Urteil
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des Gerichtshofes
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vom 9. Dezember 1997
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In der Rechtssache
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-- C-265/95 --
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Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Rechtsberater Hendrik van Lier und durch Jean-Francis Pasquier, zum Juristischen Dienst abgeordneter nationaler Beamter, als Bevollmächtigte, Zustellungsbevollmächtigter: Carlos Gomez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg, Klägerin, unterstützt durch Königreich Spanien, vertreten durch Alberto José Navarro Gonzalez, Generaldirektor für die rechtliche und institutionelle Koordinierung in Gemeinschaftsangelegenheiten, und Abogado del Estado Rosario Silva de Lapuerta, Dienststelle für Gemeinschaftsrechtsstreitigkeiten, als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift: Spanische Botschaft, 4-6, boulevard E. Servais, Luxemburg, Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, vertreten durch John E. Collins, Treasury Solicitor's Department, als Bevollmächtigten, Zustellungsanschrift: Britische Botschaft, 14, boulevard Roosevelt, Luxemburg, Streithelfer,
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gegen
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Französische Republik, vertreten durch Jean-François Dobelle, stellvertretender Direktor in der Direktion für Rechtsfragen des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten, Catherine de Salins, Abteilungsleiterin in dieser Direktion, Anne de Bourgoing, Chargé de mission in dieser Direktion, und Philippe Martinet, Sekretär für Auswärtige Angelegenheiten in diesem Ministerium, als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift: Französische Botschaft, 8 B, boulevard Joseph II, Luxemburg, Beklagte,
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wegen Feststellung, daß die Französische Republik dadurch gegen die Verpflichtungen aus den gemeinsamen Marktorganisationen für landwirtschaftliche Erzeugnisse und aus Artikel 30 in Verbindung mit Artikel 5 EG-Vertrag verstoßen hat, daß sie nicht alle erforderlichen und angemessenen Maßnahmen ergriffen hat, damit der freie Warenverkehr mit Obst und Gemüse nicht durch Handlungen von Privatpersonen beeinträchtigt wird,
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erläßt
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Der Gerichtshof unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodriguez Iglesias, der Kammerpräsidenten C. Gulmann, H. Ragnemalm, M. Wathelet und R. Schintgen (Berichterstatter) sowie der Richter G. F. Mancini, J. C. Moitinho de Almeida, P. J. G. Kapteyn, J. L. Murray, D. A. O. Edward, J.-P. Puissochet, G. Hirsch und P. Jann, Generalanwalt: C. O. Lenz Kanzler: H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat aufgrund des Sitzungsberichts, nach Anhörung der Beteiligten in der Sitzung vom 10. Juni 1997, in der die Kommission durch Hendrik van Lier und Jean-Francis Pasquier, das Königreich Spanien durch Rosario Silva de Lapuerta und die Französische Republik durch Jean-Francois Dobelle und durch Kareen Rispal-Bellanger, Abteilungsleiterin in der Direktion für Rechtsfragen des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigte vertreten waren,
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nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 9. Juli 1997 folgendes
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Urteil
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1. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 4. August 1995 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, daß die Französische Republik dadurch gegen die Verpflichtungen aus den gemeinsamen Marktorganisationen für landwirtschaftliche Erzeugnisse und aus Artikel 30 in Verbindung mit Artikel 5 EG-Vertrag verstoßen hat, daß sie nicht alle erforderlichen und angemessenen Maßnahmen ergriffen hat, damit der freie Warenverkehr mit Obst und Gemüse nicht durch Handlungen von Privatpersonen beeinträchtigt wird.
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2. Die Kommission führt aus, bei ihr seien seit mehr als einem Jahrzehnt regelmäßig Beschwerden eingegangen, mit denen die Untätigkeit der französischen Behörden bei Gewalttaten gerügt werde, die Privatpersonen und Protestbewegungen französischer Landwirte gegen landwirtschaftliche Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten verübt hätten. Diese Taten bestünden u.a. im Anhalten von Lastwagen mit solchen Erzeugnissen in Frankreich und der Vernichtung ihrer Ladung, in Angriffen auf Lastwagenfahrer, in der Bedrohung französischer Supermärkte, die landwirtschaftliche Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten verkauften, sowie in der Beschädigung dieser in französischen Geschäften ausliegenden Waren.
