EuGH Rs. C-51/96 und C-191/97, Slg. 2000, S. I-2549 - Deliège
 
Urteil
des Gerichtshofes
vom 11. April 2000
In den verbundenen Rechtssachen
-- C-51/96 und C-191/97 --
betreffend dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vom Tribunal de première instance Namur (Belgien) in den bei diesem anhängigen Rechtsstreitigkeiten
Christelle Deliège
gegen
Ligue francophone de judo et disciplines associées ASBL, Ligue belge de judo ASBL, Union européenne de judo (C-51/96) und Christelle Deliège gegen Ligue francophone de judo et disciplines associées ASBL, Ligue belge de judo ASBL, François Pacquée (C-191/97) vorgelegte Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung des Artikels 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 49 EG) sowie der Artikel 60, 66, 85 und 86 EG-Vertrag (jetzt Artikel 50 EG, 55 EG, 81 EG und 82 EG)
erläßt
Der Gerichtshof unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodriguez Iglesias, der Kammerpräsidenten J. C. Moitinho de Almeida, D. A. O. Edward und L. Sevon sowie der Richter P. J. G. Kapteyn, J. -P. Puissochet, G. Hirsch, P. Jann und H. Ragnemalm (Berichterstatter), Generalanwalt: G. Cosmas Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
von Frau Deliège, vertreten durch die Rechtsanwälte L. Misson und B. Borbouse, Lüttich, der Ligue francophone de judo et disciplines associées ASBL, vertreten durch die Rechtsanwälte C. Dabin-Serlez und B. Lietar, Wavre, der Ligue belge de judo ASBL, vertreten durch die Rechtsanwälte G. de Smedt und L. Carle, Lokeren, und durch die Rechtsanwälte H. van Houtte und F. Louis, Brüssel, sowie der Ligue belge de judo und des Herrn Pacquée, vertreten durch Rechtsanwalt G. de Smedt (C-191/97), der belgischen Regierung, vertreten durch J. Devadder, Conseiller général im Juristischen Dienst (C-51/96 und C-191/97), sowie durch R. Foucart, Generaldirektor des Juristischen Dienstes (C-191/97), Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, Außenhandel und Entwicklungszusammenarbeit, als Bevollmächtigte, der deutschen Regierung, vertreten durch Ministerialrat E. Röder und Regierungsrätin S. Maass (C-51/96) sowie durch Ministerialrat E. Röder und Regierungsdirektor C.-D. Quassowski (C-191/97), Bundesministerium für Wirtschaft, als Bevollmächtigte, der griechischen Regierung, vertreten durch G. Kanellopoulos, beigeordneter Rechtsberater im Juristischen Dienst des Staates, und P. Mylonopoulos, beigeordneter Rechtsberater im Besonderen Juristischen Dienst - Abteilung für Gemeinschaftsrecht - des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigte, der spanischen Regierung, vertreten durch Abogado del Estado L. Pérez de Ayala Becerril, als Bevollmächtigten, der französischen Regierung, vertreten durch Abteilungsleiterin C. de Salins und A. de Bourgoing, Chargé de mission, Direktion für Rechtsfragen des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigte, der italienischen Regierung, vertreten durch Professor U. Leanza, Leiter des Servizio del contenzioso diplomatico im Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten im Beistand von Avvocato dello Stato D. Del Gaizo (C-51/96), der niederländischen Regierung, vertreten durch Rechtsberater A. Bos (C-51/96) und durch G. Lammers, stellvertretender Rechtsberater (C-191/97), Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigte, der österreichischen Regierung, vertreten durch Ministerialrat W. Okresek (C-51/96) und durch C. Stix-Hackl, Gesandte (C-191/97), Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigte, der finnischen Regierung, vertreten durch T. Pynnä, Valtionasiamies, als Bevollmächtigte, der schwedischen Regierung, vertreten durch Ministerialrat E. Brattgrd (C-51/96) und durch Rättschef L. Nordling (C-191/97), Abteilung für Außenhandel des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigte, der norwegischen Regierung, vertreten durch B. B. Ekeberg, kommissarische Abteilungsleiterin im Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigte, der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Rechtsberater A. Caeiro und durch W. Wils, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen von Frau Deliège, vertreten durch die Rechtsanwälte L. Misson und B. Borbouse, der Ligue francophone de judo et disciplines associées ASBL, vertreten durch Rechtsanwalt B. Lietar, der Ligue belge de judo ASBL und des Herrn Pacquée, vertreten durch die Rechtsanwälte L. Carle, F. Louis und durch Rechtsanwalt T. Geurts, Termonde, der belgischen Regierung, vertreten durch A. Snoecx, Beraterin in der Generaldirektion für Rechtsfragen des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten, Außenhandel und Entwicklungszusammenarbeit, als Bevollmächtigte, der dänischen Regierung, vertreten durch J. Molde, Abteilungsleiter im Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten, der griechischen Regierung, vertreten durch G. Kanellopoulos, der spanischen Regierung, vertreten durch Abogado del Estado N. Diaz Abad als Bevollmächtigte, der französischen Regierung, vertreten durch A. de Bourgoing, der italienischen Regierung, vertreten durch D. Del Gaizo, der niederländischen Regierung, vertreten durch M. A. Fierstra, beigeordneter Rechtsberater im Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten, der finnischen Regierung, vertreten durch T. Pynnä, der schwedischen Regierung, vertreten durch A. Kruse, Ministerialrat im Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten, und der Kommission, vertreten durch W. Wils, in der Sitzung vom 23. Februar 1999,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 18. Mai 1999 folgendes
 
Urteil
1. Das Tribunal de première instance Namur hat mit Beschluß vom 16. Februar 1996 (C-51/96), beim Gerichtshof eingegangen am 21. Februar 1996, und mit Urteil vom 14. Mai 1997 (C-191/97), beim Gerichtshof eingegangen am 20. Mai 1997, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) zwei Fragen nach der Auslegung des Artikels 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 49 EG) sowie der Artikel 60, 66, 85 und 86 EG-Vertrag (jetzt Artikel 50 EG, 55 EG, 81 EG und 82 EG) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2. Diese Fragen stellen sich in Rechtsstreitigkeiten zwischen der Klägerin Frau Deliège und der Ligue francophone de judo et disciplines associées ASBL (imfolgenden: LFJ), der Liga belge du judo ASBL (im folgenden: LBJ) sowie deren Präsidenten, Herrn Pacquée, wegen deren Weigerung, Frau Deliège für die Teilnahme an einem internationalen Judowettkampf in Paris in der Klasse bis 52 kg auszuwählen.
