EuGH Rs. C-184/99, Slg. 2001, S. I-6193 - Grzelczyk
 
Urteil
des Gerichtshofes
vom 20. September 2001
In der Rechtssache
-- C-184/99 --
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom Tribunal du travail Nivelles (Belgien) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Rudy Grzelczyk
gegen
Centre public d'aide sociale d'Ottignies-Louvain-la-Neuve
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 6, 8 und 8a EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 12 EG, 17 EG und 18 EG) sowie der Richtlinie 93/96/EWG des Rates vom 29. Oktober 1993 über das Aufenthaltsrecht der Studenten (ABl. L 317, S. 59)
erlässt
Der Gerichtshof unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodriguez Iglesias, der Kammerpräsidenten C. Gulmann, M. Wathelet und V. Skouris sowie der Richter D. A. O. Edward (Berichterstatter), P. Jann, L. Sevon, R. Schintgen und der Richterin F. Macken, Generalanwalt: S. Alber Kanzler: D. Louterman-Hubeau, Abteilungsleiterin
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
des Centre public d'aide sociale d'Ottignies-Louvain-la-Neuve, vertreten durch B. Liétar, avocat, der belgischen Regierung, vertreten durch A. Snoecx als Bevollmächtigte im Beistand von C. Doutrelepont und M. Uyttendaele, avocats, der dänischen Regierung, vertreten durch J. Molde als Bevollmächtigten, der französischen Regierung, vertreten durch K. Rispal-Bellanger und C. Bergeot als Bevollmächtigte, der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Fernandes und A. C. Pedroso als Bevollmächtigte, der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch R. Magrill als Bevollmächtigte im Beistand von P. Sales und J. Coppel, Barristers, des Rates der Europäischen Union, vertreten durch E. Karlsson und F. Anton als Bevollmächtigte, der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch P. van Nuffel als Bevollmächtigten
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der belgischen Regierung, vertreten durch C. Doutrelepont, der französischen Regierung, vertreten durch C. Bergeot, der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch K. Parker, QC, des Rates, vertreten durch E. Karlsson, und der Kommission, vertreten durch M. Wolfcarius und D. Martin als Bevollmächtigte, in der Sitzung vom 20. Juni 2000,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 28. September 2000 folgendes
 
Urteil
1. Das Tribunal du travail Nivelles hat mit Urteil vom 7. Mai 1999, beim Gerichtshof eingegangen am 19. Mai 1999, gemäß Artikel 234 EG zwei Fragen nach der Auslegung der Artikel 6, 8 und 8a EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 12 EG, 17 EG und 18 EG) sowie der Richtlinie 93/96/EWG des Rates vom 29. Oktober 1993 über das Aufenthaltsrecht der Studenten (ABl. L 317, S. 59) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2. Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Herrn Grzelczyk und dem Centre public d'aide sociale d'Ottignies-Louvain-la-Neuve (im Folgenden: CPAS) über die Entscheidung des CPAS, ihm nicht mehr das Existenzminimum ("Minimex") zu gewähren.
 
Gemeinschaftsrecht
3. Artikel 6 Absatz 1 EG-Vertrag bestimmt:
    "Unbeschadet besonderer Bestimmungen dieses Vertrages ist in seinem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten."
4. Artikel 8 EG-Vertrag sieht vor:
    "(1) Es wird eine Unionsbürgerschaft eingeführt.
    Unionsbürger ist, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt.
    (2) Die Unionsbürger haben die in diesem Vertrag vorgesehenen Rechte und Pflichten."
5. Artikel 8a EG-Vertrag lautet:
    "(1) Jeder Unionsbürger hat das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in diesem Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten.
    (2) Der Rat kann Vorschriften erlassen, mit denen die Ausübung der Rechte nach Absatz 1 erleichtert wird; sofern in diesem Vertrag nichts anderes bestimmt ist, beschließt er einstimmig auf Vorschlag der Kommission und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments."
6. In der vierten Begründungserwägung der Richtlinien 90/364/EWG des Rates vom 28. Juni 1990 über das Aufenthaltsrecht (ABl. L 180, S. 26) und 90/365/EWG des Rates vom 28. Juni 1990 über das Aufenthaltsrecht der aus dem Erwerbsleben ausgeschiedenen Arbeitnehmer und selbständig Erwerbstätigen (ABl. L 180, S. 28) sowie in der sechsten Begründungserwägung der Richtlinie 93/96 - die im Wesentlichen an die Stelle der Richtlinie 90/366/EWG des Rates vom 28. Juni 1990 über das Aufenthaltsrecht der Studenten (ABl. L 180, S. 30) getreten ist, die vom Gerichtshof für nichtig erklärt wurde (Urteil vom 7. Juli 1992 in der Rechtssache C-295/90, Parlament/Rat, Slg. 1992, I-4193) - heißt es, dass die nach diesen Richtlinien Berechtigten die öffentlichen Finanzen des Aufnahmemitgliedstaats nicht über Gebühr belasten dürfen.