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3. Ab 1993 hätten einige Bewegungen französischer Landwirte, darunter eine Organisation namens "Coordination rurale", mit einer systematischen Kampagne zur Kontrolle des Angebots an landwirtschaftlichen Erzeugnissen aus anderen Mitgliedstaaten begonnen. Insbesondere sei es zur Einschüchterung von Groß- und Einzelhändlern, die zur ausschließlichen Deckung ihres Bedarfs mit französischen Erzeugnissen veranlaßt werden sollten, zur Festlegung eines Mindestverkaufspreises für die Erzeugnisse sowie zu Kontrollen gekommen, mit denen die Einhaltung der erteilten Auflagen durch die Wirtschaftsteilnehmer überprüft werden sollte.
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4. So seien von April bis Juli 1993 insbesondere Erdbeeren aus Spanien Ziel dieser Kampagne gewesen. Im August und September 1993 sei mit Tomaten aus Belgien gleiches geschehen.
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5. 1994 seien u.a. spanische Erdbeeren Gegenstand von Drohungen gegenüber Einkaufszentren gewesen. Dabei sei es zu Zerstörungen von Waren und Fahrzeugen und innerhalb von zwei Wochen zweimal an derselben Stelle zu gewaltsamen Vorfällen gekommen, ohne daß die anwesenden Ordnungskräfte eingegriffen hätten, um die Lastwagen und ihre Ladung wirksam zu schützen.
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6. Weitere Fälle von Sachbeschädigung hätten den freien Verkehr mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen aus Italien und Dänemark in Frankreich behindert.
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7. Die Kommission intervenierte mehrmals bei den französischen Behörden. Sie gelangte zu der Auffassung, daß die Französische Republik dadurch gegen die Verpflichtungen aus den gemeinsamen Marktorganisationen für landwirtschaftliche Erzeugnisse und aus Artikel 30 in Verbindung mit Artikel 5 EG-Vertrag verstoßen habe, daß sie nicht alle erforderlichen und angemessenen Maßnahmen ergriffen habe, damit Privatpersonen nicht durch strafbare Handlungen den freien Warenverkehr mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen beeinträchtigten. Daher forderte sie die französische Regierung mit Schreiben vom 19. Juli 1994 gemäß Artikel 169 EG-Vertrag auf, sich innerhalb von zwei Monaten zu der ihr vorgeworfenen Vertragsverletzung zu äußern.
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8. Die französische Regierung antwortete mit Schreiben vom 10. Oktober 1994, daß sie die von französischen Landwirten begangenen Sachbeschädigungen stets strikt verurteilt habe. Die Präventivmaßnahmen zur Überwachung, zum Schutz und zur Sammlung von Informationen hätten eine beträchtliche Verringerung der Vorfälle zwischen 1993 und 1994 ermöglicht. Im übrigen hätten die Staatsanwaltschaften systematisch Ermittlungen aufgenommen; das zeige die Entschlossenheit der französischen Behörden, alle strafbaren Handlungen zu ahnden, mit denen die Einfuhr landwirtschaftlicher Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten beeinträchtigt werden solle. Jedoch werde das Eingreifen der Ordnungskräfte dadurch außerordentlich erschwert, daß kleine, sehr mobile Gruppen in unvorhersehbarer Weise Kommandounternehmen durchführten; hieraus erkläre sich, daß die eingeleiteten Gerichtsverfahren häufig erfolglos blieben. Schließlich seien die Versuche der "Coordination rurale", den Markt für landwirtschaftliche Erzeugnisse mit Hilfe von Drohungen und Zerstörungen zu regulieren, Gegenstand eines Verfahrens vor dem Conseil de la concurrence.
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9. Am 20. April 1995 kam es jedoch erneut zu schweren Vorfällen im Südwesten Frankreichs, in deren Verlauf landwirtschaftliche Erzeugnisse aus Spanien vernichtet wurden.