 
Die Organisations- und Auswahlregeln im Judo
3. Judo, eine Einzelkampfsportart, wird weltweit von der International Judo Federation (im folgenden: IJF) organisiert. Auf europäischer Ebene besteht die European Judo Union (im folgenden: EJU), in der die nationalen Verbände zusammengeschlossen sind. Der belgische Verband ist die LBJ, die sich im wesentlichen mit internationalen Wettkämpfen befaßt und die Sportler für die Teilnahme an internationalen Turnieren auswählt. Die LBJ besteht aus zwei Regionalvereinigungen, der Vlaamse Judofederatie (im folgenden: VJF) und der LFJ. Mitglieder der LBJ sind die beiden Regionalvereinigungen sowie die diesen angehörenden Vereine. Die Judoka sind Mitglieder eines Vereins, der seinerseits einer Regionalvereinigung angehört, die den Mitgliedern die für die Teilnahme an Kursen oder Wettkämpfen erforderliche Lizenz ausstellt. Die Inhaber einer Lizenz müssen allen Verpflichtungen nachkommen, die ihnen die Regionalvereinigung in ihren Statuten oder Regelungen auferlegt.
4. Die Judoka werden traditionell nach ihrem Geschlecht und sieben Gewichtsklassen eingeteilt, so daß insgesamt vierzehn Klassen bestehen. Bei der technischen und sportlichen Versammlung in Amsterdam am 5. Februar 1994 und beim ordentlichen Kongreß in Nikosia am 9. April 1994 stellte der Vorstand der EJU Regeln für die Teilnahme an europäischen Turnieren der sog. Kategorie A auf. Bei diesen Turnieren - ebenso wie bei den Europameisterschaften vom Mai 1996 - konnten Punkte für die Einstufung in den europäischen Listen gewonnen werden, von denen die Qualifikation für die Olympischen Spiele in Atlanta 1996 abhängen konnte. Dabei konnten nur die nationalen Verbände ihre Sportler in diese Listen einschreiben; jeder europäische Verband konnte sieben Männer und sieben Frauen - d.h. grundsätzlich einen Judoka pro Klasse - einschreiben. War allerdings in einer Klasse kein Sportler gemeldet, so konnten dafür in einer anderen Klasse zwei Judoka eingeschrieben werden, wobei die Gesamtzahl von jeweils sieben Männern und sieben Frauen nicht überschritten werden durfte. Nach der Darstellung der LFJ in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof spielte die Staatsangehörigkeit des Judoka in diesem Zusammenhang keine Rolle; entscheidend sei allein dessen Zugehörigkeit zu einem nationalen Verband gewesen.
5. Nach den Auswahlkriterien für die Olympischen Spiele in Atlanta, die die IJF am 19. Oktober 1993 in Madrid aufgestellt hatte, waren für die Olympischen Spiele u.a. in jeder Klasse die acht Ersten aus der letzten Weltmeisterschaft sowie für jeden Kontinent eine bestimmte Zahl von Judoka (für Europa neun Männer und fünf Frauen in jeder Klasse) qualifiziert, wobei die letztere Gruppe auf derGrundlage der Ergebnisse bestimmt wurde, die jeder Judoka bei einer bestimmten Zahl von Turnieren vor der Olympiade erzielt hatte. Zu diesem Zweck bestimmte die UEJ bei der Versammlung in Amsterdam und dem Kongreß in Nikosia, daß die drei besten Ergebnisse berücksichtigt würden, die bei Turnieren der Kategorie A und den Europameisterschaften in der Zeit zwischen der Weltmeisterschaft 1995 und der Europameisterschaft 1996 erzielt wurden. Es war außerdem vorgesehen, daß die Verbände und nicht die einzelnen Judoka qualifiziert waren.
 
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
6. Die Klägerin übt den Judosport seit 1983 aus. Sie hat seit 1987 hervorragende Ergebnisse in der Klasse bis 52 kg erzielt, darunter mehrere Titel als belgische Meisterin, einen Titel als Europameisterin, einen Titel als Weltmeisterin der Sportler unter 19 Jahren sowie Siege und herausragende Bewertungen bei internationalen Turnieren. Zwischen den Parteien besteht Uneinigkeit über den Status der Klägerin, die sich als Berufssportlerin oder Halbprofi sieht, während die LBJ und die LFJ der Ansicht sind, Judo werde in Europa und insbesondere in Belgien nur von Amateuren betrieben.
7. Die Klägerin macht geltend, die Verantwortlichen der LFJ und der LBJ hätten ihre Karriere mißbräuchlich behindert. Insbesondere sei sie an der Teilnahme an den Olympischen Spielen in Barcelona 1992 gehindert und weder für die Weltmeisterschaft 1993 noch für die Europameisterschaft 1994 ausgewählt worden. Im März 1995 habe man sie davon unterrichtet, daß sie nicht in die Vorauswahl für die Olympischen Spiele in Atlanta aufgenommen worden sei. Im April 1995, als sie sich auf die Teilnahme an der Europameisterschaft im Mai vorbereitete, sei sie aus der belgischen Gruppe ausgeschlossen und durch einen der VJF angehörigen Sportler ersetzt worden. Im Dezember 1995 sei sie an der Teilnahme an einem internationalen Turnier der Kategorie A in Basel gehindert worden.
