Urteil
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des Gerichtshofs (Erste Kammer)
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vom 21. Oktober 2004
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In der Rechtssache
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-- C-445/03 --
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betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Artikel 226 EG,eingegangen am 21. Oktober 2003,
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Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch M. Patakia als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg, Klägerin,
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gegen
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Großherzogtum Luxemburg, vertreten durch S. Schreiner als Bevollmächtigten im Beistand von Rechtsanwalt A. Rukavina, Beklagter,
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erlässt
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Der Gerichtshof (Erste Kammer) unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann, der Richter K. Lenaerts (Berichterstatter), K. Schiemann, E. Juhasz und M. Ilesic, Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer, Kanzler: R. Grass, aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
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nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 15. Juli 2004, folgendes
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Urteil
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1. Die Kommission begehrt mit ihrer Klage vom Gerichtshof die Feststellung, dass das Großherzogtum Luxemburg dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 49 EG verstoßen hat, dass es
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-- von einem Dienstleistungserbringer mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat, der seine aus legal in diesem anderen Mitgliedstaat wohnenden und arbeitenden Staatsangehörigen eines Drittstaats bestehende Belegschaft entsenden möchte, das Vorliegen einer individuellen oder kollektiven Arbeitserlaubnis verlangt, deren Erteilung von Erwägungen, die mit dem Arbeitsmarkt zusammenhängen, sowie vom Bestehen eines unbefristeten Vertrages und einer vorhergehenden Beschäftigung bei diesem Dienstleistungserbringer seit mindestens sechs Monaten abhängt; -- von diesem Dienstleistungserbringer eine Bankbürgschaft in Höhe von mindestens 60 000 LUF (1487 Euro) verlangt.
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Nationaler rechtlicher Rahmen
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2. Die Großherzogliche Verordnung vom 12. Mai 1972 mit Vorschriften für die Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer im Großherzogtum Luxemburg (Mémorial A 1972, S. 945) in der durch die Großherzogliche Verordnung vom 17. Juni 1994 (Mémorial A 1994, S. 1034) geänderten Fassung (im Folgenden: Großherzogliche Verordnung vom 12. Mai 1972) bestimmt in Artikel 1 Absätze 1 und 4:
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"Unbeschadet der Bestimmungen über die Einreise in das Großherzogtum Luxemburg und den Aufenthalt im Großherzogtum Luxemburg darf kein Ausländer in Luxemburg ohne Genehmigung nach den Bestimmungen dieser Verordnung einer Beschäftigung als körperlich oder geistig tätiger Arbeitnehmer nachgehen. (...) Die Bestimmungen dieser Verordnung gelten nicht für Arbeitnehmer, die Staatsangehörige eines Mitgliedstaats der Europäischen Union oder eines Vertragsstaats des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum sind."
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3. Gemäß Artikel 2 der Großherzoglichen Verordnung vom 12. Mai 1972 wird die Genehmigung im Sinne von Artikel 1 dem Arbeitnehmer vom Minister für Arbeit oder seinem Vertreter in Form einer Arbeitserlaubnis erteilt, die zu einer der dort aufgeführten vier Klassen gehört.
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4. Artikel 4 Absätze 1, 2, 5 und 6 der Großherzoglichen Verordnung vom 12. Mai 1972 sieht vor:
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"Kein Arbeitgeber darf einen ausländischen Arbeitnehmer ohne gültige Arbeitserlaubnis und ohne vorherige Anzeige der zu besetzenden Stelle an das Nationale Arbeitsamt beschäftigen. Diese in zweifacher Ausfertigung einzureichende, vom Arbeitnehmer ordnungsgemäß gegengezeichnete Anzeige gilt als Antrag auf Erteilung oder Erneuerung der Arbeitserlaubnis, wenn der Arbeitnehmer noch keine Arbeitserlaubnis besitzt, seine Arbeitserlaubnis abgelaufen ist oder seine Arbeitserlaubnis nur für einen bestimmten Arbeitgeber und einen bestimmten Beruf gilt. (...) Das Nationale Arbeitsamt erteilt dem betroffenen Arbeitnehmer eine Eingangsbestätigung über den gemäß Absatz 2 eingereichten Antrag. Die Eingangsbestätigung gilt als vorläufige Arbeitserlaubnis. Eine Abschrift hiervon wird dem Arbeitgeber zugeleitet. Wird die Arbeitserlaubnis abgelehnt, so wird die vorübergehende Arbeitserlaubnis ohne weiteres ungültig."