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10. Die Kommission gab daraufhin am 5. Mai 1995 eine mit Gründen versehene Stellungnahme gemäß Artikel 169 Absatz 1 EG-Vertrag ab. Darin vertrat sie die Ansicht, daß die Französische Republik dadurch gegen die Verpflichtungen aus den gemeinsamen Marktorganisationen für landwirtschaftliche Erzeugnisse und aus Artikel 30 in Verbindung mit Artikel 5 EG-Vertrag verstoßen habe, daß sie nicht alle erforderlichen und angemessenen Maßnahmen ergriffen habe, damit der freie Warenverkehr mit Obst und Gemüse nicht durch Handlungen von Privatpersonen beeinträchtigt werde, und forderte sie gemäß Artikel 169 Absatz 2 EG-Vertrag auf, dieser Stellungnahme binnen eines Monats nach ihrer Abgabe nachzukommen.
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11. Am 16. Juni 1995 teilte die französische Regierung mit, daß sie alle ihr zur Verfügung stehenden Maßnahmen getroffen habe, um den freien Warenverkehr in Frankreich zu gewährleisten, und daß die eingesetzten Präventivmaßnahmen es ermöglicht hätten, die 1995 begangenen Gewalttaten erheblich einzudämmen. Auf nationaler Ebene hätten sich die betroffenen Ministerien auf ein gemeinsames Vorgehen gegen erneute Sachbeschädigungen geeinigt, zu dem insbesondere eine verstärkte Überwachung und Anweisungen zum strengen Durchgreifen an die Präfekten und die Ordnungskräfte gehörten. Ferner habe auf lokaler Ebene ein Alarmsystem, zu dem die eingehende Überwachung gefährdeter Einrichtungen gehöre, zahlreiche Vorfälle verhindert. Zwar könne die Gefahr von Zerstörungen nicht völlig ausgeschlossen werden, da es sich um punktuelle, unvorhersehbare Aktionen handele und nur sehr schwer zu ermitteln sei, wer für sie verantwortlich sei. Jedoch habe das Tribunal correctionnel Nimes 1994 24 Landwirte wegen Sachbeschädigung verurteilt. Seit dem Inkrafttreten von Artikel 322-13 des neuen Strafgesetzbuchs am 1. März 1994 könne die Androhung von Sachbeschädigungen wirksamer geahndet werden. Schließlich würden die entstandenen Schäden vom Staat ersetzt; es seien Anweisungen ergangen, um die Regulierung des von den betroffenen Wirtschaftsteilnehmern erlittenen Schadens zu beschleunigen.
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12. Die Kommission trägt vor, der französische Landwirtschaftsminister habe indes 1995 erklärt, daß er die Gewalttaten der Landwirte zwar mißbillige und verurteile, aber nicht beabsichtige, die Ordnungskräfte einzusetzen, um sie abzustellen.
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13. Am 3. Juni 1995 kam es in Südfrankreich zu Gewalttaten gegen drei Lastwagen, die Obst und Gemüse aus Spanien beförderten, ohne daß die Ordnungskräfte eingegriffen hätten. Anfang Juli 1995 wurde erneut italienisches und spanisches Obst von französischen Landwirten vernichtet.
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14. Die Kommission hat daraufhin die vorliegende Klage erhoben.
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15. Mit Beschlüssen vom 14. und 27. Februar 1996 hat der Gerichtshof das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland und das Königreich Spanien als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen.
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16. Zur Stützung ihrer Klage macht die Kommission geltend, Artikel 30 EG-Vertrag und die gemeinsamen Marktorganisationen für Obst und Gemüse, die sämtlich auf dem Grundsatz der Beseitigung von Handelshemmnissen beruhten, untersagten mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen zwischen den Mitgliedstaaten sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung. Zudem hätten die Mitgliedstaaten gemäß Artikel 5 EG-Vertrag alle geeigneten Maßnahmen zur Erfüllung der Verpflichtungen zu ergreifen, die sich aus dem EG-Vertrag ergäben.
