BGE 148 V 70 |
7. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Kanton Zürich gegen A. AG (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
9C_764/2020 vom 23. November 2021 |
Regeste |
Art. 49 Abs. 1, Art. 49a, Art. 41 Abs. 1bis KVG; Abs. 1 und 4 der Übergangsbestimmungen zur Änderung des KVG vom 21. Dezember 2007 (Spitalfinanzierung); Finanzierung stationärer Spitalbehandlung bei Übergangsfällen mit Eintritt 2011 und Austritt 2012; Kantonsanteil. |
Sachverhalt |
A. Die A. AG ist Betreiberin der Klinik A. (fortan: Klinik) in Zürich. Diese war bis Ende 2011 im Abschnitt B der unterteilten Spitalliste des Kantons Zürich aufgeführt (d.h.: in der Halbprivat- und Privatabteilung zur Tätigkeit zulasten der sozialen Krankenversicherung zugelassen und ohne Anspruch auf Staatsbeiträge). Ab 1. Januar 2012 wurde die Klinik in die neue, ungeteilte Spitalliste des Kantons Zürich aufgenommen mit einem befristeten Leistungsauftrag für bestimmte Leistungsgruppen (Regierungsratsbeschluss vom 21. September 2011). Mit Schreiben vom 3. Mai 2016 verlangte die A. AG vom Kanton Zürich (Gesundheitsdirektion) für Patientinnen und Patienten aus dem Kanton Zürich, die im Jahr 2011 in die Klinik eingetreten, aber erst im Jahr 2012 wieder ausgetreten waren (fortan: Übergangsfälle 2011/2012), zunächst die Bezahlung eines hälftigen Kantonsanteils von Fr. 412'328.20, analog der mit zwei anderen Kantonen getroffenen Lösung. Mit Schreiben vom 8. November 2016 forderte sie einen ungekürzten Kantonsanteil von insgesamt Fr. 824'656.36. Die Gesundheitsdirektion lehnte eine Kostenübernahme mit Verfügung vom 25. April 2017 ab, was der Regierungsrat des Kantons Zürich mit Beschluss vom 11. März 2020 bestätigte.
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B. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 3. November 2020 teilweise gut. Es hob den Beschluss des Regierungsrates vom 11. März 2020 sowie die Verfügung der Gesundheitsdirektion vom 25. April 2017 auf und wies die Angelegenheit zur Festsetzung des Kantonsanteils an die Gesundheitsdirektion zurück.
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C. Der Kanton Zürich führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Er beantragt, es sei das vorinstanzliche Urteil vom 3. November 2020 aufzuheben und es seien der Regierungsratsbeschluss vom 11. März 2020 sowie die Verfügung der Gesundheitsdirektion vom 25. April 2017 zu bestätigen. Eventualiter sei die Sache an letztere zurückzuweisen zur Festsetzung des Kantonsanteils für die bis 31. Dezember 2011 in die Klinik A. ein- und ab 1. Januar 2012 ausgetretenen Halbprivat- und Privatpatientinnen und -patienten mit Wohnsitz im Kanton Zürich, wobei die Vergütung auf die Hälfte des Kantonsanteils für alle Übergangsfälle 2011/2012 (ohne Allgemeinpatientinnen und -patienten) festzulegen sei.
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Die Parteien äussern sich abschliessend mit Eingaben vom 28. Januar 2021 (des Kantons Zürich) bzw. vom 15. Februar 2021 (der A. AG).