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5. Artikel 8 der Großherzoglichen Verordnung vom 12. Mai 1972 lautet:
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"Die Arbeitserlaubnis wird vom Minister für Arbeit oder seinem Vertreter auf Vorschlag des in Artikel 7a dieser Verordnung vorgesehenen [besonderen Beratungsausschusses] und der Arbeitsverwaltung erteilt, abgelehnt oder widerrufen. Beide Vorschläge berücksichtigen insbesondere Lage, Entwicklung und Organisation des Arbeitsmarktes."
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6. Artikel 9 Absatz 1 der Großherzoglichen Verordnung vom 12. Mai 1972 bestimmt:
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"In Ausnahmefällen kann Arbeitnehmern, die für Rechnung eines ausländischen oder eines luxemburgischen Unternehmens vorübergehend in das Großherzogtum Luxemburg entsandt werden, auf Antrag des Unternehmens, unter dessen Aufsicht die Arbeitnehmer beschäftigt werden, eine kollektive Arbeitserlaubnis erteilt werden. Eine kollektive Arbeitserlaubnis im Sinne des Unterabsatzes 1 können nur Arbeitnehmer erhalten, die mit dem Unternehmen, das die Entsendung vornimmt, durch einen unbefristeten Vertrag verbunden sind, dessen Beginn mindestens sechs Monate vor Beginn der Beschäftigung im Großherzogtum Luxemburg liegt, für die die kollektive Erlaubnis beantragt wird."
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7. Artikel 9a Absätze 1 und 2 der Großherzoglichen Verordnung vom 12. Mai 1972 sieht vor:
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"Sowohl die individuelle als auch die kollektive Erlaubnis wird erst erteilt, nachdem der Arbeitgeber eine Bankbürgschaft eines ordnungsgemäß zugelassenen Finanzinstituts für die gegebenenfalls anfallenden Kosten der Rückführung der Arbeitnehmer nachgewiesen hat, für die eine Arbeitserlaubnis beantragt wird. Die Höhe der Bankbürgschaft wird von dem gemäß Artikel 7a dieser Verordnung eingesetzten Ausschuss festgelegt und darf 60 000 LUF je Arbeitnehmer nicht unterschreiten."
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Vorverfahren
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8. Da die Kommission der Auffassung war, dass die sich aus den Artikeln 1, 4, 8, 9 und 9a der Großherzoglichen Verordnung vom 12. Mai 1972 ergebenden Bedingungen mit Artikel 49 EG unvereinbar seien, leitete sie das Vertragsverletzungsverfahren ein.
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9. Nachdem die Kommission das Großherzogtum Luxemburg gemahnt hatte, sich zu äußern, gab sie am 21. März 2002 eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab, in der sie diesen Mitgliedstaat aufforderte, die erforderlichen Maßnahmen zu erlassen, um der Stellungnahme binnen zwei Monaten nach ihrer Bekanntgabe nachzukommen. Da das Großherzogtum Luxemburg auf diese Stellungnahme nicht antwortete, hat die Kommission die vorliegende Klage erhoben.
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Zur Klage
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Vorbringen der Parteien
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10. Die Kommission trägt erstens vor, indem die Großherzogliche Verordnung vom 12. Mai 1972 die vorübergehende Entsendung von Arbeitnehmern in das Großherzogtum Luxemburg den Bedingungen unterwerfe, denen der Zutritt von Arbeitnehmern zum örtlichen Arbeitsmarkt unterliege, diskriminiere sie Unternehmen, die Dienstleistungen erbrächten. Jedenfalls enthalte die Verordnung Artikel 49 EG zuwiderlaufende Beschränkungen.
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11. Zweitens nimmt die Kommission zu den einzelnen Bedingungen Stellung, die in der Großherzoglichen Verordnung vom 12. Mai 1972 vorgesehen sind, und führt aus, dass die Bedingung einer vorherigen Arbeitserlaubnis die Dienstleistungsfreiheit illusorisch mache und ihre Erteilung im Ermessen der örtlichen Verwaltung stehe. Die Einhaltung der luxemburgischen Vorschriften über die soziale Absicherung im Fall der Entsendung von Arbeitnehmern zum Zweck der Erbringung von Dienstleistungen könne auch durch weniger einschneidende Maßnahmen sichergestellt werden.
