaupt qualifiziert gerügt wird (vgl. Art. 106 Abs. 2 BGG) - im Zusammenhang mit der hier interessierenden Frist ist somit auch nicht erkennbar.
3.4 Indem der Versicherte schliesslich darlegt, er sei nicht rechtzeitig über die Aufschubsmöglichkeit informiert worden, obwohl die Ausgleichskasse jedem betroffenen Versicherten eine entsprechende Mitteilung "automatisch schreiben und versenden lassen" könnte, macht er sinngemäss eine Verletzung von Art. 27 ATSG geltend. Diesbezüglich hat die Vorinstanz zutreffend erkannt, dass nach der Rechtsprechung die Verwaltung nicht verpflichtet ist, von sich aus, ohne entsprechende Nachfrage, jeden Versicherten individuell aufzuklären und zu beraten (Urteil 9C_675/2015 vom 31. Mai 2016 E. 4.2; vgl. auch BGE 133 V 249 E. 7.2 S. 255; SVR 2012 EL Nr. 15 S. 48, 9C_787/2011 E. 5.2). Ein Grund für eine Praxisänderung (vgl. dazu BGE 145 V 304 E. 4.4 S. 309; BGE 141 II 297 E. 5.5.1 S. 303) ist nicht ersichtlich und wird auch nicht geltend gemacht (vgl. nicht publ. E. 1). Weshalb die Verwaltung in concreto - über die allgemeine Informationspflicht hinaus (vgl. Art. 67 Abs. 2 AHVV; SVR 2007 ALV Nr. 20 S. 64, C 36/06 E. 5.2; AHV Merkblatt 3.04, Leistungen der AHV, Flexibler Rentenbezug) - vor September 2018 einen individuellen Aufklärungsbedarf des Beschwerdeführers hätte erkennen müssen, wird ebenfalls nicht substanziiert dargelegt. Die Beschwerde ist demnach auch in diesem Punkt unbegründet.