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
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Aus den Erwägungen: |
2.1 Wie bereits das Verwaltungsgericht darlegte, war bis Ende 2008 in aArt. 49 Abs. 1 Satz 2 KVG einzig geregelt, dass zwischen Versicherern und Leistungserbringern Pauschalen zu vereinbaren waren, die für Kantonseinwohnerinnen und -einwohner bei öffentlichen oder öffentlich subventionierten Spitälern höchstens 50 Prozent der anrechenbaren Kosten je Patient oder Patientin oder je Versichertengruppe in der allgemeinen Abteilung zu decken hatten. Wie die übrigen Kosten zu tragen waren, war im KVG nicht geregelt, wenngleich der Bundesgesetzgeber aufgrund der Verpflichtung der Kantone zur Sicherstellung der Versorgung grundsätzlich von deren Beteiligung an den Kosten der von ihnen geschaffenen bzw. geförderten stationären Infrastruktur ausging. Der Kanton Zürich führte eine unterteilte Spitalliste, auf der er die öffentlichen und privaten Spitäler aufführte, die in der allgemeinen Abteilung (Abschnitt A) bzw. in der Halbprivat- und Privatabteilung (Abschnitt B) zur Tätigkeit zulasten der sozialen Krankenversicherung zugelassen waren. Die privaten Spitäler auf dem Abschnitt B der Spitalliste hatten (auch) nach kantonalem Recht keinen Anspruch auf Kantonsbeiträge. In diesem System gingen die dort anfallenden Behandlungskosten vollumfänglich zulasten der Grund- und Zusatzversicherer (vgl. MARCO DONATSCH, Die Stellung der öffentlichen Hand bei der Spitalfinanzierung nach KVG, Jusletter 28. August 2017 Rz. 5; DANIA TREMP, Stationäre Spitaltarife 2012: Eine Herausforderung für die Spitalwelt, Jusletter 28. Januar 2013 Rz. 2). Die hier betroffene Klinik gehörte - insoweit unbestritten - nicht zu den öffentlichen oder öffentlich subventionierten Spitälern und hatte nach bis Ende 2011 anwendbarem Recht keinen Anspruch auf Kantonsbeiträge.
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Art. 41 Wahl des Leistungserbringers und Kostenübernahme
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1bis Die versicherte Person kann für die stationäre Behandlung unter den Spitälern frei wählen, die auf der Spitalliste ihres Wohnkantons oder jener des Standortkantons aufgeführt sind (Listenspital). Der Versicherer und der Wohnkanton übernehmen bei stationärer Behandlung in einem Listenspital die Vergütung anteilsmässig nach Artikel 49a höchstens nach dem Tarif, der in einem Listenspital des Wohnkantons für die betreffende Behandlung gilt.
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Art. 49 Tarifverträge mit Spitälern
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1 Für die Vergütung der stationären Behandlung einschliesslich Aufenthalt und Pflegeleistungen in einem Spital (Art. 39 Abs. 1) oder einem Geburtshaus (Art. 29) vereinbaren die Vertragsparteien Pauschalen. (...)
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Art. 49a Abgeltung der stationären Leistungen
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1 Die Vergütungen nach Artikel 49 Absatz 1 werden vom Kanton und den Versicherern anteilsmässig übernommen.
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Übergangsbestimmungen zur Änderung vom 21. Dezember 2007 (Spitalfinanzierung)
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1 Die Einführung der leistungsbezogenen Pauschalen nach Artikel 49 Absatz 1 sowie die Anwendung der Finanzierungsregelung nach Artikel 49a
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4 Kantone und Versicherer beteiligen sich bis zum Einführungszeitpunkt nach Absatz 1 entsprechend der vor der Gesetzesänderung geltenden Finanzierungsregelung an den Kosten der stationären Behandlungen. Während der Frist zur Anpassung der Spitallisten gemäss Absatz 3 haben die Kantone ihren Kostenanteil in allen Spitälern, die auf den aktuell gültigen Spitallisten aufgeführt sind, zu übernehmen.
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Gemäss Abs. 1 der Übergangsbestimmungen (fortan: UeB) hatten die Kantone für die Anwendung der neuen Finanzierungsregelung bis spätestens am 31. Dezember 2011 Zeit. Bis dahin hatten sowohl sie als auch die (Kranken-)Versicherer sich entsprechend der vor der Gesetzesänderung geltenden Regelung an den Kosten der stationären Spitalbehandlung zu beteiligen (Abs. 4 Satz 1 UeB).
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(...)
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Erwägung 5 |
Die Staatsbeitragsvereinbarung 2012 zwischen dem Kanton Zürich (Gesundheitsdirektion) und der A. AG sieht zur Vereinbarungsdauer vor: "Diese Vereinbarung gilt für die Abgeltung von Leistungen der Klinik A. AG (nachfolgend A.) im Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Dezember 2012, für Fälle mit Eintritt ab dem 1. Januar 2012."