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12. Die Bedingung eines unbefristeten Arbeitsvertrags, der mindestens sechs Monate vor der Entsendung wirksam geworden sei, sei mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unvereinbar. Seien die berufsbezogenen Anforderungen erfüllt, die die Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem der Dienstleistungserbringer niedergelassen sei, für die Anstellung eines Drittstaatsangehörigen vorsähen, so sei anzunehmen, dass der Drittstaatsangehörige einer ordnungsgemäßen und dauerhaften Beschäftigung nachgehe. Außerdem berücksichtige die fragliche Bedingung weder die Besonderheiten bestimmter Branchen, die häufig auf befristete Verträge zurückgriffen, noch die Fälle, in denen Dienstleistungen sporadisch oder über einen sehr kurzen Zeitraum erbracht würden.
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13. Die Bedingung einer Bankbürgschaft sei eine zusätzliche wirtschaftliche Belastung für im Ausland ansässige Arbeitgeber, die schon in ihrem Herkunftsmitgliedstaat für die Erteilung einer Arbeitserlaubnis Gebühren zu entrichten oder eine Bankbürgschaft zu stellen hätten. Zudem könne auch durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen die Rückkehr des Arbeitnehmers in den Mitgliedstaat der Niederlassung des Arbeitgebers nach Erbringung der Dienstleistungen sichergestellt werden.
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14. Die luxemburgische Regierung antwortet erstens, dass die Großherzogliche Verordnung vom 12. Mai 1972 im Hinblick auf die nationalen Vorschriften auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit beurteilt werden müsse, die strenge Vorgaben im Bereich des Mindestlohns, der Sicherheit am Arbeitsplatz und der Dauer des Arbeitsvertrags enthielten. Die einzig wirksame Art und Weise, die Einhaltung dieser Vorschriften sicherzustellen, nicht zuletzt im Rahmen von Dienstleistungen, die von ausländischen Unternehmen erbracht würden, die auf Drittstaatsangehörige zurückgriffen, bestehe in einer auf behördliche Genehmigungen gestützten Kontrolle. Zum einen dienten die fraglichen Bedingungen einem im Allgemeininteresse liegenden Zweck, nämlich der sozialen Sicherheit der Arbeitnehmer, da sie darauf abzielten, die Gefahr der Ausbeutung der Arbeitnehmer, insbesondere derjenigen aus Drittstaaten, auszuschalten, und zum anderen seien sie unterschiedslos auf ausländische Dienstleistungserbringer und auf Unternehmen mit Sitz in Luxemburg anwendbar, um eine umgekehrte Diskriminierung zu Lasten der in Luxemburg ansässigen Unternehmen zu vermeiden.
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15. Zweitens hält die luxemburgische Regierung die Einwände der Kommission gegen die einzelnen Bedingungen, die in der Großherzoglichen Verordnung vom 12. Mai 1972 aufgestellt werden, für unbegründet.
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16. Was die Bedingung der vorherigen Erlaubnis angehe, so werde mit der Bezugnahme in den Artikeln 8 und 9 der Großherzoglichen Verordnung vom 12. Mai 1972 auf die Lage auf dem Arbeitsmarkt und auf Ausnahmefälle lediglich der Grundsatz der vorrangigen Beschäftigung Gemeinschaftsangehöriger angewandt, der in der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 2) verankert sei. Die Möglichkeit der gerichtlichen Nachprüfung von Entscheidungen, mit denen eine Erlaubnis abgelehnt werde, schließe willkürliche Entscheidungen der luxemburgischen Behörden aus.
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17. Die luxemburgische Regierung bestreitet ferner, dass das Mittel der kollektiven Erlaubnis die Erbringung von Dienstleistungen illusorisch mache, und führt zur Begründung aus, dass es dem Dienstleistungserbringer freistehe, seinen Antrag vor der endgültigen Zuschlagserteilung einzureichen, und dass über diesen Antrag in einem vereinfachten Verfahren entschieden werde.