8. Die LFJ bringt vor, die Klägerin sei wiederholt mit Trainern, Auswahlrichtern oder Verantwortlichen der LFJ und der LBJ in Konflikt geraten, sie sei undiszipliniert und gegen sie sei u.a. bereits eine vorübergehende Sperre jeder Verbandstätigkeit als Sanktion verhängt worden. Außerdem habe sie Schwierigkeiten im sportlichen Bereich, da Belgien über mindestens vier hochqualifizierte Judoka der Klasse bis 52 kg verfüge. Die LBJ führt aus, über die Auswahl von Sportlern für die Teilnahme an Turnieren und Meisterschaften werde von ihrer nationalen Sportkommission entschieden, die paritär mit Mitgliedern der VJF und der LFJ besetzt sei.
9. In den Ausgangsverfahren geht es unmittelbar um die Teilnahme an dem internationalen Turnier der Kategorie A in Paris am 10. und 11. Februar 1996. Da die LBJ zwei andere Sportler ausgewählt hatte, die der Klägerin zufolge weniger herausragende sportliche Ergebnisse erzielt hatten als sie, rief die Klägerin am 26. Januar 1996 im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes das Tribunal de première instance Namur an.
Rechtssache C-51/96
10. Die Klägerin beantragte beim Tribunal de première instance Namur im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes, der LFJ und der LBJ aufzugeben, alle für ihre Teilnahme an dem Turnier von Paris nötigen förmlichen Voraussetzungen zu schaffen; sie beantragte außerdem, dem Gerichtshof eine Frage zur Rechtsmäßigkeit der Regeln der EJU über die Beschränkung der Anzahl der Sportler pro nationalem Verband und die zur Teilnahme an Einzelwettkämpfen der Kategorie A erforderlichen Verbandslizenzen im Hinblick auf die Artikel 59, 60, 66, 85 und 86 EG-Vertrag zur Vorabentscheidung vorzulegen. Mit Schriftsatz vom 9. Februar 1996 erstreckte die Klägerin den Antrag auf die EJU und beantragte im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes, allen Veranstaltern von Turnieren der Kategorie A aufzugeben, ihre Einschreibung vorläufig auch ohne eine Auswahlentscheidung ihres nationalen Verbandes zu akzeptieren.
11. Mit Beschluß vom 6. Februar 1996 wies das Tribunal de premiere instance Namur den Antrag der Klägerin bezüglich ihrer Teilnahme am Turnier in Paris zurück; es untersagte jedoch der LBJ und der LFJ, vor einer erneuten Anhörung der Parteien zu den anderen Anträgen eine Entscheidung zu treffen, die zum Ausschluß der Antragstellerin von künftigen Wettkämpfen führen würde.
12. Mit Beschluß vom 16. Februar 1996 wies das Gericht die Erstreckung des Antrags auf die EJU als unzulässig zurück.
13. Das Gericht führte weiter aus, daß die Ausübung einer Sportart nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes insoweit unter das Gemeinschaftsrecht falle, als sie zum Wirtschaftsleben im Sinne von Artikel 2 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 2 EG) gehöre. In Anbetracht der neueren Entwicklung des Sports habe die Unterscheidung zwischen Amateuren und Berufssportlern an Bedeutung verloren. Hochleistungssportler könnten durch ihre Bekanntheit neben finanziellen Zuwendungen und anderen Fördermaßnahmen durchaus erhebliche Einnahmen erzielen, so daß sie Leistungen mit wirtschaftlichem Charakter erbrächten.
14. Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts hat die Klägerin hinreichend glaubhaft gemacht, daß sie als Dienstleistende im Sinne der Artikel 59, 60 und 66 EG-Vertrag anzusehen sei. Es erscheine als Beeinträchtigung der Freiheit zur Erbringung einer Leistung mit wirtschaftlichem Charakter, daß ausnahmslos eine nationale Quote und eine Auswahl auf nationaler Ebene vorgenommen würden. Es könne auch nicht ernsthaft behauptet werden, der Zugang der Klägerin zu den Wettkämpfen hätte zur Folge, daß jeder an jedem beliebigen Turnier teilnehmen könnte, da Wettkämpfe, wie die Erfahrungen vergleichbarer Sportarten zeigten, durchaus jedem Sportler offenstehen könnten, der objektive Eignungskriterien erfülle.
15. Insbesondere angesichts der zeitlichen Nähe der Olympischen Spiele von Atlanta und der relativ kurzen Dauer der Karriere eines Hochleistungssportlers gelangte das nationale Gericht zu der Annahme, daß der Antrag der Klägerin, dem Gerichtshof eine Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen, erheblichsei. Daß noch keine Klage in der Hauptsache erhoben worden sei, stehe der Stellung einer Vorlagefrage nicht entgegen. Diese Frage könne als ein Entscheidungselement im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes aufgefaßt werden oder als Teil der Beweisaufnahme, der geeignet sei, ein Hauptsacheverfahren zu beschleunigen, dessen Durchführung die Klägerin offensichtlich beabsichtige.
16. Das Tribunal de première instance Namur hat daher im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
    Verstößt eine Regelung, nach der ein Berufssportler, ein Halbprofi oder ein Anwärter auf einen solchen Status im Besitz einer Genehmigung oder einer Auswahlentscheidung seines nationalen Verbandes sein muß, um an einem internationalen Wettkampf teilnehmen zu können, und die nationalen Quoten oder entsprechende Ausscheidungen vorsieht, gegen den Vertrag von Rom und insbesondere gegen die Artikel 59 bis 66 sowie gegen die Artikel 85 und 86?
17. Im Rahmen der vorläufigen Regelung bis zur Entscheidung in der Hauptsache hat das vorlegende Gericht entschieden, daß den Anträgen der Klägerin gegen die LBJ und die LFJ nicht stattgegeben werden könne. Jedoch sei ihr durch eine vorläufige Regelung, die die Interessen anderer Sportler nicht beeinträchtige, Schutz gegen schwere Schäden zu gewähren.