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17. Daß in Frankreich Fahrzeuge angehalten und landwirtschaftliche Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten ungenießbar gemacht worden seien und daß verschiedene landwirtschaftliche Organisationen mit Drohungen gegenüber den Vermarktern von Obst und Gemüse aus diesen Mitgliedstaaten eine Atmosphäre der Unsicherheit geschaffen hätten, stelle daher ein Hemmnis für den innergemeinschaftlichen Handelsverkehr mit diesen Erzeugnissen dar, das die Mitgliedstaaten durch geeignete Maßnahmen -- auch gegenüber Privatpersonen, die den freien Warenverkehr gefährdeten -- beseitigen müßten.
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18. In Frankreich hätten schwere Vorfälle die Ein- und Durchfuhr von Obst und Gemüse aus anderen Mitgliedstaaten Jahr für Jahr erneut beeinträchtigt. Das zeige, daß die präventiven und repressiven Maßnahmen, die die französische Regierung anführe, weder ausreichend noch angemessen gewesen seien, um die Täter in der Praxis von der Begehung und Wiederholung ihrer Taten abzuhalten. Darüber hinaus ergebe sich aus den der Kommission bekannten Tatsachen, daß die französischen Behörden sich beharrlich geweigert hätten, die Gewalttaten von Landwirten in Frankreich zu verhindern und wirksam zu ahnden.
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19. Die spanische Regierung und die Regierung des Vereinigten Königreichs unterstützen die Anträge der Kommission.
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20. Die französische Regierung hält die Klage der Kommission dagegen für unbegründet.
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21. Sie habe ebenso wie gegen vergleichbare Verstöße gegen nationales Recht alle erforderlichen und angemessenen Mittel eingesetzt, um Handlungen von Privatpersonen zu verhindern und zu ahnden, die gegen den freien Warenverkehr mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen gerichtet seien. Die 1993 eingeführten Überwachungsmaßnahmen hätten es ermöglicht, die Gewalttaten in den folgenden Jahren erheblich einzudämmen.
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22. Jedoch könnten Sachbeschädigungen nicht völlig ausgeschlossen werden, da eine Fülle von Lastwagen landwirtschaftliche Erzeugnisse in Frankreich zu einer Vielzahl von Bestimmungsorten befördere und die Protestaktionen von Landwirten, die in kleinen kommandoartigen Gruppen vorgingen, nicht vorhersehbar seien. Das mache es auch sehr schwierig, die Verantwortlichen zu ermitteln und ihre persönliche Beteiligung an den Gewalttaten nachzuweisen, um sie systematisch zu verfolgen. Seit 1994 seien jedoch gegen sechs weitere Personen Ermittlungen eingeleitet worden, die teilweise zu Verurteilungen geführt hätten. Im übrigen hätten die Polizeibehörden nach ihrem Ermessen zu entscheiden, ob ein Eingreifen aus Gründen der öffentlichen Ordnung erforderlich sei. Der Staat entschädige zudem die Opfer der Delikte auf der Grundlage einer verschuldensunabhängigen Staatshaftung. So seien in den Jahren 1993, 1994 und 1995 über 17 Millionen FF als Schadensersatz gezahlt worden.
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23. Weiter beruhe die Unzufriedenheit der französischen Landwirte darauf, daß die Ausfuhren spanischer Erzeugnisse seit dem Beitritt des Königreichs Spanien erheblich gestiegen seien, was zu einem beträchtlichen Preisverfall geführt habe, den die wettbewerbsrelevante Abwertung der Peseta und die Dumpingpreise der spanischen Erzeuger verstärkt hätten. Der französische Markt für Obst und Gemüse sei erheblich gestört worden, weil die Ausfuhrpreise der spanischen Erzeuger während der für diesen Beitritt vorgesehenen Übergangszeit nicht überwacht worden seien. Die französische Regierung habe auch keine protektionistische Haltung eingenommen, sondern sich konstruktiv verhalten, indem sie beim Rat Schritte zur Überwindung der Schwierigkeiten auf dem Markt für Obst und Gemüse unternommen und sich mit den spanischen Behörden verständigt habe.