7. Artikel 1 der Richtlinie 93/96 lautet:
    "In dem Bemühen, die Voraussetzungen für eine leichtere Ausübung des Aufenthaltsrechts zu präzisieren und für einen Angehörigen eines Mitgliedstaats, der zu einer Berufsausbildung in einem anderen Mitgliedstaat zugelassen worden ist, den nichtdiskriminierenden Zugang zur beruflichen Bildung zu gewährleisten, erkennen die Mitgliedstaaten das Aufenthaltsrecht jedem Studenten zu, der Angehöriger eines Mitgliedstaats ist und dem dieses Recht nicht aufgrund einer anderen Bestimmung des Gemeinschaftsrechts zusteht, sowie seinen Ehegatten und unterhaltsberechtigten Kindern, sofern der betreffende Student durch eine Erklärung oder durch andere, zumindest gleichwertige Mittel, die er selbst wählt, der einzelstaatlichen Behörde glaubhaft macht, dass er über Existenzmittel verfügt, so dass er und seine Familie während ihres Aufenthalts nicht die Sozialhilfe des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen; dies gilt unter der Bedingung, dass er bei einer anerkannten Lehranstalt zum Erwerb einer beruflichen Bildung als Hauptzweck eingeschrieben ist und dass er einen Krankenversicherungsschutz genießt, der sämtliche Risiken im Aufnahmemitgliedstaat abdeckt."
 
Nationales Recht
8. Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1974 zur Einführung des Anspruchs auf ein Existenzminimum (Moniteur belge vom 18. September 1974, S. 11363) bestimmt:
    "1. Jeder volljährige Belgier, der seinen tatsächlichen Aufenthalt in Belgien hat, nicht über ausreichende Mittel verfügt und sich diese Mittel nicht aus eigener Kraft oder in anderer Weise beschaffen kann, hat Anspruch auf ein Existenzminimum.
    Der König bestimmt, was unter tatsächlichem Aufenthalt zu verstehen ist.
    Der Anspruch steht auch verheirateten Minderjährigen sowie Ledigen zu, die ein oder mehrere unterhaltsberechtigte Kinder haben.
    2. Der König kann durch eine vom Ministerrat beschlossene Verordnung die Anwendung dieses Gesetzes unter den von ihm festgelegten Bedingungen auf andere Kategorien von Minderjährigen und auf Personen ausdehnen, die nicht die belgische Staatsangehörigkeit besitzen."
9. Artikel 1 der Königlichen Verordnung vom 27. März 1987 (Moniteur belge vom 7. April 1987, S. 5086), die den Anwendungsbereich des Gesetzes vom 7. August 1974 auf Personen ausdehnt, die nicht die belgische Staatsangehörigkeit besitzen, bestimmt:
    "Der Anwendungsbereich des Gesetzes vom 7. August 1974 zur Einführung des Anspruchs auf ein Existenzminimum wird auf folgende Personen ausgedehnt:
    1. Personen, auf die die Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft anwendbar ist;
    2. Staatenlose, die unter das am 28. September 1954 in New York unterzeichnete und mit Gesetz vom 12. Mai 1960 genehmigte Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen fallen;
    3. Flüchtlinge im Sinne von Artikel 49 des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 über den Zugang zum Hoheitsgebiet, den Aufenthalt, die Niederlassung und die Ausreise von Ausländern."
 
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
10. Der Kläger des Ausgangsverfahrens, der die französische Staatsangehörigkeit besitzt, nahm 1995 an der Katholischen Universität Louvain-la-Neuve ein Sportstudium auf und verlegte hierzu seinen Aufenthalt nach Belgien. In den ersten drei Studienjahren kam er für seinen Unterhalt, seine Unterbringung und das Studium selbst auf, indem er verschiedene kleinere Beschäftigungen ausübte und Zahlungserleichterungen erhielt.
11. Zu Beginn des vierten und letzten Studienjahres beantragte er beim CPAS die Gewährung des Existenzminimums. Das CPAS führte in seinem Bericht aus, dass der Kläger viel gearbeitet habe, um sein Studium zu finanzieren, dass aber das letzte Studienjahr wegen der Abfassung einer schriftlichen Arbeit und der Ableistung derVorbereitungszeit schwerer sei als die vorangegangenen. Aus diesem Grund bewilligte das CPAS dem Kläger mit Entscheidung vom 16. Oktober 1998 das Existenzminimum zum Satz für "Alleinstehende" für die Zeit vom 5. Oktober 1998 bis 30. Juni 1999.