18. Daher hat es bis zum Abschluß eines Hauptsacheverfahrens der LBJ und der LFJ jede Handlung untersagt, die die freie Ausübung der Tätigkeit der Klägerin als Judoka, insbesondere bei nationalen oder internationalen Wettkämpfen, einschränkt oder verhindert und die nicht aufgrund ihrer körperlichen Eignung oder ihres Verhaltens oder eines Vergleichs ihrer Leistungen mit denen konkurrierender Athleten objektiv gerechtfertigt ist. Diese Maßnahme sollte einen Monat nach Verkündung des Beschlusses außer Kraft treten, falls die Klägerin keine Hauptsacheklage erhoben haben sollte.
Rechtssache C-191/97
19. Mit Klageschriften vom 27. Februar 1996 und 1. Januar 1996 erhob die Klägerin beim Tribunal de première instance Namur Klage gegen die LFJ, die LBJ und Herrn Pacquée. Sie beantragte erstens, für Recht zu erkennen, daß das System der Auswahl der Judoka für internationale Turniere in der nach den Regelungen der beiden genannten Verbände angewandten Form rechtswidrig ist, da es diesen Verbänden eine Befugnis einräumt, die das Recht der Judoka auf freien Dienstleistungsverkehr und ihre Berufsfreiheit beeinträchtigen kann, zweitens, dem Gerichtshof eine Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen, drittens, im Fall derVorlage einer solchen Frage eine vorläufige Regelung zu treffen, und viertens, die LFJ und die LBJ zu verurteilen, ihr Schadensersatz in Höhe von 30 Millionen BEF zu zahlen.
20. Das vorlegende Gericht legte in seinem Urteil dar, es bestehe eine offensichtliche Gefahr, daß der Gerichtshof die in der Rechtssache C-51/96 vorgelegte Frage für unzulässig erkläre, da das Gericht über den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz abschließend entschieden habe. Es sei daher nicht sachgerecht, das Urteil des Gerichtshofes in dieser ersten Rechtssache abzuwarten; da die Antwort auf die in dem anhängigen Verfahren gestellte Frage durchaus ungewiß sei, solle es den Gerichtshof erneut um Vorabentscheidung ersuchen.
21. In bezug auf den Antrag der Klägerin, eine vorläufige Regelung zu treffen, erschien es dem Gericht sehr schwierig, wenn nicht unmöglich, eine praktische Regelung zu finden, die den Interessen aller Parteien gerecht würde, zumal die Antragstellerin keine konkreten entsprechenden Maßnahmen vorgeschlagen habe.
22. Das Tribunal de première instance Namur hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
    Verstößt es gegen den Vertrag von Rom und insbesondere gegen die Artikel 59, 85 und 86 dieses Vertrages, daß ein Berufssportler oder Halbprofi oder ein Anwärter auf eine berufliche oder halbprofessionelle Tätigkeit im Besitz einer Genehmigung seines Verbandes sein muß, um an einem internationalen Wettkampf teilnehmen zu können, bei dem sich keine Nationalmannschaften gegenüberstehen?
 
Zur Zuständigkeit des Gerichtshofes für die Beantwortung der Vorlagefragen und zur Zulässigkeit der Vorlagefragen
23. Die LFJ, die LBJ, Herr Pacquée, die belgische, die griechische und die italienische Regierung sowie die Kommission haben - mit unterschiedlichen Begründungen - die Zuständigkeit des Gerichtshofes zur Beantwortung der in der Rechtssache C-51/96 gestellten Frage sowie die Zulässigkeit dieser Frage in ihrer Gesamtheit oder in Teilen verneint.
24. Zunächst habe das vorlegende Gericht bereits über sämtliche Anträge der Klägerin entschieden, so daß der Rechtsstreit nicht mehr anhängig sei. Da der Ausgangsrechtsstreit zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichtshofes bereits beendet gewesen sei, habe die Beantwortung der Vorlagefrage für das vorlegende Gericht keine Bedeutung mehr. Wie sich aus den Urteilen vom 21. April 1988 in der Rechtssache 338/85 (Fratelli Pardini, Slg. 1988, 2041) und vom 4. Oktober 1991 in der Rechtssache C-159/90 (Society for the Protection of Unborn Children Ireland, Slg. 1991, I-4685) ergebe, sei der Gerichtshof somit nicht zur Beantwortung der Vorlagefrage zuständig.
25. Außerdem sei die Frage hypothetisch und betreffe einen Gegenstand - den Amateursport -, der nicht dem Gemeinschaftsrecht unterfalle.
26. Schließlich habe das vorlegende Gericht den Sachverhalt und die Rechtslage, in denen sich die Frage stelle, nicht hinreichend dargelegt, was ganz besonders im Bereich des Wettbewerbs erforderlich sei, der durch komplexe tatsächliche und rechtliche Verhältnisse gekennzeichnet sei (Urteil vom 26. Januar 1993 in den verbundenen Rechtssachen C-320/90 bis C-322/90, Telemarsicabruzzo, Slg. 1993, I-393).
27. Die Zuständigkeit des Gerichtshofes für die Beantwortung der Vorlagefrage in der Rechtssache C-191/97 in ihrer Gesamtheit oder in Teilen sowie die Zulässigkeit dieser Frage werden von der LFJ, der LBJ, Herrn Pacquée, der griechischen Regierung und der Kommission ebenfalls verneint. Die Genannten machen insbesondere geltend, daß das vorlegende Gericht den Sachverhalt und die Rechtslage nicht hinreichend dargelegt habe, daß die Frage einen Gegenstand betreffe, der außerhalb des Gemeinschaftsrechts liege, daß die Verfahrensrechte der EJU und der IJF mißachtet worden seien und daß die Frage hypothetisch sei, soweit sie sich auf Begegnungen beziehe, die sich nicht zwischen Nationalmannschaften abspielten.