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5.1.1 Für die Auslegung verwaltungsrechtlicher Verträge ist wie bei einem privatrechtlichen Vertrag in erster Linie auf den übereinstimmenden wirklichen Willen der Parteien abzustellen (sog. subjektive Vertragsauslegung). Die subjektive Vertragsauslegung bezieht sich auf den Willen der Vertragsparteien im Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Lässt sich ein übereinstimmender Parteiwille nicht feststellen, ist der Vertrag so auszulegen, wie er nach dem Vertrauensgrundsatz verstanden werden durfte und musste (sog. objektive Vertragsauslegung). Die objektive Vertragsauslegung ergibt sich nicht allein aus dem Wortlaut, sondern kann sich namentlich auch aus dem verfolgten Ziel, der Interessenlage der Parteien oder aus den Gesamtumständen ergeben (vgl. BGE 144 V 84 E. 6.2.1). Was die Parteien beim Vertragsabschluss gewusst, gewollt oder tatsächlich verstanden haben, ist eine Tatfrage. Die tatsächliche Ermittlung des subjektiven Parteiwillens beruht auf einer Beweiswürdigung, die der bundesgerichtlichen Überprüfung nur in den Schranken von Art. 105 BGG zugänglich ist. Die Vertragsauslegung nach dem Vertrauensgrundsatz ist hingegen eine Rechtsfrage. Entsprechend Art. 95 BGG werden öffentlich-bundesrechtliche Verträge frei überprüft (vgl. etwa zit. BGE 144 V 84 E. 6.2.2; Urteil 2C_1085/2019 vom 8. Mai 2020 E. 4).
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Dass die Übergangsfälle 2011/2012 von den Vertragsparteien explizit thematisiert, geschweige denn dass diesbezüglich eine Einigung erzielt worden wäre, hat weder die Vorinstanz festgestellt, noch wird es von den Parteien geltend gemacht. Diese beschränken sich vielmehr darauf, darzulegen, wovon sie im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ausgingen, und geltend zu machen, dass ihre Auffassung für die Gegenpartei erkennbar gewesen sei. Damit kommt die objektive Vertragsauslegung zum Zuge.
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5.1.3 Die Auslegung der Staatsbeitragsvereinbarung 2012 nach Vertrauensprinzip prüft das Bundesgericht frei, weil diese mit Art. 49a Abs. 3 KVG ("Die Modalitäten werden zwischen Spital und Kanton vereinbart") eine bundesrechtliche Grundlage hat (vgl. oben E. 5.1.1 sowie Urteil 2C_828/2013 vom 24. März 2014 E. 2.3 mit Hinweisen; HANSJÖRG SEILER, in: Handkommentar BGG, 2. Aufl. 2015, N. 37 zu Art. 95 BGG).
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Im Rahmen einer objektiven Auslegung ist zu berücksichtigen, dass die Staatsbeitragsvereinbarung 2012 sich ihrem Wortlaut nach einzig auf Fälle bezieht, in denen Spitaleintritt und Leistungserbringung (ganz) im Jahr 2012 erfolgten (vgl. oben E. 5.1 i.f.). Für diese werden die Abwicklungsmodalitäten (Berechnung, Vergütung, Berichterstattung; vgl. Art. 49a Abs. 3 KVG) geregelt. Beides - sowohl der Wortlaut der Vertragsklausel zur Vereinbarungsdauer als auch der weitere Vertragsinhalt - spricht sowohl gegen eine Auslegung der Staatsbeitragsvereinbarung im Sinne der Anerkennung eines Leistungsanspruchs durch den Kanton für die Übergangsfälle 2011/2012 als auch gegen einen Verzicht der A. AG auf einen Teil ihrer Kantonsbeitragsansprüche. In dieselbe Richtung weist die Berufung der Parteien auf Art. 49a Abs. 3 KVG, der lediglich Abwicklungsmodalitäten, nicht aber den Anspruch an sich beschlägt. Die Übergangsfälle 2011/2012 sind bei objektiver Betrachtung schlicht nicht Gegenstand der Staatsbeitragsvereinbarung 2012. Im Ergebnis mit dem Verwaltungsgericht und der Beschwerdegegnerin vermag damit die Staatsbeitragsvereinbarung 2012 insofern nichts beizutragen zur Beantwortung der Frage nach einem Anspruch der Beschwerdegegnerin auf Kantonsbeiträge für die Übergangsfälle 2011/2012, als ihr kein Verzicht auf allfällige diesbezügliche Ansprüche entnommen werden kann.