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18. Mit der Bedingung eines unbefristeten Arbeitsvertrags, der mindestens sechs Monate vor der Entsendung wirksam geworden sei, solle sichergestellt werden, dass der Arbeitnehmer eine feste Verbindung zum Herkunftsmitgliedstaat und eine enge und ordnungsgemäße Verbindung zu dem entsendenden Unternehmen habe, um der Gefahr vorzubeugen, dass Arbeitskräfte aus Drittstaaten ausgebeutet würden und der Wettbewerb durch Praktiken des Sozialdumpings verfälscht werde. Ohne Aussicht auf langfristige Beschäftigung bei seinem Stammunternehmen könnte der entsandte Arbeitnehmer, wenn er erst einmal einige Zeit auf dem luxemburgischen Arbeitsmarkt verbracht habe, außerdem versucht sein, dort zu bleiben. Die luxemburgische Regierung bestreitet ferner, dass die streitige Bedingung unverhältnismäßig sei, und führt hierzu aus, dass der Schutz der Arbeitnehmer aufgrund der großen Unterschiede, die insoweit zwischen den Mitgliedstaaten bestünden, in dem Mitgliedstaat, aus dem der entsandte Arbeitnehmer stamme, nicht mit Sicherheit gewährleistet sei.
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19. Was die Bedingung einer Bankbürgschaft betreffe, so werde sie durch Beibringung einer schriftlichen Bürgschaftserklärung eines Bankinstituts erfüllt und verursache halbjährlich Kosten von rund 25 Euro.
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Würdigung durch den Gerichtshof
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20. Nach ständiger Rechtsprechung verlangt Artikel 49 EG nicht nur die Beseitigung jeder Diskriminierung des in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Dienstleistenden aufgrund seiner Staatsangehörigkeit, sondern auch die Aufhebung aller Beschränkungen -- selbst wenn sie unterschiedslos für inländische Dienstleistende wie für solche aus anderen Mitgliedstaaten gelten --, sofern sie geeignet sind, die Tätigkeiten des Dienstleistenden, der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist und dort rechtmäßig ähnliche Dienstleistungen erbringt, zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen (vgl. u. a. Urteil vom 24. Januar 2002 in der Rechtssache C-164/99, Portugaia Construcoes, Slg. 2002, I-787, Randnr. 16 und die zitierte Rechtsprechung).
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21. Eine nationale Regelung, die zu einem nicht auf Gemeinschaftsebene harmonisierten Bereich gehört und für alle in dem betreffenden Mitgliedstaat tätigen Personen oder Unternehmen gilt, kann jedoch, obwohl sie eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit bewirkt, gerechtfertigt sein, soweit sie auf einem zwingenden Grund des Allgemeininteresses beruht und dieses nicht bereits durch Vorschriften geschützt wird, denen der Dienstleistende im Mitgliedstaat seiner Niederlassung unterliegt, und sofern sie geeignet ist, die Verwirklichung des mit ihr verfolgten Zieles zu gewährleisten, und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist (vgl. Urteile vom 23. November 1999 in den Rechtssachen C-369/96 und C-376/96, Arblade u. a., Slg. 1999, I-8453, Randnrn. 34 und 35, und Portugaia Construcoes, Randnr. 19).
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22. Im Licht dieser Grundsätze ist die Vereinbarkeit der fraglichen Bedingungen mit Artikel 49 EG zu prüfen.
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23. Es ist unbestreitbar, dass die Bedingungen, an die sich nach der Großherzoglichen Verordnung vom 12. Mai 1972 ein Dienstleistungsunternehmen halten muss, das Arbeitnehmer mit der Staatsangehörigkeit eines Drittstaats nach Luxemburg zu entsenden beabsichtigt, aufgrund des mit diesen Bedingungen verbundenen Verwaltungsaufwands und der durch sie verursachten Kosten die beabsichtigte Entsendung und damit die Erbringung von Dienstleistungen durch dieses Unternehmen erschweren (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Oktober 2001 in den Rechtssachen C-49/98, C-50/98, C-52/98 bis C-54/98 und C-68/98 bis C-71/98, Finalarte u. a., Slg. 2001, I-7831, Randnr. 30).
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24. Zur Entsendung von Arbeitnehmern aus einem Drittstaat durch ein in der Gemeinschaft ansässiges Dienstleistungsunternehmen hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass eine nationale Regelung, die die Erbringung von Dienstleistungen durch ein in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenes Unternehmen im Inland von der Erteilung einer behördlichen Erlaubnis abhängig macht, eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit im Sinne von Artikel 49 EG darstellt (vgl. Urteil vom 9. August 1994 in der Rechtssache C-43/93, Vander Elst, Slg. 1994, I-3803, Randnr. 15).