12. Das CPAS beantragte beim belgischen Staat die Erstattung des dem Kläger gezahlten Existenzminimums. Nachdem das zuständige föderale Ministerium die Erstattung abgelehnt hatte, weil die gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung des Existenzminimums, insbesondere die der Staatsangehörigkeit, nicht erfüllt gewesen seien, entzog das CPAS dem Kläger mit Entscheidung vom 29. Januar 1999 ab 1. Januar 1999 das Existenzminimum mit folgender Begründung:
    "Der Betroffene ist als Student eingeschriebener EWG-Staatsangehöriger."
13. Der Kläger griff diese Entscheidung beim Tribunal du travail Nivelles an. Dieses Gericht weist darauf hin, dass das Existenzminimum nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes eine soziale Vergünstigung im Sinne von Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 2) sei und im belgischen Recht die Gewährung des Existenzminimums auf die Personen ausgedehnt worden sei, die in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fielen. Das CPAS sei allerdings der Ansicht, dass der Kläger nicht die Voraussetzungen erfülle, um diese Ausdehnung des Anwendungsbereichs des Existenzminimums geltend machen zu können, da er als Student nicht Arbeitnehmer sei und sich sein Aufenthalt in Belgien nicht aus der Verwirklichung des Grundsatzes der Freizügigkeit der Arbeitnehmer ergebe. Außerdem stelle sich in Anbetracht des Urteils vom 12. Mai 1998 in der Rechtssache C-85/96 (Martinez Sala, Slg. 1998, I-2691) die Frage, ob die Grundsätze der Unionsbürgerschaft und der Nichtdiskriminierung der Anwendung der fraglichen nationalen Regelung entgegenstünden.
14. Unter diesen Umständen hat das Tribunal du travail Nivelles dem Kläger angesichts der Notsituation, in der er sich befand, für die Zeit vom 1. Januar bis 30. Juni 1999 einen Anspruch auf Sozialhilfe in Form einer pauschal auf monatlich 20 000 BEF festgesetzten materiellen Unterstützung zuerkannt und beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
    1. Ist es mit dem Gemeinschaftsrecht, insbesondere mit den Grundsätzen der Unionsbürgerschaft und der Nichtdiskriminierung im Sinne der Artikel 6 und 8 EG-Vertrag, vereinbar, dass der Anspruch auf eine beitragsunabhängige Sozialleistung, wie der Anspruch nach dem belgischen Gesetz vom 7. August 1974 über die Gewährung des Existenzminimums, nicht sämtlichen Unionsbürgern, sondern nur Angehörigen der Mitgliedstaaten zuerkannt wird, auf die die Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 vom 15. Oktober 1968 anwendbar ist?
    2. Hilfsweise: Sind die Artikel 6 und 8a EG-Vertrag und die Richtlinie [93/96] vom 29. Oktober 1993 über das Aufenthaltsrecht der Studenten dahin auszulegen, dass sie es zulassen, dass ein Student, dessen Aufenthaltsrechtanerkannt worden ist, später von dem gegenüber dem Aufnahmeland bestehenden Anspruch auf eine beitragsunabhängige Sozialleistung, wie die Gewährung des Existenzminimums, ausgeschlossen wird und, falls dies zu bejahen ist, dass dieser Ausschluss generell und endgültig gilt?
 
Vorbemerkungen
15. Die Parteien des Ausgangsverfahrens, die Mitgliedstaaten, die Erklärungen abgegeben haben, und die Kommission haben einen wesentlichen Teil ihrer schriftlichen und mündlichen Ausführungen der Frage gewidmet, ob der Kläger aufgrund des Umstands, dass er während der ersten drei Studienjahre verschiedene Beschäftigungen ausgeübt hat, als Arbeitnehmer im Sinne des Gemeinschaftsrechts in den Anwendungsbereich der Königlichen Verordnung vom 27. März 1987 fällt.
16. Wie sich jedoch aus dem Vorlageurteil ergibt, hat sich das vorlegende Gericht die Auffassung des CPAS zu Eigen gemacht hat, dass der Kläger nicht die Voraussetzungen erfülle, um als Arbeitnehmer im Sinne des Gemeinschaftsrechts zu gelten. Auf dieser tatsächlichen und rechtlichen Grundlage prüft das vorlegende Gericht die Vereinbarkeit der einschlägigen belgischen Rechtsvorschriften mit dem Gemeinschaftsrecht, insbesondere den Artikeln 6, 8 und 8a EG-Vertrag.