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5.2.1 Wie bereits vorstehend in Erwägung 2.2 erläutert, hängt der (bundesrechtliche) Anspruch auf einen Kantonsanteil gemäss klarem Wortlaut der Art. 41 Abs. 1bis i.V.m. Art. 49 Abs. 1 und Art. 49a Abs. 1 KVG davon ab, ob die Leistungserbringerin auf der kantonalen Spitalliste verzeichnet ist. Das Verhältnis zwischen Leistungsauftrag und Spitalliste nach neuem Recht erhellt aus Art. 39 Abs. 1 lit. e KVG, gemäss dem Anstalten oder deren Abteilungen, die der stationären Behandlung akuter Krankheiten oder der stationären Durchführung von Massnahmen der medizinischen Rehabilitation dienen (Spitäler), zugelassen sind, wenn sie auf der nach Leistungsaufträgen in Kategorien gegliederten Spitalliste des Kantons aufgeführt sind.
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Demnach besteht nach der im Kanton Zürich per 1. Januar 2012 umgesetzten neuen Spitalfinanzierung ein Zusammenhang zwischen Leistungsauftrag und Aufnahme auf die Spitalliste (vgl. etwa auch EUGSTER, a.a.O., S. 665 f. Rz. 840 f.; RÜTSCHE/PICECCHI, in: Basler Kommentar, Krankenversicherungsgesetz/Krankenversicherungsaufsichtsgesetz, 2020, N. 1 und 5 zu Art. 39 KVG; UELI KIESER, KVG/UVG Kommentar, 2018, N. 13 ff. zu Art. 39 KVG). Soweit die Beschwerdegegnerin das Gegenteil behauptet, bleibt sie der altrechtlichen Regelung verhaftet. Sie stützt ihre Auffassung denn auch auf unter dem alten Recht ergangene Rechtsprechung sowie auf ein aus dem Kontext gerissenes Zitat aus der Botschaft vom 15. September 2004 betreffend die Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (Spitalfinanzierung; BBl 2004 5551, 5575 ad Art. 39 Abs. 1 lit. d sowie Abs. 2 und 4), in dem ebenfalls die Rede von der früheren Rechtslage ist. So oder anders vermag sie daraus nichts für sich abzuleiten: Auch mit Blick auf Abs. 4 Satz 2 UeB (vgl. E. 2.3 hiervor) ist unmassgeblich, dass die Klinik als Spital auf der B-Liste bereits altrechtlich zur Tätigkeit zulasten der OKP zugelassen war (in der halbprivaten und privaten Abteilung). Dieser Tatsache käme nur dann Relevanz zu, wenn der Kanton Zürich seine Spitalliste erst nach Einführung der leistungsbezogenen Finanzierung den Anforderungen des Art. 39 KVG angepasst hätte, was unbestritten nicht zutrifft (oben E. 2.4).
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5.2.2 Dem Wortlaut der Art. 41 Abs. 1bis i.V.m. Art. 49 Abs. 1 und Art. 49a Abs. 1 KVG (oben E. 2.2) lässt sich (auch in den französischen und italienischen Sprachfassungen) keine explizite Regelung der Übergangsfälle 2011/2012 entnehmen, genauso wenig wie den Übergangsbestimmungen zur Änderung vom 21. Dezember 2007 (Spitalfinanzierung, UeB). Deren Absatz 1 (E. 2.3 hiervor) besagt nur - aber immerhin -, dass der Systemwechsel in der Spitalfinanzierung spätestens zum 1. Januar 2012 zu vollziehen ist, woraus indes für die Beantwortung der hier strittigen Frage unmittelbar nichts gewonnen ist. Hierüber besteht denn auch zwischen den Parteien Einigkeit. Aus den Materialien erhellt - mit der Vorinstanz -, dass im Gesetzgebungsprozess die hier zutage getretene Problematik nicht erörtert wurde (siehe etwa Botschaft Spitalfinanzierung, a.a.O., 5571 Ziff. 2.6 und 5582 f. ad Übergangsbestimmungen Abs. 1 bis 5; AB 2007 N 528 ff.; AB 2007 S 763 f.; AB 2007 N 1943 f.; AB 2007 S 1196; AB 2007 N 2050). Auch der Blick auf das Verhältnis der einschlägigen Normen zu anderen Gesetzesvorschriften (systematische Auslegung) gibt keinen Aufschluss über die Leistungspflicht in den Übergangsfällen 2011/2012, genauso wenig wie Sinn und Zweck der (Neu)Regelung. Diese zielte darauf ab, zu einer leistungsorientierteren Finanzierung überzugehen und dabei für miteinander im Wettbewerb stehende private und öffentliche Spitäler gleich lange Spiesse zu schaffen, indem auch den auf den Spitallisten aufgenommenen privaten Spitälern die Möglichkeit eröffnet wurde, von den Kantonsbeiträgen zu profitieren (vgl. zum Grundsatz bereits Botschaft Spitalfinanzierung, a.a.O., 5569 f. Ziff. 2.3).