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24. Der freie Warenverkehr stellt einen der tragenden Grundsätze des EG-Vertrags dar; das ist bei der Beurteilung der Begründetheit der Klage der Kommission zu berücksichtigen.
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25. Nach Artikel 3 Buchstabe c EG-Vertrag umfaßt die Tätigkeit der Gemeinschaft im Sinne des Artikels 2 einen Binnenmarkt, der durch die Beseitigung der Hindernisse u.a. für den freien Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten gekennzeichnet ist.
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26. Nach Artikel 7a Absatz 2 EG-Vertrag umfaßt der Binnenmarkt einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren gemäß den Bestimmungen des EG-Vertrags gewährleistet ist.
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27. Dieser tragende Grundsatz wird durch die Artikel 30 ff. EG-Vertrag umgesetzt.
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28. Insbesondere sind nach Artikel 30 mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten verboten.
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29. Das bedeutet nach dem Kontext dieser Bestimmung, daß alle unmittelbaren oder mittelbaren, tatsächlichen oder potentiellen Beeinträchtigungen der Einfuhrströme im innergemeinschaftlichen Handel beseitigt werden sollen.
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30. Artikel 30 ist für die Verwirklichung des Marktes ohne Binnengrenzen unabdingbar. Er verbietet damit nicht nur Maßnahmen, die auf den Staat zurückzuführen sind und selbst Beschränkungen für den Handel zwischen den Mitgliedstaaten schaffen, sondern kann auch dann Anwendung finden, wenn ein Mitgliedstaat keine Maßnahmen ergriffen hat, um gegen Beeinträchtigungen des freien Warenverkehrs einzuschreiten, deren Ursachen nicht auf den Staat zurückzuführen sind.
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31. Der innergemeinschaftliche Handelsverkehr kann nämlich ebenso wie durch eine Handlung dadurch beeinträchtigt werden, daß ein Mitgliedstaat untätig bleibt oder es versäumt, ausreichende Maßnahmen zur Beseitigung von Hemmnissen für den freien Warenverkehr zu treffen, die insbesondere durch Handlungen von Privatpersonen in seinem Gebiet geschaffen wurden, die sich gegen Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten richten.
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32. Artikel 30 verbietet den Mitgliedstaaten somit nicht nur eigene Handlungen oder Verhaltensweisen, die zu einem Handelshemmnis führen könnten, sondern verpflichtet sie in Verbindung mit Artikel 5 EG-Vertrag auch dazu, alle erforderlichen und geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um in ihrem Gebiet die Beachtung dieser Grundfreiheit sicherzustellen.
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33. Dabei steht es sicherlich im Ermessen der Mitgliedstaaten, die für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung allein zuständig bleiben, zu entscheiden, welche Maßnahmen in einer bestimmten Situation am geeignetsten sind, um Beeinträchtigungen der Einfuhr zu beseitigen.
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34. Es ist daher nicht Sache der Gemeinschaftsorgane, sich an die Stelle der Mitgliedstaaten zu setzen und ihnen vorzuschreiben, welche Maßnahmen sie erlassen und tatsächlich anwenden müssen, um den freien Warenverkehr in ihrem Gebiet zu gewährleisten.
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35. Es ist jedoch Sache des Gerichtshofes, unter Berücksichtigung des genannten Ermessens in den ihm unterbreiteten Fällen zu prüfen, ob der betreffende Mitgliedstaat zur Sicherstellung des freien Warenverkehrs geeignete Maßnahmen ergriffen hat.
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36. Gemäß den Artikeln 38 bis 46 in Verbindung mit Artikel 7 Absatz 7 EG-Vertrag gelten diese Erwägungen auch für die Verordnungen des Rates über die gemeinsame Marktorganisation für die verschiedenen landwirtschaftlichen Erzeugnisse (vgl. Urteile vom 14. Juli 1976 in den Rechtssachen 3/76, 4/76 und 6/76, Kramer u.a., Slg. 1976, 1279, Randnrn. 53 und 54, und vom 25. Mai 1993 in der Rechtssache C-228/91, Kommission/Italien, Slg. 1993, I-2701, Randnr. 11, zu Verordnungen über die gemeinsame Marktorganisation für Fischereierzeugnisse).