17. Unter diesen Umständen hat der Gerichtshof die Fragen des vorlegenden Gerichts so, wie sie ihm gestellt sind, und innerhalb der von diesem Gericht gezogenen Grenzen zu beantworten.
18. Das vorlegende Gericht hat insbesondere auch unter Berücksichtigung der Schlussanträge des Generalanwalts zu prüfen, ob der Kläger nach den Tatsachen und Umständen des Ausgangsverfahrens als Arbeitnehmer im Sinne des Gemeinschaftsrechts zu betrachten ist.
 
Zur ersten Frage
19. Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob es mit den Artikeln 6 und 8 EG-Vertrag vereinbar ist, dass die Gewährung einer beitragsunabhängigen Sozialleistung wie des Existenzminimums bei Angehörigen anderer Mitgliedstaaten als des Aufnahmemitgliedstaats, in dem sie sich rechtmäßig aufhalten, von der Voraussetzung abhängt, dass sie in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1612/68 fallen, während für die Angehörigen des Aufnahmemitgliedstaats eine derartige Voraussetzung nicht gilt.
Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen
20. Das CPAS macht geltend, beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts könne nicht davon ausgegangen werden, dass alle Bürger der Europäischen Union Anspruch auf beitragsunabhängige Sozialleistungen wie das Existenzminimum hätten. Aus Artikel8a Absatz 1 EG-Vertrag ergebe sich eindeutig, dass diese Bestimmung keine unmittelbare Wirkung habe und bei ihrer Durchführung stets die im EG-Vertrag enthaltenen und im abgeleiteten Recht präzisierten Beschränkungen zu beachten seien. Zu diesem Recht gehörten aber insbesondere auch die Richtlinien 90/364, 90/365 und 93/96, nach denen die Ausübung der Freizügigkeit vom Erfordernis des Nachweises abhängig sei, dass der Betreffende über ausreichende Existenzmittel und eine soziale Absicherung verfüge.
21. Die belgische und die dänische Regierung tragen vor, das Inkrafttreten des Vertrages über die Europäische Union und des Vertrages von Amsterdam könne an dieser Auslegung nichts ändern. Die Unionsbürgerschaft bedeute nicht, dass die Unionsbürger neue und weiter gehende Rechte als diejenigen erhielten, die sich bereits aus dem EG-Vertrag und dem abgeleiteten Recht ergäben. Der Grundsatz der Unionsbürgerschaft habe somit keinen eigenständigen Inhalt, sondern knüpfe nur an die anderen Bestimmungen des EG-Vertrags an.
22. Nach Meinung der französischen Regierung würde eine Ausdehnung des gegenwärtig nur für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen geltenden Grundsatzes der Gleichbehandlung bei sozialen Vergünstigungen auf alle Unionsbürger darauf hinauslaufen, dass eine umfassende Gleichheit zwischen den in einem Mitgliedstaat ansässigen Unionsbürgern und den Angehörigen dieses Staates hergestellt würde, was sich wohl kaum mit den an die Staatsangehörigkeit geknüpften Rechten vereinbaren lasse.
23. Die portugiesische Regierung weist darauf hin, dass die Angehörigen der Mitgliedstaaten seit dem Inkrafttreten des Vertrages über die Europäische Union gemeinschaftsrechtlich nicht mehr in erster Linie als Wirtschaftsfaktoren in einer im Wesentlichen wirtschaftlich geprägten Gemeinschaft gesehen würden. Die Einführung der Unionsbürgerschaft habe zur Folge gehabt, dass die im Gemeinschaftsrecht vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen, denen die Ausübung des Rechts unterliege, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, nicht weiterhin so ausgelegt werden könnten, dass sie für ein auf dem EG-Vertrag beruhendes Recht rein wirtschaftlichen Charakters gälten, sondern dass sie sich nur auf die auf Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gestützten Ausnahmen bezögen. Hätten die Angehörigen der Mitgliedstaaten mit Inkrafttreten des Vertrages über die Europäische Union die Eigenschaft von Unionsbürgern erworben und würden nicht mehr als reine Wirtschaftsteilnehmer betrachtet, so folge daraus außerdem, dass die Anwendung der Verordnung Nr. 1612/68 ebenfalls auf alle Unionsbürger ausgedehnt werden müsse, unabhängig davon, ob sie Arbeitnehmer im Sinne dieser Verordnung seien.