28. Zunächst ist die Prüfung, ob die Fragen des nationalen Gerichts einen Gegenstand betreffen, der nicht unter das Gemeinschaftsrecht fällt, weil entweder der Amateursport nicht in den Anwendungsbereich des EG-Vertrags fällt oder die vom Gericht genannten Begegnungen zwischen Nationalmannschaften stattfinden, Teil der materiell-rechtlichen Untersuchung der vorgelegten Fragen und betrifft nicht deren Zulässigkeit.
29. Was zweitens die angebliche Verletzung der Verfahrensrechte der IJF und der EJU angeht, so ist es nicht Sache des Gerichtshofes, zu prüfen, ob die Vorlageentscheidung den nationalen Vorschriften über die Gerichtsorganisation und das Verfahren entspricht (vgl. insbesondere Urteile vom 11. Juli 1996 in der Rechtssache C-39/94, SFEI u.a., Slg. 1996, I-3547, Randnr. 24, und vom 5. Juni 1997 in der Rechtssache C-105/94, Celestini, Slg. 1997, I-2971, Randnr. 20). Der Gerichtshof hat folglich nicht darüber zu entscheiden, ob die IJF und die EJU in die Ausgangsverfahren einbezogen werden konnten.
30. Drittens ist nach ständiger Rechtsprechung eine dem nationalen Gericht dienliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts nur möglich, wenn dieses den Sachverhalt und die Rechtslage, in denen sich seine Fragen stellen, darlegt oder zumindest die tatsächlichen Annahmen erläutert, auf denen diese Fragen beruhen. Dies gilt insbesondere in bestimmten Bereichen wie dem des Wettbewerbs, die durch komplexe tatsächliche und rechtliche Verhältnisse gekennzeichnet sind (vgl. insbesondere Urteile Telemarsicabruzzo, Randnrn. 6 und 7, vom 21. September 1999 in der Rechtssache C-67/96, Albany, Slg. 1999, I-0000, Randnr. 39, und vom21. September 1999 in den verbundenen Rechtssachen C-115/97 bis C-117/97, Brentjens', Slg. 1999, I-0000, Randnr. 38).
31. Die Angaben in Vorlageentscheidungen sollen dem Gerichtshof nicht nur sachdienliche Antworten ermöglichen, sondern auch den Regierungen der Mitgliedstaaten und den anderen Beteiligten die Möglichkeit geben, gemäß Artikel 20 der EG-Satzung des Gerichtshofes Erklärungen abzugeben. Der Gerichtshof hat darauf zu achten, daß diese Möglichkeit gewahrt wird; dabei ist zu berücksichtigen, daß den Beteiligten nach dieser Vorschrift nur die Vorlageentscheidungen zugestellt werden (vgl. insbesondere Beschluß vom 23. März 1995 in der Rechtssache C-458/93, Saddik, Slg. 1995, I-511, Randnr. 13; Urteile Albany, Randnr. 40, und Brentjens', Randnr. 39).
32. In der Rechtssache C-191/97, die zuerst zu untersuchen ist, ergibt sich aus den gemäß Artikel 20 der EG-Satzung des Gerichtshofes vorgelegten Erklärungen der Parteien des Ausgangsverfahrens, der Regierungen von Mitgliedstaaten, der norwegischen Regierung und der Kommission, daß die in dem Vorlageurteil enthaltenen Angaben es diesen erlaubt haben, zu der dem Gerichtshof vorgelegten Frage sachdienlich Stellung zu nehmen, soweit sie die Bestimmungen des EG-Vertrags über die Dienstleistungsfreiheit betraf.
33. Selbst wenn die griechische, die spanische und die italienische Regierung annehmen durften, daß sie anhand der Angaben des vorlegenden Gerichts nicht dazu Stellung nehmen konnten, ob die Tätigkeit der Klägerin zum Wirtschaftsleben im Sinne des EG-Vertrags gehöre, konnten diese Regierungen und die anderen Beteiligten doch auf der Grundlage der Angaben des vorlegenden Gerichts zum Sachverhalt Erklärungen abgeben.
34. Zudem wurden die in dem Vorlageurteil enthaltenen Informationen durch Angaben in den vom nationalen Gericht übermittelten Akten und den beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen ergänzt. Alle diese Angaben sind im Sitzungsbericht wiedergegeben und den Regierungen der Mitgliedstaaten sowie den anderen Beteiligten vor der mündlichen Verhandlung, in der sie gegebenenfalls ihre Erklärungen hätten ergänzen können, zur Kenntnis gebracht worden (in diesem Sinne auch die Urteile Albany, Randnr. 43, und Brentjens', Randnr. 42).
35. Außerdem verschaffen die Informationen des nationalen Gerichts, soweit erforderlich ergänzt durch die oben genannten Angaben, dem Gerichtshof eine ausreichende Kenntnis des Sachverhalts und der Rechtslage, um die es im Ausgangsrechtsstreit geht, so daß er die Bestimmungen des EG-Vertrags über die Dienstleistungsfreiheit im Hinblick hierauf auslegen kann.
36. Soweit sich die gestellte Frage dagegen auf die Wettbewerbsregeln für Unternehmen bezieht, hält sich der Gerichtshof nicht für ausreichend unterrichtet, um Angaben zur Bestimmung des Marktes oder der Märkte zu machen, um diees im Ausgangsverfahren geht. Das Vorlageurteil läßt auch nicht die Art und die Anzahl der auf diesem Markt oder diesen Märkten tätigen Unternehmen erkennen. Außerdem erlauben es die Angaben des vorlegenden Gerichts dem Gerichtshof nicht, sich sachgerecht zum Vorliegen und zur Bedeutung eines Wirtschaftsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten oder zur Möglichkeit der Beeinträchtigung dieses Wirtschaftsverkehrs durch die Auswahlregeln für Judoka zu äußern.
37. Daher enthält das Vorlageurteil in bezug auf die Wettbewerbsregeln keine Angaben, die in den Randnummern 30 und 31 wiedergegebenen Anforderungen entsprächen.