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37. In der vorliegenden Rechtssache ist der Sachverhalt, der dem von der Kommission gegen die Französische Republik eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren zugrunde liegt, unstreitig.
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38. Die Gewalttaten, die in Frankreich gegen landwirtschaftliche Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten begangen wurden -- u.a. wurden Lastwagen, die solche Erzeugnisse beförderten, angehalten, ihre Ladung vernichtet und die Fahrer angegriffen; weiter wurden Groß- und Einzelhändler bedroht und ausliegende Waren ungenießbar gemacht --, schaffen unzweifelhaft Hemmnisse für den innergemeinschaftlichen Handel mit diesen Erzeugnissen.
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39. Deshalb ist zu prüfen, ob die französische Regierung im vorliegenden Fall ihren Verpflichtungen aus Artikel 30 in Verbindung mit Artikel 5 EG-Vertrag dadurch nachgekommen ist, daß sie ausreichende und geeignete Maßnahmen gegen Handlungen von Privatpersonen ergriffen hat, die Hemmnisse für den freien Warenverkehr mit bestimmten landwirtschaftlichen Erzeugnissen verursachen.
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40. Nach dem Vorbringen der Kommission treten die von ihr im Rahmen der vorliegenden Klage gerügten Vorfälle seit mehr als zehn Jahren regelmäßig auf.
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41. Schon am 8. Mai 1985 hat die Kommission ein erstes Mahnschreiben an die Französische Republik gerichtet und sie aufgefordert, die erforderlichen präventiven und repressiven Maßnahmen zu ergreifen, um derartige Handlungen zu unterbinden.
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42. Darüber hinaus hat die Kommission im vorliegenden Fall die französische Regierung wiederholt darauf hingewiesen, daß sie nach Gemeinschaftsrecht verpflichtet sei, alle Beschränkungen für den freien Handelsverkehr mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen aus anderen Mitgliedstaaten zu beseitigen und so die tatsächliche Beachtung des Grundsatzes des freien Warenverkehrs zu ermöglichen.
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43. Die französischen Behörden verfügten daher vorliegend über einen ausreichenden Zeitraum zum Erlaß derjenigen Maßnahmen, die zur Erfüllung ihrer gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen unabdingbar waren.
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44. Weiter hat die französische Regierung vorgebracht, daß alle Maßnahmen ergriffen worden seien, um die Fortsetzung der Gewalttaten zu verhindern und die Schuldigen zu bestrafen. Es steht jedoch fest, daß schwere Vorfälle den Handelsverkehr mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen auf französischem Gebiet Jahr für Jahr ernstlich beeinträchtigt haben.
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45. Nach der von der französischen Regierung nicht bestrittenen Sachverhaltsdarstellung der Kommission sind vor allem bestimmte Zeiträume des Jahres betroffen; außerdem gibt es besonders gefährdete Orte, an denen sich innerhalb eines Jahres mehrere Vorfälle ereignet haben.
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46. Seit 1993 richten sich Gewalt und Sachbeschädigung nicht mehr nur gegen Fahrzeuge, die landwirtschaftliche Erzeugnisse befördern, sondern auch gegen den Groß- und Einzelhandel mit diesen Erzeugnissen.
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47. Im übrigen ist es 1996 und 1997 wiederum zu schweren Vorfällen dieser Art gekommen.
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48. Darüber hinaus ist nicht bestritten, daß die französischen Ordnungskräfte bei solchen Vorfällen entweder nicht an Ort und Stelle waren, obwohl die zuständigen Behörden in einigen Fällen gewarnt worden waren, daß Demonstrationen von Landwirten unmittelbar bevorstünden, oder nicht einschritten, selbst wenn sie wesentlich zahlreicher waren als die Unruhestifter. Überdies handelte es sich nicht immer um Blitzaktionen überraschend auftauchender und alsbald flüchtender Demonstranten, da die Ausschreitungen in einigen Fällen mehrere Stunden dauerten.