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25. Der Bereich der Entsendung von Arbeitnehmern mit der Staatsangehörigkeit eines Drittstaats im Rahmen der grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen ist nicht auf Gemeinschaftsebene harmonisiert, da der Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Bedingungen für die Entsendung von Arbeitnehmern mit Staatsangehörigkeit eines dritten Landes im Rahmen der grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen (ABl. 1999, C 67, S. 2), vorgelegt von der Kommission am 12. Februar 1999, bis zum heutigen Tag nicht angenommen worden ist. Außerdem gilt die Großherzogliche Verordnung vom 12. Mai 1972 unterschiedslos für Unternehmen, die im Ausland ansässig sind, und solche mit Sitz im Inland, wie insbesondere aus ihrem Artikel 9 Absatz 1 hervorgeht.
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26. Daher ist zu prüfen, ob die sich aus der Großherzoglichen Verordnung vom 12. Mai 1972 ergebenden Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit durch ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel gerechtfertigt sind und, wenn ja, ob sie erforderlich sind, um dieses Ziel effektiv und mit den geeigneten Mitteln zu verfolgen (vgl. Urteil Finalarte u. a., Randnr. 37).
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27. Hier werden Gründe der sozialen Sicherheit und der Stabilität des Arbeitsmarktes zur Rechtfertigung der in der Großherzoglichen Verordnung vom 12. Mai 1972 aufgeführten Bedingungen geltend gemacht.
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28. Erstens beruft sich die luxemburgische Regierung auf die Notwendigkeit, für die Einhaltung der nationalen Vorschriften u. a. im Bereich des Mindestlohns, der Sicherheit am Arbeitsplatz und der Dauer des Arbeitsvertrags zu sorgen, um die soziale Sicherheit der nach Luxemburg entsandten Arbeitnehmer sowie gleiche Wettbewerbsbedingungen in Bezug auf die soziale Absicherung für Unternehmen, die in Luxemburg ansässig sind, und für solche mit Sitz im Ausland zu gewährleisten. Insbesondere soll mit der Bedingung, dass im Fall eines Antrags auf Erteilung einer kollektiven Arbeitserlaubnis unbefristete Arbeitsverträge bestehen müssen, durch die die betroffenen Arbeitnehmer seit mindestens sechs Monaten mit dem entsendenden Unternehmen verbunden sind, der Gefahr vorgebeugt werden, dass Arbeitskräfte aus Drittstaaten mit Hilfe unsicherer und schlecht entlohnter Beschäftigungsverhältnisse ausgebeutet werden und der Wettbewerb durch Praktiken des Sozialdumpings verfälscht wird.
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29. Zwar gehört der Schutz der Arbeitnehmer zu den bereits vom Gerichtshof anerkannten zwingenden Gründen des Allgemeininteresses (vgl. u. a. Urteile Finalarte u. a., Randnr. 33, und Portugaia Construcoes, Randnr. 20). Es trifft auch zu, dass es das Gemeinschaftsrecht den Mitgliedstaaten weder verwehrt, ihre Rechtsvorschriften oder die von den Sozialpartnern geschlossenen Tarifverträge auf alle Personen zu erstrecken, die in ihrem Staatsgebiet, und sei es auch nur vorübergehend, eine unselbständige Tätigkeit ausüben, und zwar unabhängig davon, in welchem Land der Arbeitgeber ansässig ist, noch verbietet, die Einhaltung dieser Regeln mit den geeigneten Mitteln durchzusetzen (vgl. Urteil vom 3. Februar 1982 in den Rechtssachen 62/81 und 63/81, Seco und Desquenne & Giral, Slg. 1982, 223, Randnr. 14), wenn sich herausstellt, dass der durch sie gewährte Schutz nicht durch entsprechende oder im Wesentlichen vergleichbare Verpflichtungen gewährleistet wird, denen das Unternehmen bereits im Mitgliedstaat seiner Niederlassung unterliegt (vgl. Urteil vom 28. März 1996 in der Rechtssache C-272/94, Guiot, Slg. 1996, I-1905, Randnrn. 16 und 17, und Arblade u. a., Randnr. 51).
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30. Eine Arbeitserlaubnis, wie sie die Großherzogliche Verordnung vom 12. Mai 1972 vorschreibt, kann jedoch nicht als geeignetes Mittel angesehen werden. Denn sie ist zwangsläufig mit Formalitäten und Verzögerungen verbunden, die geeignet sind, von der Inanspruchnahme der Dienstleistungsfreiheit mit Hilfe entsandter Arbeitnehmer mit der Staatsangehörigkeit eines Drittstaats abzuschrecken.