24. Die Regierung des Vereinigten Königreichs macht unter Bezugnahme auf das Urteil Martinez Sala geltend, auch wenn der Kläger aufgrund seiner Staatsangehörigkeit diskriminiert werde, sei Artikel 6 EG-Vertrag nicht auf seine Situation anwendbar, da jede etwaige Diskriminierung ihm gegenüber außerhalb des Anwendungsbereichs des EG-Vertrags liege. Artikel 6 könne weder für sich allein noch in Verbindung mitArtikel 8 EG-Vertrag zur Folge haben, dass die Grenzen des Anwendungsbereichs der Verordnung Nr. 1612/68 hinfällig würden.
25. Die belgische Regierung fügt hinzu, dass der Kläger im Ausgangsverfahren das Existenzminimum verlange, obwohl diese Art der Finanzierung nicht in den Anwendungsbereich des Artikels 6 EG-Vertrag sowie der Artikel 126 (jetzt Artikel 149 EG) und 127 (nach Änderung jetzt Artikel 150 EG) EG-Vertrag falle. Eine solche Finanzierung sei nämlich ein sozialpolitisches Instrument, das in keinem spezifischen Zusammenhang mit dem berufsbildenden Unterricht stehe und für das die Gemeinschaft beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts nicht zuständig sei.
26. Die Kommission vertritt die Ansicht, die Artikel 6 und 8 EG-Vertrag seien dahin auszulegen, dass sie den Unionsbürgern das Recht verliehen, im sachlichen Anwendungsbereich des Vertrages nicht von einem Mitgliedstaat aus Gründen der Staatsangehörigkeit diskriminiert zu werden, sofern die Situation des Unionsbürgers einen relevanten Anknüpfungspunkt zu dem betreffenden Mitgliedstaat aufweise.
Würdigung durch den Gerichtshof
27. Um das im Ausgangsverfahren aufgeworfene Rechtsproblem in seinem Zusammenhang zu sehen, ist daran zu erinnern, dass der Gerichtshof im Urteil vom 27. März 1985 in der Rechtssache 249/83 (Hoeckx, Slg. 1985, 973), in der eine arbeitslose niederländische Staatsangehörige, die nach Belgien zurückgekehrt war, wo sie erneut Hilfe zum Lebensunterhalt beantragte, für Recht erkannt hat, dass eine Sozialleistung wie die im belgischen Gesetz vom 7. August 1974 vorgesehene, durch die allgemein der notwendige Lebensunterhalt sichergestellt werden soll, eine soziale Vergünstigung im Sinne der Verordnung Nr. 1612/68 ist.
28. Zur Zeit der Ereignisse der dem Urteil Hoeckx zugrunde liegenden Rechtssache hatten alle Gemeinschaftsangehörigen Anspruch auf das Existenzminimum, wobei jedoch die Angehörigen anderer Mitgliedstaaten als des Königreichs Belgien die zusätzliche Voraussetzung erfüllen mussten, dass sie während der letzten fünf Jahre vor dem Zeitpunkt der Bewilligung des Existenzminimums tatsächlich in Belgien gewohnt hatten (Artikel 1 der Königlichen Verordnung vom 8. Januar 1976, Moniteur belge vom 13. Januar 1976, S. 311). Mit der Königlichen Verordnung vom 27. März 1987, die die Königliche Verordnung vom 8. Januar 1976 aufgehoben hat, wurde der Anspruch auf das Existenzminimum für Angehörige der anderen Mitgliedstaaten auf die nach der Verordnung Nr. 1612/68 berechtigten Personen beschränkt. Das inzwischen geänderte Wohnorterfordernis wurde schließlich im Anschluss an eine Vertragsverletzungsklage der Kommission gegen das Königreich Belgien aufgehoben (Urteil vom 10. November 1992 in der Rechtssache C-326/90, Kommission/Belgien, Slg. 1992, I-5517).
29. Aus den Akten ergibt sich, dass ein belgischer Student ohne Arbeitnehmereigenschaft im Sinne der Verordnung Nr. 1612/68, der sich in der gleichen Situation befindet wie der Kläger, die Voraussetzungen für die Gewährung des Existenzminimums erfüllthätte. Die Tatsache, dass der Kläger nicht die belgische Staatsangehörigkeit besitzt, stellt das einzige Hindernis für die Gewährung des Existenzminimums an ihn dar; daher steht fest, dass es sich um eine allein auf der Staatsangehörigkeit beruhende Diskriminierung handelt.