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5.3.1 Ausgangspunkt ist dabei die Anknüpfung der Forderung der Leistungserbringerin gegenüber dem Kanton an einer stationären Behandlung in einem Listenspital (u.a., nebst weiteren, hier nicht weiter zu vertiefenden, Voraussetzungen wie etwa Wohnsitz im Kanton). Eine solche Behandlung beginnt grundsätzlich mit dem Spitaleintritt und setzt sich danach als zeitlich offener Dauersachverhalt fort, der erst mit dem Spitalaustritt abgeschlossen wird. Eine Sacheinheit in dem Sinne, als dass die stationäre Behandlung zwingend nur in ihrer Gänze entweder dem neuen oder dem alten Recht unterstellt werden könnte, liegt nicht vor (vgl. WIEDERKEHR/RICHLI, Praxis des allgemeinen Verwaltungsrechts, Bd. I, 2012, Rz. 793 mit Verweis auf Urteil des Verwaltungsgerichts Graubünden S 09 175 vom 16. Februar 2010 E. 3; zur Kategorisierung der Sachverhalte in der Lehre [abgeschlossener Einzelsachverhalt, zeitlich offener Dauersachverhalt mit oder ohne Sacheinheit sowie zusammengesetzter Tatbestand] vgl. nebst WIEDERKEHR/RICHLI, a.a.O., Rz. 783 ff., etwa MATTHIAS KRADOLFER, Intertemporales öffentliches Recht, 2020, Rz. 680, 687 ff., kritisch Rz. 689 ff. und MADELEINE CAMPRUBI, Ungeschriebene Grenzen der Rückwirkung von Rechtssätzen in der Schweiz, 2020, S. 154 ff.; je mit Hinweisen). Nicht gefolgt werden kann demnach der Auffassung des Verwaltungsgerichts, wonach sich der massgebende Sachverhalt erst mit dem Spitalaustritt und der hernach erfolgenden Festlegung des pauschalisierten Entgelts nach SwissDRG verwirklicht: Anspruchserhebliche Tatsache ist vielmehr die Leistungserbringung in einem Listenspital, die fortlaufend erfolgt. Allein darauf ist bei der Ermittlung des jeweils anwendbaren Rechts abzustellen, nicht auf die zu einem späteren Zeitpunkt erfolgende tarifliche oder rechtliche Einordnung.
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Daran vermag - entgegen Vorinstanz und Beschwerdegegnerin - die grundsätzlich unteilbare Natur der Fallpauschalen gemäss SwissDRG nichts zu ändern. Ihre Anwendung auf die gesamte Behandlung in den Übergangsfällen 2011/2012 - also auch bezüglich des bereits im Jahr 2011 erfolgenden Behandlungsanteils - käme einer Rückwirkung gleich. Für eine solche besteht keine Grundlage, wie sogleich aufzuzeigen ist.