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31. Würde ein Dienstleistungsunternehmen verpflichtet, den örtlichen Behörden im Voraus die Anwesenheit eines oder mehrerer entsandter Arbeitnehmer, die vorgesehene Dauer dieser Anwesenheit und die der Entsendung zugrunde liegende(n) Dienstleistung(en) anzuzeigen, so wäre dies eine Maßnahme, die ebenso wirksam wäre wie die fragliche Bedingung und zugleich weniger einschneidend. Sie würde es den betreffenden Behörden ermöglichen, die Einhaltung der luxemburgischen Vorschriften auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit während der Dauer der Entsendung zu kontrollieren und dabei die Verpflichtungen zu berücksichtigen, denen das Unternehmen bereits nach den im Herkunftsmitgliedstaat geltenden Regeln auf diesem Gebiet unterliegt.
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32. Außerdem geht die für die Erteilung einer kollektiven Arbeitserlaubnis aufgestellte Bedingung, dass unbefristete Arbeitsverträge bestehen müssen, durch die die betroffenen Arbeitnehmer seit mindestens sechs Monaten mit dem entsendenden Unternehmen verbunden sind, über das hinaus, was im Namen des Zieles der sozialen Sicherheit als notwendige Voraussetzung dafür verlangt werden kann, dass Dienstleistungen mit Hilfe der Entsendung von Arbeitnehmern mit der Staatsangehörigkeit eines Drittstaats erbracht werden.
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33. Wie die Kommission zu Recht feststellt, erschwert diese Bedingung nämlich in den Sektoren, in denen aufgrund der Besonderheiten der fraglichen Tätigkeit häufig auf kurzfristige oder projektbezogene Verträge zurückgegriffen wird, die Entsendung von Arbeitnehmern aus einem Drittstaat nach Luxemburg zum Zweck der Erbringung von Dienstleistungen erheblich. Insoweit ist anzumerken, dass nach Angaben der luxemburgischen Regierung die nationalen Vorschriften über den Arbeitsvertrag für bestimmte Arten von Aufgaben die Verwendung derartiger Verträge zur Anstellung von Arbeitnehmern der Gemeinschaft zulassen.
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34. Wie der Generalanwalt in Nummer 52 seiner Schlussanträge ausführt, wirkt sich die fragliche Bedingung zudem nachteilig auf die Lage von Unternehmen aus, die erst vor kurzem gegründet worden sind und die unter Einsatz von Arbeitnehmern aus einem Drittstaat eine Dienstleistung in Luxemburg erbringen möchten.
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35. Ferner berücksichtigt sie nicht die Maßnahmen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit, insbesondere im Bereich der Arbeitsbedingungen und der Entlohnung, denen ein Unternehmen, das eine Entsendung vornehmen will, im Herkunftsstaat aufgrund des Rechts dieses Mitgliedstaats oder eines gegebenenfalls zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem betreffenden Drittstaat geschlossenen Kooperationsabkommens unterliegt und deren Anwendung geeignet ist, eine ernstliche Gefahr der Ausbeutung von Arbeitnehmern sowie der Verfälschung des Wettbewerbs zwischen den Unternehmen auszuschalten (vgl. Urteil Vander Elst, Randnr. 25).
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36. Die in der Großherzoglichen Verordnung vom 12. Mai 1972 aufgestellten Bedingungen stellen daher keine geeigneten Mittel zum Schutz der Arbeitnehmer dar.
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37. Wie die luxemburgische Regierung zu der in den Randnummern 32 bis 35 dieses Urteils behandelten Bedingung ausdrücklich erklärt, soll mit der Großherzoglichen Verordnung vom 12. Mai 1972 zweitens vermieden werden, dass der nationale Arbeitsmarkt durch den Zustrom von Arbeitnehmern aus Drittstaaten gestört wird.