38. Was die Vorlagefrage in der Rechtssache C-51/96 angeht, so enthält auch hier der Vorlagebeschluß keine Angaben, die es dem Gerichtshof erlauben würden, sich sachgerecht zur Auslegung der Wettbewerbsregeln für Unternehmen zu äußern. Dagegen haben es die in dem Beschluß enthaltenen Informationen, gegebenenfalls ergänzt durch die Angaben in den nach Artikel 20 der EG-Satzung des Gerichtshofes eingereichten und im Sitzungsbericht wiedergegebenen Erklärungen sowie die Erkenntnisse aus dem Vorlageurteil in der Rechtssache C-191/97, den Beteiligten erlaubt, zur Auslegung der Bestimmungen über die Dienstleistungsfreiheit Stellung zu nehmen; sie haben auch dem Gerichtshof eine für eine sachgerechte Entscheidung in dieser Frage ausreichende Kenntnis des Sachverhalts und der Rechtslage verschafft.
39. Trotz der leicht unterschiedlichen Formulierung sind die in den beiden Ausgangsverfahren gestellten Fragen inhaltlich identisch; es ist daher nicht erforderlich, die Einwände speziell gegen die Zulässigkeit der Vorlagefrage in der Rechtssache C-51/96 weiter zu untersuchen.
40. Nach alledem hat der Gerichtshof die gestellten Fragen zu beantworten, soweit sie die Auslegung der Bestimmungen des EG-Vertrags über die Dienstleistungsfreiheit betreffen. Die Fragen sind dagegen unzulässig, soweit sie sich auf die Auslegung der Wettbewerbsregeln für Unternehmen beziehen. Jm                                       
 
Zur Auslegung von Artikel 59 EG-Vertrag
41. Angesichts der Ziele der Gemeinschaft fällt die Ausübung von Sport insoweit unter das Gemeinschaftsrecht, als sie zum Wirtschaftsleben im Sinne von Artikel 2 EG-Vertrag gehört (vgl. Urteile vom 12. Dezember 1974 in der Rechtssache 36/74, Walrave und Koch, Slg. 1974, 1405, Randnr. 4, und vom 15. Dezember 1995 in der Rechtssache C-415/93, Bosman, Slg. 1995, I-4921, Randnr. 73). Der Gerichtshof hat der sportlichen Tätigkeit in der Gemeinschaft außerdem eine beträchtliche soziale Bedeutung zugesprochen (vgl. Urteil Bosman, Randnr. 106).
42. Dieser Rechtsprechung entspricht zudem die Erklärung Nummer 29 zum Sport, die sich im Anhang der Schlußakte der Konferenz befindet, in der der Text des Vertrages von Amsterdam festgelegt wurde, die die gesellschaftliche Bedeutung desSports unterstreicht und an die Gremien der Europäischen Union appelliert, u.a. die Besonderheiten des Amateursports besonders zu berücksichtigen. Diese Erklärung steht mit der genannten Rechtsprechung insbesondere insoweit im Einklang, als sie Situationen betrifft, in denen die Ausübung eines Sports zum Wirtschaftsleben gehört.
43. Weiter stehen die Bestimmungen des EG-Vertrags über die Freizügigkeit Regelungen oder Praktiken nicht entgegenstehen, die ausländische Spieler von bestimmten Begegnungen aus nichtwirtschaftlichen Gründen ausschließen, die mit dem spezifischen Charakter und Rahmen dieser Begegnungen zusammenhängen und deshalb nur den Sport als solchen betreffen, wie es bei Spielen zwischen den Nationalmannschaften verschiedener Länder der Fall ist. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes darf diese Beschränkung des Geltungsbereichs des Vertrages jedoch nicht weiter gehen, als ihr Zweck es erfordert; sie kann nicht herangezogen werden, um eine sportliche Tätigkeit im ganzen vom Geltungsbereich des EG-Vertrags auszuschließen (Urteile vom 14. Juli 1976 in der Rechtssache 13/76, Donà, Slg. 1976, 1333, Randnrn. 14 und 15, und Bosman, Randnrn. 76 und 127).
44. Die dem Ausgangsverfahren zugrunde liegenden Auswahlregeln beziehen sich nicht auf Begegnungen zwischen Nationalmannschaften oder nationalen Auswahlen verschiedener Länder, die ausschließlich aus Staatsangehörigen des Staates bestehen, dem der Verband angehört, der die Auswahl vorgenommen hat, wie das etwa bei den Olympischen Spielen oder bestimmten Welt- oder Europameisterschaften der Fall ist; sie behalten vielmehr die Teilnahme an bestimmten anderen hochrangigen internationalen Begegnungen, die für einen nationalen Verband erfolgt, ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit den Sportlern vor, die den betreffenden Verbänden angehören. Der Umstand allein, daß die von den Sportlern bei diesen Wettkämpfen errungenen Bewertungen bei der Bestimmung der Länder berücksichtigt werden, die Vertreter zu den Olympischen Spielen entsenden können, rechtfertigt es nicht, diese Wettkämpfe mit Begegnungen zwischen Nationalmannschaften gleichzusetzen, die nicht in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fallen.
45. Die LFJ hat geltend gemacht, die Sportvereinigungen und -verbände hätten das Recht, frei über die Zugangsbedingungen für Wettkämpfe zu entscheiden, die lediglich Amateursportler beträfen.
46. Jedoch schließt die bloße Tatsache, daß eine Sportvereinigung oder ein Sportverband die Sportler, die ihre Mitglieder sind, einseitig als Amateure qualifiziert, für sich allein nicht aus, daß die Tätigkeit dieser Sportler zum Wirtschaftsleben im Sinne von Artikel 2 EG-Vertrag gehört.
