16. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Gemeinde Reiden gegen Gemeinde Uetikon am See (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
|
9C_488/2020 vom 17. Februar 2021
|
Regeste
|
Art. 25a Abs. 5 KVG; Restfinanzierung der Pflegekosten; Zuständigkeit.
|
Sachverhalt
|
A. Die 1943 geborene A. trat am 7. Juli 2010 in das Alters- und Pflegeheim X. in der zürcherischen Gemeinde Uetikon am See ein. Dort begründete sie gemäss rechtskräftigem Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 4. Oktober 2012 gleichentags Wohnsitz. Zuvor war sie im luzernischen Reiden wohnhaft gewesen. Die Gemeinde Uetikon am See übernahm bis zum 31. Dezember 2018 die Restfinanzierung der Pflegekosten. Mit Entscheid vom 16. April 2019 beschloss sie (handelnd durch ihre Sozialkommission), ab 1. Januar 2019 die Beiträge einzustellen und verpflichtete das Alters- und Pflegeheim X. zur Rückerstattung der für den Monat Januar 2019 bereits geleisteten Beiträge in der Höhe von Fr. 4'834.45. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 5. November 2019 fest.
|
B. Die hiergegen erhobene Beschwerde der Gemeinde Reiden wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 25. Mai 2020 in der Hauptsache ab.
|
C. Die Gemeinde Reiden führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Sie beantragt, es sei der vorinstanzliche Entscheid vom 25. Mai 2020 aufzuheben und festzustellen, dass kein interkantonaler Fall vorliege, eventualiter, dass Artikel 25a Abs. 5 KVG keine unechte Rückwirkung aufweise und die Gemeinde Uetikon am See weiterhin für die Restkostenfinanzierung zuständig sei. Subeventualiter sei die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
|
Die Gemeinde Uetikon am See schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) verzichtet auf eine Vernehmlassung.
|
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
|
Aus den Erwägungen:
|
|
|
|
(...)
|
Erwägung 7
|
Erwägung 7.1
|
|
|
Erwägung 7.2
|
7.2.1 Nimmt eine neue Rechtsnorm auf bereits Geschehenes Bezug, besteht die Gefahr, dass die Rechtsunterworfenen überrascht werden und sich anders verhalten hätten, wenn ihnen das neue Recht bekannt gewesen wäre. Die Rückwirkung steht demnach zumindest potentiell in einem Spannungsverhältnis zu den verfassungsrechtlichen Geboten der Rechtssicherheit, des Vertrauensschutzes und der Gesetzmässigkeit (vgl. etwa HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht, 8. Aufl. 2020, Rz. 266). Knüpft die Anwendung eines neuen Erlasses an ein Ereignis an, das sich abschliessend vor dessen Inkrafttreten ereignet hat, liegt eine nach Art. 5, Art. 8 Abs. 1 und Art. 9 BV grundsätzlich verpönte echte Rückwirkung vor (vgl. etwa BGE 144 I 81 E. 4.1 S. 86; HÄFELIN/MÜLLER/ UHLMANN, a.a.O., Rz. 268). Eine solche ist verfassungsrechtlich nur dann unbedenklich, wenn sie ausdrücklich in einem Gesetz vorgesehen ist oder sich daraus klar ergibt, in einem vernünftigen Rahmen zeitlich limitiert ist, nicht zu stossenden Ungleichheiten führt, einem schutzwürdigen öffentlichen Interesse dient und wohlerworbene Rechte respektiert (vgl. etwa BGE 146 V 364 E. 7.1 S. 370 f. mit Hinweisen; HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, a.a.O., Rz. 270).
|
|
7.2.3 Die - in BGE 145 V 396 nicht publizierte - Erwägung 6 des zit. Urteils 9C_209/2019 steht dem bereits deshalb nicht entgegen, weil das Bundesgericht dort die Anwendung kantonalen Rechts (§ 9 Abs. 5 des zürcherischen Pflegegesetzes vom 27. September 2010 [LS 855.1]) einzig unter dem Aspekt der Verletzung von Grundrechten prüfen konnte, wobei seine Prüfungsbefugnis zudem - anders als bei der Anwendung von Bundesrecht (nicht publ. E. 2) - durch die vorgetragenen Rügen begrenzt war (strenges Rügeprinzip gemäss Art. 106 Abs. 2 BGG, vgl. etwa Urteil 2C_236/2020 vom 28. August 2020 E. 1.4), und die Beschwerdeführerin nur das Vorliegen einer Rückwirkung, jedoch nicht - in qualifizierter Weise - deren Verfassungswidrigkeit begründet hatte. Hinzu kommt, dass sich der dort zu beurteilende Fall insoweit vom hier strittigen unterschied, als die Pflegebedürftigkeit dort erst nach Inkrafttreten der kantonalen Zuständigkeitsregelung eingetreten war, wenngleich sich die pflegebedürftige Person zu diesem Zeitpunkt bereits einige Zeit im Heim aufhielt (zit. BGE 145 V 396 Sachverhalt S. 397), mithin das Pflegeverhältnis erst unter der Geltung des neuen Rechts entstand. Von einem bestehenden Pflegeverhältnis, auf das rückwirkend neue rechtliche Grundlagen angewandt worden wären, konnte damit keine Rede sein.
|