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Fallbezogen bedeutet das: Ist ein Teil der Behandlung vor dem Zeitpunkt erfolgt, in dem die neue Finanzierungsregelung (mit leistungsbezogener Finanzierung entsprechend SwissDRG-Tarif und unter Kostenbeteiligung der Kantone bei Behandlung in Listenspitälern, vgl. oben E. 2.2) im Kanton Zürich anwendbar geworden ist (1. Januar 2012), könnte sie einen Anspruch nach neuem Recht nur dann begründen, wenn dieses echte Rückwirkung entfaltet. Die echte Rückwirkung steht indes zumindest potenziell in einem Spannungsverhältnis zu den verfassungsrechtlichen Geboten der Rechtssicherheit, des Vertrauensschutzes und der Gesetzmässigkeit. Sie ist verfassungsrechtlich nur dann unbedenklich, wenn sie ausdrücklich in einem Gesetz vorgesehen ist oder sich daraus klar ergibt, in einem vernünftigen Rahmen zeitlich limitiert ist, nicht zu stossenden Ungleichheiten führt, einem schutzwürdigen öffentlichen Interesse dient und wohlerworbene Rechte respektiert (vgl. jeweils mit weiteren Hinweisen: BGE 147 V 156 E. 7.2.1; BGE 146 V 364 E. 7.1; HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht, 8. Aufl. 2020, Rz. 266, 270). Hier ist eine echte Rückwirkung weder im Gesetz selber klar vorgesehen (oben E. 5.2.2) noch ist ersichtlich, welchem schutzwürdigen öffentlichen Interesse eine rückwirkende Anwendung der neuen Finanzierungsregel auf vor ihrer Anwendbarkeit erbrachte Leistungen dienen würde. Die von der Vorinstanz genannten praktischen Überlegungen (Festlegung des pauschalisierten Entgelts nach SwissDRG erst bei Austritt) genügen diesbezüglich nicht.
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5.4 Es bleibt die Frage zu beantworten, wie der Kantonsanteil in den Übergangsfällen 2011/2012 für den Zeitraum ab 1. Januar 2012 anteilig zu bemessen ist. Die Beschwerdeführerin stellt den Eventualantrag, dieser sei auf 50 % der jeweiligen Fallpreispauschalen festzusetzen.
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5.4.2 Demnach schuldet der Kanton Zürich der Beschwerdegegnerin grundsätzlich für den Behandlungszeitraum ab 1. Januar 2012 einen Anteil an der Fallkostenpauschale nach SwissDRG. Diese ist für jeden betroffenen Fall zu ermitteln. Mit Blick auf das oben in E. 5.3.2 zur Rückanknüpfung Ausgeführte kann dazu der Spitalaufenthalt als Gesamtes zugrunde gelegt werden. Intertemporalrechtlich (vgl. oben E. 5.3) ist dabei - im Rahmen des Möglichen - zu ermitteln, welcher Anteil der Fallkostenpauschale dem Zeitraum ab 1. Januar 2012 zuzuordnen ist. Dabei besteht Einigkeit darüber, dass ein eigentliches Fallsplitting unter den SwissDRG-Regeln mit Fallpauschalen (die unabhängig von den im Einzelfall tatsächlich erbrachten Behandlungsleistungen zur Anwendung kommen) nicht möglich ist. Angesichts dessen drängt es sich auf, die Fallpauschale analog der Ziffer 3.6 SwissDRG-Regeln (vgl. oben E. 5.3.3) pro rata temporis auf die Aufenthaltstage aufzuteilen. Der Kanton hat sich an der Fallpauschale zu beteiligen im Umfang des Anteils der Aufenthaltstage, die auf den Zeitraum ab 1. Januar 2012 entfallen. Im Gegensatz zum pauschalen Lösungsvorschlag der Beschwerdeführerin kann diese Lösung für sich beanspruchen, am massgeblichen, zeitlichen, Element anzuknüpfen. Für dieses Vorgehen spricht, dass es Vorbilder sowohl in der Aufteilung unter verschiedenen Versicherungsträgern der sozialen Krankenversicherung als auch in der buchhalterischen Abgrenzung der Übergangsfälle zum Bilanzstichtag findet (vgl. zu letzterem HERZOG/WIDMER/THALMANN, Umstellung auf Swiss GAAP FER im Spitalumfeld, Der Schweizer Treuhänder 3/2015 S. 163 ff., 165). Den Parteien bleibt es selbstredend unbenommen, im Interesse einer einfacheren und rascheren Abwicklung eine Vereinbarung zu treffen.