47. Was die Natur der streitigen Regeln angeht, so ergibt sich aus den Urteilen Walrave und Koch (Randnrn. 17 und 18) sowie Bosman (Randnrn. 82 und 83), daß die Gemeinschaftsbestimmungen über die Freizügigkeit und den freienDienstleistungsverkehr nicht nur für behördliche Maßnahmen gelten, sondern sich auch auf Vorschriften anderer Art erstrecken, die zur kollektiven Regelung unselbständiger Arbeit und der Erbringung von Dienstleistungen dienen. Die Beseitigung der Hindernisse für die Freizügigkeit und den freien Dienstleistungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten wäre nämlich gefährdet, wenn die Abschaffung der Schranken staatlichen Ursprungs durch Hindernisse ersetzt werden könnte, die nicht dem öffentlichen Recht unterliegende Vereinigungen und Einrichtungen im Rahmen ihrer rechtlichen Autonomie setzen könnten.
48. Folglich können sportliche Tätigkeiten und von Sportvereinigungen aufgestellte Regeln wie die dem Ausgangsverfahren zugrunde liegenden dem EG-Vertrag und insbesondere den Artikeln 59, 60 und 66 unterfallen.
49. In Anbetracht dieser Erwägungen und der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof ist zu prüfen, ob eine Tätigkeit wie die der Klägerin als Teil des Wirtschaftslebens im Sinne von Artikel 2 EG-Vertrag und insbesondere als Dienstleistung im Sinne von Artikel 59 EG-Vertrag angesehen werden kann.
50. Im Rahmen der richterlichen Zusammenarbeit in Vorabentscheidungsverfahren obliegt dem nationalen Gericht die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts des Rechtsstreits (vgl. insbesondere Urteil vom 3. Juni 1986 in der Rechtssache 139/85, Kempf, Slg. 1986, 1741, Randnr. 12), während es Aufgabe des Gerichtshofes ist, dem nationalen Gericht die Hinweise zur Auslegung zu geben, die zur Entscheidung des Rechtsstreits erforderlich sind (Urteil vom 22. Mai 1990 in der Rechtssache C-332/88, Alimenta, Slg. 1990, I-2077, Randnr. 9).
51. Hierzu erwähnt das Vorlageurteil in der Rechtssache C-191/97 insbesondere finanzielle Zuwendungen aufgrund früherer sportlicher Ergebnisse sowie Sponsoringverträge, die in direktem Zusammenhang mit den von dem Sportler erzielten Ergebnissen stünden. Außerdem hat die Klägerin vor dem Gerichtshof unter Vorlage von Belegen vorgetragen, daß sie wegen ihrer sportlichen Leistungen finanzielle Zuwendungen der Communauté française de Belgique und des Comité olympique et interfédéral belge erhalten habe und daß sie von einem Bankinstitut und einem Automobilhersteller gesponsert worden sei.
52. Da die Begriffe Wirtschaftsleben und Dienstleistung im Sinne der Artikel 2 und 59 EG-Vertrag den Anwendungsbereich einer der Grundfreiheiten des EG-Vertrags garantieren, dürfen sie nicht einschränkend ausgelegt werden (in diesem Sinne Urteil vom 23. März 1982 in der Rechtssache 53/81, Levin, Slg. 1982, 1035, Randnr. 13).
53. Speziell zu dem Begriff Wirtschaftsleben ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung (Urteile Donà, Randnr. 12, und vom 5. Oktober 1988 in der Rechtssache 196/87, Steymann, Slg. 1988, 6159, Randnr. 10), daß eine entgeltliche Arbeits- oder Dienstleistung einen Teil des Wirtschaftslebens im Sinne von Artikel 2 EG-Vertrag ausmacht.
54. Allerdings muß es sich, wie der Gerichtshof in den Urteilen Levin (Randnr. 17) und Steymann (Randnr. 13) entschieden hat, um tatsächliche und echte Tätigkeiten handeln, die keinen so geringen Umfang haben, daß sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen.
55. Für den Dienstleistungsbegriff folgt aus Artikel 60 Absatz 1 EG-Vertrag, daß Dienstleistungen im Sinne dieser Bestimmung Leistungen sind, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden, soweit sie nicht den Vorschriften über den freien Waren- und Kapitalverkehr oder über die Freizügigkeit unterliegen.
56. Im Rahmen sportlicher Tätigkeiten, insbesondere der Teilnahme von Hochleistungssportlern an einem internationalen Wettkampf, werden mehrere eigene, aber eng miteinander verknüpfte Dienstleistungen erbracht, die auch dann unter Artikel 59 EG-Vertrag fallen können, wenn einzelne Dienstleistungen nicht von denen bezahlt werden, denen sie zugute kommen (vgl. Urteil vom 26. April 1988 in der Rechtssache 352/85, Bond van Adverteerders u.a., Slg. 1988, 2085, Randnr. 16).
57. So bietet beispielsweise der Veranstalter eines solchen Wettkampfs dem Sportler die Gelegenheit, seine sportliche Tätigkeit auszuüben und sich dabei mit anderen Wettkämpfern zu messen, während gleichzeitig die Sportler durch ihre Teilnahme am Wettkampf dem Veranstalter ermöglichen, ein Sportereignis zu veranstalten, an dem das Publikum teilnehmen kann, das Fernsehsender übertragen können und das für Werbetreibende und Sponsoren von Interesse sein kann. Außerdem erbringt der Sportler für seine eigenen Sponsoren eine Werbeleistung, die direkt auf der sportlichen Tätigkeit beruht.
58. In den Erklärungen vor dem Gerichtshof wurde eingewandt, die Ausgangsverfahren beträfen einen rein internen Sachverhalt; außerdem fielen bestimmte internationale Veranstaltungen nicht in den räumlichen Anwendungsbereich des EG-Vertrags. Zwar sind Bestimmungen des EG-Vertrags über den freien Dienstleistungsverkehr nicht auf Betätigungen anwendbar, von deren Merkmalen keines über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweist (vgl. zuletzt Urteile vom 9. September 1999 in der Rechtssache C-108/98, RI.SAN., Slg. 1999, I-0000, Randnr. 23, und vom 21. Oktober 1999 in der Rechtssache C-97/98, Jägerskiöld, Slg. 1999, I-0000, Randnr. 42). Allerdings kann sich ein über den nationalen Rahmen hinausweisender Aspekt insbesondere aus der Tatsache ergeben, daß ein Sportler an einem Wettkampf in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen teilnimmt, in dem er wohnt.