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49. Ferner ist unstreitig, daß eine Reihe von Sachbeschädigungen von Fernsehkameras gefilmt wurden, daß die Demonstranten oft unvermummt auftraten und daß die Vereinigungen von Landwirten, von denen die gewalttätigen Demonstrationen ausgingen, den Ordnungskräften bekannt sind.
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50. Gleichwohl wurde unstreitig nur eine ganz kleine Zahl der an diesen schweren Störungen der öffentlichen Ordnung beteiligten Personen ermittelt und verfolgt.
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51. So konnten die französischen Behörden hinsichtlich der zahlreichen Sachbeschädigungen, die von April bis August 1993 begangen wurden, nur einen einzigen Fall strafrechtlicher Verfolgung angeben.
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52. Ohne die Schwierigkeiten der zuständigen Behörden bei der Bewältigung von Situationen der hier in Rede stehenden Art zu verkennen, ist somit festzustellen, daß die Maßnahmen, die die französische Regierung getroffen hat, angesichts der Häufigkeit und Schwere der von der Kommission aufgeführten Vorfälle offenkundig nicht ausreichten, um den freien innergemeinschaftlichen Handelsverkehr mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen in ihrem Gebiet dadurch zu gewährleisten, daß sie die Urheber der fraglichen Zuwiderhandlungen wirksam an deren Begehung und Wiederholung hinderten und sie davon abschreckten.
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53. Diese Feststellung ist besonders deswegen geboten, weil die von der Kommission angesprochenen Sachbeschädigungen und Drohungen nicht nur die Ein- oder Durchfuhr der von den Gewalttaten unmittelbar betroffenen Erzeugnisse in Frankreich gefährden, sondern auch eine Atmosphäre der Unsicherheit schaffen können, die sich auf die gesamten Handelsströme nachteilig auswirkt.
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54. Dieser Feststellung steht das Vorbringen der französischen Regierung nicht entgegen, daß die Lage der französischen Landwirte so schwierig gewesen sei, daß Anlaß zu der Befürchtung bestanden habe, bei entschiedenerem Vorgehen der zuständigen Behörden könne es zu gewalttätigen Reaktionen der betroffenen Wirtschaftsteilnehmer, verbunden mit noch schwereren Angriffen auf die öffentliche Ordnung oder gar sozialen Unruhen, kommen.
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55. Die Befürchtung, es könne zu internen Schwierigkeiten kommen, ist nämlich keine Rechtfertigung dafür, daß ein Mitgliedstaat die korrekte Anwendung des Gemeinschaftsrechts unterläßt (in diesem Sinne Urteil vom 7. Dezember 1995 in der Rechtssache C-52/95, Kommission/Frankreich, Slg. 1995, I-4443, Randnr. 38).
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56. Der betreffende Mitgliedstaat hat alle geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um die volle, wirksame und korrekte Anwendung des Gemeinschaftsrechts im Interesse aller Wirtschaftsteilnehmer sicherzustellen, sofern er nicht nachweist, daß sein Tätigwerden Folgen für die öffentliche Ordnung hätte, die er mit seinen Mitteln nicht bewältigen könnte.
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57. Im vorliegenden Fall hat die französische Regierung aber nicht konkret das Bestehen einer Gefahr für die öffentliche Ordnung nachgewiesen, die sie nicht bewältigen könnte.
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58. Auch wenn die Gefahr schwerer Störungen der öffentlichen Ordnung somit unter Umständen das mangelnde Eingreifen der Ordnungskräfte rechtfertigen könnte, kann das zudem nur in einem konkreten Einzelfall geltend gemacht werden, nicht aber, wie hier, generell für alle von der Kommission angesprochenen Vorfälle.
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59. Auf den Ausgleich der den Opfern entstandenen Schäden, den die Französische Republik gewähre, kann sich deren Regierung nicht berufen, um sich von ihren gemeinschaftsrechtlichen Pflichten zu befreien.