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5.4.3 Soweit der Kanton Zürich geltend macht, es sei dem Interesse insbesondere der Patientinnen und Patienten an Rechtssicherheit Rechnung zu tragen, führt dies nicht zu einem anderen Resultat. Ein während laufender Behandlung neu hinzutretender Leistungsauftrag entlastet grundsätzlich die private Zusatzversicherung des Patienten oder der Patientin und stellt diese damit zum vornherein nicht vor Probleme. Im umgekehrten Fall des Verlusts eines Leistungsauftrags führt die vorzunehmende zeitliche Abgrenzung mit bloss anteiliger Beteiligung des Kantons dagegen - jedenfalls bei lediglich obligatorisch versicherten Patienten und Patientinnen - potenziell zu einer Finanzierungslücke. Zu verweisen ist indes in diesem Zusammenhang auf zweierlei: Einerseits entfallen Leistungsaufträge regelhaft nicht von einem Tag auf den anderen, sondern mit einer gewissen Vorlaufzeit; ggf. kommen gar Übergangsfristen zum Tragen (im Kanton Zürich läuft etwa aktuell bereits die Spitalplanung 2023, vgl. www.zh.ch/de/gesundheit/spitaeler-kliniken/spitalplanung/spitalplanung-2023.html [zuletzt besucht am25. August 2021]).Damit dürfte es sich weitgehend vermeiden lassen, dass Behandlungen erst nach Entzug eines Leistungsauftrags abgeschlossen werden müssen. Zum andern sieht Art. 41 Abs. 3 KVG vor, dass Versicherer und Wohnkanton die Vergütung anteilsmässig nach Art. 49a KVG übernehmen, wenn die versicherte Person aus medizinischen Gründen ein nicht auf der Spitalliste des Wohnkantons aufgeführtes Spital beansprucht, wobei mit Ausnahme des Notfalls dafür eine Bewilligung des Wohnkantons notwendig ist. Ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen der Abschluss einer Behandlung erst nach Entzug des Leistungsauftrags als medizinischer Grund im Sinne der Art. 41 Abs. 3 und Abs. 3bis KVG in Frage kommt, braucht an dieser Stelle mangels Entscheidwesentlichkeit nicht erörtert zu werden (zum medizinischen Grund des fehlenden Angebots vgl. etwa EUGSTER, a.a.O., S. 776 ff. Rz. 1240 ff.; derselbe, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum KVG, 2. Aufl. 2018, N. 29 ff. zu Art. 41 KVG; MANUELA GEBERT, in: Basler Kommentar, Krankenversicherungsgesetz/Krankenversicherungsaufsichtsgesetz, 2020, N. 25 ff. zu Art. 41 KVG). Einen solchen Anwendungsfall vorausgesetzt, eröffnete die in Art. 41 Abs. 3 KVG vorgesehene Bewilligungspflicht dem Wohnkanton auch die Möglichkeit, allfälligem rechtsmissbräuchlichem, auf eine faktische Ausdehnung des Leistungsauftrags abzielenden, Verhalten einzelner Leistungserbringer, wie es der Beschwerdeführer befürchtet, Einhalt zu gebieten.
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5.5 Nach dem Gesagten hat der Kanton Zürich die Übergangsfälle 2011/2012 betreffend für die Behandlung ab 1. Januar 2012 anteilsmässige Kantonsbeiträge gemäss den Art. 49 Abs. 1 und 49a Abs. 1 KVG zu leisten basierend auf der jeweiligen Fallpauschale nach SwissDRG, die pro rata temporis der auf das Jahr 2012 entfallenden Aufenthaltstage zu berücksichtigen ist. Mit der Beschwerdegegnerin ist nicht ersichtlich, weshalb hiervon die betroffenen Allgemeinpatientinnen und -patienten (gesunde Neugeborene) eine Ausnahme bilden sollten. Auch für diese sind demnach die Kantonsbeiträge geschuldet, soweit sich ihr Aufenthalt über den 31. Dezember 2011 hinaus erstreckt hat. Die Sache ist der Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich zurückzuweisen, damit sie - vorbehältlich anderweitiger Einigung mit der Beschwerdegegnerin - die entsprechenden Berechnungen vornehme und alsdann neu verfüge.
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