59. Das nationale Gericht hat auf der Grundlage dieser Auslegungshinweise zu beurteilen, ob die sportliche Tätigkeit der Klägerin und besonders ihre Teilnahme an internationalen Turnieren zum Wirtschaftsleben im Sinne von Artikel 2 EG-Vertrag gehört und insbesondere eine Dienstleistung im Sinne von Artikel 59 EG-Vertrag darstellt.
60. Unterstellt, die Tätigkeit der Klägerin ist als Dienstleistung im Sinne des EG-Vertrags anzusehen, bleibt zu prüfen, ob die Auswahlregeln eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs im Sinne von Artikel 59 EG-Vertrag darstellen.
61. Die dem Ausgangsverfahren zugrunde liegenden Auswahlregeln legen - im Unterschied zu den Regeln in der Rechtssache Bosman - nicht die Bedingungen des Zugangs zum Arbeitsmarkt für Berufssportler fest und enthalten keine Ausländerklauseln, die die Zahl der Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten, die an einem Wettkampf teilnehmen können, beschränken.
62. Die Klägerin, die belgische Staatsangehörige ist, behauptet auch nicht, daß die Entscheidung der LBJ, sie nicht für die Teilnahme an dem Turnier auszuwählen, aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit getroffen worden sei.
63. Außerdem betreffen die Auswahlregeln, wie in Randnummer 44 des vorliegenden Urteils festgestellt, kein Turnier, bei dem Nationalmannschaften gegeneinander antreten, sondern ein Turnier, bei dem die ausgewählten Sportler nur für sich selbst kämpfen.
64. Auswahlregeln wie die dem Ausgangsverfahren zugrunde liegenden beschränken zwangsläufig die Zahl der Teilnehmer an einem Wettkampf. Eine solche Beschränkung, die unausweichlich auf bestimmten Regeln oder Auswahlkriterien beruht, ist notwendig mit der Durchführung eines hochrangigen internationalen Wettkampfes verbunden. Derartige Regeln können daher für sich genommen nicht als durch Artikel 59 EG-Vertrag verbotene Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs angesehen werden.
65. Im übrigen beruht die Wahl eines bestimmten Systems der Auswahl der Teilnehmer für ein internationales Sporttunier auf einer großen Zahl von Erwägungen - etwa der Art, der Organisation und der Finanzierung des betreffenden Sports -, die nichts mit der persönlichen Lage irgendeines Sportlers zu tun haben.
66. Wenn sich ein Auswahlsystem für eine bestimmte Gruppe von Sportlern als vorteilhafter erweist als ein anderes, so kann allein daraus nicht geschlossen werden, daß die Entscheidung für dieses System eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs darstellt.
67. Es ist daher die natürliche Aufgabe der betroffenen Stellen, der Veranstalter von Turnieren, der Sportverbände oder auch der Vereinigungen von Berufssportlern, geeignete Regeln aufzustellen und in Anwendung dieser Regeln eine Auswahl zu treffen.
68. Daß mit dieser Aufgabe die nationalen Verbände betraut werden, die in der Regel über die erforderlichen Kenntnisse und Erfahrungen verfügen, entspricht der Organisationsstruktur der meisten Sportarten, die im Grundsatz aufLandsverbänden beruht. Außerdem gelten die dem Ausgangsverfahren zugrunde liegenden Auswahlregeln sowohl für Wettkämpfe innerhalb der Gemeinschaft als auch für Turniere außerhalb der Gemeinschaft und betreffen Staatsangehörige von Mitgliedstaaten ebenso wie Angehörige von Drittstaaten.
69. Auf die gestellten Fragen ist daher zu antworten, daß eine Regel, nach der ein Berufssportler oder Halbprofi oder ein Anwärter auf eine berufliche oder halbprofessionelle Tätigkeit an einem hochrangigen internationalen Wettkampf, bei dem sich keine Nationalmannschaften gegenüberstehen, nur teilnehmen kann, wenn er über eine Genehmigung oder Auswahlentscheidung seines Verbandes verfügt, als solche keine durch Artikel 59 EG-Vertrag verbotene Beeinträchtigung des freien Dienstleistungsverkehrs darstellt, soweit sie zur Organisation eines solchen Wettkampfes erforderlich ist.
 
Kosten
70. Die Auslagen der belgischen, der dänischen, der deutschen, der griechischen, der spanischen, der französischen, der italienischen, der niederländischen, der österreichischen, der finnischen, der schwedischen und der norwegischen Regierung und der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründenn hat der Gerichtshof auf die ihm vom Tribunal de première instance Namur mit Beschluß vom 16. Februar 1996 und mit Urteil vom 14. Mai 1997 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
Eine Regel, nach der ein Berufssportler oder Halbprofi oder ein Anwärter auf eine berufliche oder halbprofessionelle Tätigkeit an einem hochrangigen internationalen Wettkampf, bei dem sich keine Nationalmannschaften gegenüberstehen, nur teilnehmen kann, wenn er über eine Genehmigung oder Auswahlentscheidung seines Verbandes verfügt, stellt als solche keine durch Artikel 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 49 EG) verbotene Beeinträchtigung des freien Dienstleistungsverkehrs dar, soweit sie zur Organisation eines solchen Wettkampfes erforderlich ist.
Rodriguez Iglesias Moitinho de Almeida, Edward, Sevon, Kapteyn, Puissochet, Hirsch, Jann, Ragnemalm
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 11. April 2000.
R. Grass (Der Kanzler), G. C. Rodriguez Iglesias (Der Präsident)