30. Im Anwendungsbereich des EG-Vertrags ist eine solche Diskriminierung nach Artikel 6 dieses Vertrages grundsätzlich verboten. Im vorliegenden Fall ist dieser Artikel für die Beurteilung seines Anwendungsbereichs in Verbindung mit den Vertragsbestimmungen über die Unionsbürgerschaft zu sehen.
31. Der Unionsbürgerstatus ist nämlich dazu bestimmt, der grundlegende Status der Angehörigen der Mitgliedstaaten zu sein, der es denjenigen unter ihnen, die sich in der gleichen Situation befinden, erlaubt, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit und unbeschadet der insoweit ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmen die gleiche rechtliche Behandlung zu genießen.
32. Wie der Gerichtshof in Randnummer 63 des Urteils Martinez Sala ausgeführt hat, kann sich ein Unionsbürger, der sich rechtmäßig im Gebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufhält, in allen Situationen, die in den sachlichen Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fallen, auf Artikel 6 EG-Vertrag berufen.
33. Diese Situationen schließen auch die ein, die zur Ausübung der durch den Vertrag garantierten Grundfreiheiten, und die, die zur Ausübung der durch Artikel 8a EG-Vertrag verliehenen Freiheit, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zu bewegen und aufzuhalten, gehören (Urteil vom 24. November 1998 in der Rechtssache C-274/96, Bickel und Franz, Slg. 1998, I-7637, Randnrn. 15 und 16).
34. Der Gerichtshof hat zwar in Randnummer 18 des Urteils vom 21. Juni 1988 in der Rechtssache 197/86 (Brown, Slg. 1988, 3205) ausgeführt, dass beim gegenwärtigen Stand der Entwicklung des Gemeinschaftsrechts eine Förderung, die Studenten für den Lebensunterhalt und die Ausbildung gewährt wird, grundsätzlich nicht in den Anwendungsbereich des EWG-Vertrags im Sinne seines Artikels 7 (später Artikel 6 EG-Vertrag) fällt.
35. Seit Verkündung des Urteils Brown ist jedoch durch den Vertrag über die Europäische Union die Unionsbürgerschaft in den EG-Vertrag aufgenommen und in seinen Dritten Teil Titel VIII ein Kapitel 3 eingefügt worden, das sich mit der allgemeinen und beruflichen Bildung befasst. Nichts im Text des geänderten Vertrages erlaubt die Annahme, dass Studenten, die Unionsbürger sind, die diesen Bürgern durch den Vertrag verliehenen Rechte verlieren, wenn sie sich zu Studienzwecken in einen anderen Mitgliedstaat begeben. Außerdem hat der Rat seit Verkündung des Urteils Brown auch die Richtlinie 93/96 erlassen, wonach die Mitgliedstaaten Studenten, die Angehörige eines Mitgliedstaats sind und bestimmte Voraussetzungen erfüllen, das Aufenthaltsrecht zuerkennen.
36. Die Tatsache, dass ein Unionsbürger in einem anderen Mitgliedstaat als dem, dem er angehört, ein Hochschulstudium absolviert, kann ihm somit nicht als solche die Möglichkeit nehmen, sich auf das in Artikel 6 EG-Vertrag verankerte Verbot jeder Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit zu berufen.
37. Dieses Verbot ist, wie oben in Randnummer 30 erwähnt, im vorliegenden Fall in Verbindung mit Artikel 8a Absatz 1 EG-Vertrag zu sehen, der "das Recht [proklamiert], sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in diesem Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten".
38. Hinsichtlich dieser Beschränkungen und Bedingungen ergibt sich aus Artikel 1 der Richtlinie 93/96, dass die Mitgliedstaaten von den einem Mitgliedstaat angehörenden Studenten, die vom Recht auf Aufenthalt in ihrem Hoheitsgebiet Gebrauch machen wollen, zunächst verlangen können, dass sie der nationalen Behörde glaubhaft machen, dass sie über Existenzmittel verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts nicht die Sozialhilfe des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, sodann, dass sie bei einer anerkannten Lehranstalt zum Erwerb einer beruflichen Bildung als Hauptzweck eingeschrieben sind, und schließlich, dass sie einen Krankenversicherungsschutz genießen, der sämtliche Risiken im Aufnahmemitgliedstaat abdeckt.
39. Artikel 3 der Richtlinie 93/96 stellt klar, dass die Richtlinie keinen Anspruch der aufenthaltsberechtigten Studenten auf Gewährung von Unterhaltsstipendien durch den Aufnahmemitgliedstaat begründet. Andererseits schließt auch keine Richtlinienbestimmung die durch die Richtlinie Begünstigten von Sozialleistungen aus.