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38. Hierzu ist festzustellen, dass das Bemühen, Störungen auf dem Arbeitsmarkt zu verhindern, zwar ein zwingender Grund des Allgemeininteresses ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. März 1990 in der Rechtssache C-113/89, Rush Portuguesa, Slg. 1990, I-1417, Randnr. 13). Die Arbeitnehmer, die von einem in einem Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen beschäftigt und zur Erbringung einer Dienstleistung in einen anderen Mitgliedstaat entsandt werden, verlangen aber keinen Zutritt zum Arbeitsmarkt dieses zweiten Staates, da sie nach Erfüllung ihrer Aufgabe in ihr Herkunfts- oder Wohnsitzland zurückkehren (vgl. Urteile Rush Portuguesa, Randnr. 15, Vander Elst, Randnr. 21, und Finalarte u. a., Randnr. 22).
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39. Der Gerichtshof hat allerdings entschieden, dass ein Mitgliedstaat kontrollieren darf, ob ein Unternehmen, das in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist und Arbeitnehmer aus einem Drittstaat entsendet, den freien Dienstleistungsverkehr nicht zu einem anderen Zweck als dem der Erbringung der betreffenden Leistung nutzt, beispielsweise dazu, sein Personal kommen zu lassen, um Arbeitnehmer zu vermitteln oder Dritten zu überlassen (vgl. Urteil Rush Portuguesa, Randnr. 17).
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40. Bei solchen Kontrollen sind jedoch die vom Gemeinschaftsrecht gezogenen Grenzen zu beachten, wie sie sich insbesondere aus dem Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs ergeben, der nicht illusorisch gemacht und dessen Ausübung nicht dem Ermessen der Verwaltung unterworfen werden darf (Urteil Rush Portuguesa, Randnr. 17).
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41. Wie in Randnummer 30 dieses Urteils ausgeführt worden ist, ist hier das Erfordernis, eine Arbeitserlaubnis zu erhalten, aufgrund der damit verbundenen Formalitäten und Verfahrensfristen geeignet, die Inanspruchnahme der Dienstleistungsfreiheit in Luxemburg mit Hilfe entsandter Arbeitnehmer mit der Staatsangehörigkeit eines Drittstaats unattraktiv werden zu lassen.
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42. Wie die Kommission feststellt, bewirkt die Großherzogliche Verordnung vom 12. Mai 1972 dadurch, dass nach ihr die Prüfung der Anträge auf individuelle Arbeitserlaubnis im Licht der Lage auf dem Arbeitsmarkt erfolgen muss und eine kollektive Arbeitserlaubnis nur in Ausnahmefällen erteilt werden kann, außerdem, dass es in das Ermessen der örtlichen Verwaltung gestellt wird, ob Arbeitnehmer mit der Staatsangehörigkeit eines Drittstaats zur Erbringung einer Dienstleistung nach Luxemburg entsandt werden können.
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43. Entgegen der Ansicht der luxemburgischen Regierung sind Erwägungen, wonach vorrangig Gemeinschaftsangehörige zu beschäftigen seien, in Bezug auf Arbeitnehmer, die im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen entsandt werden sollen und damit keinen Zutritt zum Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats anstreben, ohne Bedeutung. Soweit die luxemburgische Regierung vorträgt, die behördlichen Entscheidungen unterlägen gerichtlicher Nachprüfung, bestätigt dies den Befund, dass das Verfahren zur Erteilung der Arbeitserlaubnis Ursache von für den Dienstleistungserbringer nachteiligen Verzögerungen sein kann.
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44. Was die Bedingung angeht, dass im Fall eines Antrags auf Erteilung einer kollektiven Arbeitserlaubnis unbefristete Arbeitsverträge bestehen müssen, durch die die betreffenden Arbeitnehmer seit mindestens sechs Monaten mit dem entsendenden Unternehmen verbunden sind, so ist bereits in den Randnummern 33 und 34 des vorliegenden Urteils festgestellt worden, dass sie geeignet ist, sowohl Unternehmen aus einem Sektor, der durch häufige Verwendung kurzfristiger oder projektbezogener Verträge gekennzeichnet ist, als auch solchen Unternehmen, die erst vor kurzem gegründet worden sind, die Erbringung von Dienstleistungen in Luxemburg mit Hilfe entsandter Arbeitnehmer mit der Staatsangehörigkeit eines Drittstaats erheblich zu erschweren.
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45. Außerdem ist diese Bedingung unverhältnismäßig im Hinblick auf das Ziel, sicherzustellen, dass die Arbeitnehmer nach ihrer Entsendung in den Herkunftsmitgliedstaat zurückkehren.