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60. Eine Entschädigung ist zwar geeignet, den von den betroffenen Wirtschaftsteilnehmern erlittenen Schaden zumindest teilweise auszugleichen, kann aber die Vertragsverletzung des Mitgliedstaats nicht beseitigen.
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61. Auch dem Vorbringen, das sich auf das sehr schwierige soziale und wirtschaftliche Umfeld stützt, in dem sich der französische Markt für Obst und Gemüse nach dem Beitritt des Königreichs Spanien befunden habe, kann nicht gefolgt werden.
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62. Nach ständiger Rechtsprechung können nämlich wirtschaftliche Gründe Beeinträchtigungen nicht rechtfertigen, die gemäß Artikel 30 EG-Vertrag verboten sind (vgl. u.a. Urteil vom 11. Juni 1985 in der Rechtssache 288/83, Kommission/Irland, Slg. 1985, 1761, Randnr. 28).
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63. Die französische Regierung deutet zur Stützung dieser Argumente an, daß die Destabilisierung des französischen Marktes für Obst und Gemüse auf unlautere Praktiken der spanischen Erzeuger oder gar auf von ihnen begangene Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht zurückzuführen sei. Ein Mitgliedstaat ist jedoch nicht zu einseitigen Abwehrmaßnahmen oder Verhaltensweisen berechtigt, um einer möglichen Mißachtung des Gemeinschaftsrechts durch einen anderen Mitgliedstaat entgegenzuwirken (in diesem Sinne Urteil vom 23. Mai 1996 in der Rechtssache C-5/94, Hedley Lomas, Slg. 1996, I-2553, Randnr. 20).
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64. Dies muß im Bereich der gemeinsamen Agrarpolitik besonders gelten, da es dort allein Sache der Gemeinschaft ist, erforderlichenfalls alle Maßnahmen zu treffen, um den Schwierigkeiten bestimmter Wirtschaftsteilnehmer, insbesondere nach einem neuen Beitritt, zu begegnen.
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65. Nach alledem hat sich die französische Regierung im vorliegenden Fall offenkundig und beharrlich geweigert, ausreichende und geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Sachbeschädigungen zu unterbinden, die in ihrem Gebiet den freien Warenverkehr mit bestimmten landwirtschaftlichen Erzeugnissen aus anderen Mitgliedstaaten gefährden, und die Wiederholung solcher Vorfälle zu verhindern.
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66. Folglich ist festzustellen, daß die Französische Republik dadurch gegen die Verpflichtungen aus Artikel 30 in Verbindung mit Artikel 5 EG-Vertrag und aus den gemeinsamen Marktorganisationen für landwirtschaftliche Erzeugnisse verstoßen hat, daß sie nicht alle erforderlichen und angemessenen Maßnahmen ergriffen hat, damit der freie Warenverkehr mit Obst und Gemüse nicht durch Handlungen von Privatpersonen beeinträchtigt wird.
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Kosten
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67. Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Französische Republik mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, hat sie die Kosten zu tragen. Nach Artikel 69 § 4 der Verfahrensordnung tragen die Mitgliedstaaten und die Organe, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten.
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Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof für Recht erkannt und entschieden:
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1. Die Französische Republik hat dadurch gegen die Verpflichtungen aus Artikel 30 in Verbindung mit Artikel 5 EG-Vertrag und aus den gemeinsamen Marktorganisationen für landwirtschaftliche Erzeugnisse verstoßen, daß sie nicht alle erforderlichen und angemessenen Maßnahmen ergriffen hat, damit der freie Warenverkehr mit Obst und Gemüse nicht durch Handlungen von Privatpersonen beeinträchtigt wird.
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2. Die Französische Republik trägt die Kosten des Verfahrens.
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3. Das Königreich Spanien und das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland tragen ihre eigenen Kosten.
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Rodriguez Iglesias, Gulmann, Ragnemalm, Wathelet, Schintgen, Mancini, Moitinho de Almeida, Kapteyn, Murray, Edward, Puissochet, Hirsch, Jann
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Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 9. Dezember 1997.
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R. Grass (Der Kanzler), G. C. Rodriguez Iglesias (Der Präsident)
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