40. Was insbesondere die Frage der Existenzmittel angeht, so verlangt Artikel 1 der Richtlinie 93/96 weder solche Mittel in einer bestimmten Höhe noch, dass diese durch bestimmte Dokumente nachgewiesen werden. Es ist nur vorgesehen, dass der Student durch eine Erklärung oder andere, zumindest gleichwertige Mittel der nationalen Behörde glaubhaft macht, dass er für sich selbst und gegebenenfalls für seinen Ehegatten und seine unterhaltsberechtigten Kinder über Existenzmittel verfügt, so dass er und seine Familie während ihres Aufenthalts nicht die Sozialhilfe des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen (Urteil vom 25. Mai 2000 in der Rechtssache C-424/98, Kommission/Italien, Slg. 2000, I-4001, Randnr. 44).
41. Indem die Richtlinie 93/96 lediglich eine solche Erklärung verlangt, unterscheidet sie sich von den Richtlinien 90/364 und 90/365, die Angaben zu den Mindesteinkünften enthalten, über die die durch diese beiden Richtlinien Begünstigten verfügen müssen. Diese Unterschiede erklären sich durch die Besonderheiten des Aufenthalts von Studenten gegenüber dem Aufenthalt der durch die Richtlinien 90/364 und 90/365 Begünstigten (Urteil Kommission/Italien, Randnr. 45).
42. Diese Auslegung schließt jedoch nicht aus, dass der Aufnahmemitgliedstaat der Ansicht ist, dass ein Student, der Sozialhilfe in Anspruch genommen hat, die Voraussetzungen für sein Aufenthaltsrecht nicht mehr erfüllt, und unter Einhaltung der insoweit vom Gemeinschaftsrecht gezogenen Grenzen Maßnahmen ergreift, um die Aufenthaltserlaubnis des Betroffenen zu beenden oder nicht mehr zu verlängern.
43. Solche Maßnahmen dürfen jedoch keinesfalls die automatische Folge der Tatsache sein, dass ein Student, der einem anderen Mitgliedstaat angehört, die Sozialhilfe des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nimmt.
44. Artikel 4 der Richtlinie 93/96 bestimmt zwar, dass das Aufenthaltsrecht besteht, solange die Berechtigten die Bedingungen des Artikels 1 der Richtlinie erfüllen. Aus der sechsten Begründungserwägung der Richtlinie ergibt sich aber, dass die Aufenthaltsberechtigten die öffentlichen Finanzen des Aufnahmemitgliedstaats nicht "über Gebühr" belasten dürfen. Die Richtlinie 93/96 erkennt somit, übrigens ebenso wie die Richtlinien 90/364 und 90/365, eine bestimmte finanzielle Solidarität der Angehörigen dieses Staates mit denen der anderen Mitgliedstaaten an, insbesondere wenn die Schwierigkeiten, auf die der Aufenthaltsberechtigte stößt, nur vorübergehender Natur sind.
45. Im Übrigen kann sich die finanzielle Situation eines Studenten im Laufe der Zeit aus Gründen, die von seinem Willen unabhängig sind, ändern. Ob seine Erklärung der Wahrheit entspricht, kann daher nur zu dem Zeitpunkt beurteilt werden, zu dem er sie abgibt.
46. Nach alledem ist es mit den Artikeln 6 und 8 EG-Vertrag nicht vereinbar, dass die Gewährung einer beitragsunabhängigen Sozialleistung wie des Existenzminimums bei Angehörigen anderer Mitgliedstaaten als des Aufnahmemitgliedstaats, in dem sie sich rechtmäßig aufhalten, von der Voraussetzung abhängt, dass sie in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1612/68 fallen, während für die Angehörigen des Aufnahmemitgliedstaats eine derartige Voraussetzung nicht gilt.
 
Zur zweiten Frage
47. In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage braucht die zweite Frage, die hilfsweise gestellt ist, nicht beantwortet zu werden.
 
Zur zeitlichen Wirkung des vorliegenden Urteils
48. Die belgische Regierung beantragt in ihren schriftlichen Erklärungen für den Fall, dass nach Auffassung des Gerichtshofes eine Person wie der Kläger des Ausgangsverfahrens das Existenzminimum erhalten kann, die Wirkung des vorliegenden Urteils in zeitlicher Hinsicht zu begrenzen.