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46. Würde ein Dienstleistungsunternehmen nämlich verpflichtet, den örtlichen Behörden Angaben zu machen, aus denen hervorgeht, dass die betreffenden Arbeitnehmer in dem Mitgliedstaat, in dem sie von dem Unternehmen beschäftigt werden, legalen Status haben, insbesondere, was Aufenthalt, Arbeitserlaubnis und soziale Absicherung angeht, so böte dies den örtlichen Behörden auf weniger einschneidende Art und Weise als die fraglichen Bedingungen, aber genauso wirksam die Garantie, dass diese Arbeitnehmer legal beschäftigt werden und dass sie ihre Haupttätigkeit in dem Mitgliedstaat ausüben, in dem das Dienstleistungsunternehmen ansässig ist. In Verbindung mit den Angaben des betreffenden Unternehmens zum vorgesehenen Zeitraum der Entsendung (vgl. Randnr. 31 dieses Urteils) würden diese Angaben es den luxemburgischen Behörden ermöglichen, gegebenenfalls die Maßnahmen zu ergreifen, die am Ende des jeweiligen Zeitraums geboten sind.
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47. In diesem Zusammenhang stellt die Verpflichtung für Dienstleistungsunternehmen, die eine Arbeitserlaubnis beantragen, eine Bankbürgschaft zu stellen, die die gegebenenfalls anfallenden Kosten der Rückführung eines Arbeitnehmers nach seiner Entsendung abdecken soll, eine im Hinblick auf das angestrebte Ziel unverhältnismäßige Belastung dar. Wie der Generalanwalt in Nummer 56 seiner Schlussanträge feststellt, sind nämlich durchaus Maßnahmen denkbar, die mit der Dienstleistungsfreiheit besser zu vereinbaren sind als die allgemeine Verpflichtung zur vorherigen Stellung einer Bürgschaft, wie etwa der Erlass eines Mahnbescheids zur Beitreibung der durch eine gegebenenfalls erfolgte Rückführung tatsächlich entstandenen Kosten.
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48. Folglich sind die in der Großherzoglichen Verordnung vom 12. Mai 1972 aufgestellten Bedingungen kein geeignetes Mittel zur Erreichung des Zieles, eine Destabilisierung des örtlichen Arbeitsmarktes zu verhindern.
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49. Nach alledem erweisen sich die von der Kommission gegenüber der Großherzoglichen Verordnung vom 12. Mai 1972 erhobenen Rügen als begründet.
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50. Daher ist festzustellen, dass das Großherzogtum Luxemburg dadurch, dass es von Dienstleistungserbringern mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat, die Arbeitnehmer mit der Staatsangehörigkeit eines Drittstaats nach Luxemburg entsenden möchten, das Vorliegen einer individuellen Arbeitserlaubnis, deren Erteilung von Erwägungen abhängt, die mit dem Arbeitsmarkt zusammenhängen, oder einer kollektiven Arbeitserlaubnis verlangt, die nur in Ausnahmefällen und nur dann erteilt wird, wenn die betreffenden Arbeitnehmer bei Beginn ihrer Entsendung seit mindestens sechs Monaten durch unbefristete Arbeitsverträge mit dem entsendenden Unternehmen verbunden sind, und dadurch, dass es von diesen Dienstleistungserbringern eine Bankbürgschaft fordert, gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 49 EG verstoßen hat.
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Kosten
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51. Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission die Verurteilung des Großherzogtums Luxemburg beantragt hat und dieses mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten aufzuerlegen.
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Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt und entschieden:
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1. Das Großherzogtum Luxemburg hat dadurch, dass es von Dienstleistungserbringern mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat, die Arbeitnehmer mit der Staatsangehörigkeit eines Drittstaats nach Luxemburg entsenden möchten, das Vorliegen einer individuellen Arbeitserlaubnis, deren Erteilung von Erwägungen abhängt, die mit dem Arbeitsmarkt zusammenhängen, oder einer kollektiven Arbeitserlaubnis verlangt, die nur in Ausnahmefällen und auch nur dann erteilt wird, wenn die betreffenden Arbeitnehmer bei Beginn ihrer Entsendung seit mindestens sechs Monaten durch unbefristete Arbeitsverträge mit dem entsendenden Unternehmen verbunden sind, und dadurch, dass es von diesen Dienstleistungserbringern eine Bankbürgschaft fordert, gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 49 EG verstoßen.
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2. Das Großherzogtum Luxemburg trägt die Kosten des Verfahrens.
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Unterschriften.
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