49. Die belgische Regierung begründet diesen Antrag damit, dass das Urteil des Gerichtshofes Rückwirkung hätte, wodurch gutgläubig und gemäß dem abgeleitetenRecht begründete Rechtsverhältnisse in Frage gestellt würden. Sie befürchtet insbesondere eine rückwirkende Umgestaltung der Sozialleistungssysteme zugunsten der Studenten infolge der Änderung der Systematik des abgeleiteten Rechts, zu der die neue Auslegung des Gemeinschaftsrechts führen würde, nach der sich ein Student in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens auf die Artikel 6 und 8 EG-Vertrag berufen könnte. Der Grundsatz der Rechtssicherheit verlange daher eine Begrenzung der zeitlichen Wirkung des Urteils.
50. Bei der Auslegung einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts beschränkt sich der Gerichtshof darauf, die Bedeutung und Tragweite dieser Vorschrift, so wie diese seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden gewesen wäre, zu erläutern und zu verdeutlichen (Urteile vom 11. August 1995 in den Rechtssachen C-367/93 bis C-377/93, Roders u.a., Slg. 1995, I-2229, Randnr. 42, und vom 24. September 1998 in der Rechtssache C-35/97, Kommission/Frankreich, Slg. 1998, I-5325, Randnr. 46).
51. Nur ausnahmsweise kann sich der Gerichtshof gemäß dem zur Gemeinschaftsrechtsordnung gehörenden allgemeinen Grundsatz der Rechtssicherheit veranlasst sehen, die Möglichkeit für die Betroffenen einzuschränken, sich auf eine von ihm ausgelegte Bestimmung zu berufen, um gutgläubig begründete Rechtsverhältnisse in Frage zu stellen (vgl. insbesondere Urteil vom 23. Mai 2000 in der Rechtssache C-104/98, Buchner u.a., Slg. 2000, I-3625, Randnr. 39).
52. Zudem rechtfertigen nach ständiger Rechtsprechung die finanziellen Konsequenzen, die sich aus einem im Vorabentscheidungsverfahren ergangenen Urteil für einen Mitgliedstaat ergeben können, für sich allein nicht die zeitliche Begrenzung der Wirkung dieses Urteils (vgl. insbesondere Urteil Buchner u.a., Randnr. 41)
53. Der Gerichtshof hat diese Lösung in der Tat nur unter ganz bestimmten Umständen angewandt, wenn die Gefahr schwerwiegender wirtschaftlicher Auswirkungen bestand, die insbesondere mit der großen Zahl von Rechtsverhältnissen zusammenhingen, die gutgläubig auf der Grundlage der als gültig betrachteten Regelung eingegangen worden waren, und wenn sich herausstellte, dass die Einzelnen und die nationalen Behörden zu einem mit der Gemeinschaftsregelung unvereinbaren Verhalten veranlasst worden waren, weil eine objektive und bedeutende Unsicherheit hinsichtlich der Tragweite der Gemeinschaftsbestimmungen bestand, zu der gegebenenfalls auch das Verhalten anderer Mitgliedstaaten oder der Kommission beigetragen hatte (Urteil Roders u.a., Randnr. 43).
54. Die belgische Regierung hat zur Begründung ihres Antrags, die Wirkung des vorliegenden Urteils zeitlich zu begrenzen, nichts vorgetragen, was beweisen könnte, dass eine objektive und bedeutende Unsicherheit hinsichtlich der Tragweite der am 1. November 1993 in Kraft getretenen Vertragsbestimmungen über die Unionsbürgerschaft die nationalen Behörden zu einem mit diesen Bestimmungen unvereinbaren Verhalten veranlasst hätte.
55. Folglich besteht kein Anlass, die Wirkung des vorliegenden Urteils zeitlich zu begrenzen.
 
Kosten
56. Die Auslagen der belgischen, der dänischen, der französischen und der portugiesischen Regierung, der Regierung des Vereinigten Königreichs sowie des Rates und der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof auf die ihm vom Tribunal du travail Nivelles mit Urteil vom 7. Mai 1999 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
Mit den Artikeln 6 und 8 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 12 EG und 17 EG) ist es nicht vereinbar, dass die Gewährung einer beitragsunabhängigen Sozialleistung wie des Existenzminimums nach Artikel 1 des belgischen Gesetzes vom 7. August 1974 bei Angehörigen anderer Mitgliedstaaten als des Aufnahmemitgliedstaats, in dem sie sich rechtmäßig aufhalten, von der Voraussetzung abhängt, dass sie in den Anwendungsbereich der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft fallen, während für die Angehörigen des Aufnahmemitgliedstaats eine derartige Voraussetzung nicht gilt.
Rodriguez Iglesias, Gulmann, Wathelet, Skouris, Edward, Jann, Sevon, Schintgen, Macken
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 20. September 2001.
R. Grass (Der Kanzler), G. C. Rodriguez Iglesias (Der Präsident)